Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 9

    "Under the Skin" ist zweifelsohne einer dieser Filme, die man sehr selten zu sehen bekommt und von deren Sorte innerhalb eines Filmjahres vielleicht einer erscheint.
    Es ist die spezielle Sorte von Filmen, die sich ganz schwer beschreiben lassen, da sie sich rein durch ihre visuelle Wirkung auf den Betrachter definieren lassen. Dabei ist der außergewöhnliche, völlig befremdliche Stil so radikal, dass sich eindeutige Lager bei der Zuschauerschaft bilden werden.
    Es geht um ein weibliches Alien in hübscher Frauengestalt, das durch Schottland fährt und alleinstehende Männer verführt.
    Viel mehr bedarf der Plot auch gar keiner weiteren Ausführung, denn Regisseur Jonathan Glazer verpackt seinen erotischen Science-Fiction-Thriller in ein dermaßen extravagantes, visuell hypnotisches Gewand, dass beim Schauen teilweise fast schon körperliches Unbehagen hervorgerufen wird.
    Es ist ein unglaublich polarisierender, mutiger Streifen, den Glazer hier geschaffen hat, gar sein schwierigstes und außergewöhnlichstes Werk überhaupt bisher. Hauptdarstellerin Scarlett Johansson schafft es dabei, den Eindruck einer Existenz in einer völlig fremden Welt perfekt nachvollziehbar zu verkörpern. Mimisch legt sie fast nur einen einzigen Gesichtsausdruck auf und wirkt meistens völlig verwirrt oder wie eingefroren. Zudem zeigt sie vollsten Körpereinsatz und hat außerdem fast gar keine Dialoge.
    Die Szenen, in denen sie mit Passanten in Schottland in Kontakt tritt, wurden von Glazer mit realen Personen und versteckten Kameras gefilmt. Dadurch ist die Reaktion der Leute auf eine völlig befremdliche, hübsche Frau längst nicht mehr eine perfekte Illusion, sondern fast schon merkwürdige Realität.
    Mit äußerst ungewöhnlichen Aufnahmen, stellenweise unglaublich langgezogenen Szenen und einigen extrem verstörenden Momenten gelingt es Glazer, dass der Zuschauer sich genauso isoliert und unwohl fühlt wie die Hauptfigur.
    Sinn und Zweck seiner Geschichte lässt der Regisseur dabei bewusst komplett im Dunkeln. Er liefert zwar minimale Ansätze, die Interpretationsmöglichkeiten sind aber sehr breit gefächert. Ein Glanzstück ist auch der geniale Score, der so intensiv und unbequem klingt, dass der seltsame Gesamteindruck dieses Films nur noch verstärkt wird.
    "Under the Skin" ist ein absolutes Ausnahmewerk. Durch die visuell meisterhafte Gestaltung, die intensive Performance von Scarlett Johansson und die einmalige, seltsam befremdliche Wirkungsweise der Atmosphäre ist Jonathan Glazer ein kleines Filmjuwel gelungen, über welches man nach der Betrachtung aufgrund der kryptischen Handlung sehr lange nachdenken oder diskutieren kann und das schon fast zu mehreren Sichtungen zwingt. Aufgrund der sehr speziellen Art wird der Streifen trotzdem viele Zuschauer abstoßen.

    18
    • 8

      Bereits vorab ist "Only Lovers Left Alive" ein äußerst spannender Film. Der sonst so für seine realistischen, bodenständigen Werke bekannte Regisseur Jim Jarmusch begibt sich erstmals in Fantasy-Gefilde.
      Adam und Eve sind Vampire, die schon seit Jahrhunderten auf der Erde verweilen. Sie leben zwar nicht zusammen, können aber scheinbar nicht ohne einander.
      Wie von ihm gewohnt geht es Jarmusch hier wieder einmal nicht um eine richtige Handlungsführung. Elegant gegen die üblichen, heutigen Sehgewohnheiten gemünzt ist der Streifen eher ein klares Werk der Stimmungen.
      Das Motiv des Vampirs nutzt Jarmusch, um sein Unbehagen gegenüber neuartigen, gegenwärtigen Trends und Gewohnheiten auszudrücken. Eve ist der klassischen Literatur verfallen, Adam ist ein Rock-Musiker, der psychedelische Gitarrenstücke produziert. Dabei klammert sich der Regisseur aber keineswegs an altmodischen Vorgaben fest. Seine Vampire sind mehr oder weniger friedlich, leben menschenscheu abseits der Zivilisation und ernähren sich von Blut, das in Konserven direkt aus Krankenhäusern geschmuggelt wird.
      Immer wieder drehen sich die Gespräche um die gute alte Zeit, Nostalgie steht an der Tagesordnung und klassische Kunst im Vordergrund. Verdeutlicht wird dies durch das Dilemma der Hauptfiguren, die zu einem ewigen Leben verdammt sind.
      Das Thema Vampire ist heutzutage in Filmen relativ schwieriger Stoff, der meist völlig falsch umgesetzt wird. Jarmusch behandelt sein Material allerdings wie von ihm gewohnt mit sehr viel Herzblut und transportiert den Mythos der unsterblichen Blutsauger zusammen mit seinem melancholischen, leicht schrägen sowie durch und duch künstlerischen Stil gekonnt in die Neuzeit. Durch einige zynische, schwarzhumorige Einschübe haben es sogar ein paar Lacher in den Film geschafft.
      Während in seinem letzten Film "The Limits of Control" vor allem flirrende Tagesaufnahmen einen großen Teil ausmachten, gibt es hier wiederum nur Szenen bei Nacht. Zusammen mit den tollen Aufnahmen von Detroit oder Marokko, dem herausragenden Soundtrack und dem fantastischen Schauspiel von Tilda Swinton und Tom Hiddleston, die hier absolut großartig harmonieren, sorgt Jarmusch auch ganz ohne große Spannung für einige Gänsehautmomente. Der Zuschauer wird oftmals in eine Art Lethargie versetzt, wodurch das Schicksal der Figuren in Verbindung mit der langsamen Erzählweise nur noch intensiviert wird.
      Selbst in einem für seine Verhältnisse ungewöhnlichem Genre bewahrt sich Jim Jarmusch seinen Stil auf perfekte Art und Weise. "Only Lovers Left Alive" ist eine schwarzromantische, melancholisch-nostalgische und leicht verschrobene Vampir-Liebesgeschichte, die durch die herausragenden Darsteller und den einzigartigen Stil von Jim Jarmusch zu einem absoluten Hochgenuss wird.

      12
      • 8

        Mit "The Limits of Control" stellt Regisseur Jim Jarmusch selbst Fans seiner Filme auf die Probe.
        Eine langsame Erzählweise und das Motiv von Dynamik und ständiger, zielloser Bewegung der Figuren ist bekannt und werden von Jarmusch hier auch wieder voll ausgekostet, doch der Regisseur betritt hier zudem eine Art interpretative Ebene, bei der man aufgeschlossen an den Film herangehen muss.
        Ein mysteriöser, wortkarger Unbekannter im Anzug reist durch Spanien und trifft ständig rätselhafte Leute, die mit ihm monologartig Gespräche über verschiedene Bereiche von Kunst und Kultur führen. Dabei erhält er meist immer kleine Zettelchen in Streichholzschachteln, die er nach Betrachtung mit einem Schluck Espresso runterspült.
        Das Ziel seiner Reise ist ebenso ungewiss wie sein Antrieb. "Everything is subjective. Use your imagination and your skills", bekommt die Hauptfigur und somit auch der Zuschauer lediglich relativ früh mit auf den Weg.
        Verschiedene Elemente, beispielsweise bestimmte Sätze, Praktiken der Hauptfigur oder das wiederholte Auftauchen mancher Personen, baut Jarmusch repetitiv in den Film ein. Dabei kommt es zu manch wundervollen Dialogszenen, in einem Gespräch über Filme allgemein äußert Tilda Swinton: "The best films are like dreams you're never sure you've really had".
        Auch "The Limits of Control" wirkt mit seiner trance- bzw. traumartigen Struktur oftmals sehr surreal und unwirklich. Rein visuell dürfte das Werk Jarmusch´s bisher schönsten Film darstellen. Die Bildkompositionen, Kameraeinstellungen und Landschaftspanoramen Spaniens erzeugen wunderschöne, gigantische Bilderfluten, in die sich der Zuschauer fallen lassen darf.
        Es ist schwierig, auch nach dem Ende des Streifens zu einer eindeutigen, konkreten Erklärung über das eben Gesehene zu gelangen. Der Film könnte genauso gut eine träumerische Metapher darüber sein, dass man sich im Leben die verschiedenen Bereiche von Kunst und Kultur, z.B. Film, Musik, Malerei bewahren und erhalten sollte, wie andererseits vielleicht ein völlig beabsichtigter Scherz von Jim Jarmusch, der hier bewusst einfach überhaupt keine schlüssige Handlung mehr erzählen wollte. Trotz seiner Langsamkeit und der für einige vordergründigen Leere bietet der Streifen definitiv mehrere Betrachtungsweisen und Denkspielräume.
        "The Limits of Control" ist wohl der bisher schwierigste Film von Jim Jarmusch. Die visuelle Brillanz, die traumartig-entrückte Atmosphäre und der repetitive, langsame und überaus kryptische Erzählrhythmus formen sich mit den starken Darstellern zu einem fiebrigen, faszinierenden Kunstwerk, zu dem einige Zugang finden, während sich andere frustriert langweilen.
        "The old men in my village used to say: Everything changes by the colour of the glass you see it through."

        13
        • 9

          Jim Jarmusch und Bill Murray. Zwei Namen, die in "Broken Flowers" in Kombination gebracht werden und die ohnehin so perfekt zusammenpassen, dass es fast schon verwundert, dass eine Zusammenarbeit der beiden auf voller Spielfilmlänge nicht schon eher zustande kam.
          In den Werken von Jarmusch geht es meist um Figuren, die sich stets in Bewegung befinden, aber irgendwie ziellos zu sein scheinen.
          Don Johnston passt anfangs so gar nicht in dieses Schema. Bill Murray spielt den zerknitterten, gealterten und müden Melancholiker, der meist faul auf dem Sofa liegt und völlig resigniert hat. Ein rosa Brief, der ihn unfreiwillig dazu aufruft, sich mit seiner Vergangenheit, genauer gesagt seinen verflossenen Liebschaften, auseinander zu setzen, und sein detektivischer Nachbar, toll gespielt von Jeffrey Wright, bringen Don zu einem eigenwilligen Road-Trip in typischer Jarmusch-Manier.
          Vor allem für Fans von Independent-Ikone Jim Jarmusch ist dieser Film eine schiere Offenbarung. In einem langsamen, behäbigen Erzähltempo schildert der Regisseur die Reise von Don als melancholischen, episodenhaften Trip, bei dem an jeder Station eine Frau wartet, mit der Don früher mal zusammen war. Mithilfe einiger hervorragender Schauspielerinnen offenbaren die einzelnen Stops von Don viele Überraschungen, teilweise tolle Situationskomik und interessante Einblicke.
          Dabei ist "Broken Flowers" vor allem auch ein Film voll mit stillen Gesten und subtilen Augenblicken. Genauso wie Don ist der Zuschauer dazu aufgerufen, nach Merkmalen oder Details zu suchen, welche der Hauptfigur Antworten zu seiner Frage liefern, die der anfängliche Brief aufgeworfen hat. Dabei verkommt die Reise natürlich auch zu einer Auseinandersetzung Don´s mit Vergangenheit und Gegenwart im Wechsel und der Sinnsuche in der persönlichen Lebenslage.
          Ebenfalls sehr markant ist der wundervolle Soundtrack, der schon beim fantastischen Intro hervorsticht. Die teilweise jazzigen Stücke fügen sich perfekt in den elegischen Erzählrhythmus von Jarmusch und geben dem Zuschauer in ruhigen Momenten Zeit, die einzelnen Stationen Revue passieren zu lassen.
          Denn wie Jarmusch seine Geschichte schließlich beendet, soll hier nicht verraten werden, doch Kenner seiner Werke können sich sicherlich denken, in welche Richtung alles führen wird.
          "Broken Flowers" darf sich ohne Zweifel zu den allerbesten Werken von Jim Jarmusch zählen. Die schöne Geschichte, der grandiose Soundtrack, die melancholisch-jazzige, minimalistische Atmosphäre und ein brillanter, ebenfalls melancholischer Bill Murray in Kombination mit einem hervorragenden, weiblichen Darstellerinnen-Ensemble sorgen für ein angenehmes, wundervolles und nachdenklich stimmendes Meisterwerk, das aufgrund der subtilen Verweise und stillen Rätsel zu mehrfachen Sichtungen einlädt.

          14
          • 10

            Nachdem Regisseur Gareth Evans mit seinem Überraschungs-Kracher "The Raid" neue Maßstäbe im Action-Bereich setzte, ist es wenig überraschend nun er selbst, der diese Maßstäbe mit "The Raid 2" nochmals sprengt und die Messlatte für andere, "normale" Actionfilme fast schon unerreichbar hoch legt.
            Das Prinzip des Vorgängers mit der knappen Einführung und einem nachfolgenden, fast ununterbrochenen Action-Inferno wiederholt der Regisseur für diesen Teil nicht noch einmal. Das Drehbuch für Teil 2 hat Evans sogar schon vor dem ersten Teil geschrieben, damals fehlte ihm allerdings noch das nötige Budget für die Realisierung.
            "The Raid 2" ist ein Crime-Drama, das durch die 2,5-stündige Laufzeit zu einem wahren Epos geraten ist. Die Action-Szenen sind weitläufiger über den gesamten Film verstreut, viel mehr zeigt Evans diesmal, dass er auch als Geschichtenerzähler merklich gereift ist.
            Eben mal den Kopf ausschalten funktioniert hier nicht, man muss schon von Anfang bis Ende aufmerksam am Ball bleiben, um hier alle Figurenverbindungen und Verwicklungen überschauen zu können. Evans setzt kurz nach den Ereignissen des Vorgängers ein, weitet seine Handlung über die gesamte Stadt aus und entspinnt nach und nach ein komplexes Netz aus Verrat, Korruption und eiskalten Syndikat-Strukturen. Dabei zeichnet er nebenbei außerdem noch ein zutiefst beunruhigendes Bild von Jakarta, das als Stadt voll mit abgeschlagenen Existenzen, schmutzigen Schauplätzen und beängstigenden Vorkommnissen abgebildet wird.
            Rama, Protagonist aus Teil 1, wird hier in ein intensives Undercover-Szenario verwickelt, bei dem man als Zuschauer die ganze Zeit mitfiebert und unter Spannung steht, denn jederzeit droht hier so einiges aus dem Ruder zu laufen. Dabei verweilt Evans aber nicht die ganze Zeit bei der sympathischen Hauptfigur, sondern begibt sich auch immer wieder in Nebenplots, bei denen auch die Kriminellen eine überraschend ausführliche Charakterzeichnung erhalten und Raum für Entfaltung bekommen.
            Rund ein Drittel der Laufzeit machen die Action-Sequenzen diesmal aus. Evans timed diese Einlagen wieder einmal perfekt und bekommt durch die umfangreichere Laufzeit einen viel spielvolleren Raum, um eine extreme Anspannung vor oder zwischen den Fights aufzubauen. War der Vorgänger durch die klaustrophobische Enge der Räumlichkeiten geprägt, nutzt er hier die Vielfalt der weitläufig gestreuteren Settings, um sich kreativ und abwechslungsreich auszutoben. Die Action-Momente sind wenig überraschend kaum zu beschreiben. Mit der grandiosen, teils verblüffenden Kameraführung, den perfekt gesetzten Schnitten, dem elektrisierenden Score, der brachialen Körperlichkeit sowie gnadenlosen Härte brechen die Fight-Coreographien geradezu über den Zuschauer herein und machen den Streifen stellenweise mehr zu einer körperlichen Erfahrung als einer gewöhnlichen Seherfahrung. Teilweise über mehrere Minuten dauern die sprachlos machenden Kämpfe, dabei steigert sich Evans mit fortschreitender Laufzeit immer weiter und liefert eine letzte halbe Stunde, nach welcher der Betrachter zitternd, geplättet und völlig euphorisiert zurück bleibt.
            "The Raid 2" ist nicht nur eine Steigerung zum ohnehin schon meisterhaften Vorgänger, sondern schlichtweg einer der besten Actionfilme, die je gedreht wurden. Mit dem Fokus auf das breiter angelegte Erzählen einer packenden Geschichte, den perfekt choreographierten, abwechslungsreichen Action-Sequenzen und den ambitionierten Darstellern mutiert der Film zu einem Epos, das man als Action-Fan erlebt haben muss.

            20
            • 8

              Das Thema Realität vs. Schein wird in Filmen immer wieder mal gerne behandelt und übt meist eine starke Faszination auf den Betrachter aus. David Cronenberg hat unter anderem mit dem genialen "Videodrome" bereits bewiesen, dass er ein Meister auf diesem Gebiet ist. "eXistenZ" kann in dieser Hinsicht eigentlich als eine Art kleiner Bruder von diesem Werk bezeichnet werden.
              In diesem Film widmet sich Cronenberg den Videospielen. Zunächst mag der Einstieg in die Handlung etwas gebremst erscheinen. Zwar immer noch deutlich rasanter als in vielen anderen Filmen und bereits mit einer gewissen Faszination versehen, scheint das komplette Potential der Geschichte noch etwas unterdrückt zu werden.
              Schnell entpuppt sich diese Sicherheit in Sachen konventioneller Handlungsführung allerdings als Schein. Spätestens, wenn die Figuren schließlich in die virtuelle Welt abtauchen, dreht Cronenberg alle Regler auf Anschlag und bietet einen faszinierenden, abgründig-verstörenden Ritt.
              Vollgepackt mit allerhand ekligen, verblüffenden Kleinigkeiten entwirft Cronenberg ein Bild einer Realität, das ohnehin schon mehr an eine Unwirklichkeit erinnert, als die spätere Virtualität im Film an sich. Wenn der Regisseur beispielsweise die Gamepads als fleischliche, bizarre Wesen darstellt, die durch eine Verbindung am Rücken der Menschen eine organische Verbindung mit dem Spieler eingehen, wird deutlich, wie nah sich Cronenberg 1999 bereits an der heutigen Zeit befand. Der Kontrollverlust zwischen Realität und Virtualität hat auch heute bereits vielerorts Überhand genommen, in Zeiten, in denen zum Beispiel Smartphones oder Online-Rollenspiele einen Großteil des Alltags vieler Menschen eingenommen haben.
              Cronenberg versteht es wieder einmal perfekt, die dünne Linie zwischen Faszination und Abgründigkeit dieser Bewegung zu beschreiten. Im späteren Verlauf lässt es sich nur noch erahnen, was hier Wirklichkeit und was Virtualität darstellt. Dabei kommen wie von selbst auch Fragen beim Zuschauer auf, die der Film bei seinen Figuren aufwirft. Wo liegt die Grenze zwischen Realität und Fiktion? Welche Reize liegen überhaupt in beiden Bereichen und kann man einem von beiden einen klaren Vorzug bieten? Wo führt das alles hin, was ist der drastische Höhepunkt in diesem Geschehen?
              Dabei ist die detailgetreue Abbildung virtueller Welten wunderbar gelungen. Wenn sich beispielsweise Figuren wie Spielecharaktere verhalten und in eine Art beteiligungslose Trance verfallen, bis sie mit korrekten Schlüsselbegriffen wieder aktiviert werden, ist man erstaunt, wie gut Cronenberg sich seinem Thema wieder einmal widmet.
              Von den vielen, ganz großartig gestalteten, typischen Ekel-Momenten ganz zu schweigen, die in einem echten Cronenberg einfach nicht fehlen sollten.
              Mit "eXistenZ" gelingt David Cronenberg neben "Videodrome" erneut ein fantastischer Blick auf eine Gesellschaft, die sich im fieberhaften Wechsel zwischen Realität und Fiktion befindet. Durch seine abgründige Bildsprache, das Verwischen der Bewusstseinsebenen und dem packenden Stil hat der Regisseur erneut ein Highlight geschaffen, das zwischen surrealem Ekel-Horror, Science-Fiction, Thriller und Arthouse pendelt.

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              • 9
                über Crash

                "Crash" kann in seiner Form einfach nur von David Cronenberg stammen. Trotzdem ist der Film selbst im ohnehin schon oftmals gewagten Schaffen des Regisseurs ein außergewöhnliches Werk.
                Cronenberg zeigt uns eine Gesellschaft, in der zwischenmenschliche Nähe kaum noch existiert. Sexuelle Befriedigung kann nur noch durch experimentelle, extreme Spielarten erzielt werden und die fast schon wahnhafte Fetischisierung von Objekten erreicht einen makabren Höhepunkt.
                Die Figuren, die uns Cronenberg in seinem Film zeigt, erfahren Lust durch die Betrachtung oder auch Durchlebung von Autounfällen. Dabei erschuf der Regisseur ein Mahnmal, mit dem er wohl mal wieder seiner Zeit voraus war. Wer den Fehler macht, diesen Film als krankhafte, übertriebene Überzeichnung sexueller Obsessionen abzustempeln, sollte sich nur mal der Welt um sich herum bewusst machen.
                Absonderliche Fetische werden heutzutage von vielen Leuten aller Gesellschaftsschichten gelebt. Cronenberg macht daher alles richtig und geht mit äußerster Radikalität und Konsequenz an das Thema heran.
                Dabei gerät die eigentliche Handlung gar nicht mal so in den Fokus, sondern eher die Wirkungsweise, die Cronenberg auf den Betrachter überträgt. Immer wieder kommt es zu Szenen, in denen sich expliziter Sex, die offene Freizügigkeit der Darsteller, der fantastische Score von Howard Shore und die abgründigen, fetischhaften Einschübe zu einer intensiven Seherfahrung vermengen, bei der Cronenberg mit seinem unterkühlten Stil trotzdem stets Distanz wahrt.
                Der Umgang mit seinen Figuren ist daher zwar durchaus als Warnung zu begreifen, eine abschließende Konsequenz oder finale Wendung spart der Regisseur aber aus.
                In seinem Meisterwerk "Crash" lässt David Cronenberg die Bilder eine klare Sprache sprechen. Sein Film ist Spiegel und Warnung zugleich, in welche Richtung sich die heutige Gesellschaft in Sachen sexueller Abwandlungen bewegt hat. Durch den konsequenten, radikalen Stil ist der Film daher abschreckend, ohne gleichzeitig allzu verurteilend zu sein.

                18
                • 8

                  "Dead Ringers" zeigt das allgemein geliebte Element des Body-Horrors von David Cronenberg in einer abgewandelten Variante.
                  Geht es in vielen seiner Werke meist eher darum, dass sich Körper albtraumhaft verändern/verformen, erzählt Cronenberg hier die Geschichte von zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten, die sich praktisch den gleichen Körper teilen.
                  Beverly und Elliot sind erfolgreiche Gynäkologen, zudem eineiige Zwillinge, die sich durch ihre beiden verschiedenen Charakterzüge scheinbar ideal ergänzen.
                  Nach und nach entwirft Cronenberg ein Szenario, das ein Dilemma zwischen diesen beiden Figuren aufbereitet. Eine Frau dient hier als Schlüsselfigur für einen Einblick in die Psychen der Brüder und das komplexe Verhältnis, bei dem sie sich voneinander lösen wollen, scheinbar aber nur zusammen funktionieren.
                  Der für Cronenberg sonst so typische Horror-Faktor bleibt hier weitesgehend ausgeklammert. Der Kanadier nutzt das Spiel mit den zwei Persönlichkeiten in identischen Körpern lieber für ein düsteres Drama, das er bis zum bitteren Ende führt.
                  Ein großer Faktor für die Sogwirkung des Streifens ist die schauspielerische Leistung von Jeremy Irons. Mag der Film zunächst aufgrund desselben Aussehens der beiden Hauptfiguren etwas komplex und verwirrend anlaufen, ist es allein der brillanten Darstellung Irons´ zu verdanken, dass beide Charaktere durch feinste Nuancen, wie etwa Stimmlage und mimische Kleinigkeiten, später fast schon selbstverständlich zu unterscheiden sind. Teilweise fällt es kaum noch auf, dass hier ein Schauspieler eine Doppelrolle spielt.
                  "Dead Ringers" ist ein reifes, düsteres Drama von David Cronenberg, der hier bis auf kleine Ausnahmen auf seine für ihn typischen surrealen Ekel-Momente verzichtet und sich ganz auf die vielschichtige Handlung und den fantastischen Hauptdarsteller verlässt.

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                  • 7 .5

                    Was Regisseur Joseph Kahn mit "Detention" geschaffen hat, scheint teilweise nicht von dieser Welt zu stammen.
                    Sein Streifen ist eine Art Satire, die im komplett gewöhnungsbedürftigen Stil daher kommt. Die unfassbar hyperaktive, Bubble-Gum-Trendy-Hipster Machart macht aus dem Film die meiste Zeit über einen wüsten Wirbelsturm, bei dem man schon nach nicht einmal 5 Minuten Laufzeit für sich entscheiden kann, ob man mitgeht oder direkt aussteigt.
                    Wer beschließt, sich der Inszenierung komplett hinzugeben, darf einen Film erleben, von dessen Sorte es leider zu wenige gibt. Vollgestopft mit gefühlt hunderten von Ideen und Einfällen setzt Kahn eindeutig auf schrillen Overkill.
                    "Detention" lässt sich nicht einmal in feste Genres pressen, rast zwischen Slasher, Zeitgeist-Spiegel, Popkultur-Parodie und Highschool-Klamotte hin und her und pfeffert dem Zuschauer dabei im Sekundentakt irgendwelche Meta-Spielereien und Anspielungen ins Gesicht. Dass der Film dabei fast in (teilweise wundervoll ausgestellten) 90er-Jahre Reminiszenzen ertrinkt, bekommt man ohnehin ständig vorgehalten und die Gag-Dichte reicht von herrlich lustig über runterklappende Kinnlade bis hin zu ungläubigem Kopfschütteln. Die Laufzeit von 90 Minuten vergeht durch das irre hohe Tempo rasend schnell und wer hier nur mal kurz wegschaut oder nicht aufpasst, verpasst irgendeine Anspielung, Parodie, abgefahrene Idee oder schrillen Gag.
                    Lediglich in den letzten gut 20 Minuten wird es dann schlichtweg zu viel des Guten und durch einen etwas unglücklich gewählten Storykniff gerät das Geschehen deutlich weniger überzeugend als zuvor. Auch sind bei der gigantischen Fülle an schrägen Einfällen und Gags einige Rohrkrepierer und Fehlschläge dabei.
                    Trotz allem ist "Detention" ein durchgeknallter Film mit viel Kreativität, Herzblut sowie vielen richtig tollen Einfällen und Szenen. Wer sich mit der rasend schnellen, hyperaktiv-abgedrehten Inszenierung anfreunden kann, Horrorfilme und/oder 90er Teenie-Filme mag und allgemein ungewöhnlichen Filmen gegenüber aufgeschlossen ist, wird mit dem Film sicherlich eine große Freude haben.

                    11
                    • 8

                      "I look back on my life and its 95% running around trying to raise money to make movies and 5% actually making them."
                      Mit diesem Zitat von Orson Welles beginnt die Dokumentation "Seduced and Abandoned" von Regisseur James Toback. Das Konzept ist simpel wie raffiniert: Zusammen mit Schauspieler Alec Baldwin gegibt sich Toback nach Cannes zu den Filmfestspielen. Sie wollen Geld auftreiben für ein Projekt, das eine Art Remake von "Ultimo tango a Parigi" werden soll.
                      Dieses übergeordnete Handlungskonstrukt ist allerdings nur Leitfaden für einen äußerst interessanten wie aufschlussreichen Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts. Wir als normale Zuschauer sehen meist (wahrscheinlich auch glücklicherweise) nur das fertige Werk der Filmemacher. Toback und Baldwin zeigen auf, wie teilweise gnadenlos die Mechanismen von Finanzierungssystemen im Business funktionieren.
                      Zu Wort in Gesprächen kommen hier Regisseure, Schauspieler und Geschäftsmänner, die für die Finanzierung zuständig sind. Es kommt zu nostalgischen Erinnerungen an frühere Zeiten, vor allem in Cannes. Regisseure beschreiben, wie es sich anfühlt, für die eigene Kunst Opfer bringen zu müssen. Wie schwer es ist, leidenschaftliche Herzensprojekte realisieren zu können und wie man finanziell überhaupt über die Runden kommt. Die Schauspieler trifft es stellenweise gar noch härter. Sie werden nur noch anhand ihres Marktwertes gehandelt, hauptsächlich von Geld ist die Rede, das persönliche Können oder die Leistung der jeweiligen Darsteller gerät in den Hintergrund. Auch die Aussagen der Geschäftsleute sind äußerst interessant wie niederschlagend, wenn sie erläutern, unter welch absurden Bedingungen sie bereit sind, Geld für ein Projekt auftreiben zu können.
                      Ausgestattet mit Humor und Charisma verkommt dieser Einblick ins Filmgeschäft allerdings nicht zur trockenen Trübsalsangelegenheit. Auch Momente, in denen Toback und Baldwin den Filmemachern ein Funkeln in den Augen oder amüsante Anekdoten entlocken können, haben es in den Film geschafft.
                      "Seduced and Abandoned" ist eine ganz klare Empfehlung für Leute, die gerne mal einen Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts werfen wollen. Allgemein jeder, der Filme liebt, dürfte hier glücklich werden und somit sollte man sich diese Dokumentation ruhig mal ansehen.

                      9
                      • 7

                        Konnte man sich bei "Mister Lonely" noch über die konventionellere Optik wundern, legt Harmony Korine 2009 dann sein extremstes, schwierigstes und radikalstes Werk nach.
                        Gäbe es einen filmischen Duden, wäre neben dem Begriff "Anarchie" sicherlich "Trash Humpers" mit aufgelistet. Korine vergewaltigt das Medium Film förmlich und liefert einen Home-Video-Redneck Albtraum der übelsten Sorte, der durch seine abstoßende Videokamera-"Ästhetik", die Youtube-Clip-artige Aufmachung und die Verschmelzung von absurdem, überzogenen Nonsense und dreister Normenverweigerung einschlägt.
                        Eine Gruppe von Leuten, bekleidet mit bizarren Masken, die sie wie alte Leute wirken lassen, ziehen einfach durch die Gegend. Dabei zerstören sie Sachen, betreiben Geschlechtsverkehr mit Objekten, bevorzugt Mülltonnen und ziehen noch einige weitere Aktionen durch, die von absolut schwachsinnig, völlig sinnlos über hochgradig verstörend reichen.
                        Egal, wie man zu dem Werk steht, kalt lassen wird diesen Film bei der Sichtung garantiert niemanden. Es gibt eigentlich auch nur zwei Lager, man kann den Film nur mögen oder hassen.
                        Korine reiht nicht nur Nonsense an Nonsense, auch eine Handvoll sehr verstörender, bösartiger Szenen werden hier gezeigt. Ob das Geschehen letztendlich ein bissiger Spiegel ist, was sich Korine unter der Zukunft der gealterten Generation vorstellt, die völlig verwahrlost, abgestumpft und anarchisch lebt, ein ultimativer Suburbia-Horrorfilm oder einfach nur komplett nichtssagender, übertriebener Mist, darf natürlich wieder jeder für sich entscheiden.
                        Eine richtige Bewertung fällt bei "Trash Humpers" so schwer wie bei keinem anderen Werk von Harmony Korine, was schon einiges zu bedeuten hat. Korines albtraumhafter, dreister und radikaler Anti-Film ist eine Rebellion gegen alles, was man an herkömmlichen Filmen schätzen kann. Für die einen eine willkommene Abwechslung, für die anderen unerträglicher Müll.

                        8
                        • 7

                          Nach "Julien Donkey-Boy" dauerte es ganze 8 Jahre, bis "Mister Lonely" von Harmony Korine erschien. Auch laut eigener Angaben steckte der Regisseur wohl in einer tiefen Sinnkrise und verfiel schwerem Drogenkonsum.
                          Seine Rückkehr ins Filmgeschäft gestaltet sich hingegen überraschend versöhnlich und fast schon ein wenig altersmilde. Inszenatorisch bedeutet der Film eine Abkehr von Korines gewohnt ruppigen, grobkörnigen und dokumentarischen Stil.
                          "Mister Lonely" sieht tatsächlich mehr nach einem gewöhnlichen Spielfilm aus, der trotz allem sehr schöne Einstellungen und Bildkompositionen sowie einen passenden Soundtrack enthält.
                          Die eigentliche Geschichte kommt zweigeteilt daher. Zu großen Teilen widmet sich Korine erneut Menschen, die in der Gesellschaft keinen Platz zu finden scheinen. Genauer geht es hier um eine Gruppe von Leuten, die berühmte Persönlichkeiten imitieren und ihren Alltag damit verbringen, sich aus ihrer eigenen Identität zu flüchten, um andersweitig Akzeptanz zu erhalten.
                          In einem kleinen Nebenstrang dringt Korines Hang zur Surrealität dann noch stärker durch, denn da geht es um eine Gruppe Nonnen, die aus Flugzeugen stürzen und aufgrund ihrer starken Hingabe und dem Glauben an Gott völlig unbeschadet aufkommen. Hier spielt der Regisseur seine Hingabe zu Bild- und Tonmontagen auch voll aus und entfaltet stellenweise eine hypnotisch-beruhigende Wirkung.
                          Es sei nicht zuviel verraten, aber wirklich positiv beendet Korine beide Handlungsfäden nicht, im Gegenteil. Trotz der pessimistischen Einschübe zum Ende ist die Einstellung oder Botschaft von ihm eine deutliche: Sich stur und blind auf Wunschvorstellungen, Ausflüchte oder (Irr-)Glauben zu verlassen, führt unweigerlich zum Scheitern. Dass er Dinge wieder persönlich anpackte und die eigene Lethargie beendete, führte Korine wohl auch zu diesem Film, einem anscheinend extrem persönlichen Werk.
                          Hätte Korine sich an einigen Stellen nicht zu lange in seinen eigenen Kompositionen und Einstellungen verloren und viele Szenen einfach viel zu lang gezogen, "Mister Lonely" wäre sicher eines seiner besten Werke geworden. So bleibt trotzdem noch ein relativ melancholischer, persönlicher Film übrig, der mit surrealen Einschüben, aufmerksamen Figurenzeichnungen und stilbewusster Inszenierung zu gefallen weiß. Trotz der für Korine gewohnten Skurrilität sicher auch ein Film für Leute, die mit seinen anderen Werken sonst wenig anzufangen wissen.

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                          • 6

                            Harmony Korine verfolgt seinen eingeschlagenen Kurs weiter und kreiert mit "Julien Donkey-Boy" erneut einen sehr speziellen Film über abseitige, geschädigte Menschen.
                            "Sehr speziell" ist allerdings fast noch eine verharmlosende Bezeichnung für den Stil des Films. Dem dänischen Dogma 95-Manifest verschrieben drehte Korine sein Werk in einem körnigen, kriseligen Look, der den Film auf ästhetischer Ebene fast schon vollständig ungenießbar macht.
                            Korine bricht zwar einige Regeln von Dogma 95, doch durch die Handkamera-Aufnahmen, die natürliche Belichtung und den Verzicht auf eine musikalische Untermalung ist die Geschichte um eine dysfunktionale Familie ein bisweilen schwer erträglicher Streifen.
                            Viele Szenen erscheinen sinnlos, aufgeblasen oder prätentiös, andere wiederum sind typisch für Korine fast schon magisch und faszinierend. Hierzu zählen zum Beispiel ein rappender Albino, eine der bizarrsten Raucher-Sequenzen aller Zeiten oder als Sahnehäubchen Werner Herzog in der Rolle des Familienvaters, der hier ein klares Highlight darstellt.
                            Der hohe Verzerrungs- und Entfremdungsfaktor des Films dient vielleicht auch dazu, die Sichtweise der Hauptfigur Julien zu unterstreichen. Ein verwirrter Schizophrener, der von Ewen Bremner beängstigend gespielt wird. Vielleicht wollte Korine aber auch einfach nur wieder etwas rebellieren und die Sehgewohnheiten zerschmettern, man kann sich selbst eine Sichtweise aussuchen. Ein Kritiker schrieb jedenfalls nicht ohne Grund über den Film: "This movie could make you physically ill. "
                            "Julien Donkey-Boy" ist nach dem speziellen Debüt "Gummo" von Harmony Korine ein sogar noch schwierigerer, anstrengenderer Film. Korine klammert jegliche Konventionen völlig aus und spielt mit verschiedensten Inszenierungstechniken. Bisweilen ist der Film nahezu unerträglich aufgrund seiner Machart und zieht sich in die Länge, bietet aber vieles, was ihn dann wiederum erneut faszinierend und überzeugend macht. Ganz klar nur ein Film für Freunde von experimentelleren Kunst-Filmen.

                            7
                            • 8
                              über Gummo

                              Gleichermaßen anstrengend wie faszinierend wirkt das Debüt "Gummo" von Harmony Korine.
                              Die Geschichte rund um die Bewohner der Kleinstadt Xenia in Ohio, die von einem Tornado in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist ein radikaler, ungemütlicher und polarisierender Gegenentwurf zum sonst so schönen, glanzvollen Bild, das uns in Filmen von Amerika oftmals vermittelt wird.
                              Korine geht in seinem Erstlingswerk direkt dahin, wo es weh tut. Er castet Menschen, die wirkliche körperliche oder geistige Behinderungen haben, inszeniert seinen Film wie eine schroffe, dreckige Dokumentation und bastelt einen Soundtrack zwischen Pop, kultigen Klassikern, Hip-Hop und Black-Metal.
                              Ohne eine durchgängige, schlüssige Narration reiht der Regisseur eher episodenhafte Einzelteile aneinander, in denen er das Leben sowie den Alltag völlig degenerierter, verzweifelter oder verwirrter Individuen zeichnet. Dabei ist sein White-Trash-Manifest keineswegs verurteilend, sondern bewahrt stets eine feste Distanz zu den bizarren Charakteren und ihren Handlungsweisen.
                              Eine konventionelle Seherfahrung ist "Gummo" somit keineswegs. Anstrengende, langgezogene Passagen gehen einher mit markanten, hervorragend inszenierten Momenten, die sich unweigerlich beim Zuschauer einbrennen werden. Dies lässt sich allerdings leicht akzeptieren, denn Korine war bei seinem Debüt erst 24 Jahre alt und man merkt einfach, mit was für einer wilden, abgedrehten Entschlossenheit er auf Frontalangriff setzte.
                              "Gummo" ist kein Film für jeden. Harmony Korine´s Debüt wirkt mitunter wie ein Blick in ein schmutziges Paralleluniversum, entpuppt sich aber bei aufgeschlossener Betrachtungsweise als präzises, unkonventionelles, verstörendes und faszinierendes Porträt über eine verlorene Generation und ein schwer gezeichnetes Amerika abseits strahlender Glanzfassaden.

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                              • 8 .5

                                1968 erschien "Rosemary's Baby" von Roman Polanski, der zahlreiche nachfolgende Horrorfilme prägen sollte und heute als Klassiker gilt.
                                Polanski setzt in seinem Werk auf eine ganz feine, spezielle Art des Grusels, der unvermittelt in das Vertraute und Alltägliche hineinschleicht.
                                Im Mittelpunkt steht Rosemary, die hier über einen langsamen Zeitraum hinweg immer mehr an ihrem Umfeld zweifelt. Als Zuschauer wird man von Polanski praktisch den gesamten Film über an die Protagonistin gebunden, die von Mia Farrow absolut fantastisch verkörpert wird.
                                Mit ihr zusammen wachsen auch beim Zuschauer immer stärkere Zweifel und Theorien, die der Regisseur auf subtile Art und Weise streut. Wer sind die rätselhaften, teilweise überfreundlichen, gleichzeitig extrem seltsamen Bewohner der benachbarten Wohnung? Die merkwürdigen Gesänge, gebetsartigen Schwüre, die durch die Wand des Schlafzimmers dringen? Das penetrante Ticken der Uhr im Schlafzimmer?
                                Dies sind nur einige von vielen Merkwürdigkeiten, die Rosemary bald umgeben. Polanski gelingt es hervorragend, die Tasten auf der Klaviatur des Unwohlseins immer fester und schneller zu spielen. Über die Laufzeit der 136 Minuten hinweg lässt er sich viel Zeit, widmet sich ausgiebig der Figurenzeichnung, nur damit das Abgründige später noch intensiver auftauchen darf.
                                Die Mischung aus Drama, Spannung, subtilen Merkwürdigkeiten oder Andeutungen und puren Angstszenarien ist dabei hervorragend ausbalanciert und sorgt zusammen mit dem klassischen Stilbewusstsein des Regisseurs und den tollen Schauspielleistungen für einen wahren Klassiker.
                                Am Ende gelingt es Polanski sogar noch, einen Schlusspunkt zu setzen, der sich furious zwischen Verstörung, Verwirrung und Harmonie platziert, wie man es selten zu sehen bekommt.

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                                • 5 .5

                                  Es gibt einige sehr gute Filme von Lucio Fulci, aber "Quella villa accanto al cimitero" gehört eher zu seinen schwächeren Werken.
                                  Viele der üblichen Bewertungsmaßstäbe können hier eh nicht angewendet werden. Story, Schauspiel und Dialoge sind meistens mehr als dürftig, was in seinen anderen Horrorfilmen allerdings auch oftmals schon so war. Inszenierung, Atmosphäre und Effekte sind die Gebiete, in denen Fulci meistens trumpft.
                                  Dieser Film schwächelt aber auch bei diesen Punkten etwas. Die für Fulci typischen Gore-Einlagen sind zwar heftig, aber eher sparsam über das gesamte Werk verteilt worden. Der Regisseur will über weite Strecken eher eine gruselige Schaueratmosphäre erzeugen, was ihm stellenweise auch immer mal gelingt. Verantwortlich hierfür ist die oftmals wunderbare Kameraarbeit von Sergio Salvati, die einige wirklich schöne Aufnahmen kreiert hat. Die Musik von Walter Rizzati ist ganz nett, kann aber mit den genialen Scores von Fabio Frizzi zu keiner Zeit mithalten.
                                  Erst im Finale dreht Fulci richtig auf und setzt sogar noch einen gelungenen, surrealen Schlusspunkt. Dies kann die vorangegangen Schwächen und oftmals sehr zähen Passagen aber nur geringfügig ausbessern.
                                  Eine extra Erwähnung sollte auch noch die Figur des Kindes im Film erhalten. Der von Giovanni Frezza gespielte Junge ist extrem nervig und sorgt für viele nervtötende Momente, was hauptsächlich auch an der miserablen, englischen Synchronisation liegt.
                                  "Quella villa accanto al cimitero" hat einige gelungene Momente im typischen Fulci-Stil zu bieten und das Finale weiß noch mal zu gefallen, aber insgesamt ist das Werk klar eine der schwächeren Arbeiten des Regisseurs, die von vielen Schwachpunkten durchzogen ist.

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                                  • 7

                                    Dokumentarfilmer David Sieveking behandelt in seinem Werk "Vergiss mein nicht" die Krankheit Demenz anhand eines pikanten Beispiels, nämlich seiner eigenen Mutter.
                                    Kritische Gedanken vor und eigentlich auch nach dem Film sind natürlich vorprogrammiert. Darf man ein solch ernstes Thema behandeln, wenn man dadurch extrem persönliche Dinge auf Film verewigt und diese für die breite Masse öffentlich macht? Es stimmt, Sieveking´s Film ist stellenweise schmerzhaft intim und hat viele Momente, die sonst eigentlich nur in den privaten, engsten Familienkreis gehören.
                                    Es ist allerdings die Herangehensweise von Sieveking, die den Streifen funktionieren lässt. Schon früh wird man so Zeuge, wie liebevoll, rührend und vorbildlich er sich um seine kranke Mutter Gretel kümmert. Dies führt aufgrund der schweren Krankheit zu einigen durchaus harten, aber auch heiteren Szenen. Auch Gretel selbst, die teilweise erhebliche Aussetzer und besorgniserregende Verhaltensweisen äußert, strahlt oftmals noch eine unglaubliche Freude am Leben aus, was das Zusehen nochmal etwas erleichtert.
                                    Sieveking nutzt seinen Film aber nicht bloß, um die Seiten der Demenzerkrankung zu beleuchten, sondern auch für eine Aufschlüsselung seiner Familienverhältnisse. Er, der teilweise persönlich Distanz und Kälte im Elternhaus erfahren hat, bringt im Verlauf des Films teilweise aufregende und auch brisante Informationen über seine Vergangenheit und die der Eltern zum Vorschein.
                                    Es ist nicht die eigentliche Rahmenhandlung, die "Vergiss mein nicht" so gelungen macht, sondern die vielen, kleinen Einzelmomente. Wenn Vater Malte und Gretel durch ein altes Familienalbum stöbern, Gretel sich selbst als wunderschöne junge Frau erblickt und Malte Tränen in den Augen stehen. Malte, der sich trotz Pensionierung und erheblichem Stress unentwegt um seine Gretel kümmert, obwohl die harten Strapazen jeden Tag zu einer Herausforderung machen, da Gretel jeden Tag völlig neu und anders verbringt und erlebt. Wenn Außenstehende der Familie zu Wort kommen und teilweise eindringliche Aussagen treffen.
                                    Dies sind die Momente, von denen es zahlreiche im Film gibt, die "Vergiss mein nicht" trotz der fragwürdigen Grundherangehensweise zu einer wirklich lohnenswerten, teils berührenden, teils niederschlagenden Dokumentation werden lassen, mit der David Sieveking nicht nur die Krankheit Demenz ausführlich beleuchtet, sondern auch seiner Familie ein intimes, ehrenvolles Porträt erschaffen hat.

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                                    • 4 .5

                                      Das Langfilmdebüt "Smiley" von Regisseur Michael Gallagher verlegt die Urban Legend der Bloody Mary ins heutige Internetzeitalter.
                                      Inszeniert nach dem altbackenen Horrorfilm-1x1 schafft es Gallagher kaum, eine eigene Linie zu finden. Sein Streifen scheitert dabei kurioserweise allerdings nicht an Ideenarmut, sondern an schlichter Überladung von Themen, Ideen und vor allem Elementen aus bekannten Horrorfilmen.
                                      Es gibt die übliche Gruppe von College-Teenagern, die mal mehr, mal weniger sympathisch wirken. Die weibliche Hauptfigur, hier gar nicht mal übel und relativ niedlich von Caitlin Gerad gespielt, darf vor allem viel schreien und weinen. Dass sie zudem psychisch nicht ganz einwandfrei angelegt ist, ist zudem natürlich noch ein Wegbereiter für ein Traum-Realität-Wechselspielchen. Auch die Polizisten, die helfen sollen, sind natürlich völlig inkompetent.
                                      Als Slasher ist der Streifen etwas zu zahm geraten, verlässt sich viel zu stark auf meist nervige Jump-Scares, hat hier und da aber schon ein paar gelungene Momente zu bieten. Ein wenig Urban Legend hier, ein Hauch "Nightmare on Elm Street" da oder eine Prise "Scream". Viel deutlicher will sich Gallagher hier auf eine höhere Ebene begeben, um sich dem heutigen Internetwahn zu widmen und den Nachteilen, welche die schnelle, weltweite Vernetzung mit sich bringt, Stichworte "Stalker" oder "(Cyber-)Mobbing". Auch die eingestreuten, philosophischen Diskurse in Form der Vorlesungspassagen eines College-Professors ergeben im Gesamtkontext wenig Sinn und scheinen nur dazu da zu sein, dem Film einen etwas anspruchsvolleren und komplexeren Mantel verleihen zu wollen.
                                      Am gelungensten ist hier am ehesten noch die Figur des Killers selbst, der mit der stimmigen Maske und dem mysteriösen Konzept, willkürlich und plötzlich hinter Personen auftauchen zu können, zumindest für ein wenig Spannung und Grusel sorgen kann.
                                      Hier kommen dann aber noch mal die Auflösung und das Ende ins Spiel. Ohne zu spoilern kann man sagen, dass Gallagher fast schon erwartungsweise alle drei bisher genannten Elemente, also Slasher, Abhandlung über das Internetzeitalter und Motiv eines ganz bekannten, anderen Horrorstreifens vereinen möchte, was aber nochmal gehörig schief geht. Das Ende ist überraschend und lächerlich zugleich, was durch das eigentliche Ende nach der Auflösung nur noch absurder wird.
                                      Eigentlich verhältnismäßig viele Worte für so einen Film. "Smiley" ist ein Film mit einigen stimmigen Ansätzen, die allesamt unbefriedigend verwendet oder kombiniert wurden. Ein Film der verpassten Chancen, der zwar aufgrund der gelungenen Momente nicht so unterirdisch schlecht ist wie er oftmals gemacht wird, aber trotzdem weit entfernt von guter Filmkost.

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                                      • 7 .5
                                        über Weekend

                                        "Weekend" von Jean Luc-Godard ist eine Art "Road-Movie", was es vermutlich so nie mehr gegeben hat.
                                        Godard holt hier zum großen Rundumschlag aus, denn die damalige Gesellschaft wie auch das Kino an sich werden aggressiv zerstört. "Das Ende der Geschichte, das Ende des Kinos" bekommt man hier schlussendlich auch nur folgerichtig mit auf den Weg.
                                        Ein Paar, das sich auf den Weg zu den Eltern der Frau macht, um das Geld der Erbschaft des sterbenden Vaters einzusacken, gerät in einen Verkehrsstau, später gar in eine Art Apokalypse, die mit dem völligen Verfall zivilisierter Werte einher geht. Godard zeichnet allerdings auch seine Hauptfiguren als genauso verdorben wie ihr späteres Umfeld, beide nur von Gier, Egoismus und Konsumwahn getrieben.
                                        Immer wieder kommen die beiden an schrecklichen Autounfällen mitsamt Leichen vorbei. Wie dieses Element kommt das eigentliche Werk auch oftmals einem Autounfall gleich, den man als Zuschauer erlebt. Bereits nach dem bewusst wirr geschnittenen Einstieg kommt es zu einer Stauszene, die durch ihre Länge und die ohrenbetäubende Lärmkulisse fast unerträglich wird. Die beiden Protagonisten treffen auf ihrer Reise immer wieder geschichtlich reale oder fiktive, teils literarische Figuren wie zum Beispiel Antoine de Saint-Just oder Lewis Carroll´s Alice im Wunderland (!), die mit ihren teilweise philosophischen Reden oder Ansprachen nicht nur die Hauptfiguren nerven.
                                        Wie schon fast gewohnt von ihm verzichtet Godard praktisch völlig auf eine klassische Dramaturgie, setzt Musik immer wieder abrupt oder überlaut ein, bringt politische Zwischentöne oder verwendet viele Einblendungen und Zwischentitel. Auch die Vielfalt an gewalttätigen Einschüben ist einschnürend, da "der Horror der Bourgeoisie nur von noch größerem Horror überstrahlt werden kann". Mord, Vergewaltigung oder Kannibalismus brechen ohne Vorwarnung verstörend in das Geschehen.
                                        Auch die 4. Wand wird hier nicht nur durchbrochen, sondern beide Protagonisten sind sich jederzeit voll bewusst, dass sie sich in einem Film befinden. "Dieser Film ist zum Kotzen!", wird da sogar frech an einer Stelle von einer Hauptfigur ausgesprochen. "Ein Film ist das Leben".
                                        "Weekend" ist wohl eines der radikalsten, mitunter auch bewusst anstrengendsten Werke der Filmhistorie. Godard´s von ihm selbst auferlegte Mission, das Kino zu zerstören, ist ein wildes, ungemütliches und kreatives Spiel mit filmischen Unarten, das den Zuschauer ständig überrascht, fesselt, anstrengt, langweilt und schockiert, aber garantiert nie kalt lassen wird.

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                                        • 7 .5

                                          Eine objektive Kritik zu "Anchorman: The Legend of Ron Burgundy" fällt schwer, da Komödien meiner Meinung nach eines der schwierigsten Genres sind, denn Humor ist nun mal ein extrem subjektives Empfinden.
                                          Ich für meinen Teil bekam einen teilweise wirklich sehr witzigen Film zu sehen. Die Gags kommen hier in Form von absurd-schräger Situationskomik, skurrilen Dialogen und teilweise kompletten Nonsense. Dazu kommt eine Vielzahl an genialen Einfällen, vor allem im Mittelteil kam ich aus dem Lachen teilweise nicht heraus.
                                          Die charmante 70er-Jahre Atmosphäre, die sich in den tollen Outfits oder Frisuren der Figuren wiederspiegelt, wird von einem göttlich guten Soundtrack verfeinert, der einfach nur grandios ist.
                                          Die Art von Will Ferrell ist sowieso meistens Geschmackssache und wird von vielen gespalten aufgenommen, doch hier liefert er eine spitzenmäßige Leistung ab. Allgemein geben sich hier eine Vielzahl an witzigen Darstellern die Klinke in die Hand, heimlicher Star ist vermutlich Steve Carell in einer seiner lustigsten Rollen.
                                          Nicht alle Gags zünden komplett, wie es bei vielen Komödien nun mal auch der Fall ist, und vor allem im letzten Drittel gibt es spürbar weniger Humor.
                                          "Anchorman: The Legend of Ron Burgundy" war für mich eine lustige Komödie, die vor allem von ihren extrem absurden, schrägen Einfällen und der sympathischen 70er Atmosphäre lebt. Für Freunde von abgedrehtem Humor sicher einen Blick wert, ansonsten aber trotzdem Geschmackssache.

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                                          • 5

                                            Der altbekannte Sequelwahn hat natürlich auch bei Zack Snyder´s "300" zugeschlagen und bietet in "300: Rise of an Empire" mehr martialische Schlachten mit einem Übermaß an CGI-Blut und Zeitlupen.
                                            Dass der Titel des Streifens bereits keine 2 hinter der Zahl trägt, stellt sich früh als nur fair heraus. Die Verantwortlichen haben sich nicht mal wirklich Mühe gemacht, die Geschichte des ersten Teils fortzuführen. Stattdessen findet die Handlung hier fast gleichzeitig zu den Ereignissen des ersten Teils statt, was insgesamt direkt schon etwas ernüchternd ist.
                                            Regisseur Noam Murro ist bemüht, den Stil von Snyder 1:1 zu kopieren. Optisch enthält der Streifen einige stimmige Szenen, oftmals fällt allerdings die viel zu starke Künstlichkeit des Geschehens negativ auf. Was Murro aber offensichtlich noch größere Schwierigkeiten bereitet hat, war ein gekonntes Pacing und allgemein ein Sinn für spektakulär choreographierte Kampfabschnitte, wie sie Snyder in seinem Erstling gelungen sind. Die Kämpfe sind zwar immer noch relativ nett anzusehen und dürften Fans aufgrund der brutalen Gangart zufrieden stellen, aber wirkliche Höhepunkte gibt es eher selten.
                                            Inhaltlich ist das Werk vor allem in den kampffreien Handlungs- und Dialogpassagen mitunter arg redundant. Wieder mal dreht sich in den Gesprächen alles um Blut, Ehre, Sieg. Lieber im Kampf sterben als feige zu leben lautet die Devise, die einem vom Film andauernd aufgedrückt wird, was irgendwann schon ziemlich nervig wird, da man es nicht nur von Anfang an, sondern sogar schon seit dem letzten Streifen längst weiß.
                                            Die Charaktere können hier ebenfalls nicht wirklich für Begeisterung sorgen. Die meisten der Figuren bleiben blass und nebensächlich. Fans bekommen etwas Hintergrundinformation über Xerxes, auch wenn dieser selbst im Film für den Verlauf ziemlich überflüssig ist. Klares Highlight des Streifens ist die von Eva Green verkörperte Artemisia. Als Anführerin der persischen Schiffsflotte geht Green jederzeit in die Offensive, lebt die sadistische, kalte und unbarmherzige Art ihrer Figur voll aus und reißt jede ihrer Szenen mit ihrer Präsenz voll an sich.
                                            Am Ende von "300: Rise of an Empire" stellt sich eigentlich schnell Ernüchterung ein. Die Schlachten sind optisch teilweise wieder sehr nett anzuschauen, hier und da gibt es ein paar stimmige Einfälle und Eva Green ist stark, doch inhaltlich ist der Streifen mitunter fast schon ärgerlich redundant und bringt handlungstechnisch so gut wie nichts nach vorne, was man nicht schon nach Teil 1 wusste.

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                                            • 9

                                              Der achte Streich von Wes Anderson, "The Grand Budapest Hotel", zeigt den kultigen Regisseur auf der absoluten Höhe seiner Schaffenskraft.
                                              Rein visuell ist der Streifen eine Offenbarung und gleichzeitig fast schon Explosion für die Sinne. Es reicht nicht, dass die knalligen Farben sowie kunstvoll-detailverliebten Sets, Kostüme und Dekorationen und der wunderschöne Score von Alexandre Desplat schon für wohliges Entzücken bei den Verehrern von Anderson sorgen werden. Der Regisseur erzählt seinen Film zudem in 5 Kapiteln über 4 Zeitebenen verteilt und fährt 3 verschiedene Bildformate auf. Fast schon selbstverständlich sind auch die abgefahrenen, wie aus der Zeit gefallenen Kleinigkeiten wie beispielsweise Stop-Motion-Animationseinschübe oder liebevoll gemalte Mini-Kulissen.
                                              Natürlich ist das Werk auch wieder ein gigantischer Schaulauf für die gigantische Palette an Stammschauspielern von Anderson. Sie alle aufzuzählen wäre viel zu müßig und würde die Freude nehmen, die verschiedenen Darsteller in ihren jeweiligen (teils auch sehr kurzen) Rollen zu entdecken. Neuzugang im Anderson-Universum ist neben Schauspiel-Debütant Tony Revolori, der hier einen hervorragenden Einstand hinlegt, Ralph Fiennes. Seine Performance ist wohl das Herzstück des Films. Wie Fiennes hier zwischen höflich, vulgär, streng und emotional wechselt, ist einfach nur der Wahnsinn.
                                              Insgesamt könnte man hier sicherlich wieder leicht zu dem Fazit kommen, dass man hier eben einen weiteren, typischen Film von Anderson zu sehen bekommt, mit all seinen Stilmitteln und Markenzeichen.
                                              Von Gegnern wird Anderson ja häufiger vorgeworfen, seine Charaktere wären zu überzogen und realitätsfremd, müssten sich oftmals auch dem überbordenden Stil der Werke unterordnen. Bei "The Grand Budapest Hotel" dürfte dieser Vorwurf aber keinesfalls mehr standhalten. Die Figuren und Dialoge sind unglaublich wundervoll geschrieben, die Tonart des Films schwankt immer wieder zwischen herrlich schrägen, urkomischen Witz und plötzlicher Brutalität oder Tragik. Den Spagat zwischen diesen beiden Extremen meistert der Regisseur dabei so perfekt wie selten zuvor. In der wilden, rasanten Handlung, die zwischen Krimi, Tragikomödie, Abenteuerfilm und Weltkriegsgeschichte pendelt, darf natürlich auch das Element der dysfunktionalen Familie wie immer bei Anderson nicht fehlen. Nichtsdestotrotz liegt der Fokus hier aber mehr auf der Story rund um einen Concierge und seinem Lobby-Boy, die schlussendlich sogar wahrlich berührt und ans Herz geht.
                                              "The Grand Budapest Hotel" ist nach "Fantastic Mr. Fox" auf Anhieb mein zweiter Lieblingsfilm von Wes Anderson geworden. Visuell war der Regisseur nie stärker und ausufernder, doch zwischen dem stilistischen Feuerwerk vergisst Anderson nie seine Geschichte und die Figuren, die hier zum Lachen, Weinen, Staunen und Schwärmen einladen.

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                                              • 8

                                                Zurzeit kann man sich nur wiederholen: Momentan gibt es eine ganze Reihe hochwertiger, kreativer Indie-Perlen zu entdecken, die sich lohnen. Auch das durch Kickstarter finanzierte Rache-Drama "Blue Ruin" von Jeremy Saulnier gehört dazu.
                                                Durch das betont langsame Tempo, die reduzierten Dialoge und die zunächst unausformulierende Erzählweise ist der Streifen ein kühler, düsterer Slow Burner, der fast schon als Anti-Rache Film bezeichnet werden darf.
                                                Das Herzstück des Werks ist die Wahnsinns-Performance von Macon Blair, der hier den heruntergekommenen Normalo Dwight spielen darf, der sich auf einen Rachefeldzug begibt. Mit (Waffen-)Gewalt hat dieser Dwight allerdings so gar nichts am Hut, so dass sich sein geplanter Vergeltungsschlag zu einem tapsigen, unüberlegten Chaos entwickelt, bei dem Regisseur Saulnier für einige wirklich herausragende Momente sorgt, die man so innerhalb des Genres eher seltener zu sehen bekommt.
                                                Dem Trend, Racheakte als erbarmungslose, deftige und für den Protagonisten befriedigende Tötungsaktionen zu inszenieren, widersteht Saulnier glücklicherweise. Viel mehr unterstreicht er die tragische Sinnlosigkeit von Rache und deren drastische Folgen, die er in regelmäßig eingestreuten Gewalt- und Spannungseruptionen aufzeigt. Außerdem werden beide Parteien nicht als offensichtlich gezeichnet, sondern gewinnen im späteren Verlauf einige markante, charakterspezifische Wendungen, durch die sich als Zuschauer auf einmal moralisch schwieriger Stellung beziehen lässt.
                                                "Blue Ruin" ist nicht nur ein glorreiches Beispiel für einen konsequent andersartigen Rache-Film, sondern auch erneut ein wichtiges Statement, in was für einer schönen Regelmäßigkeit kreative und talentierte Independent-Regisseure Filme kreieren.

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                                                • 7 .5

                                                  Im neuen Blockbuster "Edge of Tomorrow" von Doug Liman darf es Tom Cruise im "Groundhog Day" - Modus mit hyperaktiven Aliens aufnehmen.
                                                  Suggerierte der Trailer noch ein eher ernsteres Action-Spektakel, entpuppt sich der Streifen als angenehm selbstironischer Sci-Fi-Kracher, der seine Zeitschleifen-Prämisse zu keiner Zeit als hochkomplexes Konstrukt verkaufen will, sondern als humorvoll-verspieltes Gadget vor sich rumträgt.
                                                  Hauptfigur William Cage wird als unerfahrener Rekrut immer und immer wieder auf dem Schlachtfeld verheizt, teilweise in überraschend witzigen Todesarten, wobei die Drehbuchautoren nerviges Redundanz-Potential geschickt mit kreativen Einfällen kontern. Die Effekte sind, wie soll es auch anders sein bei so einem Giga-Budget, absolut erstklassig. Das eigentliche Design der Aliens beispielsweise ist nicht besonders spektakulär, dafür ist die Art ihrer Bewegungen, was sie wie hyperaktive, rasende Crack-Junkies wirken lässt, wirklich stimmig.
                                                  Kämpfen-sterben-aus dem Scheitern etwas dazu lernen-wieder kämpfen-wieder sterben-... "Edge of Tomorrow" ist auch ein schöner Wink in Richtung Gamer, die sich hier im ersten richtig verfilmten Trial&Error-Schema wiederfinden dürfen.
                                                  Tom Cruise stemmt seine Hauptrolle wieder einmal mit Bravour, wechselt fast mühelos zwischen überfordert, eingeschüchtert, dann wieder entschlossen und ernst, aber auch angenehm selbstironisch. Emily Blunt als toughe "Full Metal Bitch" weiß ebenfalls zu überzeugen, funktioniert aber vor allem im letzten Drittel, in dem ein finaler Game-Changer eingebaut wurde, auch als sanfter, emotionaler Gegenanker für Cruise´s Figur. Wirklich überzeugend ist auch die Rolle von Bill Paxton, der hier als ruppiger Sergeant mit kernigen Sprüchen einige Schmunzler auf seiner Seite hat.
                                                  Ja, der Film hätte noch mehr Härte vertragen können, die sich mit dem stellenweise beißenden Humor wundervoll vertragen hätte. Ja, die Linie zwischen jubelndem Kriegs- und mahnenden Anti-Kriegsfilm verläuft eher schmal. Ja, das Ende ist leider genau das, was sich viele schon vorab erwarten werden und was man heutzutage auch in Blockbustern für die Masse doch bitte mal etwas anders gestalten dürfte. Trotzdem:
                                                  "Edge of Tomorrow" ist gekonnte Sci-Fi-Action-Unterhaltung mit genügend Ironie an Bord und zudem mit einem glänzenden Tom Cruise, tollen Effekten und der richtigen Umgangsweise mit dem Zeitschleife-Gimmick.

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                                                  • 6 .5

                                                    Wenn ein Sequel erst gute 8 Jahre nach dem ersten Teil erscheint, darf man schon mal skeptisch sein. Regisseur Greg McLean begeht allerdings nicht den Fehler, die Formel aus "Wolf Creek" zu wiederholen, sondern die erfolgreichen Elemente ein wenig zu verschieben oder zu erweitern.
                                                    McLean versucht erst gar nicht, die potentiellen Opfer länger einzuführen als nötig. Schon das anfängliche Segment gibt den Ton an, Gefangene werden hier kaum gemacht. Diesmal rückt der sadistische Menschenjäger Mick Taylor, erneut großartig gespielt von John Jarratt, direkt in die Rolle der Hauptfigur.
                                                    Wenn man sich durch die sehr hölzernen, unfreiwillig komischen Dialogszenen des ersten, deutschsprachigen Backpackerpärchens gequält hat, entfesselt McLean eine kompromisslose, teilweise fast schon viehisch brutale Achterbahnfahrt der brutalen Attraktionen. Dabei unterscheidet sich der Streifen strukturell kaum von gängigen Horrorfilmen, bei denen ein Irrer Jagd auf Unschuldige macht.
                                                    Die Unterschiede liegen hier eher in den inszenatorischen Feinheiten. McLean streut ein paar unglaublich schwarzhumorig-zynische Kleinigkeiten in sein Werk und kommt mit einer Handvoll kreativer Einfälle um die Ecke. Immer wenn man glaubt, der Streifen verliert sich in zu groben Klischees, kommt doch noch mal ein Wendepunkt in Form eines überraschenden, wahnwitzigen oder eiskalten Moments.
                                                    Das Ende kommt dann vielleicht ein wenig zu abrupt und etwas unbefriedigend, vor allem im Rückblick auf die vorangegangene, dicht inszenierte, kammerspielartige Quiz-Show der besonderen Art.
                                                    "Wolf Creek 2" wird Fans des Vorgängers und allgemein Genre-Freunde der härteren Gangart sicher zufriedenstellen. Der Film ist sicher nicht frei von Schwächen oder groben Schnitzern, wird durch einige ungewöhnliche Einfälle, die konsequent ultraharte Gangart und einen wieder glänzend aufgelegten John Jarratt aber ausgeglichen.

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