SoulReaver - Kommentare

Alle Kommentare von SoulReaver

  • 4

    [...] Das bemüht muntere Rätselraten, wer denn nun nicht nur ein raffgieriger, sondern auch ein tödlicher Erbschleicher ist, funktioniert nach den vertrauten Regeln des Genres: Die Figuren werden vorgestellt, ihre Motive werden geprüft, während sich die Mordserie simultan dazu immer weiter ausbaut. Natürlich steht das unscheinbare Pärchen aus den Vereinigten Staaten postwendend unter Verdacht und der französische Inspector Laurent Delacroix (gespielt von Dany Boon, Willkommen bei den Sch'tis) ist sich seiner Sache dahingehend auch überaus sicher, wir als Zuschauer aber sind uns indes ebenfalls im Klaren darüber, dass sich das mörderische Geflecht um Geld, Liebe und Rache in ganz andere Bahnen entwickeln wird. Murder Mystery, der Titel ist Programm, bietet dem Zuschauer ein vertrautes Whodunit, vergisst aber, dass Traditionsbewusstsein allein nicht reicht.

    Oftmals nämlich kann sich Murder Mystery nicht entscheiden, ob er Hommage oder Parodie, ob er Adam-Sandler-Film oder ein Film mit Adam Sandler sein möchte. Die klassische Prägung in Sachen Dramaturgie und Charakterkonstellation, also die durch und durch bekannte Erzählstrategie, mit der Regisseur Kyle Newacheck (Game Over, Man!) seine Handlung entwickelt, ist deshalb so ungemein dröge, weil sie sich selbst jeden Anflug eines doppelten Boden verweigert. Murder Mystery hat natürlich das Potenzial zur Persiflage, welches auch abseits des hier mäßig charmanten Pennälerhumors von Adam Sandler zuweilen ganz sanft durchschimmert. Die volle Besinnung über die Mechanismen des Kriminalkinos aber möchte Murder Mystery nicht erlangen; er möchte Konventionen nicht auf der Meta-Ebene kommentieren, sondern möglichst handzahm und in geläufiger Manier reproduzieren.

    Deswegen ist Murder Mystery auch keine dreidimensionale oder wenigstens über 90 Minuten kreativ-beschwingte Mörderjagd, sondern ein banaler Abzählreim und spannungsarme Nummernrevue, der es letztlich an inszenatorischer Begeisterung und Fabulierlust mangelt: Altbewährtes in auf Hochglanz polierter Postkartenoptik eben. Inmitten dieser Verquirling markanter Agatha-Christie-Trademarks scheinen auch Adam Sandler und Jennifer Aniston darunter zu leiden, dass Murder Mystery sich zu sklavisch an altbekannten, verlässlichen Narrativmustern orientiert, denn die Chemie will nicht funktionieren. Spielten Sandler und Aniston sich die Bälle in Meine erfundene Frau noch durchaus liebenswert zu, so bleibt die amouröse Bindung zwischen den beiden Hauptdarstellerin hier vollkommen auf der Strecke. Keine Funken, die sprühen dürfen, sondern nur der Dienst nach Regelwerk-Vorschrift, der sie als Ehepaar von A nach B, von Hinweis zu Indiz und vom Schulterzucken in den Orient-Express führt. [...]

    9
    • 6 .5

      [...] Die Stärken von Der Mann aus Laramie, der nunmehr fünften und letzten Western-Kollaboration zwischen Anthony Mann und James Stewart, liegen wie schon in Winchester '73 und Über den Todespass vor allem in der Figurenpsychologie, baut der Film doch verstärkt auf Ambivalenzen und schwingt sich zeitweilig in die Höhen einer Tragödie aus der Feder von William Shakespeare auf, wenn Verrat, Habgier und Eifersucht einen brodelnden Cocktail der zwischenmenschlichen Spannungen ergeben. Nicht nur basiert der hiesige Weidekrieg in Coronada auf erbittertem Konkurrenzdenken, die rivalisierenden Farmen von Alec Waggoman (Donald Crisp, Prinz Eisenherz) und Kate Canaday (Aline MacMahon, Silberdollar) gebären ihre Probleme vor allem im inneren Kreis. Familiäre Zwistigkeiten sein der entscheidende Urheber für all die Brutalität, die die Gegend in und um Coronada fest in Beschlag haben.

      Angesichts der vorherigen Wildwestarbeiten von Anthony Mann mag Der Mann aus Laramie seinem Sujet nur selten originäre Impulse abringen, das tätige Personal aber beherrscht sein Handwerk derart kompetent, dass diese Tragödie über den ewigen Teufelskreis der Gewalt immer noch besticht. Neben den grandiosen Landschaftsaufnahmen – Mann drehte hier zum ersten Mal in CinemaScope – brillieren die Darsteller, die sich ihren zwischen Affekt und Vernunft zerrissenen Charakteren in eindringlichen Performances hingeben. Gerade James Stewart leistet in der Hauptrolle wieder Großes, wenn er diesem größtenteils düsteren Western nicht nur in der Rolle des Vermittlers, sondern auch als verletzlicher Anti-Held auf mehreren Ebenen funktionieren lässt. Will Lockhart gehört zu den Männern, deren schwierigster Kampf es ist, die Kontrolle über sich selbst zu bewahren. Denen in einer Welt, in der das Morden zur allgemein verständlichen Sprache geworden ist, nichts schwerer fällt, als das Töten. [...]

      10
      • 4 .5

        [...] Nachdem sich Fletch in der Eröffnung als blondgelockte Putzfrau verkleidet daran zu schaffen machte, eine mafiöse Verbindung auffliegen zu lassen, erwartet hn die frohe Botschaft, eine Immobilie im Süden der USA geerbt zu haben. Er schmeißt seinen Job in der Redaktion hin und bricht ins schwüle Louisiana auf, um sich um die Plantage, die ihm seine Tante vermacht hat, zu kümmern. Der beste Gag, den Fletch – Der Tausendsassa aufbieten kann, stellt dann auch direkt eine Traumsequenz auf dem Flug zur neuen Unterkunft dar, in der sich Fletch selbst als schillernden Plantagenbesitzer sieht und zusammen mit seinen Arbeitern den Oscar-prämierten Song Zip-a-Dee-Doo-Dah aus Walt Disneys Onkel Remus' Wunderland zum Besten gibt. Daraufhin sind nicht nur laute Lacher, sondern auch leises Schmunzeln Mangelware.

        Wo Fletch – Der Troublemaker noch als quirlige Hommage an den Film noir funktionierte, dessen stilsichere und temporeiche Regie für 90 Minuten schmissigen Investigativjournalismus sorgte, ist Fletch – Der Tausendsassa noch nur ein lauwarmer Aufguss, der sich einzig und allein auf den spielfreudigen Auftritt von Chevy Chase verlassen kann. Der präsentiert sich erneut als abgeklärter Verwandlungskünstler mit unerschöpflichen Sprücherepertoire, kann das vorsehbaren Kriminalgeplänkel aus der Feder von Gregory Mcdonald und Leon Capetanos aber auch nicht weiter davor bewahren, zur wenig kreativen Nummernrevue zu verkommen. Das konspirative Geflecht, welches einen TV-Prediger (R. Lee Ermey, Full Metal Jacket), durchtriebene Anwälte und ein geheimes Giftmülldepot umfasst, wird von Regisseur Michael Ritchie indes niemals mit der erzählerischen Dringlichkeit ausstaffiert, um dem Zuschauer wirklich mit einer Idee von Spannung in Berührung kommen zu lassen. Dröge. [...]

        6
        • 4

          [...] Allerdings trägt Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf weder die filmhistorische respektive kulturpolitische Bedeutung inne, wie es Das Mädchen Wadjda nach wie vor tut, noch begegnet der Film seiner Protagonistin auf sinnstiftende, erkenntnisbringende Art und Weise. Man muss sich mit dem Leben von Mary Shelley nicht sonderlich gut auskennen, um schnell zu merken, dass das Drehbuch, an dem Haifaa Al Mansour ebenfalls mitgeschrieben hat, seltsame Rückschlüsse zieht, wenn es darum, die Kunst mit der Person, die sie erschaffen hat, in eine Verbindung zu bringen. Zwanghaft und in überaus geistloser Handhabung versucht man sich hier daran, im Alltag von Mary Shelley (Elle Fanning, The Neon Demon) immer mehr Beweggründe und Motive zu entdecken, warum sich eine junge Frau dazu hat hinreißen lassen, eine Geschichte wie die von Frankenstein und seinem Monster zu verfassen.

          Eine stimmige Antwort wäre es schon gewesen, weil Mary Shelley schon immer einen morbiden Faible für die zeitgenössische Schauerliteratur besaß. Für Mansour aber waren es die bitteren Schicksalsschläge, die die aufstrebende Schriftstellerin dazu getrieben haben, von einer aus Leichenteilen zusammengesetzten Kreatur zu berichten, die zum Leben erweckt wird. Im Kern sind es genau zwei einschneidende, obligatorisch weibliche Erfahrungen, die Mary Shelley machen muss, um die musische Energie aufzubringen, jenen Klassiker niederzuschreiben: Sie muss ein Kind verlieren und sie muss von ihrem Liebsten (Douglas Booth, Stolz und Vorurteil und Zombies) betrogen werden. Das kann man so bringen, man sollte sich künstlerisch dann allerdings darauf konzentrieren, die Psychologie der Figuren halbwegs ausgereift nachzuzeichnen, um sie nicht, so wie es bei Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf der Fall ist, in seifige Telenovela-Gefilde abrutschen zu lassen.

          Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf wirkt vorwiegend küchenpsychologisch, verkürzend und dramaturgisch unbeholfen. Allein der Versuch, von einer großen Liebe zu berichten, dieser aber jedwede Form von urwüchsiger Leidenschaft abhanden kommen zu lassen, zeigt bereits auf, wie wenig erzählerische Stringenz Haifaa Al Mansour aufbringt, um sich in die Lebensrealität der Frau einzufühlen, die ihrer Zeit fraglos voraus war. Stattdessen bekommt man hier ein konventionelles Biopic in säuberlich arrangierten Bildern abgeliefert, welches kaum Eigendynamik oder Ambivalenz besitzt und darüber hinaus die Gefühlswelt seiner Protagonistin so plump und einfältig ausformuliert, dass es einem um die wunderbare Elle Fanning in der Hauptrolle fast schon leid tut. Die nämlich gibt sich durchaus Mühe, ihrem Charakter Kontur zu verleihen, wird aber vom stumpfen Drehbuch immer wieder ausgebremst. [...]

          8
          • 2

            [...] Wenn man allerdings mit ansehen muss, wie Van Helsing (Hugh Jackman, Logan – The Wolverine) einen klobigen Pixelklumpen, der tatsächlich Mr. Hyde darstellen soll, durch die altehrwürdigen Gemäuer der Notre-Dame-Kathedrale jagt, dann weiß man schnell, welche Begriffe die Hauptargumente für die Handlung waren, die aus der Feder von Stephen Sommers stammt: Hauptsache und irgendwie. Van Helsing ist weniger die respektvolle Übersetzung klassischer Horror-Gestalten in die moderne Kinolandschaft als vielmehr die dummdreiste, vollkommen beliebig im Action-Wahn versumpfte Entmystifizierung überzeitlicher Schauerromane und -Erzählungen. Van Helsing selbst ist kein vorausschauender, belesener Mediziner mehr, dessen Spezialgebiet der Vampirismus ist. Stattdessen wird er zur besten Jagdwaffe eines vatikanischen Geheimordens, der mit der Herstellung vollautomatischer Armbrüste die Welt davor bewahrt, in Finsternis zu versinken. Nun denn.

            Man könnte derlei charakterliche Umstrukturierung natürlichen akzeptieren, wenn sich Van Helsing dabei einer humorvollen, ja, vielleicht sogar parodistischen oder anarchischen Note, bedienen würde. Stephen Sommers, der mit Die Mumie 1999 immerhin einen wunderbaren, rundum packenden Unterhaltungsfilm inszeniert hat, aber meint das alles vollkommen ernst. Und mit dem dementsprechenden Nachdruck degradiert er Blutfürst Dracula (Richard Roxburgh, Mission: Impossible II), Frankensteins Monster (Shuler Hensley, The Greatest Showman) und den Wolfsmenschen (Will Kemp, Mindhunters) zu uncharismatischen Knallchargen in Karnevals- oder CGI-Garderobe. All das Schwarzromantische, das Geheimnisvolle, das Bedrohliche, das Tragische wurde diesen Figuren entrissen, damit sie als prominente Abziehbilder ohne jeden Kontext durch diesen synthetischen Monsterreigen irrlichtern dürfen. Van Helsing ist ein Paradebeispiel dahingehend, wie Hollywood als Illusionsapparat und Traumfabrik an seinem eigenen Prinzip verendet.

            Dabei besitzt Van Helsing teilweise wirklich opulente Kulissen und einen sich stimmungsvoll aufplusternden Score von Alan Silvestri, mit denen immer wieder durchaus ansehnliche Reminiszenzen an die großen HAMMER-Filme forciert werden. Wären die Dialoge nicht so unglaublich dilettantisch, die schauspielerischen Leistungen (auch Kate Beckinsale darf hier nicht unerwähnt bleiben) nicht so unterirdisch, die Effekte nicht so unheimlich billig und die mehr und mehr in ein heilloses Durcheinander zerfallende Geschichte an und für sich nicht so fernab jeder Sinnhaftigkeit und Eleganz: Van Helsing hätte das Potenzial gehabt, ein schwungvolles, comichaftes Monster-Crossover in bester Edeltrash-Manier zu werden. Vielleicht sogar mit Pietät, in jedem Fall aber mit Biss. Aber warum überhaupt noch ins Blaue spekulieren, das Horror-Kabinett, welches Stephen Sommers uns hier vorgesetzt hat, ist nichts weiter als seelenlos-lächerlicher Oberschund in Überlänge. [...]

            9
            • 7

              [...] Dass sich Sindbads 7. Reise seinen festen Platz in den filmhistorischen Annalen gesichert hat, ist einem Mann zu verdanken: Dem US-amerikanischen Tricktechniker Ray Harryhausen, dessen Stop-Motion-Animation hier den Weg für das kontemporäre Blockbusterkino geebnet haben. Ohne Ray Harryhausen visionären Gestaltungswillen und Schöpferdrang gäbe es heute in dieser Form weder Jurassic Park noch Der Herr der Ringe oder Avatar – Aufbruch nach Pandora. In Sindbads 7. Reise erwarten das Publikum sowie Sinbad und seine Gefährten beachtliche Begegnungen mit einem Zyklopen, einem riesigen Greifvogel mit zwei Köpfen, einem feuerspeienden Drachen und einem schwertschwingenden Skelett. Dass die Effekte heute überholt und vielmehr amüsant denn atemberaubend ausfallen, versteht sich von selber. Der hier aufgebrachten Fleiß- und Detailarbeit aber muss nach wie vor Respekt gezollt werden.

              So simpel die Geschichte, die sich aus morgenländischen Märchen, Mythen und Folklore zusammensetzt, auch gestrickt sein mag: Regisseur Nathan Juran (East of Sudan) lässt dem Zuschauer keine Verschnaufpause und beweist einen inszenatorischen Aktionismus, der Schauwerte am Fließband liefert. Inmitten von verfluchten Gewässern, düsteren Prophezeiungen und allerhand phantastischer Wesen kennt die Fabulierlust von Sindbads 7. Reise keine Grenzen. Wenn sich im Finale dieses verfilmten Heftromans dann ein Zyklop und ein Drache rustikal an die Kehle gehen, dann werden hier bereits die Bildwelten etabliert, die sich heute in Filmen wie Godzilla 2 – King of the Monsters oder demnächst Godzilla vs. Kong wiederfinden lassen. Charmanter als in diesem Abenteuer-Klassiker werden Ausflüge in die Fantasielandschaften der Leinwand allerdings sicherlich nicht mehr. Knallbunt und bis zum Rand mit Ereignissen und Erlebnissen vollgestopft. [...]

              9
              • 6

                [...] Es sind vielmehr Abhängigkeits- und Verantwortungsstrukturen, die Benny und Joon in ihrem Miteinander umklammern, obgleich sich das Geschwisterpaar fraglos liebt. Die Tragikomödie von Jeremiah S. Chechik (Schöne Bescherung) möchte sich aber nicht zu niederschmetternd und zu bedrückend mit den Anstrengungen und Zermürbungen, dem Verlust und der Verstörung auseinandersetzen, mit denen sich Benny und Joon, wenn auch oftmals nur unter der Oberfläche, konfrontiert sehen. Stattdessen erscheint bald Sam (Johnny Depp, Fear and Loathing in Las Vegas) auf der Bildfläche, den Joon beim Pokern gewonnen hat. Ein kautziger Zeitgenossen, dessen Vorliebe für Charlie Chaplin und Buster Keaton sich nicht nur in seinem Outfit widerspiegelt, Sam lässt auch keine Chance ungenutzt, um den pantomimischen Slapstick seiner Ikonen zu zelebrieren. Natürlich darf der berühmte Brötchentanz aus Goldrausch nicht fehlen.

                Zwischen Joon und Sam, zwei Außenseitern und Randläufern, die ihren Käsetoast am liebsten mit dem Bügeleisen bearbeiten und den Stangensellerie tief in die Erdnussbutter tunken, entspinnt sich eine sanfte Romanze, die natürlich im nächsten Schritt zu absehbaren Problemen mit Benny führt und damit viel schwerwiegendere Konflikte freilegt. Benny & Joon möchte sich in erster Linie als verspieltes, leicht melancholisches Märchen verstehen, welches all den Sorgen und Nöten der modernen Gesellschaft mit kindlicher Unschuld begegnet und den Wundern im Alltäglichen nachspürt. Wenig bekömmlich aber erscheint die verharmlosende und bagatellisierende Herangehensweise des Drehbuchs an die psychische Störung der Hauptdarstellerin: Etwas Irrsinn hat noch niemandem geschadet! Dass sich Benny & Joon aber auf ein herzlich aufgelegtes Schauspieltrio verlassen kann, rettet den letztlich durchaus süßen Film vor ernsthaft geschmacklosen Entgleisungen. [...]

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                • 7 .5

                  [...] Die Lebensgeschichte von Benjamin, die kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieg ihren Anfang nimmt, kommt jedoch erst durch die im Jahre 2005 angesiedelte Rahmenhandlung in sanfte Bewegung: Die im Sterben liegende Daisy (Cate Blanchett, Thor: Tag der Entscheidung) bittet ihre Tochter darum, aus dem Tagebuch eines alten Freundes vorzulesen: Dem Tagebuch von Benjamin Button. David Fincher (Gone Girl – Das perfekte Opfer) wechselt im Laufe der knapp 170-minütigen Laufzeit immer wieder zwischen den Erzählebenen hin und her, verbindet die niedergeschriebenen Erfahrungen Benjamins mit dem Revue passieren lassen von Daisy und entfächert dabei zusehends die gesamte emotionale Strahlkraft, die das außergewöhnliche Leben von Benjamin und die unverwüstliche Liebe zwischen ihm Daisy inne trägt. Eine Liebe, die die Dunkelheit besiegte, die das Altern mit Würde nahm und die Zeiten überdauerte.

                  Wenn man nicht wüsste, dass es sich hierbei um einen Film von David Fincher handelt, man würde es schlichtweg nicht glauben können. Der Regisseur, der als einer der kaltherzigsten und zynischsten seiner Klasse gilt, beweist hier sein ungemeines Feingefühl und entfaltet ein umsichtiges, aufrichtiges Epos, dem die Themen Tod, Verlust, Vergänglichkeit und, ja, die ganz große Liebe in das Fundament gemeißelt sind. Ganz und gar entschleunigt, in sich gekehrt inszeniert, von Anekdoten geschwängert und von ehrlicher Menschlichkeit beseelt, ist Der seltsame Fall des Benjamin Button die kuriose Geschichte eines Mannes, der immer jünger wird und dem Zuschauer damit verdeutlicht, was Alter wirklich bedeutet. Das Leben ist eine Ansammlung und Verkettung von Ereignissen, Gegebenheiten und Möglichkeiten – auch ungenutzten – die sich kreuzen, verschränken und Kummer, Leid und Schönheit in die Herzen befördern.

                  Das Beachtliche dabei ist: Der seltsame Fall des Benjamin Button verfällt niemals Rührseligkeiten und Kitsch, vergreift sich niemals an Theatralik oder übergroßen Gesten. Er bleibt, wie sein Protagonist, unaufgeregt und beobachtend. Dass sich David Finchers in erlesene Fotografien gehüllte Inszenierung dabei von einer gewissen Langatmigkeit nicht freisprechen kann, ist immer wieder durchaus spürbar, fällt in der Gesamtbetrachtung aber kaum weiter ins Gewicht, zieht der Film den Zuschauer doch ob des berührenden Umgangs mit der Verletzlichkeit seiner Charaktere geradewegs in seinen Bann. Keine Helden, keine Karikaturen, sondern Menschen, die das Leben von der Schatten- und Sonnenseite erlebt haben. Mag Der seltsame Fall des Benjamin Button auch ein Märchen sein, in den Händen von David Fincher ist es ein geerdetes, ergreifendes, lebensechtes und bereicherndes Märchen geworden. [...]

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                  • 4

                    [...] Dabei muss man nun, zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Wild West West, wenigstens eine (kleine) Lanze für den Film brechen: Auch wenn Barry Sonnenfeld sich hier künstlerisch merklich verhoben hat, stecken in diesem unentwegt überschäumenden Abenteuer durchaus faszinierende Ansätze, die in der richtigen Umsetzung eine sagenhafte Leinwandgaudi hätten ermöglichen können. Das Drehbuch, an dem ganze sechs (!) Autoren herumgedoktert haben, hat letztlich nichts mehr mit dem klassisch-geschmeidigen Erzählkino zu tun und verkommt immer offensichtlicher zu einem bunt-überladenen Flickenteppich an Ideen und Einfällen. Es formuliert aber auch eine ungeheure Fabulierlust dahingehend, die amerikanische Geschichte neu zu entdecken: Angesiedelt in den Vereinigten Staaten des Jahre 1869, mag der Sezessionskrieg zwar seit einigen Jahren zu Ende sein, seine Folgen aber sind immer noch allgegenwärtig. Im Rassismus, im Hochmut, im Gerechtigkeitssinn.

                    Während der schießwütige und verwegene James West (Will Smith, Independece Day) zum afroamerikanischen Kriegshelden aufsteigen konnte und inzwischen als Captain der U.S. Army nicht nur Verbrechern nachspürt, sondern auch Frauenherzen im Sturm erobert, ist Artemus Gordon (Kevin Kline, Ein Fisch namens Wanda) ein Technik-vernarrter Taktikter, der sich als U.S. Marshal auf Geheiß von Präsident Ulysses S. Grant (ebenfalls Kevin Kline) mit West zusammentun muss, um die Freiheit der Vereinigten Staaten zu wahren. Ein ungleiches Duo also, welches sich dazu genötigt wird, gemeinsame Sache zu machen – Men in Black lässt schön grüßen. Nur müssen sich West und Gordon hier nicht auf die Spur außerirdischer Invasoren machen, sondern Dr. Arliss Loveless (Süffisant: Kenneth Branagh, Frankenstein) überführen, der mit eine mechanischen Riesentarantel das Land und seine Bevölkerung dem Erdboden gleichmachen möchte.

                    Es ist schon durchaus sympathisch, wie atemlos Barry Sonnenfeld sich einmal quer durch die Populärkultur zitiert und den großen Vorbildern und Einflüssen von Wild Wild West – Ian Fleming, Jules Verne und Mel Brooks – im Zuge einer spektakulären, aber wenig eleganten Hetzjagd durch den Wilden Westen die Ehre erweist. Der enorme Produktionsaufwand reibt sich dem Zuschauer dabei in jeder Minute gnadenlos unter die Nase, Kulissen, Ausstattung, Effekte, Gadgets – Barry Sonnenfeld wollte nicht kleckern, sondern klotzen. In seinem ständigen Bewegungsdrang, seinem sich zu penetrant am Slapstickhaften weidenden Hang, die Kunst der Kostümierung und die Macht der Technik fortwährend auszustellen, stolpert Wild Wild West aber mehr und mehr über seine eigenn Beine, reduziert die Hauptdarsteller auf überstilisierte Knallchargen ohne Eigendynamik und wirkt zusehends inkohärent und ermüdend in seiner überspannten Schauwertmanie. [...]

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                    • 7
                      SoulReaver: FILMSTARTS.de 03.06.2019, 12:40 Geändert 03.06.2019, 13:35

                      [...] In Das Geheimnis meines Erfolges verkörperte Michael J. Fox (Zurück in die Zukunft) einen erfolgshungrigen Karrieristen, dessen Lebensziel es schon immer gewesen ist, von den Wolkenkratzern der amerikanischen Metropolen endgültig verschlungen zu werden. Diese unangenehme Aufsteigerkomödie verwandelte sich zusehends zum feuchten Yuppietraum, stimmte ein Hohelied auf den beruflichen Kampfgeist an und konnte sich nur deswegen ins halbwegs Erträgliche retten, weil Hauptdarsteller Fox nun einmal ein echter Charmebolzen ist. Ein Jahr später folgte mit der Romanadaption Die grellen Lichter der Großstadt von James Bridges (Das China-Syndrom) die gleichermaßen bittere wie notwendige Antwort auf all die fadenscheinigen (Kapitalismus-)Werte, die Das Geheimnis meines Erfolges noch blindlings abzufeiern wusste. Es gibt keine Ambitionen mehr, sondern nur noch Kopfschmerzen; keine Optimierung, sondern nur noch Zerstreuung.

                      Wie soll man noch halbwegs aufrecht durch das Leben gehen können, wenn einem das Leben offenkundig beharrlich genau davon abhalten möchte? Die Antwort liegt für Jamie in russischem Kartoffelschnaps und bolivianischen Marschpulver begraben. Wodka und Kokain. Jeden Abend, bis die Augenlider flattern und die Nasenlöcher bluten. Die grellen Lichter der Großstadtportrait beschreibt eine Generation junger Menschen, die es vollends aufgegeben haben, einen Sinn in ihrer Existenz zu suchen und eine Möglichkeit für sich entdeckten, den Schmerz des Seins für einige Stunden vergessen zu machen. Wie ein Schatten seiner selbst irrlichtert Jamie immer wieder aufs Neue über die endlosen Straßen New Yorks, verfolgt von alptraumhaften Halluzinationen und fernab jeder Konzentration, um die nächsten zwei Stunden ohne Line auszukommen. James Bridges porträtiert über weite Strecken auf angenehm unmoralische Art und Weise, wie Jamie dabei ist, sich selbst zu Grunde zu richten.

                      Die grellen Lichter der Großstadt aber verliert sich in keiner exzessiven Abwärtsspirale, deren Ende nur der Tod Jamies bedeuten kann, sondern formuliert ebenso die Hoffnung, dass selbst in den dunkelsten Stunden eine minimale Chance auf Rettung besteht – und mag es nur das Gespräch mit einem Menschen sein, in dessen Gegenwart man sich zum ersten Mal nicht verstellen muss. Obgleich die letzten Minuten des Filmes ein Stück weit zu optimistisch ausfallen, wirkt Die grellen Lichter der Großstadt niemals harmonieheischend, bleibt die gesellschaftliche Bedrohung durch Rauschmittel doch immer gegenwärtig, auch wenn sie sich augenscheinlich für einen Moment zurückgezogen hat. Michael J. Fox liefert in der Hauptrolle indes die Performance seines Lebens und brilliert als psychisch zerrütteter Großstädter, der den Ritualen der Nachtwelt etwas zu viel Glauben entgegengebracht hat. [...]

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                      • 5

                        [...] Dass Nicholas nur einen Tag später am Telefon gesagt wird, dass er als ungeeignet eingestuft wurde, ist natürlich nur die erste Schachzug in einem Gewebe aus Täuschung und Manipulation, deren Ausformungen immer extremere Züge annehmen. Nicholas kann niemandem mehr Vertrauen schenken, er muss alsbald gar um sein Leben fürchten. David Fincher und sein Autorengespann um John Brancato und Michael Ferris haben hier ein Thriller-Konzept geschaffen, welches sich vor allem aus den Einflüssen des klassischen Paranoiakinos der 1970er Jahre und dystopischen Überwachungsszenarien zusammensetzt. Nicholos wird nicht nur von einem übermächtigen, allwissenden Gegner verfolgt, er wird von diesem durchleuchtet und von einer Ecke in die nächste getrieben. David Fincher, der zuvor mit Sieben einen der eindrucksvollsten Filme der 1990er Jahre inszenierte, erweist sich erneut als Meister einer exakt durchgetakteten Spannungsdramaturgie.

                        Geht es dann allerdings auf das Finale und damit auch die große Auflösung des ganzen Tohuwabohus zu, bricht The Game auf fast schon absurd-ärgerliche Art und Weise in sich zusammen. Die Handlung als überkonstruiert zu bezeichnen, wäre in diesem Falle wohl noch untertrieben: In Wahrheit erweist sich The Game schlussendlich als geschmackloser Unterhaltungsfilm, der psychische wie physische Peinigung legitimiert, wenn sie denn zu einem positiven Ergebnis führt. Die fragwürdige Moral, die hinter dem geheimnisvollen Geschehen steckt, in dessen Fängen Nicholas vom Alphatier mehr und mehr zum gebrochenen, suizidalen Häuflein Elend geformt wird, ist in ihrem unverhältnismäßigen Leichtsinn ernsthaft alarmierend. Hier wird nicht nur ein eigentlich sehenswerter Thriller auf den letzten Metern gnadenlos in den Dreck gezogen, der gewalttätigen, folgenlos bleibenden Fremdbestimmung wird hier eine gar therapeutische Sinnhaftigkeit beigemessen. [...]

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                        • 7

                          [...] Das schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass die Beziehung zwischen Lt. William Blight (Anthony Hopkins, Das Schweigen der Lämmer) und seinem ersten Offizier Fletcher Christian (Mel Gibson, Der Patriot) zu Beginn eine freundschaftliche, anstatt sie – wie andere Verfilmungen – von vornherein als spannungsgeladen zu bezeichnen. Gerade durch diesen bestätigten Umstand, dass sich Christian und Bligh sich durchaus gewogen waren und in der Vergangenheit bereits zusammen auf Reisen gingen, erhält die Meuterei auf der Bounty eine neue Fallhöhe eine neue, viel deutlichere Fallhöhe. Dieser – irgendwann nahezu unausweichliche – Vorfall stellt die Binnenhandlung von Die Bounty dar, während sich Bligh in der Rahmenerzählung vor seinen Vorgesetzter der königlichen Marine dafür verantworten muss, die Kontrolle über sein Schiff verloren zu haben. Wie konnte es soweit kommen?

                          Roger Donaldson und sein Kameramann Arthur Ibbetson (Der Schrecken der Medusa) benötigen nur wenige Minuten, um einen Eindruck davon zu erschaffen, wie ungemein bildgewaltig Die Bounty arrangiert ist. Ausstattung und Kostüme sind in ihrer formvollendeten Erhabenheit preisverdächtig; der authentische Nachbau der Bounty erweist sich als eindrucksvolles Zeugnis handwerkliche Größe – und der Score von Vangelis ist, wie gewohnt, schlichtweg exzellent. Mit den für das Historienkino typischen Schauwerten wird zweifelsohne nicht gegeizt, der Schwerpunkt allerdings liegt auf der Gruppendynamik, die sich mit der Ankunft auf Tahiti zusehends verändern. Gastfreundlich von den Einheimischen und der paradiesischen Naturkulisse empfangen, erkennen viele Männer der Besatzung hier den Himmel auf Erden; ein Ort, an dem der Geist fernab jeden psychischen Drucks frei sein darf. Die Weiterfahrt verzögert sich mehr und mehr.

                          Bligh, der kein Unmensch und sicherlich kein Sadist von Haus aus ist, aber von seinem ehrgeizigen Anspruch, möglichst schnell die Karriereleiter aufsteigen zu wollen, angetrieben wird, sieht seine Integrität als Kapitän in Gefahr und seinen männlichen Stolz verletzt. Sein irgendwann unverhältnismäßiges Beharren auf blinden Gehorsamen lässt die Situation alsbald eskalieren. Dadurch, dass Roger Donaldson und Drehbuchautor Robert Bolt darauf verzichten, einzelne Charaktere einer klaren Gut-und-Böse-Dialektik unterzuordnen, sondern vielmehr als Produkt ihrer Herkunft und Erfahrungen zeichnet, gewinnt Die Bounty zusehends an Kraft durch ihren Umgang mit (zwischen-)menschlichen Ambivalenzen und hinterfragt dadurch nicht nur die Grundzüge militärischer Führungsstile, sondern befasst sich auch mit dem destruktiven Wesen von Status und Macht, um dadurch letztlich das schwerwiegende Zerwürfnis einer jahrelangen Freundschaft zu besiegeln. [...]

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                          • 6 .5

                            [...] Richard Shepard stellt sich in die Tradition des keinesfalls subtilen und noch weniger pietätvollen Exploitationskinos und beschreibt eine durchtriebene Selbstermächtigungsphantasie, in der Charlotte und Lizzie (Logan Browning, Dear White People), die neue Meistercellistin der Akademie, dem Patriarchat den Krieg erklären. Ohne damit zu viel vom Verlauf der Geschichte bekannt geben zu wollen, könnte man The Perfection als Mischung aus Black Swan und dem im letzten Jahre erschienenen Revenge erscheinen: Die in den professionellen Kulturbetriebes eingebrannten Missbrauchsstrukturen kollidieren mit der gewalttätigen Emanzipation der Opfer dieser jede Eigenverantwortung unterdrückenden Gegebenheiten.

                            Es ist ein diffiziles, sicherlich auch universales Thema, welches The Perfection im Kern behandelt. Dass Richard Shepard sich für die groben, reißerischen Pinselstriche entscheidet, um seine Geschichte voranzutreiben, mag für einige Zuschauer sicherlich geschmacklos sein, durch seinen immer gegebenen Bezug zur Exploitation der 1970er Jahre aber gewinnt The Perfection den Anklang einer zügellosen Provokation, die Feuer mit Feuer bekämpft und Gewalt mit Gegengewalt sühnt. Physischer und psychischer Natur, wohlgemerkt. Shepard dreht dieses Erwachen weiblicher Selbstbestimmung durch den Genre-Fleischwolf, was gleichermaßen ausbeuterisch wie mutig ist, weil sich der Film nicht dagegen sträubt, Grenzen zu überschreiten und den Zuschauer wiederholt mit überraschenden Stilmitteln zu irritieren. Wenn The Perfection mit einem Instrument arbeitet, dann wohl mit dem perfiden Holzhammer. Aber wenn diesen jemand verdient hat, dann wohl mächtige, weiße Männer. [...]

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                            • 7

                              [...] Auffällig an dieser Figurenkonstellation, in der auch Leonards Freundin Valerie (Nora Hamzawi, Boule & Bill 2) eine Rolle einnimmt, ist, dass sich alle involvierten Charaktere größte Mühe damit geben, Diskurse über das digitale Zeitalter, über die Notwendigkeit von elektronischen Büchern und Bibliotheken sowie über den Einfluss der Digitalisierung auf die Politik anzustimmen, im Kontakt mit- und untereinander aber kaum in der Lage sind, die Wahrheit zu formulieren. Zwischen den Zeilen thematisiert vor allem die Kommunikationsprobleme unserer Zeitrechnung und erforscht die Ursprünge darin, dass die sich durch das Internet immer stärker ausbreitende Entmaterialisierung unserer Seins Ängste an die Oberfläche spült, vor denen wir uns viel zu lange verstecken konnten. Ängste, die nicht zuletzt darin begründet sind, irgendwann von der Welt abgeschnitten zu sein. Schlichtweg nicht mehr mitzukommen.

                              Man belügt, betrügt und manipuliert sich also, um die alten Schalen, das vorgegaukelte Ideal eines funktionierenden (Sozial-)Gefüges, aufrechtzuerhalten. Olivier Assayas gibt sich indes keiner fortschrittsfeindlichen, verbitterten Taktung hin, wenn er von unausweichlichen Veränderungen spricht, die, wie im Falle von Zwischen den Zeilen, zum Beispiel gerade auch das Verlagswesen betrifft. Anstatt zu behaupten, dass das Internet den Menschen jeden Sinn für Literatur nimmt, da sich nun jeder Mensch einen Blog anlegen kann und somit selber zum Schriftsteller und Meinungsmacher wird, beobachtet Assayas die Situation von beiden Seiten und erkennt durch das Internet die Möglichkeit, den Literaturbetrieb zu erweitern, indem er auf Logistik, Zwischenhändler, Material- und Herstellungskosten verzichten kann. Nur, weil die Buchinhalte digitalisiert werden, bedeutet dies schlussendlich nicht, dass sich etwas daran ändert, was wir diesen an Wissen und Erkenntnissen entnehmen.

                              Kritisch wird es jedoch im Umgang miteinander in der Wirklichkeit. Hier können sich die Charaktere nicht damit begnügen, ob sie sich nun elektronisch oder analog betrachten wollen. Hier ist man sich irgendwann ausgeliefert; irgendwann stürzen die Lügengebäude ineinander ein und die Ausflüchte werden verbarrikadiert. Zwischen den Zeilen lebt dabei von seinen Dialogsequenzen: In der gut 110-minütigen Laufzeit wird ausschließlich gesprochen, auch humorvoll, die Figuren entfalten und entwickeln sich konsequent dialogisch. Das kann man als geschwätzig und ermüdend erachten, Assayas aber ist eine formidabler Drehbuchautor mit großer rhetorischer Gabe. Hier gibt es keinen ziellosen, vielleicht sogar arroganten Redeschwall, vielmehr ist Zwischen den Zeilen auch eine Hymne auf die Befreiung des Wortes. Ob es getippt oder geschrieben wurde, in den sozialen Medien verbreitet oder Auge um Auge verbalisiert, sei dahingestellt. Hauptsache, es bricht aus den Menschen heraus. [...]

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                                [...] Walter Hill gelingt es durchaus gekonnt, ein stetiges Gefühl für die begrenzte Räumlichkeit des heruntergewirtschafteten Fabrikgeländes zu evozieren: Wie die beiden Protagonisten, denen das Drehbuch partiell angenehme Ambivalenzen zugesteht, wenn sie im Angesicht des Batzen Goldes ihre Loyalität zueinander mehr und mehr hinterfragen, erforscht auch die Kamera den Handlungsort stetig, inspiriert die verschachtelten Räume, die verwinkelten Korridore, sucht nach Fluchtwegen und Rückzugsmöglichkeiten, während die Antagonisten, King James (Ice-T, Surviving the Game) und seine Schergen (u.a. Ice Cube und Tiny Lister), mit immer schwererem Geschütz auffahren. Die Ausgangslage und die im Film enthaltenen Konflikte zwischen beiden Parteien und untereinander sind simplistisch, durchweg zweckdienlich, um den Kampf ums Überleben (und die Suche nach dem Gold) ins Rollen zu bringen. Interessant an Trespass ist letztlich, selbstverständlich, Walter Hills Umsetzung.

                                Die ist, wie bereits erwähnt, routiniert und stilsicher, artikuliert sich atmosphärisch und arbeitet konsequent auf die unausweichliche Konfrontation zwischen allen Beteiligten zu. Dass Trespass aufgrund seiner schnöden TV-Optik teilweise aussieht wie ein Fernsehfilm, lässt die Produktion schmuckloser erscheinen, als sie wirklich ist. Dadurch, dass Walter Hill außerdem darauf verzichtet, sich seinen Figuren wirklich psychologisch anzunähern, erklärt er sie zu funktionalen Abziehbildern und Kanonenfutter auf zwei Beinen. Trespass wirkt zuweilen gemächlich und ermüdend, obwohl hier – theoretisch - ständig Druck auf dem Kessel ist, was folgerichtig am wenig umsichtigen Umgang mit den Figuren liegt. Oftmals fühlt es sich so an, als sei Walter Hill ausschließlich darauf erpicht, den Goldrausch-Topos – ausgehend von Der Schatz der Sierra Madre – möglich reibungslos zu modernisieren und in die Gegenwart zu transportieren. Trespass ist sehenswert, aber niemals mitreißend. [...]

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                                  [...] Hugh Jackman (Logan – The Wolverine) ist natürlich eine Idealbesetzung für den hochgradig attraktiven, wortgewandten, charismatischen Präsidentschaftsanwärter, der seiner Zeit zum Gesicht einer Ära des Aufbruchs und zur Stimme des Umschwungs wurde. Der Australier versteht es, den Zuschauer für sich zu begeistern, ihn einzunehmen, was den Gerüchten um den aufkommenden Sexskandal umso spannendere, sich auf zwei Ebenen entfaltende (Charakter-)Brüche zugesteht, gilt doch auch Jackman in der Realität als Saubermann mit weißer Weste. Ein Besetzung mit Methode also. Jason Reitman geht es in Der Spitzenkandidat gar nicht so sehr darum, das politische Programm Harts auf das Tableau zu bringen, auch wenn er immer weiter ein meisterhaftes Gespür dafür aufweist, sich durch die Eingeweide der von äußerem Druck befeuerten Wahlkampftour zu schälen. Ihm geht es um die Macht der Medien.

                                  Und diese Macht ist natürlich auch eine destruktive. Gary Hart gilt als erster Politiker, dessen Karriere durch die Mechanismen der Regenbogenpresse gefressen, verdaut, wiedergekäut und ausgepuckt wurde. Der schwerwiegende Kontext in diesem Fall ist, dass sich arrivierte Intelligenzblätter wie die Washington Post und die Miami Herold diesen Mechanismen bedienten und im Zuge eines medialen Spießrutenlaufs einen ambitionierten Volksvertreter in die Knie zwangen, der die vier großen Ws mit besten Absichten verinnerlichte: Wirtschaft, Wissenschaft, Werte und Wandel. Jason Reitman allerdings begeht nicht den Fehler, Gary Hart als unantastbare Identifikationsfigur zu glorifizieren, auch wenn Der Spitzenkanditat schon eine gewisse Enttäuschung dahingehend veräußert, nie Zeuge davon geworden zu sein, in welche Dimensionen sich der Idealismus dieses Mannes hätte entwickeln können. Reitman lässt seinem Protagonisten Ambivalenzen, moralische Graubereiche, was diesen erst menschlich macht.

                                  Genau diese Ambivalenzen sind es auch, die Der Spitzenkandidat zu einem mitreißenden Seherlebnis erheben, gibt es am Ende doch keine klaren Zuordnungen in Opfer und Täter, in schuldig und unschuldig, in Gewinner und Verlierer, in Mitleid und Verdammung. Stattdessen verlassen alle Seiten überdeutlich gezeichnet den Ring: Ernstzunehmende Medien haben sich dem Klatschblatt-Populismus hingegeben, Gary Hart hat sich etwas zu sehr auf die Strahlkraft seines Images verlassen – genau wie seine Anhänger und Wahlkampfunterstützer. Irgendwann artet die forcierte Schadensbegrenzung in ein ständiges Hin und Her aus Manipulation und Instrumentalisierung aus, während Jason Reitman es tunlichst vermeidet, eine klare Haltung spazieren zu tragen. Kein Urteil, keine Anklage, nur das präzise Beobachten und Dokumentieren der damaligen Gegebenheiten. Das nimmt dem Film zwar ein Stück seiner emotionalen Dringlichkeit, verfälscht aber auch den klaren Blick der Narration nicht. [...]

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                                    [...] In den Morgenstunden klingelt das Telefon, es ist die Nobelstiftung, die Joe (Jonathan Pryce, The New World) mit dem Literatur-Nobelpreis honorieren möchte. Die erste Reaktion von Joan und Joe? Sie hüpfen, übermannt von kindlicher Freude, gemeinsam auf dem Bett herum. Das Ehepaar hat in all den Jahren des Zusammenseins Höhen und Tiefen erfahren und gemeinsam geleistet, der Nobelpreis ist nun auch eine Auszeichnung für das (augenscheinlich) erfolgreiche Nehmen der Hürden, die die Zeit einer Ehe zwangsläufig aufwirbelt. Dass Joe in Wahrheit nicht das literarische Genie der Familie ist, wird schnell deutlich, allein durch die bereits eingangs erwähnten Blicke von Glenn Close, die von einem Leben der Selbstverleugnung sprechen. Runge und seine Drehbuchautorin Jane Anderson aber müssen diesen Umstand bis in den letzten Winkel ausformulieren.

                                    Dieser plakative Zwang, das Offensichtliche zu verbalisieren, stellt das wohl größte Problem von Die Frau des Nobelpreisträgers dar, weil sich der Film viel zu oft mit wenig eleganten Erklärungen zufrieden gibt, anstatt dem Zuschauer den Raum zu lassen, seine eigenen Schlüsse aus den Gegebenheiten zu ziehen, die ihm das pointierte Spiel der Schauspieler darbieten. Mag Jonathan Price der – wie gewohnt – zur Hochform auflaufenden Glenn Close auch gnadenlos unterlegen sein, in seiner Egomanie, seiner Geltungssucht, seinem Drängeln dahingehend, unbedingt berücksichtigt und dekoriert zu werden, steckt viel männliche Fragilität, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit schlägt. In Form von mal mehr, mal weniger sinnstiftenden Rückblenden wird nicht nur der Betrug an sich und der Welt deutlich, sondern auch ein auf den Kopf gestelltes Geschlechterverhältnis.

                                    Während Joan acht Stunden hinter der Schreibmaschine verbringt, um den nächsten Meilenstein zu verfassen, hat Joe sich um den Haushalt und die Kindererziehung gekümmert. Strukturierte sich der Roman noch als umfangreiche Parallelmontage, die über die Erläuterung verschiedener Zeitebenen ausgefeilte Charakterprofile erschuf, so wirken die Sequenzen hier, die Joe und Joan in jüngeren Jahren präsentieren, gerne wie die Auswüchse eines faulen Storytellings, weil sie die Persönlichkeiten der Protagonisten nicht intensivieren, sondern mit einfachen, schnell abgefrühstückten Antworten verkürzen. Man möchte sich nicht vorstellen, wie Die Frau des Nobelpreisträgers ausgesehen hätte, könnte der Film sich nicht auf die facettenreiche, inbrünstige und gleichzeitig subtile Performance von Glenn Close verlassen. Sie verleiht dem Szenario trotz reichlich ungenutztem Potenzial Intimität, Kraft und Kontur. Sie macht den Film dort lebendig, wo er eigentlich in Konventionen erstarren würde. [...]

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                                      [...] Woher die ungebrochene Faszination für die Figur der Buffy rührt, kann Fran Rubel Kuzui jedenfalls nur sehr selten verständlich machen, stattdessen ist es heute vielmehr unglaublich, dass sich ein derartiger Kult um den Highschool-Teenie, welcher seine wahre Berufung in der Jagd auf Vampire entdeckt, entspinnen konnte. Tatsächlich war die Grundidee von Joss Whedon, der auch das Drehbuch zu Buffy, der Vampir-Killer beisteuerte, eine sehr greifbare: Er wollte mit dem Klischee aufräumen, dass Mädchen in Horrorfilmen zwangsläufig schreiend das Weite suchen. Buffy sollte eine renitente, emanzipierte, sich zu Wehr setzende Kämpferin sein, die simultan dazu mit den gleichen Problemen zu ringen hat, wie alle Jugendlichen ihrer Altersklasse. Regisseurin Kuzui aber konnte mit dieser durchaus progressiven Vorstellung merklich nicht sonderlich viel anfangen.

                                      Unbeholfen wirkte Buffy, der Vampir-Killer mit Sicherheit auch schon im Jahre 1992, heute jedoch hat der Film eine seltsame Trash-Patina angesetzt, die noch deutlicher zum Vorschein bringt, wie wenig Verständnis Fran Rubel Kuzui für den Dialogwitz und die Situationskomik im Drehbuch von Joss Whedon besitzt. Anstelle von subtilem, hintersinnigem und ironischem Humor regieren in Buffy, der Vampir-Killer oftmals plumpe Albernheiten, die zusehends dafür sorgen, den metaphorischen Charakter der Erzählung zu unterminieren. Natürlich stehen die Vampire und Dämonen für übermenschliche Manifestionen von jugendlichen Ängsten, denen Buffy den Kampf ansagt und somit einen Reifeprozess eingeht. Unter der sprunghaften, wenig sensiblen Ägide von Kuzui wird aus der Highschool-Schickse urplötzlich die auserwählte Vollstreckerin, die sich der heiligen Mission von Merrick (Donald Sutherland, 1900) kaum widerwillig anschließt.

                                      Ausgereifte, von inneren und äußeren Konflikten befeuerte Persönlichkeitsstrukturen sucht man hier vergebens. Dabei ist Kristy Swanson (Ey Mann, wo is' mein Auto?) eine durchaus passende Wahl für die Hauptakteurin, erweist sich die Schauspielerin nämlich nicht nur als athletisch und attraktiv, in ihren stärksten Momenten schafft sie es auch, ein Gefühl für ihr verletzliches Seelenleben zu offenbaren, auch wenn die Inszenierung davon am liebsten nichts wissen möchte. Stattdessen gibt es hier eine äußerst krude Mixtur aus John Hughes (Breakfast Club) und Die rabenschwarze Nacht – Fright Night, die weder einen Bezug zur Mannigfaltigkeit des Vampir-Mythos herstellen kann (was sich vor allem in der lächerlichen Performance von Rutger Hauer als Obervampir Lothos niederschlägt), noch der Coming-of-Age-Parabel den nötigen emotionalen Unterbau zugesteht. [...]

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                                        [...] Es kann also erst ein richtiger Men in Black-Film werden, wenn unser liebgewonnenes Helden-Duo erneut vereint ist. Barry Sonnenfeld scheint es in diesem zweiten und deutlich kostspieligeren Teil primär darum zu gehen, den Zuschauer mit vertrauten Elementen in Verbindung zu bringen: Mops Frank wird eine größere Screentime zugesprochen, die Kaffee-süchtigen Wurmlinge dürfen nun auch zu den Waffen greifen und es vergehen kaum fünf Minuten, in denen Agent J und K nicht damit beschäftigt sind, Menschen mit dem Neuralyzer zu blitzdingsen. Dadurch gewinnt Men in Black 2 wenig individuelle Klasse und geht vielmehr auf Nummer sicher, um dem Zuschauer immer genau das zu bieten, was bekannt und erwartungsgemäß ist. Vielleicht eine fast schon verständliche Reaktion, nachdem Wild West West derartig scheitern sollte.

                                        Mit einer Laufzeit von nicht einmal 90 Minuten beschwört Men in Black 2 heutzutage fast schon einen Anflug sanfter Wehmut herauf, erinnert der Film doch an Zeiten, in denen ein Blockbuster nicht zwangsläufig auf eine Überlänge von zweieinhalb Stunden ausgewalzt werden musste. In seinem Bedürfnis, wenig Originäres zu bieten, wirkt die kurzweilige Sci-Fi-Sause aber zu häufig wie eine Pflichtübung, die sich schneller und größer formuliert und folgerichtig mehr Schauwerte bietet, den zwischen Fabulierlust und Buddy-Movie-Leidenschaft ausstaffierten Charme des Vorgängers somit aber kaum noch einholen kann. Dadurch, dass Will Smith und Tommy Lee Jones nach wie vor vortrefflich miteinander harmonieren, kann man Men in Black 2 immer noch als spaßiges, wenn auch leidlich kreatives Eventkino verbuchen. Ein mit der heißen Nadel gestrickter, aber durchweg kurzweiliger Nachklapp. [...]

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                                          SoulReaver: FILMSTARTS.de 20.05.2019, 20:22 Geändert 20.05.2019, 20:24

                                          [...] Kein uninteressanter Gedanke, den Blick auf jene Geschehnisse durch die Augen von Sharon Tate (hier gespielt von Hilary Duff, Lizzie McGuire) zu dokumentieren. Regisseur Daniel Farrands aber gibt sich jeder tonalen wie erzählerischen Unzulänglichkeit hin, die hier im Bereich es Möglichen ist. The Haunting of Sharon Tate nämlich geht von dem Standpunkt aus, dass das Schicksal nicht bereits vor unserer Geburt in Stein gemeißelt ist, sondern stetig geändert und damit folgerichtig auch korrigiert werden kann. Um es vorwegzunehmen: Ja, Sharon Tate darf es den Schergen der Manson Family, den Werkzeugen des Leibhaftigen, endlich gehörig heimzahlen, nachdem sie durch einen Alptraum gewarnt wurde. Der Kontext dazu: Am 1. August 1968 berichtete Tate in einem Interview mit dem Fate-Magazin, sich selbst in einem Traum mit durchgeschnittener Kehle gesehen zu haben.

                                          Das bedeutet nun nicht nur, dass The Haunting of Sharon Tate ernsthaft suggeriert, die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen, wenn Sharon Tate doch nur in der Lage gewesen wäre, die Zeichen zu deuten. Farrands verlagert seinen Film, der sich zeitweise als Home Invasion-Flic geriert, darüber hinaus aber vor allem Gefallen am überdramatisierten Philosophiegeplänkel auf Vorschulniveau findet, in einem Paralleluniversum, in dem den Toten die Chance offenbart wird, die Geschichte neu zuschreiben. In einer Comic-Verfilmung wie Avengers 4: Endgame mag derlei Handhabung legitim sein, bei einem auf Tatsachen, Fakten und realem Schmerz beruhenden Blutbad aber ist diese konzeptionelle Herangehensweise vor allem eine Sache: Unheimlich geschmacklos. The Haunting of Sharon Tate verläuft sich in der Gegenüberstellung von Fiktion und Realität maßlos und verendet auf denkbar übelste Weise als spekulative Phantasterei.

                                          Von Beginn an wird hier sehr deutlich, wie sensationsheischend und ausbeuterisch sich Daniel Farrands im weiteren Verlauf der Handlung formulieren wird. Da wird nicht nur in jedem einzelnen Satz darauf hingewiesen, dass man es hier tatsächlich mit Sharon Tate zu tun hat, der Frau des (Zitat) ständig arbeitenden und fremdvögelnden Roman Polanskis (Rosemarys Baby). Krampfhaft und dummdreist bemüht man sich zudem noch darum, dem Geschehen einen gewichtigten Grundstock einzuverleiben, in dem die Protagonisten bedeutungshuberisch über die Sinngehalt der eigenen Existenz schwadronieren dürfen. Bevor sich die Nacht des Grauens als misslungene Zeitlinie einer alternativen Gegebenheit offenbart, gibt es noch blutende Wasserhähne, satanische Botschaften von Tonträgern, Jump Scares und schauderhafte Halluzinationen. Wenn The Haunting of Sharon Tate etwas vollbracht hat, dann, sich kontinuierlich im Ton zu vergreifen. Eine sagenhafte-respektlose Zumutung. [...]

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                                            [...] Sicherlich war Detlev Buck dem deutschen Mainstream nie abgetan, im Falle von WUFF – Folge dem Hund jedoch gibt er sich in jeder Minute der viel zu langen Laufzeit den hausbackenen Gepflogenheiten der romantisch-verklärten Konfektionsware hin, die ohnehin im regelmäßigen Turnus das Kinoprogramm verstopfen darf. In Zentrum stehen dabei mehrere Berliner Schicksale, die momentan entweder mit deprimierenden Liebes- oder zermürbenden Berufsnöten zu ringen haben. Ella (Emily Cox, Jerks) beispielsweise hat gerade mit ihrem Freund Schluss gemacht, Cécile (Johanna Wokalek, Barfuß) vermutet, dass ihr Mann sie betrügen könnte und Oli (Frederick Lau, Spielmacher) musste seine Fußballkarriere bei Hertha BSC an den Nagel hängen, nachdem ihn eine schwere Knieverletzung außer Gefecht gesetzt hat – und Geldschulden bei einigen finsteren Gesellen hat er zudem auch noch.

                                            Die Wege dieser und noch weiterer Charaktere kreuzen sich im Verlauf der Handlung immer wieder. Nicht etwa, weil es eine schicksalhafte Fügung ist, sondern aufgrund ihrer vierbeinigen Gefährten mit den kalten Schnauzen, die in WUFF – Folge dem Hund viele Funktionen einnehmen: Sie strukturieren als Vermittler, (Liebes-)Ersatz, Motivatoren und manchmal auch Lebensretter das Geschehen. Detlev Buck und seine Drehbuchautorin Andrea Willson (zuvor Anleitung zum Unglücklichsein, Vaterfreuden und SMS für Dich – noch Fragen?) erzählen ihre anbiedernde RomCom als schmalzig-langatmigen Episodenfilm, der sich nur allzu gerne in die Fußstapfen des inzwischen zum Klassiker avancierten Tatsächlich...Liebe treten möchte, dessen entscheidenden Schlüssel zum Erfolg aber gänzlich vermissen hat: Den Charme. WUFF – Folge dem Hund ist dafür bieder, konstruiert, klischeedurchtränkt und natürlich vollkommen realitätsfern. Wohlfühlkino aus der Fördergeldtopf-Retorte. [...]

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                                              [...] Das Gewaltpotenzial, welches sich später in einem exzessiven Akt der Zerstörung entfesseln wird, ist von Beginn an präsent, es schwelt unter der Oberfläche, es ummantelt die Nebensächlichkeit, mit der Diskriminierung hier überall und ständig stattfindet und wartet nur auf den passenden Augenblick, um endlich explodieren zu können. Spike Lee, der im weiteren Verlauf seine Karriere nicht unbegründet vom Feuilleton als ein wütender Filmemacher beschrieben wird, zeichnet sich in Do the Right Thing (noch) durch ein ungemeines Maß an Empathie aus. Die Charaktere, die über die Straßen von Bedford Stuyvesant streunern, sind lebensecht und unverstellt, weil Spike Lee sich ihnen annimmt und über den Tellerrand der Beschimpfungen rundum Nigga, Spaghettifresser, Schlitzaugen und Weißbrote hinausblickt. Was Lee dort findet, sind Ängste, sind Traditionen der Unterdrückung und, ja, auch multikulturelle Schönheit.

                                              So bedrückend-eruptiv die Katastrophe auch auf den Zuschauer einschlägt und all die Ambivalenz des involvierten Charaktergefüges zum Ausdruck bringt (auch Schlichter und Vermittler Mookie mischt mit), Spike Lee ist mit Do the Right Thing noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem er verurteilen möchte. Er appelliert, er setzt sich dafür ein, einen Weg für das multiethnische Miteinander zu finden, ohne aber das kulturelle Erbe der jeweiligen Gruppen zu verleugnen. In virtuosen, energiegeladenen Fotografien und einer stetig dynamischen, getriebenen Inszenierung spricht sich Spike Lee dafür aus, dass die Lösung schwerwiegender, Jahrhunderte zurückreichender Konflikte erst gelöst werden können, wenn man mit dem geringsten Übel beginnt und sich Schritt für Schritt zur Wurzel des Hasses durchringt. Alles muss mit Worten beginnen, erst darauf können Veränderungen folgen. [...]

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                                                [...] Oscar-Gewinner Neil Jordan, der mit Die Zeit der Wölfe, The Crying Game und Interview mit einem Vampir gleich mehrere Klassiker in seiner Vita aufzuweisen hat, unterwirft sich mit Greta allen Konventionen des reichhaltig beackerten Stalker-Genres und besitzt dabei weder den provokativen Sleaze-Appeal eines Brian De Palma (Der Tod kommt zweimal), noch die erzählerische Durchtriebenheit eines The Gift. Lange Zeit wirft der Film auch während der Sichtung die von Irritationen getriebene Frage auf, wieso sich ein so erfahrener und zweifelsohne kompetenter Filmemacher wie Jordan dazu hinreißen lassen hat, einen derart konfektionierten Thriller in Szene zu setzen, der weder seinem Sujet neue Impulse abzuringen vermag, noch dessen (inzwischen doch recht) muffiges Wesen auf einer Meta-Ebene kommentiert. Die Antwort darauf ist so lächerlich augenfällig wie nachvollziehbar.

                                                In Wahrheit nämlich geht es in Greta primär darum, die erbarmungswürdige Isabelle Huppert bei der Arbeit bestaunen zu dürfen. Als strategisch agierende, manipulative und durch und durch boshafte Psychopathin reißt sie durch ihre (wortwörtlich) unheimlich autoritäre Präsenz den Film gnadenlos an sich und spielt meisterhaft gegen die einfallslose Spannungs- und Eskalationsdramaturgie an, für deren Wirkung Neil Jordan oftmals gerne jeden Funken Logik konsequent außer Acht lässt. Allein um Huppert noch übermächtiger, noch allgegenwärtiger, noch dämonischer erscheinen zu lassen. Dadurch begreift sich Greta zuvorderst als Hommage an die Pariser Grande Dame und kann sich erst auf den zweiten Blick wohlwollend als bewusst klassische Annäherung an die traditionellen Topoi des Psycho-Thrillers deuten lassen. Jordan jongliert hier zwar mit vertrauten Versatzstücken des Genres, allerdings setzt er diese nicht sonderlich fingerfertig an- und ineinander.

                                                Aufdringlich stülpt sich der penetrante Score von Javier Navarrete über das düstere Szenario und möchte dem Zuschauer immer wieder die Emotionen (zuvorderst Angst, zuweilen auch die Beklemmungen sozialer Isolation) vorwegnehmen, die sich in der entsprechenden Szene eigentlich entfalten sollten. Greta aber hat besitzt Gespür für die psychologischen Konditionen seiner Charaktere, sondern begreift sie als Gefäße, die mit eindeutigen Gefühlsausbrüchen gefüllt werden müssen. Dass hinter der kalkulierenden Arglist Greta auch immer ein Funken Verletzlichkeit aufblitzt, liegt allein an Isabelle Huppert, die – mal wieder – mehr aus ihrer Figur herausholt, als es das Drehbuch hergibt. Ohnehin möchte man der Vermutung anheimfallen, dass es Greta ohne seine beiden Hauptdarstellerinnen niemals zu Kinoauswertung gebracht hätte. Verdientermaßen, denn so plump, klischeehaft und vorhersehbar, wie der Film sich artikuliert, passt er abseits seiner schauspielerischen Qualitäten hervorragend auf den Videothekenmarkt. [...]

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                                                  [...] Costa-Gavras, der mit Z – Anatomie eines politischen Morders seinen dritten Spielfilm abgeliefert hat, beweist sich hier nicht nur als Meister für das (heute) klassische Spannungskino. Er nutzt den Rahmen des dokumentarisch angehauchten Genre-Films, um persönliche Überzeugungen zu formulieren, um durch einen oftmals thesenhaften Gestus gezielt den Zuschauer herauszufordern, wenn er ihn mit einem Szenario konfrontiert, welches ein Land aufzeigt, deren demokratischen Tugende ausgehöhlt und entkernt und durch durchtriebe Machtinteresse wieder aufgefüllt wurden: Gesetz und Recht haben dort keinen Bestand mehr, wo sich die Triebfeder der Korruption erst einmal verselbständigt hat. Nachdem das Volk und die Presse durch den Tod des Politikers in Aufruhr gesetzt wurde, greift man auf die Dienste eines unverbrauchten Ermittlungsrichter (Jean-Louis Trintignant, Leichen pflastern seinen Weg) zurück.

                                                  Natürlich erhofft man sich, den jungen Mann schmieren zu können, um Beweise weitergehend zu vertuschen. Z – Anatomie eines politischen Mordes gibt dem Zuschauer mit diesem Charakter eine integre, unparteiische Identifikationsfigur an die Hand, der es in erster Linie daran gelegen ist, die Wahrheit im Namen der Gerechtigkeit an das Tageslicht zu bringen. Costa-Gavras' epochemachender Klassiker ist ein unversöhnlicher, ein polemischer, mit viel Wut im Bauch entworfener Denkzettel. Konzentriert und temporeich schält sich das Narrativ bis in die obersten Instanzen der Regierung vor und veranschaulicht präzise, welch virulente Kraft ein von höchster Ebene legitimierter (respektive: initiierter) Komplott besitzen kann, der sich selbst damit brüstet, dem ideologischen Mehltau in der Gesellschaft Einhalt vor einer weiteren Verbreitung zu gebieten. Der Rest muss machtlos mitansehen, wie all die Werte in Flammen aufgehen, auf denen man seine Lebenseinstellung errichtet hat. [...]

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                                                    [...] Natürlich wirkt es nicht sonderlich glaubwürdig, dass ein so weltgewandter, reflektierter Bediensteter des deutschen Geheimdienstes noch nie in Versuchung gekommen ist, sich kritische Gedanken über seinen Arbeitgeber und dessen internationale Operationsmethoden zu machen. Die Figur des Martin Behrens aber ist ohnehin sehr stereotyp angelegt, erfüllt er doch die obligatorische Rolle des Einzelkämpfers, der sich einem ganzen System in den Weg stellt und damit zum menschlichen Sinnbild des nationalen Misstrauens gegenüber politischen Gefügen wird. Dass dieser Charakter dennoch funktioniert, liegt an dem wieder einmal famosen Ronald Zehrfeld, der selbst so augescheinlich flach angelegte Persönlichkeiten noch vielschichtige Facetten abringen kann – oftmals nur durch kleine Gesten und unsichere Blicke. Ohnehin ist es den durch die Bank weg blendenden Schauspielleistungen zu verdanken, dass Das Ende der Wahrheit wirklich funktioniert.

                                                    Denn wenn man ehrlich ist, dann hat es derlei Polit-Thriller wie Das Ende der Wahrheit im amerikanischen und europäischen Raum schon immer gegeben. Philipp Leinemann versucht das klassische, mit politischer Agenda ausgestattete Spannungskino nun auf die Kinolandschaft seiner Heimat zu übertragen und formuliert sich dabei durchaus ambitioniert dahingehend, tagesaktuelle Bezüge zu forcieren und skeptisch zu durchleuchten. Inszenatorisch erweist sich der Film als durchaus solide, oszilliert visuell zwischen Kino- und Fernsehspiel-Ästhetik und lässt ein tieffrequentes Raunen auf der Tonspur reichlich Unbehagen verkünden. Neben Ronald Zehrfeld ist es vor allem Alexander Fehling (Im Labyrinth des Schweigens) als Patrick Lemke, der in diesem moralisch-morschen Netz aus Intrigen und Machtspielen ein weiteres Mal seine ungeheuere Qualität zum Ausdruck bringt. Ein zusehends gebrochener Karriererist, der nach und nach von seinen eigenen Bestrebungen verschlungen wird. [...]

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