craax - Kommentare

Alle Kommentare von craax

  • 2 .5

    Ein ganz ganz
    ganz übler „Film“.

    Speziell gemacht für Leute, die erst, wenn überhaupt, auf einem Schlachtfeld merken würden, worin der Unterschied zwischen Realität und Kintopp besteht.
    Aber keine Bange: keine Gefahr, sie tun es nicht.
    Denn wer so dumm ist, bei diesem Krasswerk nicht zu merken, wie der Hase läuft: dürfte auch sonst ewig schier nichts mitkriegen.

    „Zu Hitler fällt mir nichts ein“: Karl Kraus‘ Abschied vom Comment.
    Hierzu geht es mir ähnlich : Nur an den Rest der Welt : behaltet Amerika im Auge. Wo so etwas durchkommt: ist Etwas zu Allem fähig! Obacht! Das Kind geht an den Schrank mit Papis Atombomben! Schnell hinzu und ernsthaft gekümmert! – Oder am Besten : die Waffen aus dem Haus schaffen. Der labile Sprößling: scheint geistig ein bißchen zurückgeblieben, bei aller Fingerfertigkeit.
    Paßt mir bloß auf diesen Hallodri auf! Ich spüre, wenn das groß genug ist,- kommt einiges auf uns zu – die das für bloßen Spieltrieb hielten. Ich ahne ernsten Amok! Ich sehe, wes Geistes Kind das ist – nämlich gar keines‘. Da ist kein Geist: nicht mal ein Kopf, vielleicht nicht einmal eine Seele.

    Wo sowas herkommt: da gibt’s noch mehr.
    An den Reaktionen darauf kann man Entscheidendes erkennen. Hier entsteht Anlaß zur Besorgnis. Für Nachhilfe von innen scheint es zu spät. Daher der Appell an den Rest der Welt : haltet d i e s e s Amerika bloß auf – bevor es zu spät ist!

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    • 8

      Liebesfilme sind immer schwierig. Das liegt am Thema. ‚Liebe‘ ist heute eine bedrohte Spezies dadurch, das sich der Begriff so ungeheuer ausgeweitet hat. Was ist Liebe? Spezieller: „romantische“ Liebe? – Geben Sie’s zu: wenn Sie meinen, das Sie das mit der Liebe zur Not noch hinkriegen könnten,- mit der hinzuzufügenden Komponente glaubhafter „Romantik“ (nicht Schnulze) wird’s schwierig.

      Heute wird nicht weniger geliebelt als zu allen Zeiten. Aber die Romantik hat’s schwer wie eh und je. Die Romantik ist ein höchst subjektives Ding. Und ist vor allem deswegen so schwierig, weil es sich um eine Begegnung mit sich selbst handelt – aber in den Schauplatz eines anderen hinein verlegt.

      Die Zeitgenossen scheinen so querköpfig. Fast jeder besteht darauf, er – oder sie selbst zu sein. Von daher ist der verfügbare Innenraum begrenzt. Zwei Seelen haben, ach, kaum Platz in einer Brust bequem. In der Regel gilt : muß einer weichen,- sollst Du es sein. Das eine wohnt im Klo, schläft gekauert in der Badewanne, möglichst unauffällig versteckt in einem ansonsten großzügig gestalteten Loft – in dem das andere sich ganz Zuhause und ungestört fühlen kann. Von daher wird’s eng – wenn es sich um (echte) Romanze handelt, (- oder vielmehr, tut es selten,- : fast immer ist es eher darum zu tun, das es sich, wo es sich zu handeln scheint,- handeln soll, absichtlich - unabsichtlich.)

      Ich ziehe meinen Hut gemeinhin n i c h t vor den Versuchen, eine romantische Verwicklung zu bewerkstelligen (auch nicht im Film). Zu oft handelt es sich um öligen Seelenspleen, billige Gefühle, allzu glatt zu habende Vertrau(m)lichkeiten. Wenn es sich um Romantik handelt,- muß es sich notwendigerweise um Radikales drehen,- entsprechend der Situationsbefindlichkeit einer hochbedrohten Art. Natürlich gibt es jede Menge Liebelei: darum geht es hier aber nicht. Es geht um würzige, „echte“, „wahre“, „gelungene“ Romantik. Und das ist in diesem Sinne eine Metapher: für Absolutes, für die Wurst, die aufs Ganze geht. Um den Kuchen an sich, nicht ein Stück Mundvoll. Für den GRoßen Traum. Dazu muß man entweder sehr simpel gestrickt, zurückgeblieben, fatalerweise unerwachsen, oder s e h r verwegen und wagemutig sein. Wer heute noch versucht, den Traum von Romantik zu beleben, Romeo und Julia zu spielen, kriegt entweder gehörig aufs Maul,- oder ist ein kühnes Stück Held/in wie weiland Mondfahrer oder Christa Columbus, die aufbricht, gegen jede Rätlichkeit die Neue Welt zu entdecken. Reden Sie nicht, Romantik ist außer Kurs. Sie war es immer, dorthin. Romantik war stets eine Sache der Ausgeflippten und Idiomatischen – ein seltenes Unternehmen. Und noch seltener (deswegen?),- ein solches, mit nur einer eher sehr eingeschränkten Aussicht auf Erfolg, siehe Shakespeares Novelle. Romantisch sein heißt schon fast so viel, wie ein Narr, ein Selbstquäler, ein Scheiternder,- am besten alles zusammen, ein selbstquälerischer Narr – oder ein närrisch Scheiternder,- zu sein. Von daher: ist es mehr als gewagt, davon einen Film zu drehen sich zu trauen. Kommt trotzdem immer wieder vor: die Leute lieben nun mal solchen Kitsch: sie ...brauchen ihn wohl. Sic?

      Da man beim Thema nur virtuos scheitern kann,- geht es mehr um eine Art Bekenntnis,- mehr eines Coming Out. „Ich glaube an Romantik, ich brauche den Traum von der schicksalhaften Liebe“ hat etwas vom Bekenntnis, auf einem Polterabend einen angebotenen Drink abzulehnen mit den Worten: „Nein danke, ich habe es meinen lieben Anonymen Alkoholikern versprochen, auch heute nichts anzurühren“, (höchstwahrscheinliche) Garantie für den Verlauf eines weiteren netten ungestörten Abends. Es handelt sich zuerst um das Geständnis einer hochnotpeinlichen persönlichen Schwäche: ‚Ich weiß, es ist blöd, aber ich kann nicht anders – ich brauche diese freakige Idee zum Leben‘. Da ich so gut wie keinen Film (und kein Buch) kenne (‚Werther‘?), welcher der Materie auch nur annähernd gerecht werden kann (außer Musik vielleicht, aber auch da: Vorsicht!!),- geht es wohl darum, wie mehr oder weniger gloriös das Unausweichliche – daneben – trifft und n i c h t verwirklicht ist. Also: wir rechnen nicht damit, einen gelingenden „romantischen“ Film zu sehen,- sondern freuen uns schon, wenn es nicht zu dumm in die Brüche geht. Das Scheitern sollte wenigstens, eingedenk des einmal zu registrierenden Bekenntnischarakters überhaupt (wie eine Eintrittskarte zu einem exklusiven Club, bezeichnend sowohl für Veranstalter wie auch Besucher) sich auf nicht zu niedrigem Niveau abspielen. Das Leben ist schon ernst – ebenflach– genug angesiedelt,- vom Platten umzingelt,- bar jeden höheren Anspruchs. Nur Träumen wird ja wohl noch erlaubt sein. Manche brauchen diese Art Betätigung. Die drehen oder besuchen dann solchen Film. Was kriegen sie wohl vorgesetzt?

      Bei mir war‘s so ( will mich aber nicht reinwaschen), ich mag John Cusack und werde früher oder später alles sehen, was von und mit ihm zu haben ist. Nun war dieser blöd übersetzte Titel dabei (er muß blöd übersetzt sein, obwohl ich das Original nicht kenne), (s o hat es was von der watschigen Eleganz eines „Hausfrauenreports“ oder „Raumschiffs Enterprise“). – Ich sah also diesen Cusack-,- und ‘ist ja auch – die zahlenden Hausfrauen bezeugen es - Romanzen-Liebeskomödienlieferant (kennen Sie übrigens "War Inc."?- mein liebster). -Halt ein Knuddelbär. Frauenmöger. Manche Typen – ecco – ohne schwul sein zu müssen – mögen’s (mit ihm) auch. Er ist einer der wenigen, die überhaupt in der Lage sind, einen amerikanischen Film zu drehen,- ohne das darin - wenigstens als Zitat,- an irgendeiner Stelle – ein Schießeisen, die amerikanische Ikone, vorkommt. Das Einzige, was hier einmal in einer vergleichbaren Szene gezückt wird,- ist ein Handy. Nun gut, ‘kann auch anders. Hier war’s zum Glück nicht nötig. Sag ich doch.

      Geh da also hin und seh einen Film, der sich um eine romantische Liebesverwicklung spult. Und siehe da:

      Gar nicht so dumm. Von Anfang an wird konsequent auf jeden realen Bezug verzichtet. Man schlüpft in einen Mantel überkommener Vorstellungen, die eindeutig morphetischen (narkotisierenden) Ursprungs sind, und unverzichtbare Ingredienzen eines metaphysisch ausgerichteten Seelenhaushalts inbegreifen. Hülsen eines emotionalen unausrottbaren Grundbedürfnisses „romantischer Seelen“, welche unabhängig bestehen von üblicherweise vorhandenen geregelten Bedürfnisbefriedigungseinrichtungen wie Sex-, Verhältnis-, und Ehefunktionalismen. Es ist die Seele abseits des vorsehbaren Alltags, die da träumt, - und zu träumen nicht aufhören – wohl könnte,- aber nicht mag. Weil sie dann zu flüssigfett mager würde, zu verhungert – zu klapprig, zu dürr – zu ungewichtig, zu sehr – am vorhersehbaren Ende wäre. Die Seele, mancher, will diesen Freiraum: eingestanden,- siehe oben,- sie braucht ihn – zu sehr. Sie will ihn.

      Cusack in einem traumhaften Ambiente, mitten im für pure Romantik schwierigsten Terrain der Welt,- am Grabbeltisch von Bloomingdales in New York,- verhaspelt sich da also in einen gleichzeitigen Handschuhkaufzugriff mit seiner eindeutig zukünftig Gemeinten,- und schon geht die Malaise los. Wir gehen, wieder mal, nicht zu sehr ins Detail: wer sie erfahren will, soll sich den Film ansehn bitte schön recht sehr. Dies hier ist ein Zusatz, keine Inhaltsangabe.
      Von Anfang an verzichtet der Film darauf, zwar nicht die Alternative: „vernünftigen“ Beziehungsaufbaus, vorzustellen,- aber er entscheidet sich konsequent für sein spinnertes Gegenteil: darauf beruht die ganze Magie des Plots, wenn er denn zu funktionieren gedenkt: darauf, zu glauben, das die ferne Begegnung, so unscheinbar und äußerlich kümmerlich sie war,- wirklich die zwei aufeinander Gezielten meinte: das sie denn in der Tat füreinander bestimmt waren – das heißt, in dieser grundlegenden Beweisführung, - SIND - (Punkt.), und das bedeutet: das nicht nur sie-, das wir jeder alle es sind – sein könnten,- wenn wir nur so radikal den Preis dafür hinzublättern bereit wären wie es die beiden hier (endlich) so wollen.
      Wenn wir nicht von Anfang an bereit wären, an diese Bestimmung zu glauben, die anfangs mehr einer fixen Idee ähnelt,- und mit den beiden in all ihre Verwicklungen hineinzugehen in eine Hoffnung auf das einzig mögliche vorbestimmte Ende,- dem Denken des Undenkbaren ,- würde der Film versagen und an uns vorbeigehen. Unsere Sympathien dürfen von Anfang an n u r auf Seiten dieser einzigen Beiden sein (ansonsten man sich in die gehobelten Späne hineinzuversetzen moralisch verpflichtet wäre). DIE beiden also. Und in der Tat wird schweres Geschütz aufgefahren,- um uns den aufrechten Glauben an diese reale Möglichkeit zu vermiesen. Alles und jedes, was Vernunft zu haben und so zu sein (vernünftig) scheint, ist eindeutig dagegen: alles und jedes muß erst davon überzeugt werden,- das es zusammenzupaßen hat; und, wie von Anfang an, wenn auch äußerst uneinsichtig,- offenbar doch von einer mysteriösen Vorsehung, die das Unmögliche möglich macht,- so geplant,- wenn wir nur zäh genug wären, durchzuhalten – gegen jede Vernunft.
      Das allerdings ist ein kühner Glaube.

      Es ist geschickt genug eingefädelt: das Fatum wird äußerst passend in die Geschichte zwischen den beiden eingewoben: eigentlich handelt es sich um einen Flotten Dreier. Zwischen den beiden mag es funken; wir mögen es glauben (auf gut Treu‘), auch wenn wir es nicht sehen. Ist auch gar nicht so wichtig, also angenommen, es sei so. Schon spinnt das Schicksal seine Fäden: sie drücken – natürlich – beide, genasführt, zwar richtig denselben Fahrstuhlknopf des bestimmt zutreffenden Stockwerks. Als ob aber dieser Sechser im Lotto der Schwierigkeiten nicht genug bietet,- mischt sich nun noch ein verzogenes Teufels-Elevenchen ein und bringt die Karten nochmals durcheinander: und immer handelt es sich um Sekundenbruchteile des gegenseitigen Verpassens,- bevor wieder Ruhe in den zerschmissenen Karton einkehrt. Zurück bleiben ein paar Bröckchen von Hinweisen und schicksalshaften Verwicklungen: eine Banknote mit einer Adresse drauf, für s i e, und - i h n eine ebensolche als Widmung der antiquarischen Ausgabe „Liebe in den Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marquez – sehr sinnig (übrigens eine keineswegs zufällige Buchwahlgeschichte, so wundervoll wie der Film, und also im Gleichtakt – willkommen im Club).
      - Und ein paar weitere Hinweise aus den wenigen anderthalb Stunden der Gemeinsamkeit: Kerninformationen: Cassiopeia, der Paul-Newman-Film, die jeweilige Handschuhhälfte (mit Kassenbon+Tüte), die Pistasserie >Serendipity<, – eine Eislaufbahn,- das Astoria,- das Kaufhaus, zwei Vornamen. Eine Banknote und ein Buch, das beide – gegen jede Wahrscheinlichkeit – wieder zusammenführen soll – wenn das lachende Dritte Schicksal es also will. Und natürlich will es, muß es so wollen – weil es uns nur so recht wäre und ist. Also pariert es,- und das ist auch gefälligst so. Das wollen wir ihm geraten haben. Denn auch das Schicksal weint nicht gern solo, weil w i r uns woanders rumtreiben – fernerhin ungläubig enttäuscht von so viel Befreundungs- und Treulosigkeit. - Es überlegt sich’s also und wendet die Sache, bis alle wir zufrieden sind; aber bis dahin muß einiges an Verwicklung den Bach runter.

      Das Nette an der Story ist, das die Story nicht allzukünstlich verkompliziert werden muß. Die Ausgangslage ist schon so hoffnungs- und aussichtslos verworren, das sie sich eine relativ geradlinige und stringente Auflösung des einmal geschnürten verflixt verwuselten Knotens sich leisten kann und mag: die so herbeigepurzelte Verwirrung möglichst „schnell und einfach“ wiederaufzulösen,- ist anstrengend (und unterhaltsam) genug, hält uns genügend in Atem und im Verlauf des Films bei der Stange. Eine Anzahl Jahre sind überraschend alsbald verflogen, und beide Bestimmten stehen kurz vor der – unbestimmten – anderweitigen Verheiratung (sind wir zumeist mißglückte Fehlgänger?) . Beide Partner sind höchst schlüssige vernünftige Wahl: nur eben nicht schicksalhafte, sondern Überzeugungslösungen“,- 95 %-Lösungen – gleichwohl die gewünschten 100,- nicht. So weit treibt blinde Romantik es (den Risikofaktor): Alles oder Nichts. (Was soll man raten?) Wir wissen nicht, was dieser freundliche Tankwart empfiehlt: der Film rät, aufs Ganze zu gehen, radikal.

      Beide, kurz vor dem Schlußaus, kriegen ihre jeweilige Kurve für sich und entsagen ihren Träumen, die diejenigen des Schlafs der Vernunft darstellen: beide überzeugen ihre vertrauten besten Freund/-innen, so inkonsequent dämlich (nach Epiktet) zu sein dafür an ihrer Seite,- wie nur möglich. Beide sagen (also) getrennt die Hochzeit – auf blauen Dunst hin, ab (Fluch der Schwiegereltern). (Niemand redet von den Verletzungen enttäuschter anderer Lieben): wahre Romantik ist höchst selbstbezogen: Romantik kennt nichts und niemand,- keine Verpflichtung als die Vorliebe gegen sich selbst. Romantische Liebe ist nicht blind: sie sieht nur ausschließlich in den Spiegel, und was sie dort verzückt erblickt, ist das schönste Antlitz, das es je sah. So ist das, aber es ist so. – Auf jeden Fall wütet es dergleichen.
      Und als das Schicksal bekommen hat, was es – von Anfang an – wollte,- revanchiert es sich, und kann es sich endlich leisten, im Gegenzug ebenfalls großzügig zu sein: die Banknote -, Buchwidmung -, sie finden zurück ihre angestammten Orte und rechtmäßigen Besitzer,- punktgenau setzt romantischer Schneefall ein wie eine Verkündigung,- die Liebenden haben nichts weiter mehr zu tun mehr als zu herzen und zu schnäbeln,- (was sie daran wohl anders finden? Kuriositäten und Merkwürdigkeiten der menschlichen Zuchtwahl),- Endte gut, alles gut: tout trois sind zufrieden und haben was sie wollen (sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst): Er, Sie, Es – und die paar Unzufriedenen und mäkligen Verlassenen zählen nicht, denn schließlich sind sie bloß Staffage,- so lange bis sie merken dürfen : auch auf sie wartet doch irgendwo da draußen – ihr bestimmter Traum. (Anche io sono pittore). Denn wenn es nicht dieser (bereits Vergebene) war,- so war es doch sicher,- ist das Sch-euksal etwa nicht gerecht?- irgendein anderes -, und also, Ende gut, alles gut: von hinten betrachtet wird ein gezäumtes Pferd draus. Wer wahrhaft liebt, g l a u b t (besser), das es Bestimmung war – und Bestimmung war, was wahrhaft liebt. Zu närrisch, wenn wir etwa zum Narren gehalten worden wären – von Genen etwa, oder anderen Zufällen. Acht Milliarden Menschen, vier davon für jede/n: Kranke, Alte, Kinder, Mezotheken abzüglich: bleiben noch ungefähr eine halbe Milliarde übrig. Genug für jede Menge Russisches Liebesroulette vom Akkuratesten.
      Faites vos Jeux. Das Schicksal wird’s schon richten. Und sollte es noch nicht passiert sein, sind die ‚Zehn Jahre‘ Hausfriedensbruch eben noch nicht um. Lobe den Herrnabend nicht vor dem Tage. Niemals unvernünftig sein: gehe aufs Ganze. Du wirst nicht gewinnen, aber es wird dir so vorkommen. Und das ist es was zählt. Nicht siegen: aber glauben zu siegen,- macht den Sieger,- den siegreichen Genuß zumindest. Das Glück ist eine Illusion: wenn man Romantiker ist. Man ist vielleicht daneben, voll daneben, vielleicht: aber man fühlt sich wunderbar dabei. Egal, was es andere kostet – Hauptsache, sie sind gedeckt, jene Schecks, die das Schicksal ausstellt,- und wofür anderswo geschuftet wird. Das ist jedoch schon in Ordnung. Denn schließlich, wie die anderen für u n s,- gehen auch wir den ganzen Tag malochen schwer : um die Unkosten der Illusionen a n d e r e r zu decken. So ist für alle gesorgt: Hauptsache glücklich, jeder in seinem Wahn. Wer an Bestimmung glaubt, sollte sich glücklich schätzen: denn er hat eine, und fühlt es. Und mehr ist nicht zu wollen: bis ans Lebensende nie zu wachen. Denn seine Bestimmung zu erschaffen, nicht zu finden: ist mühselig - denn o h n e das Schicksal bliebe nur eins: du mußt selber ran.
      „Willst du, das etwas richtig getan wird, mache es selbst“. Siehst du; so beladen oder mit einem roten Tütchen am Armbenzel könnten deine Erdentage sein. „Im Schweiße deines Angesichts...“ sollst du sogar lieben ; oder dich beglücken und begatten lassen; doch schau trau wem. Das war’s.

      PS* der Originaltitel lautet übrigens SERENDIPITY ( d. i. ‚Glücklicher Zufall‚ Fügung, schicksalhaft gewogenes Zusammentreffen‘). Na klar.

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        Es ist immer zweischneidig, Dinge offiziell abzulehnen, denn wer den abgelehnten Gegenstand noch nicht kennt, wird im Grade des Interesses der begründeten Ablehnung zur Kenntnisnahme mit ihm hinverleitet. Aber da man die negotiablen Dinge, um dies geht, in ihrem Ursprung – höchstens der einen oder anderen (warum also dieser-nicht?) Erscheinungsform nach - eh nicht ignorieren kann,- seis drum.

        Worum also handelt es sich? – „Außerirdische überfallen die Welt und schlachten jedes menschliche Wesen ab“ – Blödsinn. Das ist kein Film über Außerirdische. Sie kommen so gut wie gar nicht darin vor. (Nur einmal darf der Hauptdarsteller ausführlich in den Eingeweiden eines Exemplars herumwühlen und wahllos darin herumstechen – und stochern um (“verdammt, wie tötet man dieses Ding!?!“...) diejenige Stelle zu finden, wo es hinzulangen gilt. Wenig originell : denn das Lindenblatt sitzt, wer hätte das gedacht, irgendwo genau dort mit-tendrin, „rechts von der Stelle, wo bei uns das Herz sitzt“. Wenn.

        Um Außerirdische geht es nicht. Worum also. Darum, das Gefüge eines Platoons von innen zu zeigen, und bei dem, was ihm am meisten Spaß macht: Kriegesk(r)ampf nach Herzensdampf - und -lust. Man hat das Gefühl, weit mehr als bei Old Shatterhand, im Inneren des ferngesteuerten Roboters der Psyche eines ( überdimensioniert unreifen) Zwölfjährigen zu sitzen, der auf Gedeih und Verderb Cowboy und Gendarm um jeden Preis spielt. Dieser Zwölfjährige allerdings wäre ein äußerst einschichtiges Exemplar seiner Art. Was ein Zwölfjähriger bei derartigen Spielen allerdings ernsthaft lernt : den Umgang mit seinesgleichen nämlich,- dürfte allerdings bei Dreißigjährigen nicht mehr das Thema sein. Hier allerdings –

        Was ist zu diesem Film zu sagen ? Bedenkliches, nur Bedenkliches. Von Anfang an geht es nur um eins: „Kämpfen“. Dieser Film reduziert einen Aspekt des zeitgenössischen Film-Appeals überhaupt auf ein Minimum: des umbringbaren und dagegen sträubenden Fleisches. Die Bilder brauchen nicht lange, um zur Sache zu kommen: kaum das sie sich Zeit nehmen, einen Konflikt des Staff-Sergeant Nantz, des einsamen Überlebensheldes der „Geschichte“, anzudeuten,- bevor es auch schon losgeht – und , Entschuldigung, zuvor die einzige komische Stelle des Films, als der Reihe nach die ganze Kompanie an dem ums Verrecken voranjoggenden Fitnesstrainierenden („Morgen Sergeant!“ –„Morgen!“ –Schönen Guten Morgen, Sir!“ -) – locker vorbeizieht. Ab da geht es mit dem Filmsergeant bergab. Die besten zwei Minuten des Werks sind vorbei. Denn es waren die einzigen menschlichen Minuten. Ab da ist der Mensch: tierischer Instinkt. Aber einer, der nicht nur Angst hat. Er will auch vernichten. Denn er hat Grund dazu. Das andere ist böse und gehört – siehe oben, puncto Eingeweide, wenn man nur wüßte wie?

        Von Anfang an: kracht es, brummt es, zischt es, rummst es. Die Wackelkamera will uns ins Unmittelbare der einzigen Wahrnehmungsperspektive von innerhalb eines Kampfes, der Instinktreaktionen hineinkatapultieren. Zum Denken ist keine Zeit, wer denkt, ist bereits tot. Die Außerirdischen legen los: einzige Teil-Kerninformation liefert ein stets funktionsfähiges Fernsehen. Auch im echten Krieg weiß keiner genau so, warum und wohin er gerade zu welchem Zweck das tut, was er tut, (außer: weiterleben). Im Krieg fehlt die Übersichtsperspektive, die Historie erst später darüberlegt. Im Krieg gehts erst einmal voran und durch und das bloße Ende muß, nach Möglichkeit dessen, der‘s versucht, erreicht werden. Das ist das Einzige, wo (wenn man verzweifelt nach Positivem sucht) hier fündig werden kann: wie in echt fehlt jede Orientierung. Das ist gekonnt nachvollzogen. Im Übrigen also: wie das Leben, das nochnichtSterben ist- selbst.

        Das Platoon: beim noch ahnungslosen Feiern bis zum Abkotzen. ‚Sympathische, normale Jungs‘, die einer nach dem anderen verschwinden, weg sind. Ist aber egal: wo gehobelt wird, fallen Späne sagt höchstefalls der Span, der erkannt hat, ein Span zu sein und nichts weiter. Ein angedeuteter menschlicher Konflikt im zweifellos von Anfang an rein militärischem Umfeld : ein Sergeant, welcher als Einziger das einstige Massaker seiner Truppe (jenesmal in irgendeinem Realkonflikt a la Bagdad) widerrechtlich überlebte. Ich schwöre: ich habe damit den ganzen zusammenklaubbaren Ideengehalt von zwei Filmstunden zusammengekehrt. Der Rest ist: Materialschlacht.

        Sie lieben Materialschlacht? Ich leider auch, unumgänglich: denn das Himmelreich gibt’s nicht zum Flohmarktpreis. Aber wenn man sich schon anstrengen muß: so doch nicht um jeden‘ . Es gibt Taten und Taten. Die hier sind bedenklich. Sie sind mehr als das.

        Noch nie sah ich ein derart hirnloses Rumgeballere- und -gemurkse. Ein animiertes Computerspiel? Wie andersherum: diese bringen den Aspekt des Filmfights in den einzig zentrierten Mittelpunkt. Hier ist es umgekehrt: hier wird versucht, ein Fight-Computerspiel mittels menschlicher Darstellung zu reanimieren: reale Personen versuchen ein (ultrabrutales) Computerspiel umzusetzen und darzustellen.

        Die Story ist in zwei Sätzen, wenn auch von mir, erzählt. Hero wird mit seinen Leuten hinter die Linien geschickt: der Soldat, dein Freund und Helfer,- ein paar dringlich vermißte anonyme (fünf) Zivilisten (jeder zählt sonst zählt meiner mehr),- letzte Überlebende einer Millionenmetropole wie Los Angeles, loszueisen und heim ins Reich zu holen. Da lohnt sich schon ein militärischer Kraftakt: schließlich sind es Z i v i l i s t e n (das ist irgendetwas dem Militär Sakrosanktes, ich weiß auch nicht, oder, wie der Film an einer (stimmt, weiteren unfreiwillig komischen) Stelle sagt, „das, wofür wir bezahlt werden“) (wer in diesem Fall wohl wie und wo den nächsten wann und wo einlösbaren Gehaltsscheck unterschreibt?). - Außerdem soll in drei Stunden die Air Force alles platt machen. Das läuft im Chaos pünktlich wie die Uhr. Lu-stig, wenn auf die Sekunde genau im Weltuntergang das Eintreffen des angekündigten D-Zuges erwartet wird. Schließlich hat die Air Force unter Umständen auch nichts anderes zu tun, als ihre vermißten Jungs herauszuhauen (denn: ‚niemand wird zurückgelassen‘).

        Die „Marines“ sind im Eigengebrauch ebensolche Fetischisten wie die „Wing Commander“. Die Infanterie waren immer die Schachbauern, Kanonenfutter. Nur vor sich selber nicht: wer im Schach dummerweise sich als Bauer findet, tut wenigstens gut daran, sich den Trost der Zahl zu gönnen; und ansonsten sich, so gut es gehen mag, etwas nach Kräften vorzumachen. Das klappt hier schon: die Hybris ist legendär. „Mariner“ ist fast so ein Mythos wie der ange-führte Zivilist, um dessentwillen das Alles geschieht,- zu seinem allgemeinen Besten (nie-mand sage, daß das Militär keinen Zweck habe).
        Sie sollen also ein paar Zivilisten befreien. Das klappt nicht ganz so richtig (die armen armen Kinder!),- dafür aber trifft man unterwegs auf die feindliche Kommandozentrale, die im Grunde unbewacht herumsteht (oder verbuddelt ist) und gerade genug Aufpasser um sich hat, um sechs Angreifern (auf einem Hundertquadratmeterareal) das Leben-Um-Zu-Zerstören ein bißchen noch-schwerer zu machen. Ex und Hopp. Der Sergeant tut ohne großes Rumgerede heldischlicht seinen (Ami -nicht Army) Job. Erledigt. Willkommen zurück. Eigentlich müßte er ja zum Wehen der Flagge untergehen und beweint werden. Ist aber noch nicht so weit. Los Angeles ist noch nicht (wieder) unser. Statt also zu „duschen“ und („im Zelt dort“) zu frühstücken (wo Blaue Bohnen genug paßgenau auf dem Buffetspeisezettel stehen), lädt Hero stattdessen schweigend sein Magazin voll - und seinen Jungs (und Mädel) stehen Tränen in den Augen ob soviel rührendem selbstlosem Einsatz fürs Restvaterland – da muß man einfach und kann nicht anders als sich mitreißen lassen und weiter mitmachen. Auf zum nächsten EinsatzHalali! Das Frühstück kann warten! – „Feine Jungs!“ denkt sich wohl der auf seine Art ebenso tapfere wie angespannte überlastete Oberst (unter der Last seiner Verantwortung,-überhaupt: überall nur Helden),- als sie im Kampfhubschrauber zurück ins Gebimmel fliegen, vor der brennblitz-rauchenden Metropolenskyline.

        Was das ist? Faschistisch, nichts weiter. Oder nur (ur-un-)menschlich? Ich weiß nicht, was da unterscheidbar wäre. DAS ist der Weg dahin. Zielpublikum: das militärbasisstationierte Freiwilligen-Azubigehirn mit höchstens Hauptschulabschluß und dem unausrottbaren Impfglauben, das Uncle Sam „I want YOU“ ein unendlich guter Mann für immer ist, war, und bleiben wird. Er zeigt den Weg und dort wird geredet: nicht viel, aber sinnlos. Eine aberwitzig hirnlose, von jedem guten und jedem Geist überhaupt verlassene, erzdumm – und dämliche lakonische Sprach-Markierung jagt die nächste, - längst für von und seit Ewigkeiten überholt gehoffte Plattitüden werden ganz ernsthaft herausgekramt und zur Beschwörung freigegeben: „Gib diesen Brief meiner Frau“ „Sorg für meinen Sohn“ „Bring ihn hier heraus“ „Laß mich zurück, Idiot“ „Das ist ein Befehl“ „Feine Jungs“ „Denken Sie nicht, das ich mit jedem von Ihnen zu jedem Augenblick tauschen würde?“ „Die Auflistung der Gefallenen mit Dienstnummer“ – das alles darf in seiner Unüberbietbarkeit gar nicht wahr sein. Das hat man seit Nazipropaganda-Filmen so nicht mehr genießen dürfen. Das ist es: hier wird Propaganda gemacht,- für das Finale, im absolut gleichen Geist. Was hier waltet: ist der Kern der Philosophie des Faschismus. Das scheint ihnen zu stark? –ist doch nur Abenteuer? – Schon klar, die Faschisten waren Abenteurer,- Kulturbanausen-Touristen auf sightseeing-worldtravel-Stippvisite, einmal rundherum, alles mitnehmen. Nein. Faschismus ist: das Relikt des jugendlichen Frontgehirns,- einer zu früh zu unfaßbarem Schrecken ausgesetzten und unkorrigierbar zum ewigen Schlechteren verzerrten ungenügenden verkrüppelten Mutanten-Wahrnehmung. Da hilft nur noch das hinfällige Aussterben und eine neue Generation. Was ist Faschismus? Faschismus ist das, was man hier findet. Nicht der Faschismus definiert diesen Film: dieser Film definiert Faschismus. Alles, was hier bezeichnet ist und Ausdruck findet,- kennzeichnet den Kern dessen, was faschistisch ist: Wort für Wort, und Einsilben-Satz für Satz-Lakonisch,- Geste für Geste, Tat für Tatsymbol, Handlung für Handlungs-Andeutung, Gemein für Gemeintes. Die Geschichtsbücher umreißen, umkreisen und umdeuten Faschismus nur : im Politischen, historischer Gesinnungs-Leibwerdung. Was er i s t, ist hier: dieser Film. Hier sitzen Sie im Zentrum und innersten Herz des Faschismus: Mehr ist er im Wesen, tatsächlich, nicht. Erstaunlich, wie wenig das ist. Und wie schlecht. So gering, so wenig dran : ist am Faschismus. Und dieses ein Geringes genügt, die Welt in Schutt und Asche zu legen. Es ist ein Versagen, nichts weiter. Es ist nur eine unspektakuläre Abwesenheit, von jedem Geist und jeglichem Nachdenken. Hier tut dieses Fehlen schon nicht einmal mehr weh. Es wird rumgeballert, das wars. Das ist übrig geblieben: von unserer Welt. Hauptsache, es ist noch genügend Munition da – und Nachschub, an allem, auch Verstärkung, und eine wartende Dusche, irgendwo, im Hintergrund .

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        • 8 .5

          Es ist immer leichter zu sagen, was ein Film-Werk nicht ist. Also nur ein Zugeständnis: kein Action-Film, kein Sci-Fi-Film, keine leicht abspulbare Geschichte, dafür hervorragendes Kino für Leute, welche die Hand des großen Künstlers im Alltag aufzuspüren und mitzubegleiten bereit sind. Schwer, einen Liebesfilm (Film über Liebe) zu drehen, und die unzähligen Fettnäpchen des Kitsches, der Romanze und verluschten Sentimentalität zu vermeiden. Hier gelingt’s (überwiegend). Großartig: die Schlußsequenz, wenn vor der (akustischen) Cassetten-Wiedergabe der allergeheimsten (& abträglichsten) Gedanken über den Liebespartner beide - während es geschieht - sich darüber klar werden, das, was unser Kopf über unser Liebeswunschobjekt denkt und für sich selbst zusammenbraut,- und das, was das Herz dazu zu sagen hat oder die veröffentlicht zugestandene „Realität“ dazu ist - zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind,- bei dem nicht dem höhergelegenen Stockwerk die Priorität gebührt. Ein unglaublich schöner und wahrer Liebesfilm,- Film über die Liebe-, Film über das vertrackte konträre widersätzliche Lieben in uns. Eine wunderschön gnadenlose Romanze für Erwachsene mit einem herrlich offenen wahrheitsgemäßen Ende vollgestopft mit gelungenen Bild-Metaphern (der !Phantasie). Tut es euch ruhig an! - aber hilfreiche Voraussetzung ist: wer genug eigene Geschichte mitzubringen hätte. Nichts für Romeo und Julia -Erstversuche.

          Der Film traut sich an ein "Schwarzes Loch" Hollywoods: was passiert, NACHDEM die beiden Hauptpersonen-Lover zueinandergefunden haben und das jahrelange ("lebensabschnittslange") Liebe-im-Alltag-Abenteuer zu bestehen ist? Die Antwort, die der Film zu geben hat, lohnt sich. Seht ihn euch an! Großes Kino, und ein J. Carrey als ernsthafter Schauspieler, wie man (ich) es nie erwartet hätte zu sehen. Danke, Jim - kannst mehr als Grimassen schneiden und Klamauk abdrehen. Wunderschön, poetisch. Hervorragende K. Winslet. Viel Vergnügen!

          Noch eins (wirklich zum Schluß): - beruht auf technischen Darstellungsmöglichkeiten, die so erst seit ein paar Jahren (digitale Revolution) realisierbar sind (und erfrischend zurückhaltend genutzt werden): genial: der Versuch, dem unbekannten Lover ins Gesicht zu sehen, der immer nur die Hinterkopf-Frisur zu erblicken hergibt – oder der Versuch, das Ende der Straße zu erreichen, die sich bei jeder Wendung zum Anfang verkehrt - : Technik im Dienste der Idee,- und nicht als Selbstzweck. Gelungenes Spiel mit der Verschiebung der Realitätsebenen und des "Ident-Problemes" (der ’Person’ im Sinne der Psychologie) (und bescheiden genug angegangen, die Welt hier nicht auf den Kopf stellen zu wollen : überschaubar im Anspruch, nicht auf pure Revolution angelegt wie – z.B. MATRIX). Ehrlich gesagt: mindestens so gut wie "Beeing John Malkovitch", nur viel poetischer - französische Wurzeln, wie ich eben entdeckte. - Und ein Nobelpreis bitte für’s originalelle verschachtelte Drehbuch. Danke schön.

          Freie cineastische Assoziationen: 12 Monkeys, 6th Sense, eben Beeing J.M., König der Fischer, Big fish... werden nicht viele zustimmen, bleibt trotzdem stehen. Für Leute, die auch mal gerne parallel-Denken während des Zuschauens. Und nun viel Spaß!

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            Ich habe noch nie – doch Gatsby – einen schlechten Film von oder mit R. Redford gesehen. Ein Großer Alter Mann der amerikanischen Filmindustrie – fast ist man versucht zu sagen, Grandseigneur. Zur Hilfe nimmt er diesmal eine ebenso grandeske Meryl Streep, und einen vehement wie immer‘ perfekten Tom Cruise. Übrigens gibt’s da noch einen jungen Studenten, Verzeihung drei, aus der Nachwuchsriege, zur Sporenbekanntschaft. Ansonsten wird geredet, geredet, geredet – nicht das ich das schlecht fände. Ach ja und ein Tablett voll Schnee. Aber der illustriert nur.

            Nun geht die Debatte los: das Hin- und Herwenden der Argumente, welche beredet werden. Nein, geht sie nicht. Was debattiert wird, kreiselt nämlich zu weit von einem radikalen, neuartigen Gedankenansatz entfernt: es ist bei weitem zu konventionell- angepaßt, Nabelschau einer unwissend-bleiben-wollenden Gesellschaftsgeist-Mainstream-Verfassung. ‚Eine im Kreuzfeuer der Tatsachenwirklichkeit stehende Großmacht muß handeln, nicht denken.‘ Zu den Fahnen! (?) oder ? (!) Men in arms: die Weltpolizei reflektiert, warum und wie sie in die-ser Rolle allemal sich wiederfindet, ob es einen Weg hinaus gibt, und was man derweil so zu treiben sich vornehmen darf und sollte oder muß. - Nein, darüber wird jetzt hier nicht debat-tiert.

            Sie wissen (vermutlich), das ich einen abweichenden – viel fordernden- „politischen“ Standpunkt einnehme (denn auch unpolitisch ist politisch). Trotzdem – ich sachlich weit extrasolar positioniert bin – halte ich diesen Film alles andere als für mißlungen oder abzuraten, nur weil ich seinen Impetus grundsätzlich nicht teile (das bin ich gewohnt), sondern im Gegenteil - für durchaus sehenswert, weil er seine (nur arg den erlaubten Status Quo illustrierende Sichtwei-se) wenigstens auf engagierte, intelligente, bewegliche Weise durchficht. Selbst Konservative können mit dieser Art Systemkritik leben. Trotzdem ist es Selbsterkenntnis, die sich in diesem Film zu Wort meldet. Es könnte von hieraus ein Weg, voran, sich ergeben und seinen Ausgang nehmen. Es gibt viel mediokere, kleinlautere Formulierungen des alltäglichen Standpunkts! Und es ist einfach nur ein Genuß, M. Streep (vor allem), R.R. und auch Tom Cruise zuzusehen. Die (gesunden) Argumente werden wenigstens so präsentiert, das man Ihnen folgen mag, ohne sofort den Kopf zu schütteln und ‚Blödmann‘ zu denken. Nutzts nix, so schads nix. Die Zeit war nicht vertan: denn es verwirrt nicht, verwischt nicht, bringt nur eine bestätigte Klarheit durch relativ interessante (genug, um nicht langweilig zu sein) Umgruppierung der beteiligten Argumente. Nein, der Film ist gut: nicht revolutionär, sondern solide -, sogar gelungene Aktualisierung eines altvorderen Problems. Und manche Probleme lassen sich vom Grünen Tisch aus eben nicht beheben,- nur verfolgen. Dieses Werk gesellt sich dem ewig durch Reden ungelösten Krieg- und Friedens-Problem bei und bringt es auf den heutigen Tagesstand. Mehr sollte man vom Zelluloid, tschuldigung, der Festplatte, nicht erwarten. Wie sagte Goethe: „...das Kunst wohl zu geleiten,- doch zu leiten nicht versteht“. Das, mit Verlaub, müssen Sie selbst wohl schon , für Ihr und das Leben ihres Kreises, übernehmen. Trotzdem: sie erfahren auf interessante, lohnenswerte, ja spannende Weise – n i c h t s N e u e s . Tun Sie’s nur. Viel Vergnügen. Gute Unterhaltung.
            So ein Durchschnittsprodukt muß man erst mal zustandekriegen. Es ist viel schwieriger als man denkt. Denn wenn man sich löst, ist ein origineller Standpunkt einfach. Wer es nicht tut, sondern mit dem Klotz aller gesellschaftlich angebundenen, unabgetrennten Beilast einen flotten Dreier hinlegen will: tut viel schwerer, einen anmutigen Walzer, wie von allein, hinzulegen. Das Schwierige an dieser Art Werk ist es: das gemeinsame Riesenschiff nicht zu verlassen, und es trotzdem manövrieren zu lassen, als wäre es ein elegant biegsamer Rennflitzer. Eigentlich geht das nicht. R.Redford hat es wieder, vor allem mit Meryll Streep, geschafft. Grandios, die beiden. Grand old man – und woman. Tolle zwei. Sie lohnen, durch ihre unaufgeregte, grundsolide, fundierte, weit in die Tiefe reichende erwachsene Darstellungs-kunst, ja ihre Art, w a h r zu sein,-
            immer. Danke schön.

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            • 8

              Ein Jammer ist es, durch’s Internet zu zappen und sich all die geistverlassenen, gedanken- und reglosen Anmerkungen von Glotzern durchzusehen, die überwiegend dieses neue Werk von Oliver Stone begrüßen, und bei denen scheint’s allein die Augen Zeugen von dem zu werden anschicken, was sich auf der Leinwand hoffentlich möglichst laut, schnell bunt und kraß ereignet. Ich persönlich bin ein höchstens durchwachsener Anhänger dieses speziellen Filmschaffenden; aber man muß ihm seine Meriten lassen (JFK oder Thirteen Days sind ziemlich klasse).
              Wie viele finde ich dennoch Oliver Stones Filme zu plakativ, demonstriert und wenig tiefschichtig; zu ideologisch, trendsetting und einfach strukturiert. Er hat keine Größe; es ist ein wenig zuviel blutleere Intellekts-Recapitulatio, „linker“ Welt-Vereinfachungs-Totale darin. Trotzdem mag diese Weltsicht zwar simpel,- doch nicht grundlegend falsch liegen. Das wäre sie nur, wenn sie behaupte, sie in ihren Grundfesten umfassend zu definieren; das tut sie jedoch meines Wissens nicht. Sie beobachtet Teilaspekte; und in den Grenzen des beobachteten Areals stimmen die Thesen. Das einzige, was fehlt, ist ein klarstellendes Statement: das sie nur ein perspektivisches Bruchstück darstellen,- und nicht den ganzen Menschen wollen.
              Ich denke mir, das viele „den Fehler“ O. Stones auch in meinem Schreiben konstatieren: eine zu einfache, plakative Weltsicht und Schwarz-Weiß-Malerei. Diese Übertreibungsmanie, um die Proportionalverhältnisse besser herauszumeißeln, hat jedoch einen Vorteil: sie ermöglicht klare Standpunkte und Entscheidungen, Für und Wider. Keine Weichspülerei ; kein unentschiedenes Verständnis für alle möglichen Sichtweisen; keine Ambivalenz; kein endloses Gerede; Ein Punkt am Ende des Satzes, der das Ende einer Darlegung markiert. Dieses (Enden) ist künstlich? – aber nützlich. Ein nachdenkenswerter Monolog ist manchmal produktiver als ein nicht enden wollender Dialog. Die vertretene Meinung darf ruhig einfach sein – sie darf nur nicht ZU einfach sein. Sie darf nicht ZU dumm sein.
              Und diesen Vorteil bietet das Werk O. Stones (meiner Ansicht nach) zweifellos : einfach, aber prinzipiell richtig; und mancher provokative Satz klotzt goldrichtig. Schließlich sitzen wir im Kino und nicht zusammen beim Tete an tete auf der Couch, wo es nerven würde, mit jemandem nur über publikumswirksame Statements zu verkehren. Aber es ist ja eben nicht so: Kino ist öffentlicher Raum und keine private Plauscherei. Öffentlich darf auch schon einmal der Holzhammer winken, um eine markante Duftspur am Straßenstiefel ruhig zu hinterlassen (Goethe: „Sobald man aus dem Hause tritt...“) – wenn es nur nicht die heimischen Pantoffeln sind, die über den familiären Velours streifen. Und der Holzhammerzuschlag: scheint, man sehe die Spur-Schneise, die Wall Street 1 hinterlassen hat (das vielen gefiel) durchaus positiv registriert worden zu sein.

              Die Verwüstung, die der Fortsetzungs-Teil 2 nun hinterläßt, scheint anderer Natur zu sein – warum eigentlich frage ich mich, wieder einmal so sehr wie vergebens. Was ich sah, war ein überraschend würdiger, ja in vielem sogar abgeklärterer und stoff-durchdrungener- und beherrschenderer Überblick über den Motor, der die Moderne der Gegenwart (des beginnenden Einundzwanzigsten Jahrhunderts), die mitzuerleben uns aufgegeben ist,- antreibt: Geld, Geld-„Wesen“ und „globale Finanzmärkte“. Das ist alles ein viel zu grobschlächtiges und persönliches Fazit einer viel komplexeren und undurchschaubaren Maschinerie, zumal es negativ ausfällt? Auf Banker und die leidige Erfindung des Geld-Tauschmittels zu schimpfen ist zu sehr en vogue,- und einfach? Karl Marx ist Doktrinär von Vorvorvorgestern,- wenn die Information in fünf Minuten alt ist und abends ein Dinosaurier?

              Ich widerstehe der Versuchung, ins Detail zu gehen. Vielen hat der Fortsetzungs-Versuch „Geld schläft nicht“ nicht gefallen, O.S. hätte den Biß verloren; ich sehe, das er, ohne preiszugeben, was dem Original Biß verlieh, ersetzt hat, was dem ersten Teil fehlte und abging; den Blick über den vielgeschmähten Tellerrand hinaus, auf das, was den Broker, nach seinem bitteren Feierabend, weiterhin noch umgibt, und was auch nicht untergehen wird, wenn die Finanzmärkte – Vögelchen fft fft fft, wie der uralte halbsenile Banker macht – endgültig kollabieren (werden) – weil sie es tun werden. Sie werden es tun. O. S. sagt es voraus: noch sieht er aus wie ein alter seniler Dinosaurier; wenn der Moment da ist, wird anderes zu tun sein. O.S. redet in der Wüste gegen Mauern; schade, das niemand zuhört, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es ist nicht das erste Mal. Wie gesagt, wir schreiben 2011 (im Moment ich dies schreibe). Vielleicht lesen sich diese Zeilen (besser spielen sich diese Bilder) in einigen Jahren, vor jüngeren Augen, anders. Meine Gegenwart ist blind,- so blind as can be. O.St. weiß das.

              Ich sagte, wall sreet 2 enthält über das hinaus, was dem ersten Teil fehlte, das, was nicht untergehen wird, wenn die Welt zerbricht. Die Familienschnulz-Kitschigkeit bricht dem Film vielen Zuschauern gegenüber das Genick, wenn noch von Zeit-Duselei statt von gierigen Dollars die Rede ist.
              Die Antwort, die Stone im zweiten Teil findet, mag unerträglich simpel sein: doch Menschen werden geboren, hoffentlich (meiner Meinung nach) in einer Zeit, wenn die krude seelenlose menschenfressende Geldmaschinerie meiner Zeit in den Geschichtsbüchern steht; Sie dürfen lachen und mein Statement endgültig ad acta legen. Lachen Sie ruhig, Lachen Sie von Herzen. Ich lese stattdessen,- was Sie nicht tun, weil Sie viel zu sehr mit der Gegenwart beschäftigt sind, und in allen Zeiten nur die Gegenwart sehen, in den Geschichtsbüchern, und ich tue es wirklich. Der Mensch war nicht immer so, und die Zeiten waren es auch nicht. Sie waren, hört hört, zumeist anders...besser. Sparen wir uns die Diskussionen, Sie wollen nur Recht behalten. Das Wissen ist da, es liegtg unbenutzt herum, zu Ihren Füßen; Nehmen Sie es auf, oder lassen Sie es sein, auf Sie kommt es nicht an, nicht einmal auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten, der ein – wie sind Sie?- wirklich mächtiger Mann ist. Aber nicht so mächtig wie die Zeit. Wer war Ulysses S. Grant?-

              Sie finden die Schwangerschaft der Gekko-Tochter kitschig? Aber nicht doch. Sie bringt dem Film genau die Pointe, die gefehlt hat. Das in sich kreisende System, das momentan scheinbar die Welt beherrscht, ist unschlagbar, solange man die Grenzen eben dieses Systems nicht überschreitet. Die Schwangerschaft bringt die Welt wieder ins Spiel: das, was übrig bleibt (bleiben wird), wenn die hausgemachte Menschenmisere untergeht, wie das römische Imperium, das lange unfaßbar für unsterblich gehalten wurde. Imperien aller Art scheinen nur solange unsterblich, wie sie am Leben sind. In der Agonie dagegen scheint es unfaßbar, wie sie solange für lebendig gehalten werden konnten.
              Keines von ihnen ist noch da, der zahllosen, übermächtigen Reiche. Das Geld ist zwar immer noch da, die Gier, der Krieg, die Armut, die Ungerechtigkeit, zugegeben ; aber der Mensch ebenfalls, und immer noch
              geht jeden Morgen die Sonne auf, und werden Menschen geboren.
              Wie lange noch?
              Aber zu glauben, das der Dollar länger leben wird, als die Wesen, die ihn drucken: das ist blöd.
              Das Fazit von Wall Street ist, einerseits, ziemlich hoffnungslos und desaströs. Er bietet keine Lösung (die es nicht gibt) an. Niemand weiß, nicht wie es enden wird, das weiß jeder, sondern wann es enden wird. Es bleibt nur eines: wenn es geendet haben wird, wird eines noch da sein, in welcher Form und Qualität ( und, furchtbar zusagen oder auch nur zu denken, ZAHL auch immer) - der Mensch. An sich. Die Welt wird noch da sein, in welchem Zustand auch immer sie aus dem Crash hervorgehen wird. Es kommt auf uns an : was wir übrig lassen wollen, an Glauben.
              Viele gefallen sich in krudestem, Realismus genannten, Pessimismus und Weltuntergangs-Lustglauben. Sie zerstören mit Hingabe jedes noch so gering erscheinende verbliebene Hoffnungs-Hintertürchen und Entwischens-Fünkchen. Sie setzen auf die Mars-Zivilisation, bevor das Krebsgeschwür Gier sich auf den Kosmos ausbreitet,- um auch anheischig ihn fressen zu können zu vermeinen . Sehen Sie’s nur so; derjenige, dem Sie mit diesem Worst-Case-Szenario am meisten Schaden zufügen und irreparabel blockieren, sind Sie selbst.
              „Es kostet mehr Energie, eine Neurose aufrecht zu erhalten, als ihre Ursachen zu beseitigen“.-
              Wie lange wollen Sie noch linienförmig mit dem Strom treiben,- bevor Sie, zu Ihrem Besten, sich ans Ufer retten, um etwas Glauben nicht an die Menschheit, sondern an Sich aufzubieten? Fuck auf die Menschheit – retten Sie nicht sie, da müssen Sie lachen, sondern retten Sie sich. Tun Sie es um Ihrer selbst willen – fangen Sie damit an, ein besserer, unbelohnter Mensch als Ihre Umgebung zu sein. Wenn niemand es Ihnen danken wird- danken Sie einfach sich selbst. So einfach ist das. Grotesk? Schwarz-Weiß? Fehlende Grautöne? Grau, lieber Freund, ist alle Theorie – es ist in Ihrer Hand, Ihr weißer Ritter zu sein. Machen Sie sich lächerlich, nur Mut. O. Stone hat ihn. Was kümmert’s? Lassen Sie sich einen Narren schelten,- noch schlimmer, medioker und kitschig! Spießig! Dämlich! - es kümmert niemand,- in zweihundert Jahren. Nur diejenigen, die, vielleicht, den Mut hatten, sich zu weißen Rittern zu deklarieren, ohne allzuflach allzudumm tatsächlich zu sein,- weil Sie einfach die grundlegenden einfachen Dinge sahen, und sie sind simpel,- den Mut hatten, sie wahrzunehmen, werden vielleicht erinnert werden. Weil das einzige, was der Mensch immer wieder ansieht und nicht müde wird zu bewahren,- das glänzende Unschulds-Weiß der puren Reinheit ist. Es ist kitschig, aber es ist so. Blöd, aber ist so. Banal, aber so ist’s. Brutal simpel, aber Fakt. Der Intellekt Plotins ist tot, und die Volksseelenmassage Jesus lebt. Sie müssen’s ja nicht, wie dieser, übertreiben. Es genügt, wenn Sie’s nicht bis zum Papst bringen. Aber glauben Sie mir: wenn Sie an nichts mehr glauben, nicht einmal an sich, wird Ihre Asche schneller verwehen als der Rauchkringel einer Zigarette Zeit hat, Ihren Lippen zu entweichen.
              Was Sie sehen, ist Zeit: und glauben Sie mir, sie ist die wahre Herrscherin der Dinge. Und eine Schwangerschaft, symbolisch genommen, in Folge wie sie sich seit Jahrmillionen ereignet, lachen Sie nur, lachen Sie nur, kompensiert spielend alle Finanzmärkte der Welt seit Anbeginn der Zeiten, und wird das Wunder sich ereignen lassen, wenn sie alle längst vergangen sein werden. Das Gedächtnis der Welt ist nicht auf Papier gedruckt. Die Zukunft, der Vorrat der Zeit ist unabsehbar. Ihr Blick ist gefangen und trübe von Gegenwart. Sie sind, wie der Film sagt, ein bemitleidenswerter Mensch, wenn Sie nur über so wenig davon, wie Sie gerade offensichtlich in der Lage sind davon absehen können,- verfügen. - Ich freue mich, wenn Sie trotzdem immer noch hier sind, zu Ihrem Amüsement beigetragen haben zu dürfen. Sehen wir uns noch?

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                Etwa fünfzehn Filmkritiken später. Bitte: Andie Mc Dowell spielt keineswegs hölzern und ist – Verzeihung – auch wenn man sie nicht für die Traumbesetzung halten mag, mitnichten ein Breitmaulfrosch. Auch mag es durchaus stimmen, das Hugh Grant stets Hugh Grant mimt, und das mag nicht sehr „wandlungsfähig“ scheinen. Von Bruce Willis oder Clint Eastwood oder Humphrey Bogart oder Cary Grant könnte man dasselbe sagen. Und der Witz ist: die meisten Filmproduzenten und Zuschauer hätten das wohl sehr übel aufgenommen,- täten sie es anders gehalten haben. Die Entscheidung, hinzusehen,- scheint mir urdemokratisch freiwillig.

                Davon abgesehen sind die meisten Bewertungen damit einverstanden, das es gelungene britische Komödienromanze mit einer ergreifenden Trauerrede (W. H. Auden) darin enthalten ist. Auch Fiona „Fi“ findet Anhänger. Ich persönlich finde die –vor allem- die Darstellung der Scarlett anregend, erfrischend, lustig, originell, gelungen. Aber lobt man sie,- findet man auch andere würdigenswerte Leistungen. Die Wahrheit ist : das wundervolle Ensemble liefert eine der herrlichsten, wunderbarsten, sympathischsten, menschlich gehaltvollsten und – wahrsten, lebensnahen Tragikomödien ab. Alles paßt.

                Wieso Tragikomödie? Weil das k mittendrin so zünglein-janusmäßig gut paßt ? – nein : weil es ein bitterschöner Film übers Lieben ist, one true love, und das was Menschen gerne daraus machen, wenn man sie läßt: eine tragische Verdrehung der Tatsachen, mit Brimborium als Schmonzette zu Orgelkaskadengeschmetter,- einen Witz, eine Lüge, die haarscharf den Wirbelsogstrichter zum Abgrund entlangsurft.

                Wohl wahr, das einige der Paare, die hier zur Heirat antreten,- ihr Schicksal mit der Menschheit, nun gefälligst auf diese Art glücklich werden zu haben, redlich teilen und sich nach Kräften bemühen und dabei sogar einen ganz erfolgreichen Eindruck – gar Kindersegen- erwecken. Trotzdem ist die Botschaft des Films eindeutig eine andere: die Betonung liegt auf Aber: Liebe ist schon schwer genug,- man muß ihr nicht auch noch offiziell-bürokratische Hemmschuhe in den Rücken rollen,- mit Brauteltern, stotternd-erhabener Kirchenbeamtenschaft und gitarrespielenden Sony&Cher-Replikatos. Die wahrhaft „liebend Verheirateten“ tragen nicht unbedingt Trauringe: schwule ungesegnet vereinte Paare und jemand, der am Ende am Ende – ganz im Himmelsregen, nicht in Schutz und Schirm des hochzelebritären Kirchenschiffs – seine schwierig zu erweckende Lebensliebste darum bittet,- ihn nicht-zu heiraten,- und nicht-seine Frau zu werden,- sondern bitte, vielleicht, sich nur vorstellen könne, schlichtweg den Rest ihres Lebens mit ihm zu teilen?

                Bis es dahin kommt,- muß ein ziemlich lebensnahes Fadengewirr von Schürzknoten, wie sie das Daseinsmarathon gern ineinander spielt, auseinandergedröselt und mit spitzen Fingern mitunter mehr ver- als -entwirrt werden. Es ist schon herrlich,- wie sehr Hugh Grant mit dieser Rolle, die ihm auf den Leib geschnitten ist, verschmilzt. Gottseidank braucht er niemand anders zu geben als ganz authentisch sich selbst. Alle Figuren sind sehr lebensnah. Wahrscheinlich klappt’s auch deswegen so gut,- rollt ab wie am Schnürchen. So ähnlich nehmen wir unser Schicksalslos einer Hochzeitseinladung auch tatsächlich selbst an,- duschen uns unterwegs verspätet im Auto und vergessen improvisiert die Ringe,- worauf kleine andere nicht ins Gewicht fallende Malheure im ansonsten geschmierten Hochzeitsgefüge entstehen,- Verwerfungen, wegen denen man sich später an all diese eigentlich immer gleichen Zeremonien doch in Einzelheiten erinnert. Es ist alles so menschlich plausibel: Diese Ausrutscher und Patzer bei Brautreden und Tischplazierungen – und Begegnungen, die man anders dort so haben kann. Nun kommt ‚Carie‘ Mc Dowell ins Spiel. Wie schön das wiedergegeben ist: die interessante Frau – oder Mann, fürs andere Geschlecht – kaum fern erblickt, - und die Gelegenheit ergiebt sich einfach nicht, dem gehörten Flüstern des Schicksalrufs stilgerecht nachzukommen, beim besten Willen- stört immer etwas im verflixten letzten Moment dazwischen – von Konkurrenz bis Schüchternheit,- die Palette ist weitgefächert und wird mit einigen repräsentativen Farbtupfern liebevoll vordemonstriert – und doch auch, wie eigensinnig es dabei ist, dieses Schicksal, wenn es sich etwas offensichtlich auf den Plan gesetztnotiert hat. Die Liebe! wie kompliziert vereinfachend sie doch ist!

                Am Ende der Gesellschaft, zu gutem Schluß der erstgemeinten Hochzeit,- fallen ein zwei Sätze: die verpaßte, unerreichte Frau wohnt unvermittelt in der eigenen Pensionsunterkunft – nur schade, das man sich drei Minuten zuvor mit seinem Freundeskreis für einen gemeinsamen Schlafensortwechsel verabredet hat. Die Dinge nehmen wie immer bereitwillig ihren damit verkehrten Lauf – bis jemand beherzt tatsächlich eingreift : in sein Schicksal – „komische Entscheidung“,- zu sich selbst murmelnd,- und einer Eingebung folgend seinen begonnenen nächtlichen Pfad umkehrend allein zurückfolgt. Und allen Hindernissen zum Trotz scheint etwas über ihm einverstanden: noch einige Querschläger-Versuchstorpedos später -, finden die Verguckten schließlich zueinander – für eine Nacht. Am Morgen klopft das Schicksal wieder an: „Verlobung bekanntgeben?“ –Ernst oder Scherz? – Es ist nicht so, das wir nicht gewarnt worden wären. Wer nicht hören will, muß fühlen. Nun dauert es zwei Fast-Ehen lang,- bis endlich wieder Ruhe einkehren darf – und die Dinge ins Lot gebracht sind. Und jede Menge mutige Entscheidungen.

                Es ist eine gelungene Revue, bis wir an diesem Punkt gemeinsam ankommen dürfen. Ich will nicht alles verraten. Zuerst ist sie es,- die urplötzlich anderweitig verlobt auftaucht,- und die losen Enden der Verbindungswilligen allerorten schlagen eh ziemlich wirr und wild im Raume herum wie losgelassene Feuerwehrschläuche,- bis sie die Richtigen treffen. Fiona – und man glaubt es ihr sogar – liebt lange „jemanden, der es nicht bemerkt“. Scarlett steht auf diejenigen, die sie nicht behalten wollen, wenn sie möchte,- und die sie wollen, will sie lieber nicht. Der eine erwartet nie den großen Knall in der Liebe,- sondern nur jemand Nettes,- mit dem man dann zusammenlebt und glücklich wird, „so wie meine Eltern, bei denen das auch geklappt hat, auch wenn sie jetzt geschieden sind“. ‚Dogface‘ liebt Charles seit einem Techtelmechtel,- das ihn gänzlich folgenlos hinterließ. Gerald wünscht denjenigen, die er liebt,- das sie auch einmal lieben dürfen,- ganz gleich, wer oder was es ist, „auf das wir am Ende, wenn wir klapprig im Altersheim zurückblicken, sagen dürfen: auch wir wurden einmal angebetet“. Das finde ich schön: nicht anch’io sono pittore,- ‚habe gemalt‘,- sondern ‚wurde gemalt‘,- denn lieben ist immer eine Möglichkeit – geliebt werden ist willkommenerer Gnadenbeweis. Schön absurd ist es am Ende: Fiona und (prince) Charles. Der Film spielt eine Menge Varianten durch,- an undenkbare Möglichkeiten, wo die Liebe hinzukrachen beliebt,- wenn’s denn so passieren soll – und das Leben beweist: es passiert immer wieder.
                Ach, diese nette Idee mit dem tauben Bruder, der letztlich den Mutanstoß zur Wahrhaftigkeit bringt. Manchmal brauchen wir auch Schützenhilfe, denn nicht immer erscheint St.Georg rechtzeitig gestiefelt, gesattelt und gespornt. Eigentlich nie.

                Also, tut mir leid, ich finde die Rolle mit Andie Mc Dowell hervorragend besetzt: kein Schmollmündchen, sondern eine Person; die Reife transportieren kann,- und nicht zum Turteln,- für weiterreichende Bindungen braucht es dieses Erfüllungskriterium,- das für mich hiermit glaubwürdig abgedeckt ist. Apropos Glaubwürdigkeit,- neben hundert hier unbeachtet bleibenden treffenden Detailbeobachtungen- und -statements zum Thema Liebeswirrung hier die eine mit ihr zum Schluß: „warum hast du dich nie gemeldet?“ (ihre Trennung wäre klar geworden) – „ich konnte einfach nicht, es war alles (ich) so durcheinander“.- In der Tat, so verhält es sich gern, dieses krude Zeug, das man Lebensfolgerichtigkeit nennt,- wenn sie in Richtungen läuft,- die wir uns angenehm gern auch anders vorstellen könnten.

                Ich kürze ab. Es kommt zu einer der seltenen großen Richtigstellungen der persönlichen Geschichte; hier allerdings schummelt der Regisseur schon etwas harthörig theatralisch,- und doch hat im Grunde alles seine lebenskünstlerische Richtigkeit,- so wie in der ‚Reifeprüfung‘,- wo Dustin Hoffmann ebenfalls seinen großen Szenenpatzer hat. Hugh Grant macht es etwas weniger dramatisch, dafür aber sehr viel langwieriger: und seine Zukünftige Ex,- die‘s dann mit einem Soldaten erwischt (Beweisphotos!),- zeigt hierfür schon früh kongeniale Begabung in einer herzhaften Rechten (den man ihr eben gönnt). Trotzdem ist man natürlich heilfroh,- das einmal, anders als im wahren Leben, Recht und Ordnung herrschen und zu Wort kommen dürfen,- im ausgiebig beredten Schweigen mit seinem stummen Bruderherz (der hoffentlich bei der zukünftigen Nicht-Trauung nicht-gefragt sein wird, ob er nicht-doch Nicht-Trauzeuge sein möchte). Er hat es heimlich verdient, und dürfte zur Belohnung auch einmal selbst im Regen stehn.
                Nur der Pfarrer müßte Taubstummen-Gebärdensprache lernen. Aber Rowan Atkinson kriegte das zweifellos hin.

                Also : so komisch zum Lachen ist die Komödie eigentlich gar nicht. Das Schöne daran ist aber: es gefällt einem so, während sie sich entwickelt,- das man es gar nicht richtig bemerkt.
                Gar keine schlechte Reihenfolge: man schmunzelt, während es im Grunde bitter ernst ist. Besser als : man merkt, es ist ernst-lich – und lacht dazu. Mir ist es lieber wie hier so. Anders käme ich mir albern und blöde vor. So hatte ich ein gutes Gefühl, mich rechtschaffen ohne schlechtes Gewissen zu amüsieren, und noch etwas Respekt dabei. Tatsächlich: ein „Frauenfilm für Männer“. Zumindest für denjenigen ihres femininen Teils- wenn es für uns sowas gibt, Kerls. Ich hoffe, ihr seid schon (glücklich) verheiratet. Sonst gibt’s Zunder-brot mit Peitsche. Companeros. Venceremos.

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                  Das ehrenvolle Scheitern bei dem Versuch, die äußere Larve eines Bildes wiederzugeben, das nicht wiedergebbar ist. Die Shoah ist ein inneres Erblicken, keines der fleischlichen Augen. Aber so weit das Unsagbare sagbar wird, ist es hier gesagt, und es ist nötig, sich dem Versuch, es sagen zu müssen, obwohl man es nicht sagen kann,- zu stellen.
                  Hier meckere ich nicht, sondern schweige. Mein Paß ist deutsch, meine Sprache. Ich schweige nicht, weil ich nichts sagen dürfte und den Mund zu halten habe, sondern aus Scham und Hilflosigkeit, und weil mir nichts einfällt, was zu sagen – so – hier - möglich wäre. Ich schweige, nicht als Deutscher, sondern als Mensch. Und ich schäme mich. Und ich möchte nicht da sein. Aber ich bin es. Und wie man im Angesichts dessen, auf diesem Planeten zurückbleiben kann, bin ich es. Ich lebe mit diesem, immer, jeden Tag. Aus Diesem heraus existiere ich. Das ist alles, was noch bleibt: die Schuld ist zu sühnen – nicht von Deutschen, sondern von Menschen. Nein, nicht nur von Deutschen: da bin ich so schuldig oder unschuldig wie Sie. Verstehen Sie? – Sonst schauen Sie die Bilder. Man kann nur schauen. Man kann nur scheitern. Und doch sind diese nachgestellten Bilder da. Als verwehte Worte, als ein schwaches Echo, das von einer gegenüberliegenden Felswand, undeutlich, verwischt, und unverstehbar, zurückgeworfen wird. Nur wer die ursprüngliche Botschaft hörte, kann sie entziffern. Die anderen hören nur einen Schrei, eine Stimme, ohne zu verstehen. Man muß diesen Versuch wagen: zu beweisen, das dort ein Gesprochenes war, wenn auch nur noch die Stimme zu hören ist, welche murmelt. Wir müssen dieser Stimme lauschen: und versuchen, den alten Satz wieder zu entschlüsseln. Wer dieser Stimme Raum gibt, handelt nicht verkehrt : auch wenn er den Satz nicht sagt. Er sagt wenigstens: hier war ein Mensch –und ist es noch.

                  Verstehen tun wir nicht, wenn wir auf diese Stimme außer uns hören, egal wie krampfig wir uns konzentrieren – wir verstehen, was sie sagte, wenn wir auf unser Inneres uns wenden und dort das Echo der Stimme an ihrem Klang in uns selbst zu erwecken versuchen. Was würden w i r sagen, wenn wir so klängen? In was für Erlebnissen steckten wir, die u n s e r e Stimme so modulierte? S o müssen wir versuchen, uns in diese Stimme zu versetzen, um zu verstehen, was sie sagt. Aber das wir so zu tun versuchen, d a s die Aufgabe besteht,- daran erinnert nur die Aufforderung, die im Hören der S t i m m e liegt. Wir hören und erwachen, weil wir diesen S c h r e i vernehmen. Und wenn wir dann lauschen,- antwortet die Stimme in uns, und sagt den Satz darauf, den wir sonst nicht vernehmen würden. Beides ist nötig und notwendig: der Sporn – und unsere Bereitschaft, innen zu antworten. Und so ist beides in sich enthalten und zu eins vereint: im Schrei, der Sinn, und im Sinn: die Veranlassung, die wir lieber nie vernähmen -, die aber einmal sich ereignete, und von nun für alle Zeit,- zusammen enthalten ist, ein Paar, verschmolzen, vereint.
                  Mehr ist nicht vorhanden ; und man muß an diesem zweigeteiltem Thema nicht scheitern, wie im anderen genannten Film-Zitat kläglich zuvor.

                  Ich schäme mich, und ich arbeite, und ich schweige. Nichts ist unausweichlich, und nichts ist untragbar. Schweigen wir, bis gesühnt ist. Sühne ist, wenn Frieden herrscht; nicht weniger ist die Aufgabe, und vorher ist nichts und nie gesühnt. Wir alle sind verantwortlich, die Guten wie die Bösen; die Guten, die gut sind, weil es ihnen gut geht, sind für das Leiden der Bösen mitverantwortlich; sonst zerfällt das Sein für immer in zwei Hälften, die sich gegenüberstehen, und Frieden ist nur vereint, der Zerfall verteilt und scheidet notwendig, und wie vermessen ist es, für sich das Gute wählen und andere mit dem Übleren sich begnügen zu lassen! Die Guten können den Bösen nicht aus dem Wege gehen: solange Der, nicht das, Böse noch existiert, kann kein Guter in Frieden allein gut für sich sein. Wir müssen das Böse heilen, das ist unsere Aufgabe, wenn wir gut sind; und wir können das Böse nie vernichten, in einem Menschen. Das Böse kann nicht vernichtet werden indem man seine menschliche Hülle zerstört ; dadurch nährt es sich, das ist sein Trugschluß. Das Böse nicht nähren, indem man sich dem Bösen versagt, und ihm doch die Hand bietet. Der Böse kann nur vermindert werden, indem das Gute in ihm gestärkt wird. Dazu muß man ihn berühren, wie einen Leprakranken, den man pflegen will. Bleibt das Böse stark: haben die Guten versagt, aber nur der Tod oder unser Entschluß kann uns hindern. Nur wer diese Aufgabe als seine erkennt, trägt zur Einheit bei. Und erst die Einheit, die Heilung des Zerfalls der Welten : wird den Frieden bringen. Niemand kann für sich gut sein: wir können es nur zusammen – werden.

                  Und der Ruf bleibt die Mahnung : nicht für sich, in seinem kleinen Zimmer des Guten, allein zu verbleiben. Der Ruf dringt von außen, von der Welt außerhalb dieses kleinen abgeschlossenen Ortes des Reiches des Ich, hinein: und der Ruf bringt den Ausdruck des menschlichen Leides zu uns her: und nur, wer diesem Ruf, vernommen, Folge leistet, und sich erhebt, und die Tür seines Guten Ich öffnet, und sich nach draußen begibt, auf die Suche nach der Herkunft dieser schmerzerfüllten Stimme,- um zu lindern,- hat die Chance, Hilfe zu bringen,- oder zu erfahren, was immer die Begegnung mit dieser Stimme mit sich bringt. Nur eines ist nicht möglich: sie zu hören, und sitzen zu bleiben, dort in diesem kleinen Raum, hinter den noch so dicken und scheinbaren Mauern des unbescholtenen Ich. Die Macht der Stimme wird wachsen und deinen Schlaf und jegliche Ruhe rauben, dich mit Angst erfüllen: wenn du, aus Furcht um dich,- dich der Aufgabe, zu Hilfe zu kommen, versagst. Dann, erst, wird dein Schicksal furchtbarer als jede Gefahr werden. Wer den Ruf der Menschlichkeit vernimmt, und ruht, und nicht antwortet, dessen Schicksal wird grausamer erlitten sein als der Tod. Und deswegen ist es wichtig, diese Stimme ertönen zu lassen, und nicht zu leugnen; und dieser Film sagt, „Der Pianist“,- einer zum anderen: „Still! Hast du nicht gehört? Dort war ein Schrei-! Hörst du nicht?“ Was antwortest du: „Still, du phantasierst?“ „Dort ist nichts“ „Nein, ich höre nichts?“ – oder: Ja, dort ruft etwas. Laß uns gehen und sehen, was wir finden; es scheint Hilfe zu gebrauchen, ich höre es – anhand dieser Bilder. Wir suchen und finden das Böse, es war es, das um Hilfe ruft. Der Rest liegt bei uns. Mehr soll der Film nicht tun. Und es ist möglich. Und jetzt genug, höre selbst. Ich schweige, damit du verstehen kannst.

                  4
                  • 3 .5

                    Künstlerisch wert- und seelenloses Routineprodukt, das einige oberflächlich aus der Geschichte zitierte, nicht assimilierte Fakten in einer Revolverpistole bar jeglicher innerer Wahrheit und Gehalts äußerlich aneinanderreiht und vor nichts als körperlichen Augen Revue wie in einem Maskenaufzug, kostümiert verkommen passieren läßt. Geschichtsklischee-Klitterung schlimmster Gedankenlosigkeit. Die damaligen, noch heute geltenden und für nicht wenige Betrachter exemplarischen Menschenkonflikte werden in ungeheurem Maße verflacht und ihrer Existenz beraubt als Kasperle-Marionettentheater, in welcher der Held den Alligator oder Räuber Hotzenplotz verhaut-, unverdaut ausgeschieden. Schade um jegliche Zeile.
                    Unmittelbar erkennbar „amerikanisch“. Man bedauert diese Rasse, die sich solcher Machwerke täglich und offenbar wehrlos auszusetzen hat. Die Dialoge und Szenen sind von einer Plattheit in die Welt gesetzt, die kaum auszuhalten ist. Es ist mir völlig schleierhaft: wie solche Filme, die auf den ersten Blick als unterhalb jedes erträglichen Niveaus erkennbar angesiedelt sind, ins Leben treten und tatsächlich ihren Weg bis vor ein Publikum finden können. Ihre bloße Existenz : beweist das Versagen einer ganzen Reihe vorgeschalteter geschmacklicher Kontrollinstanzen nacheinander, die jede für sich funktionieren sollten. Wie kann ein derart miserables Produkt nun wirklich den ganzen langen Weg bis vor unsere Augen schadlos und unbehelligt durchtunneln und überstehen? – es ist ein Wunder welches, liebe Freunde, mir persönlich unerklärlich ist wie die Erscheinung einer weißen Schleierfrau von Lourdes – nur das jenes einen eher angenehm mysteriösen Eindruck hinterlassen haben mag, und zu einer Inspiration führte – dieses hier aber vollkommen gegenteilig ausschlug. –

                    Eines der überzeugendsten wenigen inspirierendsten Details jener dunklen Zeit wird - jeden Glanzes und jedes erhellenden Schimmers beraubt - achtlos beschmutzt, zerstückt und wertlos gemacht, durch Kinderhände zerbrochene Fayence eines großen Zeugen,- in die Ecke geworfen und in die Mülltonne der Unbedarftheit entsorgt spurlos beseitigt. Das war’s mit Varian Fry (dieser Klamotte): ein Andenken wurde so weit verraten, wie ein Film, der ein großes Tor sein könnte, es zuläßt. Er kann nichts Gutes wahrhaft zerstören: aber er, ein schlechter, kann das Andenken an das Gute verschütten und durch seinen vorgehäuften Dreck dem Anblick entziehen. Es ist wie eine Portraitstudie von Picasso, die hinter einem Haufen Gerümpel auf einem Dachboden vergessen wird. Spätere Zeiten müssen, wenn ein Sperrmülltermin anberaumt ist, den Wert dieser Charakterstudie erkennen, bevor es zu spät ist, und seine Ehre wiederherstellen, aber : das eingegangene Risiko ist hoch, zu hoch: der (die) Täter gehörig geschmäht.
                    Dieser Regisseur u.a. und alle anderen Instanzen, die der Anforderung an sie nicht gerecht wurden, sind derjenige „Mann“ (völlig unerträglich : dasjenige, was „Thomas Mann“ in den ersten Filmminuten zum Ausdruck bringen soll) (hat der Regisseur je außer einem Fünfzeiler auch nur von TM gehört?) ,- sind also derjenige dumme Mensch, der dieses kostbare Kleinod, welches das Beispiel V. Frys in der Geschichte schuf,- auf ein Dachbodengeröll verfrachteten und achtlos zwischen einem Haufen Zeug plumpsen ließen – ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Grund: bloße Achtlosig– und Nachläßigkeit. Wirklich schade: die Penetranz, mit der ein großes Erbe– sogar eines Amerikaners- vertan wurde von niederen unbeleckten Vertretern ihrer eigengehörigen Gesinnung.
                    Sie sind so weit vom tiefen Sinn einer Geschichte entfernt, das sie nicht einmal ihre eigenen Helden angesichts einer Shoah - verstehen – als Gruppe,- können. Was für ein trauriges Beispiel: kostbarster Varian Fry eingedost in Hollywood und in einer Gulaschkanone voll McCampbells Suppenfraß verrührt. Als ob Stör an jeder Straßenecke wüchse. Kaviar ist keine Beilage zu Pommes‘ mit Matsche, gewohnheitsmäßiger Stehimbißbudenbesucher,- dessen Ahnung von Politik sich auf das dort Gehörte und Gesprochene beschränkt. Wer Lust hat werde dessen Zeuge (solchen Schwafelns), solange er es auszuhalten vermag. Ich nicht. Ich finde es unerträglich, ich finde es schrecklich, ich finde es dumm. Ich verachte es. Ich finde, wer die einprägsamsten Lehren der Geschichte für nichts als nur dumm kaufen- oder verkaufen kann, wird eines Tages wieder selbst –überrascht?- als der Dumme dastehn, der er wohl offensichtlich –völlig unnötig- immer noch bleibt. Da helfen keine Pillen. Wie dumm,- gelaufen.

                    • 4

                      Tomb Raider 2 – Wiege des Lebens
                      enthält die lächerlichste Romeo&Julia-Sterbeszene überhaupt. Außerdem kann man in einigen Szenen sehen, wie unsportlich Angelina Jolie eigentlich ist, wenn sie einen Hügel hinaufzuhoppeln hat (das steht allerdings in Widerspruch zur Rückenrolle, welche sie recht gut beherrscht, was mich an einen Zappasong erinnert: Roll back and roll over... ). Schließlich kann man noch sehr gut erkennen, wie – von den phänomenalen Brüsten abgesehen- häßlich sie jetzt schon ist, respektive in einigen wenigen Jahren aussehen wird. Von ihren schauspielerischen Fähigkeiten zu sprechen, machen die beiden ihre Sache recht gut – besonders die linke.

                      Scherz plump beiseite: also ein typischer Stunt-Vorführfilm. Die Silhouette Shanghai’s ist klasse, die Architektur der zum Drehort genommenen Gebäude ebenfalls (Blick durch die Glaskuppel die unzählbaren Stockwerke hinauf – oder das Abseilen hinunter!) . Viel technischer SchnickSchnack: aber das ist es ja, weswegen wir solche Filme (bis zum bitteren Ende, und immer mit schlechtem Gewissen, aber eben doch,)- ansehen. Künstlerisch garantiert nicht wertvoll: aber den Stand der Technik, welche man mittlerweile exploitieren kann,- vorgeführt zu bekommen, ist doch immer wieder kerngesund. Das erinnert mich an die Jahrmarktsrummel, als ich wirklich klein war: man steht mit großen Augen – eigentlich stehen nur sie da – und staunt und staunt, vor dem ganzen Höllenspektakel und Feuerwerk, was da abspult. Der Verstand hat Pause. Aber auch das muß mal sein. Ich will’s ja gar nicht schlecht machen: hab’s ja auch angeschaut, und bereu’s nur insgeheim (mein niedergeknüppeltes heimliches künstlerisches Gewissen in mir).

                      Ob’s wohl noch einen Tomb Raider III geben wird? –Wenn selbst ich schon müde werde, der doch echt hart im Nehmen ist. Armer Brad Pitt – das ist die Strafe, das du diese süße Maus sitzen gelassen hast. Eine Zeit lang Vergnügen, und dann jahrelang Buße. Aber tröste dich: das ist garantiert NICHT LEBENSLÄNGLICH. So sicher-, wie ich wußte, wie das mit Romeo und Julia ausgehen wird (natürlich), und das Croft Lara die gesamte Truppe um den Bösewicht in den letzten sechs sieben Minuten wegputzen wird, bis auf den letzten Mann - wie Maus (und den Ober-Oberbösewicht in der vorvorletzten (Minute)-, um noch Platz zu lassen für den Gag zur Schlußentspannung, und die ausklingende Mundverbreiterung /Spitzen nach oben / und das Durchatmen) (wenn’s nur irgendwie spannend gewesen wäre). Aber wie gesagt: darum ging es ja nicht, sondern um das Wie. Müssen wir das, um der Stunts – und Tricktechnik willen, (süß: der griechisch sein sollende Tempel, bevor er zum Parthenon wird (im 16.Jh.)) -? (PS auch das mit dem Nasenstüber-Hai war doch nicht schlecht)? – wo war ich? – nochmal ansehen? : Müssen wir nicht. Müßten wir eigentlich nicht.
                      ?
                      - Könnte man die Millionen nicht in den nächsten Emmerich stecken? Da gibt’s wenigstens noch anständige intelligible Unterhaltung. (Allerdings müßte man da nächstes Mal den Mars nehmen /:also auja Science-fiction, weil die Erde doch schon hin ist – ach Moment bis auf Afrika). Aber laßt mir meinen Emmerich (und seinem unernsten Spruch, aufzuhören -der kann’s eh nicht lassen:) und dem wird schon was einfallen. Dem fällt immer irgendwas ein. Und durchaus Gutes. Der ist feinfühliger, ins Menschliche einfühlsamer. Ihr werdet’s ja sehen. Und mit mir werdet ihr alle im nächsten Film sitzen: egal, ob Emmerich Tump Raider- Regisseur wird oder nicht. Popcorn! ihr Scheiß-intelektuelles Gesocks: gibt’s ja jetzt schon kleine Heimlich-Kontoabbuchungen für eure kleinen Eskapaden auf die Pfui!-Seiten des Internets, wie ich neulich mitkriegte (wobei wohl !...): und da sehen wir uns also alle wieder. Bis dann! Vergeßt’s die Tüten nicht! –für Snacks! - für Popcorn! - oder für jede Brust! oder für die Augen! –Mahlzeit- it’s showtime - Mahlzeit! Mit Blick auf den Pazifik vom Inglewood Park Trail aus, Naturschönheit im Abblendlicht! - Mahl-zeit! ( ...fade away)

                      • über Titanic

                        !Punkte-"Vorhersage" bedeutet: ich habe NICHT gepunktet.

                        TITANIC anläßlich (v. James Cameron, 1997)
                        Eigentlich habe ich keine Lust dazu, mich zu dem Film als solchem zu äußern, und bitte erwarten Sie auch keine meiner üblichen Umkreisungen oder Eindringlichkeiten dazu. Aber doch eine Reaktion:

                        Dieser Film scheint die Gemüter – zwar nicht zu spalten, in Fraktionen,- doch alle Welt zur Lautgebung anzuregen. Kein Wunder, denn man darf annehmen, das ihn jedermann gesehen hat,- ja durch die öffentliche Notation geradezu gezwungen war, sich eine eigene Stellungnahme dazu zu eröffnen,- wobei es schwierig ist, eine adäquate Äußerung gerade bei einer Liebesromanze-Aufgabe zu erwarten, die doch beileibe nicht jederMANNs Sache ist. Sprich, gerade jemand, der nicht auf Schnulzen steht, sollte nicht durch Umstände gezwungen sein, sich zu einer gefällig zu äußern,- wie hier aber der Fall war. Herauskommt also leicht ein abschneidender Meinungssnobismus, der von unwirschem Ärger bis rotziger Ächtung und Verlächerlichung („Milchreisbubi Leo“) reicht, welches einseitig gegengewichtig einem triefseelig-tranigen Heiligsprechungsanspruch gegenüberlöckt. Jeder äußert sich scheinbar zu Titanic und läßt seinen Gefühlen freien Lauf; ein Film, der Emotionen, begeisterte, aber auch hämi-sche, freisetzt und zu entbinden vermag.

                        Die Wogen werden sich glätten. Die Animositäten, die fast immer dem aufgezwungenen Genre, selten dem FilmFakt selber galten, werden zur Ruhe kommen,- und selbst DiCaprio wird eines Tages als die Schauspielklasse, der er zugehört, anerkannt sein. Der Hype, wie die animose Ablehnung, werden sich legen und der Film dahinter sichtbar werden als das, was er tatsächlich für sich,- und nicht nur im bloßen Kontakt mit dem überforderten Nervensystem des Zuschauers, in Erstberührung des Zusammenpralls mit der Welt,- darstellt. Der Film dahinter wird sichtbar werden,- und nicht nur die ungebärdige, hilflose Reaktion des Zuschauers, der noch keine nachweltlichen Anhaltspunkte hat, woran er sich orientieren soll: und er scheint ein ziemlich tumbes, ungelenkes Wesen, dieser auf sich selbst gestellte- und -zurückgeworfene Betrachter, allein mit sich und seinem wilden wunden Herz.

                        Der Film hinter dem Spektakel: kann es einen Zweifel geben, das die finale Eskalation, des Untergangs des Schiffes (der ja tatsächlich stattgefunden hat),- bahnbrechend ist,- wenn auch einer bedauern mag, das es ein wenig zuviel des Guten - den natürlichen bedauernswert mitgeförderten Voyeurismus des Kinobesuchers befeuert,- also gerade: weil hier das Schicksal ganz ähnlich, ja zum Verwechseln,- abgelichtet (: nachgestellt) gelungen ist,- die besser nicht allzu unwahrnehmlich zurückweichende ‚Pietät‘, als Respekt vor der Tatsächlichkeit und U n s - vermissen läßt? – Aber vielleicht ist dieses Bedenken zu übertrieben, und hundert Jahre später genug >Geschichtsstatus< erreicht,- Geschichtsentrückung, die immer ein wenig das Fatum von „Historie“ behalten muß, um nicht zu bedrohlich und verletzend gefährlich zu wirken (denn wie nah dürfen wir die Tragödien der ‚Vergangenheit‘ an uns herankommen und uns berühren lassen?) - ? – und immerhin: schärft die Parabel dieses (tatsächlichen) Hergangs ja vielleicht ein wenig bemerkenswert unseren immer noch aktuellen Umgang mit der-selben Gefahrengüterklasse auf dieselbe Weise; und eine malerische, ja allzu eindringliche Warnung ist besser als gar keine – Leichtfertigkeit.

                        Ohne Zweifel: die Lovestory o h n e den Untergang,- ja selbst das vorausfixe Wissen davon, vom Ausgang der Geschichte, wäre nicht das, was es jetzt ist,- und wirkt. Aber das ist eine völlig müßige Betrachtung; wußte Cameron doch selbst auch aufs Genaueste davon, als er sein alchimistisches Präparat zusammenbraute,- und Ingredenzien dafür zusammenstellte – und –bastelte. Der Film erhält seine magische Gewalt über die Gemüter letztendlich dadurch, das uns (fast) eine „Augenzeugenschaft“ über das geschenkt wird, was wir sonst nur von üblicher Hörensagenfremde kenn(t)en. Nun versank die tatsächliche Titanic ja >leider< ohne minutiöse Kamerabegleitung. Diesem Manko möchte die Neugierde der eigendienlichen Nachwelt (die Motivbetrachtung dazu steht weiter oben angesprochen) natürlich abhelfen. Man mag darüber müßig streiten, ob ein kommerzielles Medienformat dafür die geeignete Plattform bildet,- genug, es ist getan. Das Schiff wurde fast eins-zu-eins dafür nachgebaut (reali-sierbar Nähe Mexiko), was allein schon einiges aussagt,- und das Geschehen nachvollzogen und (digital-)effektvoll nach-gemotzt. G i l t das Ergebnis aber? ist die Frage. Wie erfährt sich die Produkt-Akzeptanz? – das ist wie das ganz ähnliche Wirkgeheimnis, –z.B.-, eines „Histo-rischen Romans“ a la Lotte in Weimar von weiland Thomas Mann. So ziemlich jeder (Vorgebildete) könnte sich an solchem Werk versuchen (haben’s auch vielfach getan); aber nicht ein jedes solches Wagnis stößt auf förmliche Gegenliebe, und Resonanz, beim kritischen Gegen-über. Man kann sogar sagen: in der Regel scheitert der Versuch (außer es handelt sich um einen Fall von Dummheit).

                        Hier nun TITANIC. Die Wirkung des Films war mächtig (selbst wenn man nur seine histori-sche Bugwelle, die von 1997, betrachtet). Das läßt darauf schließen, das die Magie wirkungsvoll war. Und in der Tat: bevor Sie den Film unliebevoll in den Mund nehmen möchten und betrachten,- bedenken Sie, es gäbe ihn n i c h t : was für eine Vorstellung hätten Sie dann, von einem mächtigen, tatsächlichen Geschehen,- das einmal real war? – Denken Sie, Sie könnten darauf verzichten,- auf die Veranschaulichung der „Geschichte“, in diesem wie im anderen Fall,- überhaupt? – Das weise ich ab,- Geschichte bedarf möglichst eindringlicher Vergegenwärtigung, soll sie nützen (-können) (- und das muß sie bzw. tut not) - und ohne mich als ein prädestiniertes Zielpublikum von Geschlechtsflor und Romanze zu betrachten: wage ich die Aussage: die Äußerlichkeit der Ereignistotale ist /dies eingeschlossen/ eindrücklich – imposant – gelungen; nebenwärts der unumgänglichen Diskussion des angesprochenen unzulässigen >Voyeurismus<.

                        Damit nähern wir uns dem Ende meiner Anmerkung. Das Liebes-Storyboard um Kate &Leo, alias künstlerisch begabter mittelloser Sunnyboy & reichlichbedrohtes unverdorbenes Ober-schicht-Mädel und ihre widerstandsblockierte Vereinigung (- als „eine unsterbliche Liebesgeschichte“ vom künstlerischen Standpunkt aus völlig überbewertet, aber logisch der Erfordernis hier höchst kompatibel einkalkuliert),- dieses Love-Storyboard also allein, für sich genommen, hätte kein Katze -, wohl aber vielleicht deren eine oder andere Hausfrau, hinterm wohligen Ofen hervorgelockt,- ein notorisches einschlägig vorbestrafliches Publikum also höchstens; erst die Amalgamierung mit 1) dem historischen Background der Titanic und 2) der effektgesättigten demonstrativ minutiösen Umsetzung des Untergangsvorganges selbst, wie er vor diesem Zeitpunkt technisch noch gar nicht möglich war – geben dem Film sein (filmhistoriografisches) Gewicht – und sein Ranking in der bis dahin ungeübten,- seitdem aber ausgebauten Wahrnehmungsgunstmodulierbarkeit des Zuschauers.

                        Titanic war nahezu das Erste seiner Art,- das Betreten einer technisch bedingten neuen Stufe; das entsprechenden Eindruck hinterließ. Seitdem sind wir allmählich an dergestalt neue Erfahrungen multipel gewöhnt (und es geht weiter, Cameron selbst vollzog noch den weiteren Schritt, wie durch ein erneutes Wunder). Trotzdem: die Bildwelt bei Titanic hat etwas von der Erinnerungsbehauptung des ersten individuellen Kuß-Erlebnisses, das jeder bei sich bewahrt. Und zwecks Cameron, der Prinzlichkeit erweckte, darf nie der Erinnerung verlustig gehen: das nicht jeder, der /oder die einen Frosch küßt,- dabei hinterher in der – „wumms“- Entpuppung einen Prinz‘-, resp. eine ‘Prinzessin (nach Vorzug) dabei produziert hat.

                        Aus Camerons (wie es heißt, diktatorisch gern) geschürzter Lippe jedoch entsprang genau dies dankbare Wunder: alles stimmte, und Romeo &Julia konnten über das Wasser – des die Titanic umgebenden eiskalten Ozeans – zwar doch nicht vergebens- wandeln, jedoch dergestalt sicher über ihre Decks und Salons. Der Film funktioniert, innerhalb seiner gebotenen Grenze, tadellos. Es ist ein gutes Stück Film(-geschichte). Die Mechanik flutscht tatsächlich wie geölt,- wie die mächtigen Kurbelhämmerwellen des Schraubendrehmechanismus‘. Camerons Kalkulation mit der Vorstellungsmöglichkeit des Zuschauers geht auf. Tut es das, entsteht Kunst. Cameron ist kein Idiot. Und wenn ihm gelingt, was er will, kriegen Sie das Bestmögliche zu sehen, was Zeitgenossen ersichtlich werden kann. Er ist kein Straßenmusi-ker, der eine verstimmte Klampfe schrammelt,- sondern ein anerkannter Stardirigent, der mit (s)einem Toporchester die Welt bereist. Sie dürfen also eine gewisse Professionalität erwarten,- und die ist auch gewährt. Sie sollten nicht schimpfen wie ein Rohrspatz,- und ihm ans Oberhemd puffen; wahren Sie die Form, in Ihrer spucknäpfigen Beurteilung,- auch innerlich: erweisen Sie S i c h diesen Respekt.

                        Camerons Film ist, mag man’s oder nicht, ein Meilenstein. Er ist das nicht nur, weil es um das Publikum geschmacklos oder in den Büchern es so aufgezeichnet steht. Er ist es, weil der Film Bilder zu sehen gibt,- Eins zu Eins belichtet,- wie sie sonst nur die Vorstellungskraft selbst zu bieten hat. Das nimmt man schnell allzu selbstverständlich hin ; bedenken Sie, diese Bilder, die uns so natürlich vorkommen,- müssen erst erschaffen werden; sie sind künstlich, erzeugt, beabsichtigt. Das ist gelingt’s schwerer, als es aussieht und wirkt,- es ist sogar verdammt schwer ,- ja wie eigentlich unmöglich, sieht man daran, wie oft es regelmäßig im krampfigen oder einseitlastigen Bemühen scheitert. Cameron scheitert nicht; und dafür gebührt ihm, zumindest in dieser Hinsicht, Respekt. Lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen; denn wie Goethe schon sagt, „gegen das Vorzügliche gibt es kein Hilfsmittel der Bewahrung als die Liebe“. Und verkennen Sie das Vorzügliche nicht zugunsten Ihrer persönlichen Genehmlichkeiten; denn Gelegenheiten zur Liebe sind, wie Sie wissen müßten, viel seltener als uns ermöglicht - willkommen ist. Verarmen Sie sich nicht selbst, um eine Möglichkeit der Anerkennung ; bereitet das doch viel mehr Freude, als griesgrämig zu entraten, vor allem, wenn es die eigene Eindimensionalität und Taubheit ist, an der man scheitert. Liebesge-schichten nerven oft; aber diese herausfordernde,- ja überwältigende Bild(sünd)-Flut hat mehr zu bieten, als ein bißchen zuviel Intimsalbaderei und despektierliche Agonien und Kindsleichen.

                        Es ist ein Erfolg, auch ein künstlerischer; lassen Sie ihn sich nicht entgehen.

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                        • Nun also im Pazifik. Alles, was Band of Brothers, vermutlich vor allem aufgrund der Lauflänge von über zehn Stunden, schafft, an übermäßiger Bindungstreue zwischen heutigem Durchschnittsbetrachter und angeboten aufbereiteten Einzelschicksalen der einstmaligen doch historischen, ja persönlich vorgestellten Soldaten - zu stiften, und was ein Mehr-Plus gegenüber dem bisher eingeübten und beschworenen Genre des amerikanischen WW II-Kriegsfilms darstellt, fehlt hier im, doch schon eigentlich erfolgten tabubrechenden Vorgänger-Vergleich, erstaunlich verzichtetem Maße und fällt auf weite Strecken in übliche Knall-Bummzischwabberheul-Darstellungskonventionen zurück, an denen höchstens eine gewisse Detailverliebtheit progressiv auffällt.
                          Gefecht reiht sich an Gefecht, oder Etappenepisode an Etappenepisode; beides steht merkwürdig unverbunden nebeneinander,- und gleicht sich doch, für sich, in sich. –Nehmen wir das „Beste“ vorweg, statt ewig weiterzubanalisieren: die –also anhand der ebenfalls epischen Lauflänge- nicht vertan’en- , oder -ausgewichenen und –umgangenen, sondern wahrgenommenen Chancen zu nennen.

                          Während der IIX. „Episode“ der Reihe stürmen ein zwei Dutzend verzweifelte und schreiende Zivilisten das von japanischen Soldaten gehaltene Felsgeröllmassiv hinunter; eine der Frauen unter ihnen bietet den überraschten Gis ihr wimmerndes Baby flehentlich drängend und vergeblich an, rechts und links. Während wir zusammen mit ihnen diese Geste noch zu interpretieren versuchen, explodiert sie vor unseren Augen, und löst sich in einen Blutschwall auf; einen sekundenlangen Moment zuvor sahen wir noch, das sie mit Sprengstoff am ganzen Körper , kaum freiwillig, umfesselt war.
                          Diese ganze Szene lässt kaum eine Missdeutung zu; es war keine –bereits gewöhnter , also nicht länger hinterfragter Begriff- „Selbstmordattentäterin“,- sondern ein(e) einem Kriegsverbrechen (nennen wir es klar) zum Opfer gefallene(r) Zivilist(in); keine Mutter würde sonst wohl so handeln, und wenn, dann nicht ihre Aktion im letzten Moment selbst unterlaufen.
                          Dies ist eine der wenigen von der Gestensprache her eindeutig unmissverständlich zweideutigen Szenen im Film; wenige weitere folgen bald darauf in derselben Episode. In einer kurzen Gefechtspause rasten die beiden „Haupt-Handlungsträger“ („Identifikationsangebote“) in einem eingenommenen feindlichen MG-Nest zunächst den beiden getöteten japanischen Kämpfern; der eine „Marine“ (wie Selbstschutz-stolz sie sich nennen) zielt von seiner etwas überhöhten Lagerstatt mit kleinen Steinschen in die wässrige Regenblut-Lösung in der offenweggefegten Hirnschale, wo sie mit einem kleinen Plumps versenken. Sein südstaatlicher Kompagnon, dessen Weg der Verrohung von einem friedensstandardisierten Arztsohn zu einem fühllos brauchbaren Kriegsgesell-Instrumente wir verfolgen sollen dürfen, übernimmt in einem kulturbrechenden Akt das vormalige Beispiel seines Kameradenkompagnons, feindliches Zahngold nicht sinnlos der Verschwendung in Erdbestattung anheimzugeben. Nun eine Umkehrung der Positionen: der ehmals barbarische Kamerad hindert die gefährdete entbehrte Menschlichkeit seines Kampfbruders, mit ungeschickten Ausflüchten ; und dieser wiederum, einige Sequenzen zuvor, in einem letzten Aufbäumen der seinen, einen bereits steingewordenen Sammler daran, eine derartige Vivisektion an einem noch sich schwach wehrenden verletzten ‚Feind’ vorzunehmen- „erschieß ihn doch wenigstens vorher – ist einfacher dann“, gesagt, getan.

                          Hier, anhand solcher Szenen, wird die Chance einer Entwicklung genutzt – statt immer nur eine Wiederholung vom selben Punkt anzubieten, wie eine sprunghafte Platte. Zum Abschluß wird diese Darstellungsentwicklung ebenfalls in derselben Folge gebracht: aus der Hütte einer frisch überrannten gegnerischen Stellung in einem okinawischen Bergdorf klingt Gewimmer; die beiden wegkameraverfolgten Frontschweine, ehemals und zu Beginn der Folgen durchschnittsamerikanisierte Kulturwesen, finden - ein schreiendes Baby zur Seite seiner zerfetzten Mutter inmitten der umgekommenen Familie, ratlos über ihre Gewehrläufe luckend; bis ein dritter dazukommt und es kurzerhand pfleglich mit den Worten, was ist denn mit euch los, übernimmt; zuguterletzt, bereits allein, findet der Protagonist eine schwerverletzte Sterbende, noch in derselben Hütte, die keine Gefahr mehr darstellt, wie sich alsbald herausstellt; sie bittet ihn, sprachlos, um Gnade der Erlösung, im Richten seines Gewehrlaufs. In einer ergreifenden Aufweichung der Verhärtung findet da jemand zu einem momentanen Akt von Menschlichkeit zurück; statt ihrer stummen Bitte, um eine qualerlösende Salve, aus seiner Waffe, nachzukommen, begleitet er sie, armbergend, Gemeinsamkeit spendend, auf ihren letzten Lebensmeter-Minutesekunden, in den Tod, ihre Augen in die seinen eingehen lassend, aus ihrer Hand rollt ein Babyspielzeug ; dies sind wahrlich gefaßte, wortlose Momente, die ein stundenlang vorgehendes Geballer & Gemetzel rechtfertigen ; es ist sogar fraglich, ob sie so genommen nicht über einen gewissen inszenatorischen geheimen Sinn verfügen, denn diese repetative inverse Gebetsmühle verfolgt ja doch denselben abstumpfenden: voraussetzenden Effekt.
                          Final zu erwähnen kommt zuletzt, abschließend, der Fangschuß dieser angedeuteten, einzig erwähnenswerten Entwicklung inmitten der repetativen Metzel-Wut: aus der Hütte kommend, begegnet der Weichgeklopfte alsbald einem aus seinem Bunker wankenden, einzig übriggebliebenen, waffenlosen japanischen Soldaten,- kaum, wie man musternd bald bemerkt (nachdem von der Uniform allmählich der Fokus des Blicks auf die Gesichtszüge wechselt) erwachsen noch jugendlich; und über das Visier des Schußeisens hinweg nimmt „Sledge-Hammer“ einen Augenblick lang einen M e n s c h e n wahr, den e r dieses eine Mal nicht tötet (was jenem Jungen aber nichts weiter nützt, denn er ist inmitten eines einspringenden Heers anderweitiger Soldateska-). Solches Eingeständnis: ist ein potentiell erlösender Akt von Selbstreinigung in einem amerikanischen Film über einen idealisierten (aufgezwungenen) amerikanischen Krieg (denn wie einmal gesagt wird: es ist kein japanischer (oder deutscher) Krieg, denn diese Nationen „mögen ihn begonnen haben,- wir aber werden ihn beenden!“)

                          Nun haben wir die wenigen erkenntnisproduktiven Szenen des Epos denk ich und fürcht ich beisammen außer der ewiggleichneuen (einprägsamen) Bebilderung dessen, was bloß i s t (wie es immer war, schreckliche Oberfläche, wie sie uns auch aus jeder aktuellen Zeitungsausgabe angrinsen k ö n n t e, wenn wir es nur (sehen) w o l l t e n) ; wir nehmen lieber den Film, vom bequem gerückten Sessel aus ; was bleibt aus ihm darüber?

                          - ich fürchte, nur wie folgt : Patriotismus, dieser typisch unnachahmlichen amerikanischen Kameraperspektive; ein Kriegskino, das die neuen Möglichkeiten von Animation-, CGI- und erreichter Tabulosigkeit darstellerischer Gewalt nutzt (Körper-Zerfetzen, Silikon-Leichen -und Leichen-Teile, eines madenwimmelnden Schädels zum Beispiel, oder auch der nicht länger standhaltendem Inszenierungs-Grenze von Kinds- und Frauen-Mütter-Unschuldigen-Mord); voyeuristische Detail-Frakturen; jede Menge unhinterfragter Strukturen (der heile Südstaaten-Herreninselhaushalt samt satt-zufrieden-schwarzer Hausangestellten-Armada); Japaner als einzig huschend-wimmelndem Kanonenfutter, das in offenes MG-Feuer rennt, um sich kamera-dekorativ hinzuwerfen; dieses gewisse, grenzenlos naive, von sich Selbst-fraglos-überzeugt sein (anderswie Selbstgerechtigkeit genannt) , das amerikanische schwarz-weiß-cineastische Perspektive stets begleitet; das Akzeptieren grundlegender Standards des Gut- Und –Böse-Seins, das merkwürdig genug (bei dem, was ich bereits schilderte) doch stets die Grundlage solchherkünftiger Filme bildet, die so selten grenzüberschreitend und entsetzlich konventionell funktionieren,- was sie nicht können sollen dürften, wäre anders das Thema adäquat ernst- und angenommen ; : Krieg ist eine Forderung, Grenzen einzureißen, & nicht länger zu akzeptieren,- auch im inszenatorischen Sinne ; ein herkömmlicher Kriegsfilm ist ein schlechter Kriegsfilm. Im Krieg gibt es oder sollte es nicht geben keine Gewöhnung und Gewöhnlichkeit; Krieg ist das Gegenteil des Gewohnten; das ist das Wesen von Krieg. Nichts kommt scheinbar so gewohnt daher wie Krieg; und nichts ist es in Wirklichkeit weniger als das. Hat filmisches Wiederhervorkramen überhaupt nur eine Berechtigung, ist es eine interpretatorische, darstellerische, künstlerische, verlebendigende, Erkenntnis-Ermöglichung, die nachholt, was „im Eifer“ und der Hektik und der Drangsal „des Gefechts“ nicht möglich war; ansonsten bedürfen und gestatten die Toten der Ruhe. Tut man es nicht; lässt man sie nicht ruhen, sondern holt die Untoten, die Zombies, die Hingemordeten- und Massakrierten- und Ge-schlacht-eten aus ihren Grüften, Schlünden, Senken, Sümpfen und Massengräbern wieder hervor, - so hat man eindeutig einen messianischen und aufklärerischen Auftrag; ansonsten wäre man weniger als gesinnungs- und profitschmieriger Dreck,- was bei Hanks und Spielberg (weniger) wohl auszuschließen wäre (der letzte scheint ein wenig berufsblinder korrumpiert). Angenommen also, über dieses Anliegen herrscht Konsens, Krieg-sdarstellung diente nicht zum Befriedigungs-Appell niederer Instinkthaftigkeit; angenommen also, Kriegs-Film ziehe seine einzige weiterweisende Berechtigung daraus, eventuell einer künstlichen wennmöglich künstlerischen Überhebung seiner niedrigen realverwurzelten Herkunft zu dienen; angenommen, dieses „Dienen“ (zum „höheren Zweck“) wäre das, worum es Kriegsfilm-Erlaubtem ginge; angenommen, also zur Kunst womöglich sich zu ertauglichen wäre Permissions-Voraussetzung des eigentlichen Film-Drehens-&Kenntnisnahme von gesellschaftseinstudiertem Massenmord; angenommen, also, Film-Erleben (hierbei) sei einzig des darum bemühten Erkenntnisgewinns – willenswegen erlaubt; angenommen, man solle, womöglich, am Ende des Films erkenntlicher und bereicherter und, wennmöglich, der Teilnahme an solchem inhumanen Gemetzel widersetzlicher befunden worden sein als zuvor; angenommen, Kriegs-Film solle, wenn experimentell gelungen, Abscheu und Widerstandskraft gegen das Reale des Krieges und nicht seine historische Prolongation, bedeuten; angenommen, Kriegs-Film solle Kriegs-Abscheu bewirken; -
                          dann wäre es der einzige Zweck von Kriegs-Film, die Grenzen des Gewohnten zu brechen und hinauszuschieben.; dann wäre Kriegsfilm nur insoweit akzeptabel, zweckdienlich und der Pietät und des Respektes Unzähliger gegenüber, die tatsächlich ihr Leben weniger gaben als vielmehr verloren wegen desmalen erlaubt,- wie es dieser künstlerischen Absicht gelingt, Grenzen nicht nur auszuloten sondern zu überschreiten und gegenstandslos zu machen.

                          Angenommen, „K u n s t“ wäre die Rechtfertigung der Kriegs-Darstellung; dann dürfte dem Zuschauer gerade nicht das Verharren im Gewohnten gestattet-, oder als Endprodukt des Konsumentenerlebnisses restverbleibend gestattet sein. Kunst müsste ihn aus dem Gewohnten, Akzeptierten reißen; Kunst müsste ihn sich selbst entreißen, und seines Gewöhnten überheben. Kunst müsste, hier, entsetzen, und Abscheu hervorrufen; Kunst müsste ihn sich selbst verabscheuungswürdig machen, sofern er sich als Mensch zu empfinden wünscht. Denn der Krieg ist eine Schande des Menschengeschlechts, und niemand hat das Recht, sich einen Menschen zu nennen, solange wir Krieg in unserer Mitte +zeithistorischen Gegenwart noch dulden. Krieg ist empörend; und "echte" Kriegsdarstellung müsste nichts als Empörte zurücklassen. Die Tatsache des Krieges ist nicht bedauerlich sondern empörlich; und Kunst ist unsere Krücke, die Empörung zu schüren. Wenn die Darstellung des Krieges sattmacht, - und der Zuschauer danach zufrieden erbebt ins Bett geht, weil er seinen Unterhaltungszweck angenehm befriedigt empfindet, - hat die Kunst versagt, gleichviel, wie die Kasse klingelt: es war nicht die i h r e, - sondern sonsteine, die, wenn die Voraussetzungen stimmten, nicht erlaubt wäre, hätte man irgend – um es nicht schlimmer zu vergenauern – „Respekt“, vor der Ungeheuerlichkeit,- vor den Toten, vor den Vorfahren, vor uns selbst: unserem eigenen Wesen, und Ziel, - wüssten wir denn noch davon.

                          Kann The Pacific, in diesem Sinne, denn genügend empören, und ver-fremden, uns uns selbst fremd machen und entsetzen, -dem Gewohnten entreißen – und – überheben? – uns zur Nicht-Akzeptanz bringen? – das muss wohl jeder selber, für sich, entscheiden; wieweit ihm mehr als ein ungut-prickelndes – spannendes Gefühl, des Verboten-Reizvollen, übrig bleibt, mehr als das: Empörung, Handlungs-Wider-Willen. Der Ertrag ist geringer, meines Erachtens nach, als bei seinem beabsichtigten BandofBrothers- Geschwister; es mag an den Fähigkeiten des speziellen Bewerkstelliger-Teams liegen; trotzdem hätte, meiner Einschätzung nach, angemessen den Entwicklungsmöglichkeiten, von Geldumsatz und Spieldauer, mehr kreatives Potential darin gesteckt. Das ist natürlich unfair: jemand vorzuwerfen, das er nichts Besseres vermochte, wenn es nur nicht, wie stets zu befürchten, an falschorientierter Zuschauer-Erwartung gelegen haben mag, denn der Kunst-Verantwortliche ist kein Liebediener; Kunst hat nicht das Primat des Benutzers zu akzeptieren, - ganz im Gegenteil. (Vielleicht ist das sogar das Kainsmal der Kunstnutzung in massenkunstfeindlicher Ära: sich dem Primat der W a h r heit des Auszudrückenden, zu beugen, statt zu schmeicheln).

                          ! Kunst darf zwar und hat sich am Vermögen des Betrachters zu orientieren; und der Gestus der elitären Massenfeindlichkeit ist Degout.

                          !Aber man kann der Masse dienen, indem man ihr Anspruch vorsetzt: denn die Masse verträgt ihn, mehr als wahre Kleinheit (nicht) denkt. Die Masse ist klüger als ihr Ruf ; ihre Form mag nicht gewahrt sein, wohl aber – Volksmund tut sehr genau – ihr Inhalt. 'Die Masse' ist nicht dumm; sie ist nur ungebildet. Ihr Bildung unter dem Vorwand der Dummheit vorzuenthalten, zeugt nicht von Bildung – sondern genau dem, anderen, seinerseits. Der Gebildete, der sich dumm verhält, ist eine Schande. Auf Unbildung gibt es nur e i n e wahre, wohlempfundene, und gewürdigte Antwort: Bildungs-reifung, nichts sonst zählt und existiert daneben. Es ist das Unglück und die mangelnde Würde unserer Zeit und der verrmeintlich ein-gebildeten Elite/ auch der Kunst : das der Masse formbare Bildungsfähigkeit, Aufklärung und Besserung, aus dem nichtigen Vorurteil der unüberwindbaren Un-Wissensschranke,- abgesprochen wird, die in Wahrheit: nicht existiert, jedenfalls nicht im Essentiellen: und das, am Volkswohl gemessen, ist das Kriegs- Phänomen, die Bestie, die in ihm lebt, und mit der es lebt, seit Menschengedenken, sehr wohl.

                          Es mag sein, das die Geheimnisse der alltagswidersprüchlichen Quantenphysik der breiten Zugänglichkeit und Publikumsgunst verschlossen sind; die der menschlichen Destruktivität müssen, - vielmehr dürfen: es nicht bleiben.
                          Wer sich Kriegsdarstellungen traut: hat die Pflicht daran zu glauben, so weit er nur vermag. Keine andere Grenze darf gelten: als die des Vermögens seiner Vorstellungs-Kraft- und Übermittlungs-Verlebendigungs.Fähigkeit. Jedes Bedenken daneben ist sekundär. Der Kriegsfilmer hat Aufklärer zu sein, wie er kann, nichts weiter. Und Aufklärer ist: wer Wahrheit, wie er sie selbst erkennt, liefert. Die Wahrheit braucht keinen Fürsprecher, und die sie braucht, ist nicht s i e: denn die Wahrheit macht sich selbst verständlich. Die Wahrheit braucht keinen Übersetzer: nur einen Überbringer. Die Wahrheit braucht Boten, keine Interpreten. Wer denkt, als Künstler sei er Interpret, nicht Bote,
                          irrt:

                          denn er beruht auf dem Irrtum, das der Empfänger der Botschaft dümmer, geringer sei als er selbst. Das ist inkorrekt: vor der Wahrheit sind wir alle gleich, ihr gleich wert und lieb,- und würdig. Übersetzen wir erst lang : bringen wir u n s e r e Botschaft,- und nicht länger die der Kunst. Übersetzung bewerkstelligt Vernunft und Verstand, Kunst: spricht tiefer, gutturale Laute, des Un/ter/bewußten. Kunst spricht aus s i c h : so wenig, wie wir aus unserem Un- und Unterbewußten vermöglich zu sprechen verständen, es sei denn: wir beherrschten die Kunst, die uns beherrschen soll K u n s t spricht für sich: und nicht w i r vermögen für sie zu sprechen. Sie spricht entweder aus uns: oder, was wir zu sagen haben, ist es nicht wert.

                          Das sollte ein Künstler sich zutrauen: nicht in ihrem Namen sprechen zu wollen, - oder zu überlegen, was sie uns zu sagen, und wenn, in welcher erlaubten Form, sie es uns mitzuteilen hätte erlaubt sei. Hollywood steht vielleicht bald vor dieser Erkenntnisschranke: dem Künstler zu erlauben, sich f r e i auszusprechen, um die Kunst uns frei zugänglich zu machen. Noch ist es nicht soweit; noch scheint das finanzielle Risiko zu hoch, wo der, der das Geld gibt, nicht derjenige ist, der Kunst zu geben vermöchte, sondern sein Gegensatz ist. Noch stehen sich Geld und Kunst, immer noch, unversöhnt und feindlich gegenüber im Weg. Es mag sich wandeln, es ist zu hoffen, das es sich wandelt: und genügend Zeit bleibt, um künftig zu profitieren. Aber was soll’s: von anderem auszugehen, macht eh keinen Sinn.

                          Was bleibt noch zu sagen? – ‚The Pacific’ verschenkt viel Potential, und geht kaum einen Schritt weiter, als BandoB /sein vorangehendes Geschwister; Amerika, nach seinem eigenen Punischen Krieg, verdaut als unapetttlicher Sieger seine Wunden + Trophayen und findet sich, überrascht und überhoben, wie neureich, als vermeintlicher Weltbeherrscher wieder. Film inkrustiert mittlerweile kollektives Gedächtnis; die Runen der Erinnerung befinden sich instantan, na ja, nicht mehr auf Zelluloid-, -auf digitaler Medienteilbarkeit. Amerika besinnt sich, nach dem Western, auf seinen nächsten Meta-Mythos: WW II und seinen anfänglich heroischen Anti-Faschismus. Tragisch war, das es zum Erben in jeder Hinsicht wurde: denn wer zum Herrscher wird, erbt die Herrschaft, mit all ihren bisherigen Bedingungen, denn Herrschaft ist ur-alt. Das ausgewanderte entwichene überdrüssige Kind der Aktualität beerbte Europa, den uralt verkommenen Greis: und übernahm all seinen derzeitigen moralischen Besitzstand, im Guten wie im Bösen: es war nicht möglich auszuschlagen. Leider war, als der Erb-Fall eintrat durch schuldhaften Selbstmord (wieder kam einem bestimmten Land wie durch den deutschen Kaiser WilhelmII die entscheidende Vorreiter-Schlüsselrolle zu, mittlerweile entwichen und ersetzt durch den weltkanonischen Erzbösewicht-Allrounder A.H.),- als also der Ahn verblies-und -verrauchte und das Mündel erbschaftsantrat: stellte sich heraus, das es noch gar jung, sehr jung, allzujung an Jahren war,- doch gar kein Regent nirgends allsoweit in Sicht : auf sich gestellt machte es sich in anarchischer Umgebung allein auf den Weg, und lernte schnell, und gründlich, erst einmal nichts als: zu überleben. Das tat es dann, hobelte kräftig und spahnte wohl auch. Sein Selbstbewußtsein erstarkte: und es fand sich gut.

                          Nun, wo Haut und Joppe (sogar nebst Ladung) gerettet sind, gesetzteren Alters, erinnert es sich, an gefahrumtoste Jugend,- eigentlich seine späte Kindheit noch: und beschwört Erinnerungen herauf, mit Bodenstempel: Hollywood. War’s wohl so, wie‘s da steht? – So oder so ähnlich, im Äußeren.

                          Nun muß es noch schaffen, das was über den Akt abzureissender Gliedmaßen hinausgeht: den Schmerz, der dabei zu empfinden ist.
                          Das herum(f)liegende Bein hat es schon aufgefunden: nun muß es nur noch dasselbe mit der dazugehörigen Emotion tun. Das ist schwieriger,- aber auch ergiebiger. Aber so wie man bei einem bloß abgerissenen Glied zunächst kaum sagen kann, wem es gehörte, wenn viele Kandidaten herumliegen,- und so geschieht’s,- so gehört dazu: zu entdecken, das ein amerikanisches einem deutschen oder japanischen Bein aufs Haar gleicht. Es ist ein menschliches Bein,- und der damit verbundene Schmerz ist gleich. Das ist kein Reinwaschen von faschistischen Verirrungs-Greueln: das ist das Heraufdämmern des nötigen, durch diese Greuel bewerkstelligten neubauenden Bewußtseins: dessen, was danach kommt und kommen muß: die Heilung nämlich.
                          Bindet man den Stumpf nur ab, und tut nichts weiter (so in etwa verhält es sich), wird der Verwundete -, nein, Verstümmelte ,- nicht genesen: er wird verbluten und sterben,- kann sagen, an seinen Wunden verrecken.

                          Soll er das nicht, bedarf er, wie’s gehen mag, der Pflege: und Heilkunst: die auf Erkenntnis beruht.
                          All das ist noch zu tun, Hollywood, ein weites Feld : zum Krieg taugt, vor allem nur, eine ewig dazu eingezogene Jugend : zum Arzt gehören Kenntnisse, über deren Erwerb notwendige Jahre vergehen, die ihn unversehens zum Mann gereift haben lassen. Es kann nicht anders sein. Und der Mann wird anders denken als der Jüngling tat, was er mußte. Es ist ein Zugewinn: es ist deine Aufgabe. Für dich, für Uns. Jeder für sich. Reift, vordringlich, in einer verstümmelten Welt, zum Arzt. Oder sie stirbt. An Uns. Und der Weigerung, anderes im Manne zu werden als ewiges, betrogenes, Kind, dessen Entwicklung – kurz danach abbrach, und ihm gestohlen wurde - und blieb /wo es war.

                          Das es nicht bleibt, was es ist, dafür hat Kunst, Hollywood ja, sogar du, zu sorgen.
                          The Pacific ist diesbezüglich etwas dünn, dünner noch als BoB, das gerade eben noch nicht z u dünn war. Wie ist es hier? Was meinst du selbst? Genügt dir das,- an Wahrhaftigkeit? -falsche Frage? was Kino angeht? aber was ist dann die richtige? Wie auch immer die Antwort ausfällt: sie müßte v e r m i ß t werden. Denn wenn wir erst wissen, das wir sie noch n i c h t haben: ist der schwierigste Teil getan: der Verlust der Zufriedenheit, mit dem was i s t , die daraus entsteht, weil es nichts weiter als i m m e r so war. Angesichts des Krieges kann nichts bleiben, wie es ist. Mehr gibt es dazu nichts Wesentliches zu erkennen. Nur das: ohne zu wissen, wie es geht: es muß anders werden, nicht nur besser, sondern: N I E W I E D E R K R I E G ! und wenn wir dazu die ganze Welt umgestalten müßten. Und wer das nicht versteht: hätte nichts verstanden, weder hüben noch drüben, - auf der Seite der Filmemacher -: und/oder ihrer Betrachter.

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                          • „Dramödie“ triffts ziemlich gut,- mit Betonung auf der Zweiten Silbe. Eindeutig ein Film, kein Anliegen: nette Abendunterhaltung über eine eigentlich selbstverständliche Haltung in einer Frage, die mittlerweile zwar noch vorhanden,- aber ihren gesellschaftsrelevanten Zenit überwunden hat. Kaum jemand selbst in den Südstaaten würde sich noch wie Bryce Dallas Howards‘ Rolle (der Hilly) trauen den offiziellen Ton in die angegebene Richtung zu führen,- denn in der Regel haben solche Charaktere ein sehr feines Gespür -, ja sind geradezu prädestiniert dafür -, die seismographischen Untergrundschwingungen des Zeitgeistes wahrzunehmen und wie ein komplett selbstunwahrnehmlicher Spiegel wiedervorzutäuschen. Rassismus d i e s e r Art ist – ein halbes Jahrhundert später – überwiegend out - und diskreditiert. Heißt nicht, das es keinen Rassismus – der feinen Art, selbst Weiß gegen Schwarz ,- mehr gibt: aber er hat sich vom öffentlich als stinkend Erwiesenen zurückgezogen,- um wirksamer im Hintergrund ergiebigere Fäden zu ziehen. Wie sagte Talleyrand nach der Ermordung des Herzogs von Enghien (durch napoleonische Schergen): „Das ist schlimmer als ein Verbrechen,- das war ein Fehler“. Rassisten zeichnen sich in der Regel nicht durch überragende Intelligenz, Rücksicht und Raffinesse aus; aber was ein taktischer Fehler wäre,- spüren sie in der Regel früher schnüffeliger und genauer, als ihre tendenziell naiven gutwilligen Fraktions-Gegner. Vom Ersaufenden setze dich rechtzeitig ab, willst du nicht mithinabgezogen werden: ist ein Odium, das jeder gebürtige Opportunist (und das sind kernhaft Rassisten) mit der Muttermilch eingesogen hat; und deswegen spüren die gefährlicheren‘ als die bloß tumben Mitläufer, die Hillys aller Couleur, sehr wohl, auf welchen abgefahrenen Zug nicht länger noch aufzuspringen lohnt ; aber keine Sorge; für eine geborene Hilly gibt es immer Ersatz (wie wärs mit islamischen Fundamentalisten?)- (Kommunisten sind ebenfalls over & out -).

                            So ein Westküsten-Feelgoodmovie bedeutet nicht, das es keinen afro-negiblen Rassismus in USA mehr gäbe; aber er zeigt, welche Linie (momentan) im Besitz des gesellschaftlich formulierten Überbaus ist,- und die Röcke anhat; und das ist gut so. Das es eine so leichte und locker zusammengebackene – und mundige – Mischung jetzt geben kann,- für ein Problem, für das sich vor einem halben Jahrhundert noch unsere Väter – oder Großväter mittlerweile – veritabel umgebracht haben, bis hin zu Präsidenten, dessen Nachfolger sich jetzt gar in Schwarz präsentieren mag. Es ist etwas passiert,- vorangegangen seitdem (und Hollywood kann sagen, einmal, es hat nicht Weniges zu diesem Sinneswandel beigetragen hat durch unendlich viele Schau-Tragödie über zugefügtes schwarzes Leid aus weißem blinden Haß und Ungerechtigkeit - ursprünglicher Verdrängung schlechten Gewissens).

                            Die anfangs zaghafte Stimme der Umwertung der Werte ist mittlerweile die vernehmlichste im Land geworden,- ohne das bereits ALLES Paletti wäre. Aber das Ziel ist am Horizont sichtbar geworden,- und es dürfte eine überraschende Wendung sein, sein Erreichen jetzt noch aufzuhalten. THE HELP in dieser Dareichungsform ist ein Zeichen erreichten Konsenses und nur noch nachgereichte Formalität. Niemand sollte uns dieses in Rosa getauchte Frauenmovie als revolutionär-feministisches Manifest verkaufen; es ist die satte Bestellung gerodeten Landes in dritter oder vierter Generation; arbeitsintensiv -, aber nicht mehr mit der Mühefron und Leidenshingabe der Pioniere zu vergleichen; ein selbsterfüllender Ablauf mittlerweile. Dieser Film bestätigt : das haben wir bereits geschafft! ,- und das ist gut,- und zu Recht: ein Pausen-Schnäckchen,- das sich die Belegschaft zu diesem Moment,- nach hartem Werkeln, verdient hat. Genießen wir es.
                            Genug bleibt zu tun; aber am Siebten Tag sollst du ruhn,- und auch einmal, selbst ein anderes Weib der Geschichte, einen Blick zurück werfen dürfen, ohne zur Tränensalzsäule erstarren,- denn hier einmal darf es nicht um Strafe gehen,- sondern um Lohn. Das ist ein guter Feierabend, nach einem langen harten Tag. Oder wie Ringo Starr sagen würde: „It’s been a hard nights day“ .

                            Noch etwas fällt mir (als älterem Semester) auf: heute darf man zweieinhalb Stunden dafür brauchen (und tut es), wo man früher mit anderthalb auskommen mußte. Der Film als Kunst wird erwachsen; wo ehmals skizziert wurde, wird heute ausgemalt. Wo Nutz-Mosaiken (als Böden beispielsweise) reichten, müssen jetzt Leinwandschaften als Wandbedeckung, für eigenständige, aufwendige Objekte her. Die Kunst bemächtigt sich ihres gesteigerten Bedarfs gemäß auch des Films; sie leistet sich, und sie ist Willens, zu investieren, den geringfügigen Mehraufwand, um aus bloßer angedeuteter Unterhaltung einen ausführlich selbständig funktionierenden Aussagewillen zu formulieren. Kunst ist das geringfügige Mehr an Ornament am Nutzen, den ein bloßes technisches Genügen erfordert; und das bedeutet hier die halbe Stunde mehr, die nötig ist, aus einem Umriß eine Gestalt zu meißeln. Wir begrüßen diese halbe Stunde und sind dankbar bereit für diese Gabe. Lieber ein ausführlich zu einem Guten detaillierter langer Film, als ein bloß Transportzwecken dienlicher (zu) kurzer; denn wessen Körper nachdem wie ein nasser Sack aus dem Gefährt geschaufelt wird, dessen Geist hatte zwischendurch gewiß keine Muße, aus dem Kutschfenster die Aussicht zu genießen. Kunst ist ein gewisses Mehr an Aufwand, der gern als Luxus diffamiert wird. Diese (geringe zusätzliche) Ausführlichkeit ist aber kein Luxus; sie ist das genaue Zungenbein des Zeitreisenden, der tatsächlich von der Stelle kommt. Denn Unterhaltung bestätigt zwar den Augenblick ; Kunst aber die Neige zur Zukunft. ,- der Punkt, der davonrollend Strecke bildet, mit ein wenig (zur Not künstlich herstellbarem) Gefälle, wo Natur nicht reicht : wird aus einem Runden eine R e i s e .

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                              Ist schon erstaunlich, was das Internet präsentiert: ein weit überdurchschnittliches Top-Bewertungsbombardement von offensichtlich sehr jungen Zuschauern. Wenn es so ist, gibt’s daran wenig zu mäkeln: denn den Menschen gefällt, wessen sie in diesem Augenblick bedürfen. Also befriedigt ein so bewerteter Film offensichtlich ein öffentliches Bedürfnis,- ohne Scheiß: lobenswert,- vor allem, wenn sich kaum kritische Stimmen dareinmischen. So leid es mir tut: ich muß ein wenig die zweite Stimme darüber trällern. Aber nur kurz.

                              3 Stunden nimmt sich der Film Zeit,- was ich eher gut finde,- denn wieviel Zeit widmen wir einem Buch oder anderer Kunst, wenn wir sie ernstnehmen? Möchten wir einen dementsprechenden Film -, und Leute, ich glaube, es ist soweit, die Kindertage des Kinos sind längst vorüber, ja, was kommen sollte, überfällig -, müssen wir bereit sein, die Kosten dafür zu übernehmen, und das heißt: dem Film Zeit lassen, sein Werk in uns zu bestellen. Man kriegt, was man reinsteckt: und nicht mehr als Zeit ist, worum wir gebeten sind. Alles Übrige übernimmt dankbarlich das Werk.

                              Drei Stunden: da könnte man eine Menge mit machen. Die so gebotene Schilderung nutzt sie hier, um uns einfühlig auf die Wellenlänge der Menschen in diesem Schuppen zu bringen. Sehr unspektakulär, was geschieht: Normalität wird hergestellt. So weit das in einem Todestrakt gelingt. Denn hier warten Menschen zwangsbegleitet auf ihre öffentliche Hinrichtung. Tja nun; was wird draus gemacht?

                              Alle verstehen sich prächtig,- jedenfalls überwiegend. Der Oberaufseher ist eine Seele von Mensch, den auch mal der Vorgesetzte um Beistand angeht, wenn seine Frau an einem lebensgefährlichen Tumor krankt. Überhaupt sind alle unheimlich nett,- und arbeiten human im Sinne der Gemeinschaft und öffentlichen Sicherheit zusammen, auch die, die es am meisten angeht. Vermutlich treibt sich in einem solchen Zellentrakt genügend pyschologischer Zündstoff her, um für einen Normalität durchbrechenden Film zu sorgen. Hier wird allerdings nichts durchbrochen, nicht einmal das übliche Gerede für eine Minute nachdenklichem Schweigen. Alles geht so seinen Gang lang; und es braucht schon ein Wunder, um die Routine stutzig werden zu lassen. Das braucht allerdings ne gute Stunde, um gar zu werden.
                              Die zweite Stunde vergeht, um das -tatsächlich- Übernatürliche zu beglaubigen; bei manchem dauert’s halt etwas länger. Die letzte wird damit verbraucht, um ein moralisches Dilemma einzuschläfern: merkt der Zuschauer oder merkt er es nicht, das ein völlig unschuldiger Mensch öffentlich hingerichtet werden wird, wenn man nichts dagegen tun wird? Kann man irgendetwas tun?
                              -Bevor man sich ganz schlüssig geworden ist, ist es auch „schon“ passiert. Oups! Entschuldigung. Pardon; vielleicht hätten wir noch eine weitere Weile draufgeben sollen.

                              Ich würd sagen: hier stimmt etwas nicht. Mit jener einen, kleinen Idee, die hinter jedem Kunstwerk stecken sollte. Und zwar ganz gewaltätig etwas nicht. Irgendetwas ist faul im Staate Amerika. Ein bissel konservativ gedacht,- oder? – verurteilt ist verurteilt, das ziehen wir jetzt durch,- und schließlich will es der Angeklagte ja so. Aber dann muß er sich leider selbst von der Brücke stürzen, statt den fatalen Staat zu bemühen,- sollte man denken, das seine Beamteten darauf kämen. Ein Film gegen die Todesstrafe? Wohl kaum? Gegen irgendwas dann? Ja – gegen trockene unbefeuchtete Augen. Es tut gut, sch mal so richtig rühren zu lassen. Rührung ist ein sicherer Blitzableiter für Dinge, die nicht schiergeändert werden möchten. Das gerührte Herz wischt sich die Krokodilsträne nach getaner Arbeit - wissen Sie, wie anstrengend Weinen ist? – aus dem Auge, und legt sich sanft wie ein Ruhekissen nieder und schläft allen selbst Schlaf des Gerechten (Goya),- denn wir haben ja mehr als eine dicke Träne nachgeweint. Das gelüftete Gemüt ist mit sich selbst erneut im Reinen, Vorgang abgeschlossen. Ende aufgelöst. Dieser Film ist ausgesprochen institutionserhaltend. Er predigt übermenschliche Enthaltfügsamkeit, Kismet, Fatalismus. Selbst die vollkommene Umkehrung eines überwiesenen Sachverhalts vom tatkräftigen Mörder zum Heiler vermag niemand der in diesem Räderwerk befangenen Menschlein dazu zu bringen, ein eingesetztes Prozedere ab- und unterzubrechen. Das nenne ich Pflichterfüllung! Deckel ab zum Gebet! Aber das kann dauern!

                              Fazit: viele viele Gutmenschen, & ein paar unkorrigierbare Bösewichter. Wandlungen macht niemand durch. Verbesserungen passieren durch ein Wunder, ohne eigenes Zutun. Man selbst geht stur seinen Gang /runter. Erstens: ohne jeden Verlust an Storyqualität hätte das ganze inneranderthalb einer Stunde abgewickelt werden können. Zweitens. Es hätte gar nicht abgewickelt, nur mitgeteilt werden müssen. Eine pure Information hätte genügt, da nichts von A nach B befördert wird außer der bloßen Information, mit der auf dem langen, langen Wege nichts geschieht, außer das Leute, deren Leitung/en offensichtlich entsprechend sind, vergeblich drittens darum gebeten werden, bitte von selbiger stehend zu gehen, damit etwaige Schluß-Information durchkommen könnte. Tut sie basta nicht,- bis zum Ende. Also: warum das Ganze? – Kurz: wer das Erwachsenhandelnwerden erst als Fernziel noch vor sich hat,- darf hier den Leersaal betreten. Alle anderen: begeben sich bitte in Kino C, denn da läuft irgendein anderer Film.

                              Na ja, auch wenn der erste Saal wegen der Nachfrage der größte im ganzen Schaukomplex sein muß.

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                                "Kühl hat der Film Jan Schulz-Ojala gelassen. Der Regisseur "macht aus diesem Material geradezu erschütternd wenig. Brav bebildert er die Stationen seiner Vorlage ... Im Bemühen, jene emotionale Leerstelle zu übertünchen, beschwört DIE STADT DER BLINDEN zwangsläufig weitere Mängel herauf. Die Musik tut bis zum Tinnitus-Terror alles, um auf ihrer Sinnebene den Seelenhorror der Figuren auszumalen - und setzt in den Momenten der Harmonie auf gröbsten Spieluhr-Kitsch. Und die spät eingreifende Erzählerstimme ist irgendwann nur mehr als Kapitulation der mise en scene zu verstehen, bis zum - erschöpften - Happyend, zu dem auch ein niedlich zottiger Terrier sein Teil besteuert."

                                Nur der Vollständigkeit halber: ich habe auch dieses gesehen. Der obigen Kritik ist –selten genug- wenig hinzufügen. Natürlich handelt es sich bei dem Film im Ganzen um eine reine Allegorie – über den „Charakter des Menschen im Allgemeinen“. Vielleicht kommt er deswegen über eine Plattitüde nicht hinaus. Er bemüht sich, ein „ernstes“ Werk zu sein – außer Spesen nichts gewesen. Diese gewissen Leute mit viel Botschaft und wenig Talent.

                                Führe deine Leute in Extremsituation und zeige, wie knapp unter der Oberfläche der Zivilisationstünche das Chaos lauert – und zeige per Analogie, das hinter der scheinbar so normalen Fassade unserer Alltäglichkeit das nämliche geschieht,- nicht geschehen könnte,- sondern geschieht. - Das hat, zugegeben, schon manchen guten Film produziert – aber zum Guten gehört eben eines -, Phantasie, Eigenständigkeit, Mut, Reaktionsvermögen, Einfühlung, Spontanität, Plan, Ideen, Durchsetzungsfähigkeit, Zähigkeit, Wendigkeit, eine Vorstellungs- und Umsetzungsfähigkeit der Vision -, kurz -, Talent. All das hier ist flach und einfallslos, Breite nicht Tiefe, ausgelatscht und nicht balanciert. Ein Trampeltier, keine Pirouette. Es ist, als ob eine Kuh versucht, Foxtrott zu tanzen. Tut mir leid, mit Kuh ist nicht Julianne Moore gemeint, die macht ihre Sache so relativ gut, wie es hier möglich war. Der Regisseur gehört sicher zu den jungen Hyper-Ambitionierten. Mal sehn, in zwanzig Jahren? – hat er vielleicht genug gelernt, um einen gültigen Film zu machen. Bis dahin, ein so niederschmetterndes Lob, wie es nur möglich ist: geh mal nach Hollywood, ins Kino, und schau dir ein paar Filme dort an. Die, so sie alles nicht haben, was dir nicht fehlt, haben alles das, was es bei dir so treibt: fehlgehen nämlich. Die, die nichts zu sagen haben,- tun es wenigstens auf anständig perfekte Weise. Das ist zumindest in einem Sinne etwas, das geboten wird – eine anständige Verpackung für ein Häufchen Luft. Immer noch besser, als ein Sieb voll Suppe schlürfen zu sollen. Man hatte dort wenigstens die Freude eines angenehmen Anblicks, kurzzeitig. Anders ist es, den Duft von lecker guter Suppe in der Nase zu haben, ohne je etwas zwischen den Lippen,- im Mund, zu beißen zu spüren. Appetit zu wecken, und unbefriedigt zu lassen, ist schlechter, als ein hübsches Ding zu liefern, dessen Hübschheit sich dann im Nichts verliert. Der Hunger beißt nämlich kräftiger als eine Schmeichelei. Ist eine Schmeichelei vorbei, ist alles wie vorher. Ist aber der Hunger geweckt, ohne Folge, bleibt eines – das Kneifen im Magen. Deswegen bin ich euch untalentierten Ernsthaften so gram.

                                Aus diesem Grund ihr Künstler, mit der großen Geste: wenn ihr schon so tuen müßt, als ob ihr es in der Totale meint: dann habt auch zu geben. Sonst bescheidet euch, und versucht es, zur Übung des Anfangs, erst einmal mit Unterhaltung. Wenn euch die gelingt,- greift vielleicht nach dem nächsten Stern. Übernehmt euch nicht. Nichts steht so ungeschickt zu Gesichte wie große, unerfüllte Ambition. Lieber im Anspruch ein wenig herunter, und ein wenig erfüllt, - als viel gewollt und wenig erreicht. ‚Mehr sein als schein‘, wie die durstige Pupille sagt. In diesem Sinn, Herr Regisseur, ab ins Kino, unterste Klasse, Broadway Parkett : und fleißig hingesehen. Da kann man, bis zur Zwischenprüfung, ‘ne Menge lernen. Und irgendwann kommt der Abschluß. Und dann, mein Herr, beginnt der Beruf – der Ernst des Lebens. Und dann, weit, weit entfernt,- die Meisterschaft. Die ersten richtigen Werke. Ein jedes ein Abenteuer. Ein jedes einmalig. Vielleicht. Wenn es bis zur Meisterschaft kommt. Aber das lernt man nicht in der Akademie. In der des Lebens, vielleicht. Wenn man aufgepaßt hat: was es zu sagen hat, Uns, Mir, Dir persönlich. Und wenn, dann, kommt vielleicht der Moment: wo es das, was es Dir zusteckte, gelingt, für andere auszudrücken; so das sie hinhören, aufmerken möchten. Dann bist Du am Ziel. Nicht vorher. Der Lehrling sollte aufpassen,- nicht den Finger aufzeigen, nicht die Bühne betreten, nicht das Forum erklimmen, nicht die Stimme erheben. Dem Lehrling passieren sonst schlimme Sachen: er blamiert sich, schnell ein für allemal. Die Chancen deines Lebens erscheinen dünn besetzt: eigentlich bekommst du sie nur einmal,- wenn alles mit rechten Dingen zugeht. So spare dein Pulver,- bis der Schuß sitzt. Peng. Erledigt.

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                                • 4

                                  („Im Fadenkreuz der Mafia“ – Titelübersetzung: 5 minus-, setzen.)
                                  „Mafiathriller“ mit künstlichen Einschlägen. Das Besondere blitzt auf wie in Momenten am Anfang, wo minutenlang nur nächtliche Regentropfen in Großaufnahme auf einen überschwemmten Asphalt aufschlagen. Das ist gut! Viel besser als das übliche Getue der Figuren selbst, die reden, agieren, Puppen wie gewohnt- und kaum Besonderes beizutragen haben,- ein üblicher Krimi eben. Manchmal leuchtet ein wenig Unübliches auf. Er plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen: der Vater der Freundin des Killers ist Stuntman und Leiter einer einschlägigen Firma. Mal eine andere lehrreiche Perspektive: so wird das also gemacht,- wenn es kracht und brennt und stürzt. Wieder etwas Besonderes; allerdings sind Zauberer „eigentlich“ per hippokratischem Eid in Selbstverpflichtung gebunden, nichts zu lüften, um allen nicht den künftigen Spaß zu verderben, denn ein verratener Trick verpufft ab hier. Da James Caan nicht wirklich Stuntman ist,- durfte er das wohl doch, oder sein Chef hat nichts davon mitgekriegt.- Apropos stuntman: der Schweißtropfen, der an dem Handschuh zittert vor einer waghalsigen Autocrash-Szene; da ist diese gewisse Ästhetik wieder kurz, die diesen Film in Momenten lobend vor anderen auszeichnet. Solche Kleinigkeiten sind es, in einem Meer des Gewöhnlichen.

                                  Ansonsten das Eingemachte. Weswegen findet es doch hier Erwähnung? Eine Besonderheit: das Chargieren des Täters, der „immer schon Probleme mit seinem Gewissen hatte“ (er ließ z.B. einen armen Chinesenkoch am Leben, der Zeuge eines Mordes geworden war, und landete wegen seiner Zeugenaussage im Gefängnis, wenn auch nicht für lange,- dieser also nicht rundum abgehärtete Auftrags“killer“ mit dem Lindenblatt der Berührbarkeit zwischen den Schulterblättern bekommt den latenten Auftrag, einen Mord in Miami vorzubereiten – eben jenen Vater,- um den es eigentlich aber nicht geht in diesem Film, sondern um die verwundbare Lücke im Drachenpanzer,- dort zwischen den Schultern der seelischen Unberührbarkeit. Nicht sonderlich originell,- und zum ständigen Schluß in gewohnte Manier zurückfallend,- aber doch in Momenten bemüht, eine seelische Fortbewegung von hier nach da, und wenn es nur Zentimeter sind, zu konstruieren. Noch ein besonderes: der Penner am Strand, der den ganzen Film immer wieder, wie eine Kapitelüberschrift, einzelne neue Stufen des inneren Emportauchens aus Gefühlskälte illustriert,- vom zuerst wie fortgejagten streunenden Hund,- über eine schließlich reiche unerwartete Gabe,- bis hin zum friedlich zufriedenen Biß in einen Apfel am frühen herrlichen Sonnenaufgang am Ufer, nachdem alles vorbei ist,- „wer das Schwert wählt, wähle lieber die Pflugschar“ na, hier auch nicht ganz richtig angewandt als Metapher.

                                  Ein Pariadrache auf seinem Weg in zurückerlangbare seelische Empfindlichkeit; ein zu lobendes Thema, eigentlich, hier aber natürlich um Größenordnungen zu kleinlaut angegangen; denn eigentlich wollte man einen knalligen „Krimi“ mit Hintergrund drehen,- und nicht ein echtes seelisches Drama. So kommt alles (was war wie fast immer),- wies kommen mußte,- merkwürdigerweise überleben Zwei unvorhersehbar, deren Name weit und breit auf jeder Abschußliste prangte,- eine Panne des Drehbuchs wohl, tut aber auch nichts störend zur Sache, weil alles viel zu leichtgewichtig ist, um das Wiegen zu einer lohnenswerten Angelegenheit zu machen. Man hat seine Frustrationstoleranz-Schwellen -.
                                  Völlig unglaubwürdig, wie der mächtige Carlo seinen Abgang vorbereitet; das ist ein übler Faux-Pas, aber man ist eh nicht gewohnt, seinen Kopf ins Kino mitzunehmen,- alles im Rahmen des Üblichen.-

                                  Unüblich also: Remineszenzen eines üblichen Drehbuch-Killers an „normale“ seelische Reaktionen auf kriminellen Verve; ein Versuch, das Kino aus dem Kino-Zuschauensraum auf die Straße des üblichen Alltags zurückzuholen, den geschützten Raum der Kunstsprache-Innenwelt des Vorführraums wieder einmal an „Realität“ anzuamalgieren. In einigen raren Momenten blitzt diese Verbindung auf,- etwa wenn die Ärzte-Tochter am Kranken-Sterbebett auf Kinderstation sitzt. (Oder? Doch nicht?)

                                  Fazit: Sie verpassen nichts, wenn sie diesen Streifen nicht sehen; andererseits ist er keine reine Zeitverschwendung. Nutzt nichts, so schads nichts; Wenn Ihnen einmal ganz langweilig ist,- können Sie ihn sich reintun; aber dann sollte Ihnen Zeit generell nicht allzu kostbar sein. Eine ernsthafte Sinnlücke schließt dieser Film nicht. Aber welcher tut das schon?
                                  (Doch, - einige gibt es, die man gesehen haben sollte; aber die darf man, wie alles Divine, nicht in die Waagschale werfen, und als Argument verwenden; sie stehen außerhalb der Konkurrenz. Und innerhalb dieser: existiert dieser in einem wahlfreien Mittelfeld...Sie haben die Wahl, ohne jede Qual, wies beliebt, Sir. Erwarten Sie nun nichts weiter von mir. Ihre Entscheidung, nicht weiter von Belang... Bis demnächst.)

                                  • 3

                                    La Femme. Paris. Die Liebe. Die Frauen von‘.
                                    Das Alter. Die Falten. Der Schmerz. Eifersucht. Horrende Preise. Wo nehmen all die alten Tucken das Geld her?

                                    Keine Frage: ein Frauenfilm. Regisseurin: eine (vermutlich mittelalternde) Französin. Die Konfrontation der Schönheit mit der Vergänglichkeit: „Wir haben doch sonst nichts ande-res...“. Gemeint ist nicht das Angebot an Pülverchen und Wässerchen: sondern das, was Frau-en (der Männerliebe) anzubieten zu meinen haben : ihre Äußerlichkeit. Haben wir Männer sie dazu gezwungen, oder entspringt dies der passiven Verwöhnlust (sich das Leben schenken zu lassen, ohne etwas dafür leisten zu müssen)(außer billigem Sex) - der Frauen selbst? Laß dich anbeten!
                                    Die Liebe ist leicht, wenn man weiblich, jung, und schön ist. Doch der bequeme Weg entwik-kelt Tücken: die Zeit arbeitet gegen solch leichtes Beginnen und schmälert unerbittlich zu-nehmend den Frauen den unverdienten Ertrag,- Stück für Stück, Falte für Falte, gewohnten Komfort -: Verzicht. Flüchten oder Standhalten (geht nicht) : Klammern? In diesem Film wimmelt es von alternden stark geschminkten Frauen: Maskenträgern: dem natürlichen Kli-entel von Schönheitssalons,- die eigentlich Therapiestätten von Verlustängsten, Seelen-schmerz und Unentbehrlichkeiten in Sehnsuchtsform (siehe die Packungsbeilage) sind. Nur scheinbar zielen die wohltuenden Tinkturen und Essenzen auf körperliche Hinsicht: sie dienen endgültig als Balsam der Seele. Denn die, hungert auch: nach Zuneigung, nach Berührung: Liebe genannt. Mühsam lernen geschilderte Frauen, auf die Ochsentour, zu unterscheiden: mühelose Bedienung des jungen Fleisches von der mühsamen, ja schmerzlich-qualvoll stei-gerbaren Entbehrungs-Belohnung der alten, gereiften Seele zu unterscheiden,- und dort in ausgewogene Übereinstimmung zu bringen – oder wenigstens zu versuchen, es zu tun. „Liebe ist das schönfärberische Mittel, dir die Freiheit zu rauben!“ – wenn man nun aber im Grunde gar nicht frei zu sein wünscht?

                                    Hier taucht das echte Problem, das dieser Film leider hat, auf. Die Frauen hier allesamt wollen nicht frei sein. Von einer einzigen ist dem Hörensagen nach die Rede: Jaques, der alte unge-stalte Ex der in ihrem Innern hin- und her verbogen gezerrten Hauptperson,- muß ihr Aner-bieten, einen Neuanfang zu wagen,- ausschlagen: er hat eine Junge kennengelernt (sie ist dreißig, zärtlich – ‚und verliebt‘) – aber vor allem: „sie ist nicht so oberflächlich“. Das saß und sitzt. Da helfen auch keine Pillen und kein Nürnberger Trichter.

                                    Ansonsten dreht sich der Film um alle möglichen Finten und Tricks, dem Unausweichlichen zu entwischen: und wie vergeblich das alles! Mit flüchtigem Sex im Vorübergehen ist Herz-lichkeit nicht zu ersetzen. One night stands als Vorbeugungsmittel gegen die Liebe: Abwehr echten Gefühls, da Zuneigung Gebundenheit (‚Freiheitsberaubung‘),- Abhängigkeit und Ver-letzbarkeit bedeutet. Jeanette hat die Schnauze voll vom Schmerz; und lebt daher emotional abstinent. Körpersaftschwankungen werden professionell organisiert routiniert reguliert – und zeitgemäß ausgeglichen und in Waage gehalten. So kommt keine Erschütterung des merklo-sen Gleichgewichts auf. Leider läßt sich die Liebe nicht außenvor halten („Wir müssen leider draußen bleiben“ - da ICH schon drin bin). So endet alles zwangläufig (wie immer zwischen-durch mal) in einem gewaltigen, versöhnenden Kuß. Die Leidenschaft,- aber des Herzens diesmal?, triumphiert? endgültig? Wie ein Appell: die Regisseurin gibt nicht auf. Sie „glaubt an die Liebe“ demonstrativ : auch in körperlicher, also alterungsfähiger Form.
                                    Denn von Gefühl, außer von jenem, das an Hormone gekoppelt ist, ist nicht ernsthaft die Re-de,- nur von Träumen davon. Was sich eben in so eine Reserveschachteltube von Filmrolle pressen läßt.

                                    • 9
                                      über Ran

                                      Das Monsieur Verdoux – Alterswerk des japanischen Monumentalisten. Die Geschichte ist schnell erzählt: der alte Kriegsfürst verteilt sein bitter erobertes Reich unter drei Söhne. Die Diadochenkrämpfe führen zur vollständigen Ausrottung und Zerstörung alles Geschaffenen und ausnahmslos aller Beteiligten (bis auf ein bißchen Kroppzeug, das weiterhin für die Fortdauer von Art und Pläsier zu sorgen hat) , auf unterschiedliche Weise: offener Kampf und Krieg, Meuchelmord und Intrige, alles hilft, hausbacken erzählt. Zurück bleibt in sinnbildlicher Weise der geblendete Kriegsversehrte, am Rand des Abgrunds mit seinem Stock entlangtastend, nachdem Lear (...), der das alles mitansehen mußte, in Agonie verröchelte auf der Leiche des unverschuldet tugendhaften Sohnes. Düstere Himmel verhüllen das Antlitz der Erde. Die gesprochenen Schlußworte richten eine Anklage des Hofnarrs an die Adresse der über den Göttern trohnenden Wolken (schon ok so), ob sie es für einen gelungenen Ulk halten, sich derart auf Kosten der Menschenwürmer zu amüsieren, und ob ihnen die Vorstellung ausreichend Vergnügen bereitet. Düsternis. Abgrund. Blinder. Stock. Schluß.

                                      Der Erzählstil ist langsam, schwer, und unendlich zeremoniell. Überhaupt nur Zeremonie, wie das minutiöse Zelebrieren im Ritual einer unendlich dunklen Messe. Alles Zeichen, alles Symbol. Ein Schattenfiguren-Spiel fernöstlichen Charakters, der spitzenhaft durchbrochene Schattenrisse am sichtbaren Haltestöckchen endlos auf dem Weiß des Schirms in sich unerändert umeinander kreisen-, aufeinander zu- und weg-bewegen läßt, während eine sonore Stimme die Geschichte erzählt, die eigentlich diejenige ist, die vor den inneren Augen der Zuhörer (- nicht: Zuschauer) tanzen und sie in Bann halten soll. Das filigrane starre Schattenmuster zeigt eigentlich nur die Regieanweisung: wer gerade an der inneren Handlung beteiligt ist und etwa spricht (seinen Teil-Monolog abzuhandeln hat, wie bei den Griechen).

                                      Die Aussage ist also nur kurioser getarnter Weise ein Film. Eigentlich ist sie ein vorillustrierter Dekalog eines Überbliebenen, der Selbstgespräche führt; etwa in der Art, wie die Heide sie von Lear gehört haben mag – aber das weiß keiner so genau.
                                      Hier tun sie es; aber es ist fraglich, ob die Heide das Gehörte weitertragen und dem Wind zur Forterzählung anvertrauen mag. Denn die Heide ist immer neu; sie ist Gegenwart, und Erzählungen von geistig überbliebenen Resümees sind ihre Sache nicht. Nunc est bibendum; wenn zu sterben ist, wird gestorben, danach steigen wieder die Schmetterlinge, summt der Regen und vertreibt die Sonne. Das Geschehen wechselt; nur im Menschen verleibt und verharrt es, was fortzieht wie der Wind,- wie der Schatten der Wolke auf wogendem Meer der Halme; nur der Mensch sinnt ihm nach, und erzählt, wie es war, als jener Schatten vorüberglitt.

                                      Die Heide ist sich nicht sicher, ob sie die Klagen der Menschen, welche die selbstgerufenen Geister nicht mehr loswerden, hören will. Sie hält das für ein Problem der Menschen. Wollen sie ihrer ledig sein, müssen sie von ihnen lassen. So einfach sieht die Heide das, vermutlich.
                                      Weiter treiben und weiter klagen: wendet ihren Blick, vermutlich, einzig dem Himmel -, den Wolken zu, und findet kein Ohr.

                                      Ist dieses Werk dauernd, lohnenswert? – Schwer, wie es selbst. Es ist ein hartmütiger, pesssimistischer Verdammensspruch, kein Klagelaut mehr, sondern das Abschiedsdekret eines überlebten, verausgabten, verzweifelt enttäuschten Mannes am Ende seiner Kraft, Weisheit, Tage und Voraussicht. Die Zukunft ist aus und alle; es gibt keine Zukunft mehr, egal wieviel Nachgeborene noch bleiben. Es ist eine sehr, sehr düstere und pessimistische Aussage. Wie gesagt, die Natur ist nicht pessimistisch; sie geht ihren Weg, den des wiederholten und wiederholbaren Lebens. Aber die einzelnen Menschen, die aufmerksamen, zumindest, scheint sie /Natur zuviel Kraft zu kosten- wenn sie zu alt werden, zu jung zum Sterben, zu abgezerrt zum Mittun, und zuviel zu sehen und zu denken und zu verdauen bekommen haben. Die Welt wird hier als unverdaulich, im Stückbrocken,- wieder ausgeschieden; und für resistent erklärt. Schönes resümiert nicht; zuviel ist zusammengereimt und zu wenig genossen- erkannt worden. Vielleicht liegt es daran, daß das Maß zu sehr gehalten wurde: ein wenig beobachten, ein wenig interpretieren, ein wenig Angenehmes-, ein wenig Übles erfahren wurde. Das alles verdichtet sich zu einem ein wenig mittleren Resumee; vielleicht hätte es besser gehalten, allem ein wenig mehr in die Tiefe zu folgen: dem Wind-, dem Beobachten-, dem Bösen-, der einzigen Schönheit der Welt, - dem Existieren. Es kommt nicht darauf an, das die Dinge im Lot sind; so, wie wir in unserem Gleichgewichtssinn, der vor allem im Zugenhaltepunkt der Bequemlichkeit existiert,- uns dieses Lot vorstellen und unserer Zugänglichkeit zurechtwünschen. „Wir“ sind nicht hier, um im Ewigen für einen annehmlichen Aufhaltensort der ‚Gerechtigkeit‘, der ‚Freude‘, des ‚Friedens‘ zu sorgen; das Ewige sorgt schon für sich selbst. „Wir“ zwingen dem Geschehen unsere Sichtweise und unseren Standpunkt auf; und das ‚Soziale‘, das ‚Gerechte‘, das ‚Göttliche‘ wäre doch erst einmal etwas, das außer uns zu definieren wäre. „Wir“ sind aber nicht in der Macht der Demonstration; nur weil wir, anders als Bäume – z.B.- Beine haben und vor Ort laufen können,- und Gehirne, die vorexerzieren, wie sie mit Natur umgehen- und sie in andere Bahnen zwingen können: ist dieser Zwang doch sehr begrenzt. Wir vergessen gern ein wenig dabei, das wir vor allem nur eins sind: kleinformatige Zeugen im unbeeinflußbarem Außen, großformatig nur im inner-beherrschbarem-freiwillig-Guten, ansonsten beteiligte Zuschauer in unwesentlichen Rollen, Komparsen, weiter nichts, auch Bismarck, auch Napoleon, auch Ghandi.
                                      Unser Urteil über die Welt demonstriert vor allem unseren Größenwahn. Wir sind nicht berufen, ein Fazit der Welt zu ziehen; weder optimistisch noch pessimistisch. Die Welt zu regieren, und auch zu justifizieren, können wir höher berufener Instanz überlassen. Unser Teil ist es, ganz kleinen, gestellten und recht konkreten Aufgaben zu genügen; welche man mit moralisch alltäglichen Entscheidungen in Verbindung zu bringen pflegt. Über das Große und Ganze des Weltwerts nachzudenken (und gar zu einem Beschluß zu kommen) ist müßig; vielmehr wäre sich um die Angelegenheiten und kleinen menschlichen Kümmernisse in unserer Umgebung zunächst sorglicher zu kümmern. „Nichts mehr davon, ich bitt‘ euch; zu essen gebt ihm, zu trinken. Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“ Soviel zum Pessimismus, global.

                                      Sind die Bilder fein, schwer? Geltend? Ich werde darüber nachdenken-,- nein, es wird für mich nachwirken müssen. Werden die Bilder in ihrer Künstlichkeit, Verzögerung, Schwerblütigkeit, Kategorisierung – dieses Werks, in mir nicht untergehen, und gewisse Leuchtkraft behalten,- wird es schon gut gewesen sein. Werden sie sinken und ver-sinken,- ist es das, was ich jetzt anzunehmen habe : durchlebt, und bereits durchwirkt. Denn das als unverdaulich Überbliebene muß nicht noch einmal verschluckt werden. Wir lassen also, wo es stand und lag ; war es kein Stein, wird ein Fuchs und anderes Getier bis zur Bakterie, an ihm zu nagen und zu lecken, sich schon finden. Und kehren wir zurück, in weiterer Zeit, wird sich zeigen, was an diesem verlassenen Ort sich noch wiederfände; ein Stein, ein Flechtenbrocken, ein Geröll; oder nur die Spuren vieler Geschöpfe von und zu diesem Ort; und ein Leergelassenes, Aufgelöstes, das zeigte, das dieses här-beinerne Werk, - und war es auch nur aus Salz,- doch Leben zur Nahrung und Füglichkeit dienen konnte, und verbraucht wurde. Dann wollen wir es preisen. Bis dahin müssen wir unserer Wege gehen; und weiter tun, wozu die Pflicht uns heißt, ohne der Nachwelt an Hand zu geben-, zu empfehlen-, vorherzutrauern-, zu entmutigen. Aufmunterung wäre ein angemessenes Geschenk für unsere Nachfahren; und Vorarbeit, Zurücklassung von Geräte und bereiteter Plätze; vieler stiller Hinterlassenschaften, die warten, aufgenommen zu werden, wenn ihre Zeit da ist; und die den Weg erleichtern,- wo immer Vorausschau hinfühlen konnte,- und nicht Erschwernis und Bitternis, faule Wasser, giftige Brunnen. Ein Seil könnte dort liegen, am Gefäß befestigt ; und nicht ein trauriges Überbleibsel seine starren Glieder für Tränen erwarten und netzen. Das hilft nichts; und was leben mögen müßte, darf Hilfe erwarten. Das ist es, was uns obliegt; und nicht, uns schlagen zu lassen. Nicht für die Niederlage; für den Sieg war es. „Die Möglichkeit einer Niederlage ziehe ich nicht in Betracht“, wie Urohm Viccie-toria, Gott hab sie selig, formulierte, so nett und richtig. Und immerhin war sie unsere Eh-Urqueen, als Hitler noch nicht einmal geboren war. Und sollte Adolf ganz umsonst gelitten haben? Laßt uns seine Niederlage vervollständigen, das Gröbste haben wir schon hinter uns. Ab hier können wir nur noch sterben, nicht mehr wahrhaft leiden, nach Auschwitz, wenn man es verstanden hat. Nur das Unbekannte ängstigt! Hat man das Monster erst einmal erblickt, kann man sich an den Anblick gewöhnen, und die Furcht allmählich verlernen – vor allem, wenn man merkt, das es an der Bauchhaut verwundbar ist. Ist doch schon mal was. Kein Grund zur Trauer-, ein Fest ist es! drum Laßt uns froh und munter sein – damit wir auch morgen noch kraftvoll zubeißen können ! Überlassen wir den Pessimismus den wohlwollenden Greisen – und dazu kann uns keiner zwingen. Zu Pferde! Ihr Greise!

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                                      • 7 .5

                                        Überraschend stark: die Charakterstudie über das gerechte Finale eines A*lochs. Erwartet wurde ein weiteres „korrupter & brutaler Gesetzeshüter“- Burn-Out, das alle kitzlichten Peepshow-Einlagen, die das Thema beflissen anbietet, mit gutem Voyeurs-Gewissen vor aller Augen ausschlachtet: unmotivierte Gewaltexzesse aus nichtigstem Anlaß, dicke Pose, beleidigende Kernsätze, die wir Nervensägen immer schon einmal unverblümt ins Gesicht geknallt hätten, schmierige selbstsüchtige heimliche Schlechtigkeit, faszinierter Grusel,- und schließlich, die gerechte Rache der Besiegten, wenn alles wieder ins unrechte Lot rückt,- entweder: simpel a) das Gute siegt und das Übel verendet - irgendwie, - oder tragisch b) wir haben’s ja schon immer gewußt, soviel man auch im Einzelfall erreicht und schwächlich siegt, die Chose geht insgesamt weiter, weil der Karren einfach längst zu tief im Dreck steckt. Nichts davon bei Rampart: hier geht es in Wirklichkeit nicht um Cops, nicht um LAPD, nicht um Verfolgungsjagden und shootouts,- hier geht es – um ein Arschloch & „denn alle Schuld rächt sich Erden“.
                                        Dieser Film, der, zumal anfangs, gewohnt rasante Elemente setzt, entwickelt sich, sicher sehr zum Degout der dunkle-Ecken-Rumdrücker, die genau um so was zu sehen, sich gewohnheitsmäßig vor den Bildschirm hocken (und dort reichlich Nahrung finden),- zunehmend zu einer eindrucksvollen Charakterstudie, welche von Woody Harrelson ausdrucksstarker Darbietung lebt (seine NaturalBornKillersetc.- Filmographie kommt ihm dabei entgegen im kollektiven Zuschauergedächtnis: man erwartet jeden Moment sein kribbeliges Ausrasten, gegen alle - Frauen, Tochter, Geliebte, Vorgesetzte- in seiner Nähe, die ihm querkommen und steckenbleiben. Dessen eigene Rollen-Selbstempfindung ist dabei anders: und es ist so, das der Brückenschlag, zu unserer ganz normalen Realität, Hier und Jetzt, leichtfällt, und glaubwürdig wird,- je länger je mehr. Denn zumeist hält er sich ( wie wir alle) doch zurück,- im gewaltsamen Griff. Aber doch nicht immer + es brodelt in ihm ; und geht zunehmend-, und das ist neu, wie sein Selbstbild abbröckelt und zerbröselt,- an die Nieren und Nerven. Denn Harrelson ist kein Harry D. Eastwood, dessen Lack nie Sprünge setzt, und in dessen emotionale coole Gladiatoren- Panzerung keine Lücken dauerhaft schädigend aufzureißen sind. Gerade da also wird Rampart – -ein Police Departement in Los Angeles, das tatsächlich einen Polizei-Übergriffs-&Korruptionsskandal entfesselte – interessant: es bringt uns einen Menschen nahe, der im guten Glauben sich längst, längst irreparabel verfahren hat . – Und soll ich hinzufügen: der uns gerade deswegen interessiert (da er weiter nicht groß rumballert, für die angesprochene Fraktion, die er so enttäuscht am Wegesrand zurückläßt),- aber andererseits zugewinnt, weil wir dunkel spüren (könnten), das Dave Browns Labyrinth dasjenige ist, in dem wir alle stecken, längst, längst auf Nimmerwiedersehn verschwunden sind, mitsamt unseres gesamt-hybriden Umfeldes, das Browns moralische Korrumpiertheit wenn nicht unsere (persönliche) so doch die des „Ganzen“ ahnbar sein könnte, in dem wir scheinbar zu leben verdammt sind. Diese Interpretation geht bestimmt vielen zu unbelegt weit. Beschränken wir uns auf die Tatsachen.

                                        Nehmen wir’s also als den Ruin eines persönlich korrumpierten, isolierten Bösewichts. Der soll eigentlich die Gerechtigkeit überwachen; agiert aber längst, mit diesem Freifahrtschein, nach eigenem Gesetz. Seit fünfundzwanzig Jahren dienstbereit; effektiv eingearbeitet und >mutmaßlich< so, das ihm offiziell kaum etwas nachzuweisen ist. Trotzdem häuft sich im Laufe der Jahre eine statistisch signifikante Liste an, die darauf hinweist, das es sich hier um ein Problem handeln könnte ; und Vorgesetzte wollen keine Probleme (viele verstehen sich sogar als Problembeseitiger- und -Präventive). - Im Kollegenumfeld ist er isoliert: denn er ist ein typischer Einzelgänger,- und genügt sich vollkommen selbst. Allmählich wandelt sich „wie die Zeiten“ (mehrfach zitiert) das Bild : die scheinbare Gewöhnung fällt auf, als – der Filmstrang wird nie näher geklärt und braucht es auch nicht – eine gestellte oder ungestellte Video-Falle in die Nachrichten gelangt, das ihn (Brown) als exzessiv ausrastenden Schläger nach einem Verkehrsunfall zeigt. Wieder hat er eine scheinbar gesetzesbuchstabentreue „Erklärungs“- Absicherung; aber Vorgesetzte wollen ihn loswerden (v.a. um sich aus dem Medienfokus zu rücken),- echte Unterstützer weil Freunde im Departement hat er nicht, andere stehen scheinbar rechtfertigend hinter ihm und meinen ihre eigene Gefährdung wenn es einen wie ihn erwischt- , so weit, so ausgetreten,- aber nun beginnt etwas Interessantes. Denn Rampart geht es nicht nur um den Job, den er sich weigert freiwillig („Du bist Freiwilliger!“) aufzugeben. Er weiß, er ist nicht anders als andere. Er spürt das Unrecht, das begangen würde, ließe er sich zum Sündenbock abstempeln, und dem Sturm ausweichen. Er behauptet sich: denn er behauptet SICH : und das ist alles, was er hat: seinen Glauben an sich, im Recht zu sein, denn er weiß: im Übrigen verhält er sich tatsächlich wie ein A*loch. Er weiß es. Er (ge-)denkt nur, ein solches im Dienst der ‚guten Sache‘ zu sein, das und der „für Ordnung sorgt“, und die „Drecksarbeit“ macht (übrigens unter starker Selbstaussetzung eines Straßenpolizisten-Risikos, das andere scheuen). Er ist mutig, er ist ruppig, er ist kompromißlos, er ist direkt, er ist abgebrüht, er ist verkommen. Er handelt für SICH im Übereinkommen des Handelns für ALLE. Er „liebt seinen Job“ / weil, wie er sagt, keine Alternative da ist. Er ist sich selbst der Nächste: aber, weil, was gut ist für ihn, zufällig auch gut ist für das, was, wie er denkt, alle so wollen.

                                        Seine erste Einstellung beim Empfang Zuhause, als er von der „Arbeit“ heimkehrt, ist bezeichnend: „hallo, Vergewaltiger“. Allmählich erfahren wir eine ganze Menge von ihm : von Menschen, die, nach allgemeiner Überzeugung, diejenigen sind, die uns am nächsten stehen,- und für die wir all die , er wie wir, -die ungeliebten Dinge machen. Vielleicht lügen und betrügen wir: doch nicht -die, für die wir meinen, das alles auf uns nehmen zu müssen. Zuhause sind wir „andere Menschen“; schizoid vermögen wir eine ganze Menge an Unvereinbarkeiten durchaus regelmäßig zu vereinigen. Wir führen Kriege mit dem Ziel, möglichst viele Gegner auszurotten von denen wir doch auch wissen, das sie Menschen sind und Vater und Mutter, Familie haben; zivil tun wir so, als sei menschliches Leben das höchste Gut. Und so Einiges. Rampart-Dave, selbst Vietnam-Looser, leistet sich nicht ein Übermaß an Selbstblendungen; er ist ehrlicher als wir, regelmäßig, und nimmt kein Blatt vor den Mund, im Selbst – und anderer-Leute-beschiß. Aber es gibt doch einen „guten Kern“, guten Glaubens, in dem wir nicht nur für uns selbst agieren, als die letzten hyperkalten Egoisten? – Dave Browns Familienhabitus zeigt es: er hat beim Abendbrot sexuellen Hunger : er fragt erst die Eine (ihre Schwester, Mutter einer seiner Töchter) : sie winkt ab. Nach zwei Minuten auf der anderen Seite der Tafel, die er wie ein Raubtier ruhelos umkreist (die beiden „Familien“ um seine Kern-Vaterschaft wohnen in engbenachbarten Vorortsiedlungs-Häusern), versucht er es bei der anderen (Schwester, Mutter (s)einer anderen Tochter), ähnlich. Nachdem er seiner College-Tochter das direktive Mißtrauen an einer poster-dekorierten selbstgefertigten Wand-Collage ausgedrückt hat, die „Frauengewalt“ gegen „einen Mann“ ausdrückt,- das Essen zurückgewiesen hat,- verzieht er sich stadtwärts, um ständig andernorts, in einer üblich aufreißerischen Nachtbar, fündig zu werden: und wird es. Die Zurückgebliebenen „daheim“ sind es (längst) gewohnt.

                                        Dave Brown geht seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen kompromißlos nach. Doch in Woody Harrelsons Darstellung ist er nicht unverletztlich, und unempfänglich. Er ist ein enttäuschter doch nicht kalter Egoist ; an seiner Fassade ist zu kratzen, und doch ist er nicht ganz (er wäre das schon?) von der (menschlichen fehlerbehafteten ) Welt um ihn herum abgenabelt und wahrhaft unabhängig. Er ist es nicht: weil er sich selbst nicht letzter Halt sein kann, denn dort ist nichts Positives. Er wäre gerne so stark wie er sich gibt: doch er ist es nicht. Denn selber nichts-, kann er nur Teil von etwas sein. – Seine Stärke ist Pose: im Grunde ist er abhängig von dem, was er zu beherrschen und dirigieren : und im Lot zu halten sucht. So ist Woody Harrelsons Darbietung nicht die eines A*lochs, das nur interessant wäre durch das, was und wie es tut ; doch das zerrinnt zunehmend zwischen den Fingern. Immer näher rückt die Betrachtung, von wem und warum etwas getan ist: und WER dieses A*loch eigentlich ist. Woody gibt kein reines-, er gibt ein verletzliches und verletztes A*loch, ansteigend. Dieser Zwiespalts-Prozeß macht den Film schließlich interessant.
                                        Das Bisherige war also die Exposition: scheinbar sorgt er für „alle und alles“, um ihn herum, als Gesetzeswächter für Ordnung auf drogenverseuchten Straßen, als „treusorgender“ Familienvater-Pantoffelheld für zwei Heime und Unterhalt (wobei die Frauen auch selbst erwerbstätig sind). – Wichtig ist, das er diesem ganzen Gewusel zu präsidieren, zu genügen, es aufrecht zu erhalten wünscht: die Ordnung, auf den Straßen die sich längst nicht mehr aufrechterhalten läßt -, - „Zuhause“,- wo Kinder wie Frauen seinen Egoismus hinterm Pflichterhalt längst durchschaut haben (vor ihm) und sich ihm entziehen. Der Film setzt im Moment des Umschwungs ein: die Fassade, die jahr(zehnte)lang sich bröckelnd aufrecht erhalten ließ,- bricht allmählich, in Zeitlupe, in einem geräuschlosen Crash, eine Film-Stunde lang zusammen,- die hier : einige Wochen und Monate dauert,- Zeit der internen Ermittlung gegen ihn, die feststellen soll, ob all die Zufälle Zufall sind oder nicht.

                                        Rampart-Brown geht durch ein Höllentor der Selbsterkenntnis: vermeintliche Unterstützer und mächtige Freunde im Hintergrund scheinen zu bewirken, das er – wie durch ein Wunder – immer noch im Dienst ist, und weiterhin seinen Job macht. Aber die Wände bewegen sich auf ihn zu; der Spielraum wird eng, die Luft wird knapper; der Streß setzt ihm zu.
                                        Noch einige Schlüsselszenen : (schauen Sie gefälligst erst den Film!)(schnauzen) : warum wünscht er, nach dem behutsamen, doch immer unerbittlicherem Herausdrängen aus dem „Zuhause“ durch die solidarischen Frauen, das seine besuchenden Töchter „wieder in das Zimmer zurück“ kommen? – Warum fordert er so unerbittlich-unnachgiebig-verzweifelt, das seine „Geliebte“, sein Fick-Verhältnis, die sich angstvoll entsetzt selbst in ihm erkennt, in ihrem Feine-Pinkel-Appartement (immerhin mit geräumigem Pool),- das sie nachts im Regen zu ihm absurd in denselben kommt? – ein gelungenes Bild! – doch da sie ihm NICHT folgt: ein weiterer Meilenstein der Selbst-Entmythologisierung. Denn, je enger das Zeitfenster des verbleibenden Films – und es für Rampart-Browns Selbstverständnis wird : legt der Film einen Weg zurück, in dem schließlich Cop Dave erkennt, ungern, was er anscheinend also will ist und darzustellen hat, in den Augen der anderen, und wie er, am Ende, seiner Kraft, seiner Lügen, seiner (Lebens)geschichte, seiner selbst, erkennt: sich selbst in ihrem Blick auf ihn : das bin ich. Die anderen brauchen – und wollen – ihn nicht. Als das, was er ist,- vielleicht nicht immer war, vielleicht geworden ist,- egal: NUN so und nicht anders, auch nicht anders (mehr) möglich-, IST. Und das gefällt nicht, niemand, nicht einmal mehr ihm.

                                        Hierum geht es in diesem Film: wie ein A*loch, das stets ausschließlich für sich selbst da war und handelte, zum Schluß, allein, auch von allen alleingelassen ist. Ein letztes Aufbäumen, der Selbstbehauptung: der Rollenbehauptung, „wichtig“, DER zu sein, um den sich alles in SEINEM Universum dreht: die Ordnung auf den Straßen, zu deren Aufrechterhaltung die anderen zu schwach, zu verkommen, zu faul, zu bequem, zu korrupt, zu inkonsequent - sind, - wie die Familie, die, wie er schweigend aus dem Dunklen beobachtet und sieht,- funktioniert und gedeiht ohne ihn,- wie selbst die Ermittlungen gegen ihn, über die er in einer nachtdunklen Begegnung mit seinem Häscher in einem ausführlichen und rückhaltlosen und juristisch korrekten Geständnis eine Art „Führung“ übernehmen will und Zurückweisung, selbst da, erleidet: all diese Menschen brauchen ihn nicht zu ihrer Aufgabe, zu der er sich überflüssig gemacht hat, selbst bei der Selbstüberführung, die, wie ihm angedroht wird, auch so stattfindet. Er ist nichts weiter mehr als jemand, der sich gegen jedes menschliche Gesetz und Verbindlichkeit gestellt und ausgegrenzt hat: ein Verstoßener, der nur noch hergenommen wird: als Objekt der Gerechtigkeit, der wir alle unterworfen sind, ob man es nun Gesetz oder Liebe nennt. Der Lieblose lebt am Ende allein, und so die Folge.
                                        Der Film endet kompromißlos, deutlicher wie es nicht sein kann – und muß - : Rampart-Dave Brown fährt nachts vorläufig in irgendeine Dunkelheit hinaus, in der in der Ferne unidentifizierbare schwache Lichter unwichtig blinzeln, unerreichbar. Gewohnt wie nicht anders möglich – denn wir sind Sklaven unserer Vergangenheit – nach all den Exzessen, - eine Zigarette im Mundwinkel, und der Film verklingt: es ist alles gesagt, erledigt - und zuende geführt, ohne bedauerlichen Rest.

                                        Sie merken, ich halte den unauffälligen Film für ausgezeichnet (wie nicht nur die erstklassige Schauspielerriege nahelegt : Sigourney Weaver, Anne Heche, Steve Buscemi, Robin Wright, natürlich exponiert Woody Harrelson, aber vor allem : Brie Larsson als Tochter-, in einer das Neben- oftmals gern sprengenden beeindruckenden –Rolle ; mal sehn, ob das alles, wie gut es gelungen ist, bemerkt werden mag.

                                        • 4 .5

                                          Routinierter Rollentausch: Die Bösen spielen die Guten, & vice versa. Gibt’s nichts weiter zu sagen. Johnny Depp hat offensichtlich den Karriere-Höhepunkt erreicht überschritten. Er kann sich doch mittlerweile die Drehbücher aussuchen. Warum also nur absehbarer Durchschnitt? – Oder erwarten wir schon zu routiniert das Besondere?
                                          Besonders ist an diesem Film nichts. Höchstens die Ausstattung: Alles dreißiger Jahre vom Feinsten. Ansonsten wird fleißig geballert und gedankenlos gekillert, wie es sich für’s Genre gehört. Pflichtschuldigst. Unterhaltung wie Otto Normalverbraucher mittlerweile zum Nach-Abendbrot-Tisch gewohnt ist ; man fühlt sich an römische Gelage erinnert, wo zwischendurch schon einmal mit der Feder der Gaumen gekitzelt wurde, um Platz für den nächsten Gang zu reservieren. Diese müde Anstrengung, sich zu amüsieren, ist auch hier knapp unter der Oberfläche spürbar. Spitzenregisseur, Spitzenschauspieler, Spitzenbudget, kantig-markiges Gesichtcasting: geistig von der Stange, eigentlich mehr als das: ärgerlich verschenkt. Gerade noch gesehen und schon vergessen! & wie kennen wir das edle Räuber-RobinHood-Thema um den korrekt-bösen Nottingham-Sheriff - mittlerweile schon...! Etwas mehr Psychologie - statt Klischee und Strickmuster – wäre schön gewesen! (und Themenansätze waren doch da: die Erfindung der Hoover-Bundespolizei, Ur-Ohm der Rasterfahndung,- der Bevölkerungs-Ganovenliebling, der Schulterschluß der Ganoven-Ethik füreinander miteinander als Mikro-Gegengesellschaftsentwurf,- oder der Konflikt Büro-Schlips-Gangster versus Anarcho-Abenteuer-Gangster- Ebene. Alles stehen- und –liegengelassen für eine Handvoll dekorativ-malerisches pyroplastisches Rumgeballer mehr. Schade drum. Nutzt‘ nix, so schads‘ nix. Zwei Stunden im Leben, die so sesselpupend verstrichen. Glotzkino eben, Mainstream-Totale. Wegen diesem Streifen hätte das Kino nicht eben erfunden werden müssen! Alles, was dort transportiert wurde, waren (leicht mühsam) die Umlagebewegungen der Produktionskosten. Ach, wie unoriginell das alles, bloßes starres Auge.

                                          Etwas unsicher gebliebene Ausnahme: die französische Schauspielerin Cotillard. Sie hat irgendetwas, was immer noch wirkt, eine gewisse Frische und Unverbrauchtheit. Vielleicht auch nur Vorurteil: durch ihre sehr eindrückliche Präsenz aus den französischen Filmen, die mir bekannt sind (z.B. im Groß-Epos „Mathilde“, oder im witzigen „Taxi“). (nochmal) Ach, she’s on the way: in Hollywood nun eben. Ein zwei Filme noch. Wie bedeppert,- wir bedauern - das.

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                                          • 7 .5

                                            Kein Film, sondern eine Review. Wer von den Jüngeren hier hin-hört und sieht, und glaubt, einer üblichen Filmgeschichte folgen zu dürfen, wird mit wenigen Magerpunkten abgespeist werden. Eigentlich wird auch keine Geschichte erzählt: die ist weniger als sehr dünn: es wird ein Lebensgefühl transportiert, welches aber nur für die re-animiert werden kann, die schon einmal in den Genuß des Originals kamen: und so wird die eingangs erzählte Sequenz des kleinen Jungen, der von seinen Eltern versehens ins Bett geschickt wird,- um heimlich dann unter der Bettdecke unerhört verbotene Dinge zu tun,- zu lauschen nämlich, erst verständlich. Und wenn auch typische Vertreter einer ganzen Nation,- vom Fernfahrer,- Obsthändler bis zur Krankenschwester-Nachtschicht vereint ihrem Lieblingssender lauschen und sich hingeben,- so wird hier eines deutlich: Radio Luxemburg-Times.

                                            Das kann keiner nachvollziehen, dem nicht persönlich bekannt ist, das es eine Zeit gab, in der Radios von morgens früh bis abends spät Mozart, Beethoven und Schubert spielten – wenn nicht die Volksmusik, im z.B. deutschen Schlager, alternierte (Stichwort: Der Blaue Bock). In der die männliche Frisuren-Standard-Haarlänge 3 cm nicht über- und die weibliche -zwanzig Zentimeter nicht unter-stieg. Als Conny Froebess und Peter xxx (lange lange vor dem Maffay) als Rocker galten. Als es keine Pille für Mädchen und für Jungs – undenkbar, in der Apotheke danach zu fragen – niemals Kondome gab. Und keine nackten Busen auf Zeitschriften-Covern. Als Hugh Heffner noch legendär wie ein Bond-girl das verruchteste NonPlusUltra des Vebotenen war. Kurz, als noch Tabus zu brechen,- Elvis‘ Hüftschwung, der Pilzkopf der Beatles (im Anzug mit Krawatte!),- als es noch Standards des Statthaften gab. Wer den Muff solcher Jahre der funktionierenden Restriktion des betonharten Alten gegen ein blühen, atmen, leben wollendes Junges nicht erlebt hat, weiß nicht, von welchen traumhaften Reflexen in der Erinnerung eines Regisseurs Jahrgang 56‘ ein solcher Film lebt. Er ist eine Beschwörung: einer vergangenen Epoche, die in einem Laissez-Faire-Zeitalter, das keine Tabus und gar kein Halten mehr kennt, keine Resonanz mehr erweckt. Wer mag in James Dean heute noch einen Rebellen,- einen Revolutionär wie Che Guevara erkennen,- als Thomas Mann in einem Bekenntnis zu Sozialdemokratie und verkappt erfühlbarer Homoerotik noch ein Bollwerk des umbrandeten Umsturzes bilden konnte?

                                            Was in The Boat That Rocked heute sympathisch anmutet, ist der Stellvertreter- Status für lauter Sozio-Zitate: die knochentrockene Gefangenheit der ewig-Gestrigen in ihrem Nimbus des allgemeinverbindlichen Un-Individuellen, der röhrenden Pflichten ohne Lustausgleich außer in Marschieren, Bierfesten, Kirmes und gewissensbelasteten Seitensprüngen,- dem letzten Krieg gerade eben noch einmal lebend von der Schippe gehüpft,- und der nachwachsenden, gottseidank unbedarften und unbeeindruckten Jugend,- die noch nicht bitter genug gelernt hat, nicht mehr nicht von mehr zu träumen,- sondern nur träumt: von einem Leben aus dem Vollen, dem Geraden, dem Gesunden, dem Unverbogenen,- nicht nur der verdammten Pflicht,- sondern aus der Lust: dazusein und zu leben,- die nichts mehr von Konzentrationslagern und unvorstellbar überstandenen Leiden hören mag,- sondern Leiden für ein unkurierbares selbstverantwortetes Übel der Menschheit hält, dem sich so weit wie möglich zu entziehen eigentlich anständiges Menschengrundgebot wäre – und nicht nur Gebot,- das riecht zu sehr nach Pflicht,- sondern Recht,- das klingt mehr nach Lust. Die Menschheit hätte eigentlich die Pflicht, wenn schon, ihr Dasein als Gottesgeschenk zu genießen – und sich nicht gegenseitig das ihre zur Hölle zu machen. Die Jugend empfindet die Leiden dieser Welt nicht als ihr Erbteil, sondern für ein angestammtes verbrieftes Steckenpferd der Alten – die Jugend rebelliert, so lange sie Jugend ist, gegen ihre Verhaftung, die Leiden dieser Welt als ihre Angelegenheit anzuerkennen – die Jugend glaubt an ihr Recht, fröhlich zu sein (und zu bleiben), sie behauptet ihre Lust, ihre Lust sich nicht durch die Gegenwart des Bösen vermiesen zu lassen – die Jugend ist unbeschwert sie selbst,- und das ist: die Freude der Welt,- die soviel Übles beiseite und aus dem Weg räumt, bevor die Jungen verhärmen, indem sie realisieren, wie hoffnungslos verkorkst die Lage wirklich ist, und diese langsam fortschreitende Erkenntnis sie altern – und zu Alten werden läßt,- knochentrockenen, verbitterten, ungläubigen Alten,- welche die junge Freude nicht mehr länger ansehen und ertragen -, sie als unangemessen und deplaziert nur empfinden können. Das Alter wünscht sich eine weniger leichtfertige, ernsthaftere Jugend : die Jugend erstickt schier an der uneinsichtigen, reglosen, aalglatten & betonharten Unduldsamkeit, Ungläubigkeit und abgestumpften Geschmacklosigkeit – im Sinne des Nicht-Mehr-Schmeckens - des Alters.
                                            So prallen zwei Welten aufeinander: in der es letztlich einfach mehr Spaß macht, den Jungen recht zu geben,- kämen sie auch noch so unvernünftig, unorganisiert, chaotisch und anarchistisch daher,- als der mandelbitteren Einsicht und Rechthaben des Alten,- Männer wie Frauen. Unsere Sympathie gehört dem Elan der Unbedarften, die sich noch nicht haben ausbremsen lassen,- und nicht der vernünftigen Einsicht derjenigen, die mit Maß sich schicken und fügen und kleine Erfolge feiern gelernt haben. Wer lebt, soll vom Ganzen träumen und sein Herz schäumen lassen – und nicht auf kleiner Flamme eindicken und zu Suppe verkochen,- die in der Regel – die Jungen auszulöffeln haben,- denken richtig die Alten.

                                            Die „Roaring Sechziger“ waren ein solches weltweites Aufbegehren der jugendlichen Lust, sich nicht in die vermeintlich lustvolle Suppe des Daseins spucken zu lassen – und Tabus zu brechen, indem man sie erst einmal nicht anerkennen und um ihre Legitimation nachzuweisen sich erbieten läßt – und tatsächlich gerät so manche alte Dame Konvention und Herr Regel ins Schwitzen, wenn ihm unter dem Talar nachgelüpftet wurde. Um nichts anderes geht es in diesem Film: jede andere Handlung ist Nebensache und genauso völlig fadenscheinig wie egal : der Film hat keine eigentliche Handlung. Es geht um Ikonenreminesszenzen der Verweigerung, der Aufmüpfigkeit und des Aufbegehrens. Es geht um Revolutionsmusik und Liebesrausch, in Form von lockerem Sex,- nicht um die ewige Bindung von zukünftigen Ehen, die bereits im Jenseits geschlossen werden und auf Erden nur wiederbelebt,- es nimmt so viele Ernsthaftigkeiten nicht ernst : nach siebzehn Stunden wird jene (Ehe) verlassen,- die zweckgeplant wurde,- um an den anderen Mann zu kommen,- das alles ist nicht ernst,- es ist nur so lächerlich wie das Ernste in unserem Leben meistens, dem wir die Ehre erweisen, es zu ernst für dieses Leben zu nehmen; denn ehrlich gesagt,- welche Werte in unserem Dasein haben nicht auf der Unterseite, wenn wir die Dose nur einmal aufrecht drehen würden,- nicht ein Verfallsdatum aufgedruckt? – Sollen wir deswegen weinen,- weil wir nicht einmal für immer uns sattessen können,- sondern immer wieder zu Tisch gebeten werden? Und sind nicht genügend Lebensmittel-Dosen an Bord unseres Lebensschiffleins? Nur das will der Film mitteilen: das Ganze zu ernst zu nehmen,- zeugt von wenig Weis- und Ernsthaftigkeit. Wer das lachende Darüberhinweg- und Weitergleiten nicht kennt,- hat noch wenig vom Wesen des menschlichen Leben-Makels verstanden. Der Mensch ist für die endgültige Weisheit – und das endgültige Festhalten- und –Verharren,- nicht gemacht und geschaffen. Wer verzögert, stoppt, festhält und verharrt, weil er endlich das Rechte und unverbesserliche Einzige Wahre erkannt hat : stirbt endlich an Alter, was nicht unbedingt ein schöner, ansehnlicher Tod ist.

                                            Es geht in diesem Film um das Recht der Jugend, unorthodox an ihren Spaß und ihren Lebenswillen- und – genuß zu glauben: an Sex, Drugs & Rock’nRoll. Es mag, letztlich, nicht von Dauer und unvernünftig sein: und mögen die Alten Herren recht haben und sich einen Dreck drum scheren, ob die Jungen absaufen und verrecken, vielleicht mögen sie es sich sogar wünschen: sie wird nicht untergehen, die Jugend, die Fans, die sie lieben, werden ihr auf selbstgebastelten Booten und Untertöpfen zur Hilfe eilen,- und sie am Versaufen hindern,- und die Songs werden weitergeschrieben, gesungen und gehört werden: denn die Welt kann sich eine Welt ohne Jugend nicht leisten. Die Welt wird ewig jung bleiben: denn nur so wird sie einen Weg finden, nicht unterzugehen und an Altersschwäche – elendiglich zu verrecken. Und weil wir das alle wissen, ganz genau und tiefinnern im Herzen: werden wir uns ganz gern von solchen,- überhaupt nicht weiter tiefgründigen oder sonstwie anspruchsvollen Filmchen,- bezaubern und bezuckern lassen: auf jeden Falle alle diejenigen, die das Glück haben durften, in ihrer Jugend schon einmal – Teil einer Revolte des niedergehaltenen Jungen gegen das allmächtige triumphierende Gestern – gewesen zu sein.

                                            Wer Teil einer solchen Revolte war oder wenigstens fähig, sie nachempfindend zu genießen und gutzuheißen,- wird diesem Film beipflichten. Es ist nicht schwer und bedeutet nichts: es ist angenehm, und besser als das Gegenteil.

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                                            • 8
                                              über Once

                                              Once ist kein Film : wenn man darunter das professionelle serienmäßige Produkt einer darauf angelegten Filmindustrie versteht. Das ist eigentlich durch die stets atemgleich mit dem Titel ausgesprochene Ergänzung gesagt: ‚-Indipendant-Lowbudget-Produktion‘, „mit 130.000$ & Laiendarstellern in 14 Tagen“.

                                              Die offizielle Filmkritik steht solchem Produkt ziemlich hilf- und fassungslos gegenüber: siehe stellvertretend die Stellungnahme von Stefanie Maeck(er) in SPIEGEL-Online. Da treffen es die, welche gemeinhin in der Freßrangfolge der Meinungsabgabe ganz hinten anstehen + zuletzt dran kommen, richtiger: den Blödies, den Zuschauern : gefiel der Film,- und sie sprachen es am deutlichsten aus, was ihnen daran gefiele.

                                              >Once< ist also eigentlich gar kein Film (s.o.),- es ist ein S o n g . Die Schauspieler sind keine Schauspieler: sie sind Selbstdarsteller. Die Lieder sind eigentlich keine (‚gemeinten‘) Filmlied-Platzhalter : sie sind echte Musik, und spielen wie die Darsteller, die sie schufen (und tatsächlich vor laufender Kamera einspielten) sich selbst,- wie sie (als Musik) eigentlich auch das wahre Hauptdarstellungsgut sind : echt,- wie alles hier echt ist, bis hin zur Party, welche die beiden einmal besuchen, auf der jeder willkommen ist, der – quasi als Eintrittskarte - vorsingen kann und soll...und die Gefühle der Hauptdarsteller füreinander.

                                              Die Hälfte der Filmzeit füllt Musik. Das sollte wohl schon klarstellen, was Sache ist,- und ein gewohntes Augenmerk – wir sind im Kino – zum Ohrenmerk wandeln (was jedoch trainiert-dressierte Verdauungsprofessionale geflissentlich übersehen umso leichter im Falle, wie sie evt. musikalisch niemals erweckt wurden). Das heißt: Once ist kein aufs Akustische reduzierter Film -, sondern ein ins Optische erweitertes (Liebes)Lied. Die Geburt aus dem (echten) Musik-Ursprung ist leicht zu belegen: (der befreundete) Regisseur und, natürlich, vor allem der Hauptdarsteller Glen Hansard sind Mitglieder der Band, welche die Songs spielt, die auch von ihm komponiert sind; und (auch realiter Tschechin) Iglova spielt sie ebenfalls nicht nur, sondern hat sich (zeitweise des Films) mit dem Hauptdarsteller liiert : kurz: alles das ist echt,- keine Vortäuschung von Tatsachen,- so wenig wie die Musik in sich vorgetäuscht ist. Und das befähigt Once zur Lebendigkeit: das die Personen und Geschichte authentisch sind,- und die Musik Musik,- und die Verbindung zwischen den Darstellern auch in Wirklichkeit vorhanden und funktioniert. Once ist ein Musik(er)film; und ein Film über eine Szenerealität, wie sie im heutigen zeitgenössischen Europa existiert.
                                              „Sind Musiker alle berühmt und produzieren CDs?“ – Nein,- viele gibt es, die leben – wie allezeit um öffentlichen Seelenausdruck Bemühte,- (prof. „Künstler“, soweit sie davon zu leben verstehen) – eher unscheinbar am Rande der Wahrnehmbarkeit,- am verborgenen Rande einer tragfähigen Existenz. Viele gibt es, die in keine bürgerliche Daseinsweise passen, welche andererseits ihrer ‚mußebedürftigen Kunst‘ die Atemspielluft auspressen würde : so teilen sie geklemmt ihre Zeit zwischen die >innerlich< unabweisbare Ausübung ihres amtlichen Interpretationsbedürfnisses,- hier musikalischer Natur,- und diejenige äußerer Unausweichliche der Nahrungsbeschaffung. Ein banales Statement. Doch weil es das gibt, echte arme begabte (Straßen)Musiker / mit Nebenjobs/, läßt sich damit ein kleiner echter Film machen, der -, wie es auf solcher minimalistischen Ebene echte kleine wundervolle Musik geben kann, die hochoffiziell Anerkannter in Nichts nachsteht,- auch für sich ein kleines unscheinbares „Film“-Juwel darstellt - als ungeschliffener Diamant, quasi.

                                              Once ist ein solcher. Als Film-Handwerk ist er eher geringfügig einzuschätzen (kein Wort gegen >Regie< : aus Nichts etwas gemacht!),- also so wie man Picassos Nasen und Augen einstmals auch vorgeworfen hat, nicht ganz recht „an der richtigen Stelle“ plaziert zu sitzen, und auch in der Farbwahl nicht ganz recht „echten Nasen“ und Augen zu entsprechen. Hand-werklich ist der Film schlicht ehrlich „dilettantisch“ in Kameraarbeit, Ausstattung, Skript, Dramaturgie, und Vermittlungs’kunst‘. (Haben Sie je einen „naiven Achternbusch“ gesehen?) – Ist er, aufgrund dieser „Unprofessionalität“,- dieser ‚banalen Story‘,- diesem unbedarft dürftigen Herumgestricke einer schlichten Erzählung als Füllsel zwischen dem Erschaffen einer Gelegenheit zum Ausspielen der tatsächlich phantastischen Songs,- oder die Ungereimtheiten in der emotionalen Verbundenheit verschiedener Zeitebenen ,- im echten Nachteil? –funktioniert das nicht?- nein, das Wunder geschieht : Picassos Portraits werden als angemessene Wiedergabe der Realität empfunden, weil sie eine >höhere Wahrheit< treffen. Alles, was einzeln in Once nur unvollkommen gelingt, schafft doch eine höhere, glaubwürdige Einheit: >Authentizität<. Man glaubt der Bescheidenheit der Bilder und kauft ihnen ihre Geschichte ab,- von einer kurzfristigen, aber gefühlsangereicherten Begegnung zwischen armem Musiker und armer Musikerin, die in den Höhepunkt einer –mehr oder weniger ihrer Spontaneität und Organisationsgabe zu verdankenden – Aufnahme eines professionellen Demobandes mündet, das wiederum – jenseits des gesteckten Rahmens der Filmerzählung- Ausgangspunkt weiterer Entwicklungsgeschichte (vielleicht sogar einer Erfolgsstory?-) werden mag?- Die Interpretation des verhaltenen Knisterns zwischen den beiden aber überlasse ich gern der jeweiligen Zuschauer-Perspektive; was da war, und was hätte sein oder nicht sein können -, dürfen -, müssen - oder sollen -. Denn da funktioniert der Film wie das wahre Leben: das meiste bleibt unausgesprochen, wiewohl allen spürbaren Vorhandenseins. - Once ist unspektakulär ; aber w a h r. Wer sich in seiner persönlichen Selbstimagination wie James Bond oder Heidi Klum durch sein Leben bewegt, wird wohl eher unbefriedigt aus dem Lichtspiel gehen. Wer ein reduzierteres, wahrhaftigeres Selbstbild pflegt,- ja wer seinen ganz üblichen Alltag gar zu lieben versteht, wird auch diesen Film lieben können: weil er ein unscheinbares, bescheiden perfektes Wiedergabe-Juwel unserer kleinen großen Gefühle darstellt.

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                                                Nine : voll Strike . Das war ja lustig. Hollywood versucht, einen Film auf europäisch zu machen. Da darf nichts fehlen, was einen Griff ins Klo garantiert, Nicole. Rom und Antibes sind schön; erstaunlich, wie die in Sta. Monica das hinkriegen, dies Mittelmeerambiente, wie echt. M.C. hat Besseres verdient; das ging voll auf den Deckel, Marion; noch hast du Kreditvertrauen. Bist nun dabei, dich fressen zu lassen, gell? wärst doch bei Luc Jeunet geblieben, nun wird‘s käuflich. Einer der Gipfel des Tiefpunktes war die Kardinalszene. Man kann einen Film im Schnellauf auf ca. eine Halbehalbestunde reduzieren, wenn man’s macht, um überhaupt noch etwas zu tun. Der kleine Junge im Mann, der zum Schluß dem Regisseur auf den Schoß hopst, war ein nettes Apercu; aber doch mager für ein‘n Film. Und singhopsen tun all die Schreckgestalten auch noch; das hat man bei Fellinis Cabaret gar schon gesehen. Ach du liebes Bißchen. Der Film war nicht von Pappmachee. Immerhin anfassbar. Ach du grüne Neune. Ich sehe, ich sehe eine Bowlingkugel mit einer Dynamitstange im Loch. Junge Junge Junge. Mann oh Mannomann. Verkleiden sich die Kinder auf dem Dachboden und spielen Hochzeit, ist das ja allgemein bekannt charmant.
                                                Dieser Film ist wie einen Pickel ausdrücken. *
                                                Aber danach sieht‘s wohl aus ; wenn denn‘s gut verheilt ist.

                                                Wie zum Derwisch geriet die GROßE SOPHIA LOREN dorthin geschubst? Ma...donna! Nagut; betrachten wir den Rest eben daherumgestrickt. S L im Cabrio; vielleicht kann man das Übrige ja weg-beamen. Vergiß mal eyh.

                                                Männerphantasie/n? Weder noch. Höchstens die Witzblattcartoonzeichnung eines Schwanzes der Kringel Kringel Traumblase eine Weiberskizze bepennt: bloße Formalität eben, aber mies gezeichnet; eher Graffittiklo im Feinpinkelrestaurant. Zum Mond mit dieser Art Typ, eine Rakete bitte, Sylvester vielleicht, angemessene Gelegenheit. Da würd man sich ja schämen, Mitglied zu sein, ginge man obenhinweg ohnehin. Bitte glaubts janicht, Frauen. Dem nicht und euch tu ich die Ehre auch, quitt. Und ich steh gar auf Manara. Aber wenn schon, dann bitte. Bitte sehr. Womanizer Tranquilizer? Quatsch Quatsch Quatsch. Quatsch.
                                                Da versucht ein Neuweltkommerz-Vollhirni auf artifiziell intellektuell erwachsen zu machen.
                                                Quatsch. Hirni.

                                                Quatsch.

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                                                  über Moon

                                                  MOON. Reminiszenzen, die vielen sofort auffielen: 2001 Odyssee-, Lautlos im Weltraum, Blade Runner (warum letztes?- eher lose Verbindung der Verlorenheit ), vielleicht Alien I noch. Grundfarbe des Schauspiels auf der ‚Rückseite des Mondes‘ ist die menschliche Einsamkeit: eher die ursprüngliche Alleinstellung zur Individuation in der Isolierung des Ichs, welches vor allem mit seinen eigenen Trieben und Reaktionen aufs Geschehende sich konfrontiert sieht. Im Grunde ist LEBEN eine Begegnung mit sich selbst, erst dann und in zweiter Linie mit anderen und einem „Außen“. Allerdings ist dies eine Ebene des Daseins, zu der man erst einmal vorstoßen muß, denn zu ihr hin muß erst einmal die Hülle der scheinbar sich pausenlos ereignenden Alltagsrealität durchbrochen werden, die das Gefängnis der allermeisten (man sagt auch „gelebten“) Existenzen bleibt. („Gelebt“, passiv, im Sinne von gesteuerten, bloß kurzfristig-reagierenden Existenzen, welche die Bannmeile zur Selbstverantwortlichkeit in Selbsterkenntnis nicht überschreiten).

                                                  MOON ist ein Film, der das Abenteuer der Entdeckung dieser Bannmeilen-Grenze versucht in darstellerisches Mittel zu bringen. Die eigentliche Ereignisgeschichte von MOON spielt zu einem großen Teil in diesem Bezirk der außernormalen Extraterritorialität, von dem aus sie Ausgang nimmt, und in den sie zurückkehrt,- allerdings – im Beginn des Films – auf der Kehrtwende einer Schlaufe außerhalb des Außergewöhnlichen,- also im Scheinbar-Gewöhnlichen,- einsetzt. Der Beginn des Filmes ist scheinbar „normal“.

                                                  Wenn ich sage, daß das Werk seinen geheimen Ursprung im (noch zu definierendem) Ungewöhnlichen nimmt, so ist seine verborgene Daseinsspur im dargestellten, greifbar dicht gewebtem Gefühl der Einsamkeit, Isolierung, Abgeschnittenheit von Anfang an zu spüren: sie ist gefühlsmäßig greifbar, und, glauben Sie mir, wenn Sie überlegen, woran sich dieses „Gefühl“ festmachen muß (seinen Aufhänger finden muß),- nämlich nur am (zitierbaren) „Atmosphärischem“,- dem technisch-coolen Interieur der Raumstation, der Kommunikation mit Gerät und Robotern (eigentlich Singular: Gertie ist ein ebenbürtiger ‚Hal‘,- und schließlich also: an Mimik und Gestik des, tatsächlich, einzigen Darstellers (alle anderen sind vorgeblich kurze Video-Einspielungen an den Fingern einer Hand: die terrestrische Ehefrau, die zweifache Tochter, das Konzern-Vorständler-Paar, das fotografisch eingespielte Standbild-Trio der Rettungsmission-, wenn Sie also bedenken, wie monokular das Mittel des Ausdrucksmediums strukturiert ist, mit dem diese greifbare Atmosphäre geschaffen werden muß,- werden Sie eine angemessene Vorstellung der schauspielerischen Perfektion des Sam Rockwell bekommen und der Fähigkeit des Regisseurs, diese Mittel im Punkt des Nachvollzugs im Zuschauer zur Deckung zu bringen. Hochachtungsvoll.

                                                  -MOON merkwürdige Reise. Wie perfekt mittlerweile der technische Fortschritt dafür sorgt, Bilder zuwege zu bringen, die eine perfekte Illusionierung der Realität vorzugaukeln imstande sind. Ich genieße das: ich lasse mich genußvoll auf diese Täuschung ein, ich will getäuscht sein und mich selber täuschen. Ich bejahe die Kunst und den Willen des Künstlers (hier des Regisseurs), mich in seine Welt zu entführen, und , nach einem kurzen Identitäts-Kollaps, - hinter seinen Augäpfel-Sehnervensträngen zu erwachen und umherzuwandeln. Gern sitze ich im Lunarmobil und nähere mich mit einem Drittel-Schwerkraft- den Bodenfräsen-Gigantokämmmodulen des Helium drei. Und all das für fünf Millionen Dollar! – mittlerweile erhältlich, Preis für Regisseure,- an der Kinokasse der Massengesellschaft für Otto N.: für einen Bruchteil, lumpige paar Dollars oder Euro. Alle schimpfen auf den kapitalistischen Progreß: ich sehe hier und da einen Vorteil. Das Produkt eines selbststehenden Geistes, Teilnahmemöglichkeit an seiner Vision (wenn es eben nicht nur: Wiedergekäutes – ist ) – zählt für mich dazu. Duncan Jones Reise hinter den‘ zum Mann auf dem‘ darksidigen Mond -gehört für mich dazu.

                                                  Woran erkennt man Qualität-? – wenn Bilder bleiben, haften. Hier gibt’s einiges. Die Raumstation funktioniert. Der dreckig-benutzte Raumanzug, in den Sam Bell vor seinen Ausflügen mit dem Mondrover schlüpft, gehört dazu (Die sechs Treckerreifen, das Nicken der Karossenfederung beim Besteigen: diese Art Details!). Der sanft senkende Staubregen hinter den Oberflächenmähern gehört dazu, man (ich) spürt die Jahrmillionen. Die Milchstraße im runden Lukenausschnitt, Ausdruck der Verlorenheit im All, gehört dazu. Natürlich Gertie,- der sanft-unbehaglich-unbedrohliche-?-Smiley-Robotkasten gehört dazu. Allein die Unentrinnbarkeit der Existenz des latenten Fragezeichens an jener Stelle ist ein Meisterausweis. MOON ist wie EasyRider, es funktioniert, es funktioniert! – mit minimalem Input. Das ist groß.

                                                  Ein bißchen zum philosophischen Doppelleben des Romans: latente Aggression beim Astronauten, der sich selbst die Nase blutig haut: was für ein Sinnbild der „brother-in arms“- Problematik: Kain und Abel: wir schlitzen Eigenblut auf, wenn wir verletzen. Wieviele mögen den Symbolgehalt der Autoaggression hier wohl fassen?- oder vielmehr, hinter der kurzen verstandesmäßig naserümpfend registrierten Absicht des Regisseurs- wohl mit eigenem Leben-Gefühl erfüllen können? – (denn ich denke, einige werden hier müde-gelangweilt abwinken. Diese Bemüdeten sind, meiner Meinung nach, noch nicht „wahrhaft“ hinter sich selbst gekommen. Für mich ist das ziemlich aufregend. Ich wäre nicht sehr stolz darauf, hier müde abwinken zu können. Im Grunde winkt man sich selber ab.)

                                                  Ich sagte, der Film beginnt – wie er ja üblicherweise gezwungen ist, zu müssen – äußerlich im „Normalen“. Klar, da ja der Zuschauer dort abgeholt werden muß, wo er sich zu Beginn der Reise befindet, und wo ist das wohl? (Gehen wir nicht ins Kino, um „aus der Realität zu flüchten“?) – also wenn ich sagte, das dieser Film gemacht ist aus einem Bezirk der Extraterritorialität des Normalen, von dort aus in der Absicht des Regisseurs seinen Ausgang nimmt,- so ist dieser eigentlich geheim-wahre Ursprung, und ziemlich schnell von Anfang an, im geschickt dosiert zunehmenden Einbruch der atmosphärischen Verunsicherung, der Vereinsamung, des Un-Geheuerlichen, des Vagen,- spürbar. Und dorthin, aus dieser anfänglich scheinbar so zuverlässigen Normalität heraus, führt uns auch der Film (zurück),- deswegen „independant“. Denn die Hollywood-Schlaufen-Pointe endet immer dort (sonst ist Kassenklüngel in Gefahr) wo sie begann: im Normalen, selbst beim Connor-Sieg über den Terminator : zum Schluß zerschmilzt etwaige Gefahr zu Nichts, und die Bahn ist (lukrativ) eröffnet zum nächsten Sequel– oder Pre-quel, freigegeben ab sechs, egal wieviel Körper fetzt. Denn das einzige, was nicht fetzt und fetzen darf, sind Kinoklingeln.

                                                  Independants haben hier ein lockeres Verhältnis. Sie sind gern aus einem Stadium der ich will nicht sagen Hoffnungslosigkeit erschaffen ,- aber doch von einem Outsider-Beobachtungsposten her, dem außer einer persönlichen Perspektive das Interesse an gemeingültig moralisch-gesellschaftstragfähigen Normen ziemlich abgeht,- und das ist ihr Vorteil. Sie bieten uns eine individuelle, wahrhafte Sicht aus dem Erleben einer persönlichen Perspektive. Sie sagen: ICH erlebe die Dinge so, und nicht: MAN hat die Dinge so zu erleben. Das ist kostbar. Weil MOON das Kunststück nicht schaffen muß, hinterher die Perspektive wieder gerade zu rücken, und den Zuschauer bei einem Happy-End saturiert absetzen muß (oder will),- was aber auch nicht ein Unhappy-End bedeuten muß,- bleibt die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns beim Produkteinnehmer offen. Nochmal: das Ende muß und ist nicht bitterlich geworden, es ist nicht einmal „offen“,- es ist einfach ein Stück weiter,- auf einem persönlichen Weg. Damit sind wir schon einmal zufrieden, weil es so dem Erleben eines Stückes Realität (wahrhaft) gleicht. Die Moral des Films ist nicht verlogen: sie ist nur zu wenig genutzt. Mag Feigheit, der sich hinter dem Feigenblatt der Kommerzialität versteckt, der Grund sein. Egal. Hier ist es jedenfalls nicht der Fall, und deswegen wirkt der Film, und wird seine Gemeinde erobern, wie 2001, oder besser in der Kategorienstufung, ‚Lautlos im Weltraum‘ (denn Kubrick ist Kubrick, das heißt, ein Eigengewicht). Übrigens ist MOON ein britisches, kein amerikanisches Produkt. Nein nein kein Lokalpatriotismus. Nur festgestellt (armes geistiges alleingelassenes Jung-Amerika, Kindchen in Cowboystiefeln Gr. 42).

                                                  Sam Rockwell-Bell also begegnet in lonely Outer-Space einer tieferen Wahrheit: in sich selbst nachzuforschen. Eigentlich (wie einige sagen) eine vorhersehbare Reise. Es gibt wohl action-Liebhaber, die in einem Fußballstadion auch bloß guten Fußball erwarten: und wird ihnen unvorhergesehen Tischtennis oder Billard geboten,- und sei es Weltklasse-Olympiade-Niveau, sind sie- und reagieren- hoffnungslos beleidigt. Für mich war es spannend, zu verfolgen, was und wie Sam sich aufmacht, zu entdecken, das den meisten Zweibeinern, wie’s scheint, wohl noch bevorsteht. Für mich war ziemlich viel unvorhersehbar: und ich will doch nicht den Film, wenn Sie ihn noch nicht sahen, allzuweit vorher verraten: aber zum Beispiel durchaus offen, ob „Hal“-Gertie nun in der Schwebe zu Hal sich niedersenkt oder nicht. Und die Antwort ist, Entschuldigung, neu, - und weder vorhersehbar noch unwichtig. Unwichtig ist auch, ob der Pina Colada schließlich zuprostet oder nicht. Eigentlich ist jede gestellte Frage in diesem Film unwichtig, weil die Antwort am Ende auf die nichtgestellten Fragen gegeben ist und vollständig erfüllt. Dieser Film bringt Antworten: aber keine voreiligen,- und schiebt Fragen nur bauernhaft vor, die locker geopfert werden können, damit die Sinn-Dame plötzlich geschlagen ist und Königs nackig steht,- man weiß nicht wie. Ich widerstehe (noch) der Versuchung, mehr zu verraten. Vielleicht schreibe ich noch einen zweiten Teil: aber den, Sie müssen es mir versprechen, lesen Sie erst, wenn Sie den Film selbst verdaut haben. Meinem Gewissen würde es schwer halten, wenn ich einem (seltenen) reinen Kunstgenuß vorgegriffen hätte, um Ihnen die, oder auch nur eine oder einige,- Pointe(n) kaputtgemacht hätte,- es gibt nicht so viele auf der Welt um allzu verschwenderisch damit umzugehen. Dies also nur als Hinweis darauf, das ich dieses Werk zur Kenntnis genommen und für gut befunden habe: und um Ihren naschhaften Appetit hoffentlich, zu wecken. Den Rest lassen Sie sich vom Erfinder selber schildern,- er konnte das wohl besser als ich, sonst wär ich selber drauf gekommen. Lassen Sie sich verführen: hier lohnt es sich, meiner Meinung nach. Wie gesagt, ein bißchen bin ich neidisch und eifersüchtig: wenn Jemand etwas so Gutes kann.

                                                  Und wenn, dann folgt vielleicht nach dieser Einschnitt-Pause, der zweite Teil. Denken Sie an Ihr Versprechen.

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                                                    Lassen Sie uns eine Spuckweite entfernt beginnen mit ‚Renoirs Feldlazarett‘ von Thomas E. Schmidt, der es damit in die ZEIT(-ung) geschafft hat: er bedauert, das die „dünnen Stellen der Erzählung“ nur durch die „reine romantische Lichtgestalt der Audrey Tautou vor Verflüchtigung bewahrt werden – mit heimlicher Reue der Tränen, die man doch gemein genötigt werde, dem Bildfluß zu vergießen“. Nun ja, um die Ehrenrettung von Tränerei geht es mir nicht; soll man auch gar nicht unbedingt vergießen, kein Nahziel der Dramaturgie (wobei der reife Goethe selbst beim Vorlesen von Eigenem gern eine solche über die dargebotenen Schöpfungen vergoß, leicht und reichlich, so überliefert bei Wilhelm Meister, Wahlverwandtschaften); ich persönlich möchte kein Rührei zum Fahnenhiß des Programmziels.- Trotz allen Absprechens wird ‚große visuelle Gestaltungskraft‘ (dem Regisseur) in jener Kritik gleichwohl doch attestiert; aber es handele sich vorwurfsvollerweise nicht um genugsame Realität, die hier geliefert werde, wenn ich die Unzufriedenheit des Thomas E. Schmidt richtig so nachinterpretiere.

                                                    Da frage ich mich doch, was dieser Zurücklehner denn erwarte? Requisitenkino?- eben nicht? Was? – denn? – werd nicht schlau draus. Versuchs also mal eigen. Was soll das, Mathilde?

                                                    Mathilde scheint – mir – ein Gleichnis über die Hoffnung, über die Rettung des Liebesverlust-Vermeidens (-„der Liebe“, zum Kotzen) in einer real gewachsenen Wirklichkeit, welche – wir alle- zuließen, zu werden,- sich so zu etablieren, in unseren Herzen, in unseren Köpfen, vor unseren Augen,- in den schwächelnden Ressourcen, uns eine bessere Welt vorzustellen und auf ihr zu bestehen,- in unsere Gewöhnung und Abstumpfung an die Banalität des degenerierten Vorkommens von sich so schimpfender ‚Realität‘, des Technokratur-Menschwesens. Dieses Mathilde-Gleichnis wartet mit einer solchen Gestaltungskraft nachempfundenen Realitätsmagnetismusses auf, das einige schwächere (phantasieminderbegabte) Naturen glauben konnten, diesem Innen-Epos sei es darum zu tun, eine illusionäre Wirklichkeitsverwechslung anbeißen zu lassen, nur weil es diesen Teil der Hausaufgaben „sehr gut“ – was sage ich, phantastisch glaubwürdig erledigt, mit unendlicher Perfektion im Detail und tatsächlich superber Hingabe- und Gestaltungskraft. Warum sitzen wir denn im Kino? Um Realität vorzufinden?- Ich sage: um Realität zu verdauen.

                                                    Realität, mit der wir jeden Tag bis über die Halskrause und Fassungskraft abgefüttert werden, unverwertbarer, kaum zu verkraftender Dinge, die uns zu den Ohren und aus den Mündern, aus den aufgerissenen Schlündern wieder-herausquellen, zusammen mit Erbrochenem, Stinkenden und Unverstanden-Unverdautem,- weil wir verzweifelt bemüht sind, wieder einen Standpunkt zu gewinnen oder nur zu erreichen, von dem aus wir einen Blick auf das Geschehene und Geschehende werfen können,- werfen zu können in der Lage sind;- während die meisten Augen- und Hirninhaber sich damit zu begnügen scheinen, ihre Alltags-Sparversion von Realität – arbeiten gehen, Kinder machen, sterben- - abzuleben, d.h. eben nicht wahrzunehmen, sondern ihr Leben damit verbringen zu wollen, die sandigste Stelle zu Orten ihrer Füße auszumachen, wo sie einen Verwendungszweck für einen Kopf ausfindig machen können. Regisseure helfen uns, (ist zumindest im Bestfall eine Möglichkeit),- uns ein kleines Stück Realität abzubeissen, das formatmäßig abgemessen genug erscheint, durch unseren Freß- und geistigen Verdauungsapparat in den unrasierten Kopf zu passen. Langer Rede, schmaler Sinn: Regisseure liefern Kunst, und keine Realität, man sollte nicht meinen, hier einen Satz verlieren zu sollen. Man faßt es gar nicht, und wir sparen weitere Begründung. Wie dreckig möchten Sie denn den Grabenkrieg haben, Monsieur Schmidt? Oder geht es gar nicht um den Dreck, - der wahrlich genugsam spritzt,- zu totgeschleuderten Pferdekadavern ins Geäst hinauf und verschleudertem Fleischbrocken-Gedärm,- geht’s also wohl eher nicht um die fehlende Dreck-, sondern die fehlende Hoffnungslosigkeit, die hier als Realitätsmangel moniert wird? Wirst Du,- werden Sie nicht desillusioniert genug zurückgelassen, im ausreichenden Zustand der agonativen Paralyse als stilbildender Zeiterscheinung? Machen Sie, Herr Schmidt, dem (begnadeten, mit Rosen zu überschüttendem) Regisseur- zum Vorwurf, das er als Romantiker, als gefühlsbegnadeter Emotionsmensch trotzdem gleichfalls ein gesundes Verhältnis zur „Realität“ – jawohl, „Realität“ in Anführungsstrichen - hat, - das er als Utopist die Frechheit hat, nicht sofort als Hirngespinstler, als Luftschloß-Bauer enttarnbar und diskreditierbar zu sein,- das er also die Frechheit besitzt, „Realist“ sein zu mögen vorzugeben -- trotz einer Vorstellungskraft, welche eher nicht mangelt,- sondern so überbordet, das er anderen, ärmlicheren Geistern doch abzugeben vermag /wie Ihnen T. Schmidt/,- das auch in ihnen sich etwas täte von Gesichten und Erschütterungen ihres feisten, fetten Seins,- das ihnen erlaubte, sich aus ihren sandgesteckt kopflastigen Positionen herauszuwinden- und zu schütteln, das sie, gegen ihren Willen gar, gezwungen wären, etwas zu sehen und in sich zu verspüren, - was sie ohne dieses rüttelnde Phantasie-Epos eines begnadeten Vorstellungs-Künstlers niemals erlebt hätten? Ist dieser Bandwurm etwas zu kompliziert,- für ihre Fassungskraft, auch der mit Worten entfachten? Lieben Sie es einfacher? Brauchen Sie’s – mehr derart?

                                                    Jean-Pierre Jeunet verdient als erstes unseren Dank, unseren großen und herzgefühlten Dank. Er hat sich ein gutes Stück Arbeit gemacht. Nicht nur (wohl etwa drei) Jahre lang jeden Morgen aufgestanden, aus dem Bett bemüht, zur Arbeit gegangen, Termine wahrgenommen, mit Schauspielern gearbeitet, Meinungen geäußert- und gelenkt, einen großen Fluß in seine Richtung gedrängt und hin-gezogen- und-gebogen- , viele Menschen in seine Dienste genommen und auf ein Ziel hin vereint, das wir uns in zwei Stunden,- von der Bequemlichkeit des Kinosessels aus, in uns hineinlaufen (statt üblicherweise -tröpfeln) zu lassen,- können. Er hat nicht nur „gearbeitet“,- wie die meisten dies verstehen, wie T. Schmidt vor seinem Laptop so Platz nimmt, um einen (zahlbaren) Artikel aus sich (wie mühevoll- mühelos?) herauszuschrauben. Jeunet hat mehr gemacht als nur gearbeitet. Er war künstlerisch tätig, was immer das ist. Soll ich’s versuchen?
                                                    -auf vielfältige Weise kann der Mensch seinen Lebenunterhalt zusammenklauben. Die unwirklichste, undankbarste davon ist , in der Regel, die des Künstlers. Man braucht ihn nicht. (Manchmal aber, in seltenen Fällen – da ist Jeunet schon- wird dies sogar zu einer lukrativen auch äußerlich lohnenden Angelegenheit. Nur kein Neid. In der Regel: lebt der Künstler/ gerade er nicht / nur vom Brot allein. Er wringt seine Seele, nicht nur seinen Verdauungsapparat, um etwas zu schaffen, was keiner wirklich braucht und möchte ,- würde man Freiwilligkeit voraussetzen, denn Kunst ist nicht zum Spaß da – sie ist Überlebensmittel, die Eiserne Ration der Lebensreise,- wenn es um einen Aufbruch zu neuen Ufern geht. Wer jeden Tag routinemäßig arbeitet: bricht nicht auf. Hier wird der Tod kalt erwischt. Ich beleidige keinen Arbeiter; niemand ist und muß sein freiwillig eine Leiche. Hier geht es um Zwang oder Hingabe. Tot ist, wer freiwillig nachgibt und sich ausliefert. Man kann auch unter widrigen Umständen ausdauern, sogar, wenn man arbeiten geht. Und man kann pseudokreativ tätig sein, und modern, wie ein Gärhaufen.– Davon also ab und keine moralische Wertung über irgendjemand Konkretes..- Der Künstler also plagt sich, um etwas zu liefern, was der normale Mensch, belastet genug, als Luxus empfindet. Der Künstler frißt die liegengebliebenen Brocken der gewordenen Wirklichkeit,- ob aktuell oder verjährt: im Grunde eins!- in sich hinein,- und versucht, ein Faßbares daraus zu machen. WER kann denn von sich sagen, das er DOAUMONT bei VERDUN oder YPERN verdaut hat – kann das denn irgendjemand, der ein normales Leben äußerlich zu führen in der Lage ist, von sich behaupten? – Also bitte, bitte: schweigen, vorsichtig, Äußerungen, zuückhaltend, leise, leise, still, still. Behutsam bitte. Immer diese Realitäts-Gulasch-Kanone,- Fertig,- Feuer-Nachladen.- Bitte... – Zurücknahme. Wer ‚geistig normal‘ leben kann: weiß wohl noch nicht viel. Also bitte.

                                                    Jeunet hat nun auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen (und der Schreiber?) – denn er macht einen Film. Klar: das man nicht filmen kann, was hier im Film geschrieben steht. Jeunet: im Übrigen, bin sicher: weiß das. Was er nicht weiß. Im Gegensatz zu diesem ZEIT-lichen. Der glaubt, was er schreibt (wies Sprichwort sagt, die Gefährlichen). Jeunet also: als Künstler: macht sich Mühe, eine große,- viel mehr, als er brauchte, um seinen Lebensunterhalt zu sichern: er könnte zum Beispiel einfach schreiben (Filmkritiken?) oder Kostüme schneidern; alles gutbezahlte Jobs...warum tut er sich stattdessen das an? Weil man dann wichtig ist? Und einen eigenen Regie-Klappstuhl reserviert bekommt? Schönen Schauspielerinnen nah sein darf? Macht ausübt? Mensch denk doch mal nach. Natürlich nicht. (Mags zwar geben, gar öfter, aber sieh doch mal hin!)
                                                    -Jeunet also sitzt offensichtlich aus einem anderen Grund auf diesem Stuhl. Man sagt, er produziere langsam, behutsam, mit viel Detail und Aufmerksamkeit. Sieh doch hin auf diese Bilder: kannst Du denn nicht lesen? – es steht doch alles da. Es kommt nicht von ungefähr, aus dem Himmel herabgeflogen, „setzt‘ sich nieder auf mein‘ Schoß“ (Melodie). Da ist wohl Geschlossenheit, System. Gibt es gar welche, die schließen angesichts einer Schöpfungsmöglichkeit auf eine Schöpfermöglichkeit. Indizienprozesse. Ein gelungener Film,- eine gelungene Kunst ist selten. Viel eher, das sie mißlingt. Gelingt sie: steht dort geschrieben, was die Transportkosten rechtfertigt: ist eine kostbare Vase über vieltausend Meilen transportiert worden, eine große Rechtfertigung, ein Triumph,- eine Messe wert, ein Feuerwerk, eine Erntefeier, ein rauschendes Fest, strahlende Gesichter. Ein Kunstwerk ist kein Zufall. Viel abgebrochene Nasen und Glieder: steht der David heil, ist das Unwahrscheinliche wahr und wert geworden, eine Ausnahmeerscheinung. Wo ist bloß die Dankbarkeit der Renaissance geblieben, für das Opfer, welches Einzelne der Kunst: das ist dem allgemeinen Nutzen gleich im Namen der freudevollen Schönheit – bringen? Und wahrlich: sie werden nicht nur gut bezahlt für das, sie quetschen und zwacken sich dafür.

                                                    Der Künstler verschafft eine Wirklichkeit, die nicht kommen und existieren müßte. Es ist ein Gebären. Nichts, was in der Welt schon Fuß gefaßt hat und sich von alleine weiterhilft- und humpelt. Kunst ist eine Mutter, aus deren Schoß neues Leben in diese Welt kriecht, ganz feucht und schmieriglich noch, und anfangs kaum zu mehr als zum Schreien gut: und dann kommt Künstler-Mama und wäscht und nährt und schaukelt und wiegt und putzt und schneuzt und tröstet und kämmt, und streichelt und wacht und präsentiert endlich ein halbwegs ordentliches oder zumindest groß und flügge gewordenes Junges, das von alleine nicht mehr so schnell totzukriegen ist, und von selber fortkraucht: und der Künstler weht ihm nach (ein Taschentuch) und wünscht ihm Glück und bleibt, die Mama, ohne Hänschen zurück, welches aufbricht ohne Zeit zu finden sich umzusehen: weil dort draußen das Leben harrt und gestikuliert und überschreit. Viel Pflege geht dahin: wer achtet auf Beethovens Mama oder Dürers Mutter,- außer Dürer? Und wer weint über die Schmerzen des Gottkindes,- außer der Mutter, die in ihm den Jungen sieht,- und nicht einen Gott? Beethovens Brief an die Unsterbliche Geliebte, oder ein Heiligenstädter Testament: sind das Giantsteps oder hilfloses Schmerzensgestöhn einer gequälten Kreatur?- Wir alle sehen nur, von fern, die Übermenschen. Wer leidet mit, außer bei Jesus, dem Klassenprimus mit der zugehörigen Attitüde?-
                                                    - der Künstler.

                                                    Der Künstler glaubt, das er derjenige ist, der sich kümmern muß. Er nimmt die verstreuten Trümmer der niedergestürzten Wirklichkeit auf, bläst und streicht den Dreckstaub ab, und setzt Figuren und Bilder wieder zusammen, wo vieles fehlt,- und das Fleisch längst verrottet ist. Er rekonstruiert und erzählt die Geschichte, wie sie sich, ihren Hinterlassenschaften nach, abgespielt haben muß. Er tut das nicht aus Nostalgie: er sieht, das die Fährtenspur von hier weiterbrach und lebt und fürder ihr Wesen treibt. Wir leben in einer Welt mit dieser Geschichte. Ist es eine Bestie,- treibt sie‘s noch, und nährt ihren Hunger. Sie frißt gern und leicht in Lebenshöhe ragende Hinterteile, die immer ein Hinweis auf schmackhaft fortgesetzte Gliederrümpfe sind und schlürft sie aus bis auf die Hirnschale wie eine Auster. Der Künstler-Sherlock ist ein Spurensicherer, ein Visionär, ein Lederstrumpf-Gelehrter: er findet Tatzenabdrücke oder Vogelsang oder auch Abwesenheit und versucht sich ein Bild zu machen. Und dieses Bild beschreibt er uns; für ihn ist es womöglich eine Warnung. Sein Geist sieht das Wesen lebendig: er hatte früher Gelegenheit, Spuren mit lebenden Erscheinungen aus eigener Erfahrung vereint zu vergleichen – und überlebt. Viele Hinterteile hatten nur ein einziges jeweilig einmaliges Rencontre damit. Welches Hinterteil nicht hören will, wird fühlen.

                                                    Es ist also ein guter Grund, einem Künstler für seine Bemühungen Dank zu wissen – wenn er denn ein ernsthafter ist. - Oho, die HOHE Kunst,- die Elite. Die Fürstkardinäle und seltenen verborgenen Alchimisten. – Es gibt auch die Jahrmarktskünstler und Marktschreier, feuertanzende Schamanen und Priester von den Kanzeln: die mit dem Volk reden, nah ihrem Ohr und Dasein,- und ihnen erzählen,- weil Rotkäppchen durch den Wald muß zur Großmutter (ihr den Korb zu bringen),- wo der Bischof seinem Diener leicht befiehlt. Wer auf dem Kutschbock durch die vampirne Dunkelheit rast,- braucht den Zuspruch,- und diesen leistet das andere Fußvolk, der niedere Klerus,- nicht Picasso oder Kandinsky,- sondern der Comic,- der Film. Ist die Wahrheit untröstlicher, wenn sie vom einfachen Mund zum einfachen Ohr weggleitet,- oder muß sie erst aus dem Louvre treten, müssen Gauguin oder Vincent erst stadtfein adrett hergerichtet sein mit sauberen Fingernägeln, damit sie auftreten kann? Wieviele Anzüge besaß VanGogh? Erstmals?

                                                    So das Kino: es kommt, nun schon fast erwachsen, recht ungezogen daher, aber nicht ungeraten. Solange ihre Schaffer: noch Kunst schaffen, nicht Menschheitsdeklaration-, und Freiheitserleuchtung,- solange sie Geschichten erzählen, von Mathilde, und ihrem Maneche,- solange lesen wir keine Habilitationen, über den Satz vom vierfachen Grunde,- sondern erleben biblisch Geschichten,- Erzählungen von (wenn’s gelingt) ‚wahren‘ Menschen. Sind diese schlecht erfunden, weil sie nie existiert haben? Wie wahr und lebenserfüllt sind denn Judas und Petrus, Magdalena und Lazarus? Was wissen wir von ihnen?- und doch jeder weiß etwas. Was wissen wir von ihren Gefühlen?
                                                    - wir wissen etwas, weil wir es uns vorstellen und vorstellen mögen,- weil wir ihnen unser Herz leihen, für sie zu schlagen,- und sie teilen uns etwas mit dafür, teilen etwas mit uns, das wir fühlen können, was sie gefühlt hätten,- hätten fühlen können, wären wir an ihrer Stelle gewesen. Wer aber niederhocken bleibt, auf seinem einmal eroberten Sitzplatz (womöglich am Fenster) in der Tram, wer verteidigt, ignoriert und verweigert,- und nicht von selbst sich erhebt, um anzubieten,- wird niemals tauschen können mit einem anderen- dieses Herz.

                                                    Kunst ist das Angebot eines beteiligten, an uns interessierten ebensolchen Herzens, zeitweilig von seinem uns angebotenen Sitzplatz aus durch die Scheibe nach draußen in die vorüberziehende Landschaft einen Blick zu tun. Der Sitz ist vorhanden,- erobert auch schon, und wird nun angeboten. Alles, was wir zu tun haben, ist, uns zu setzen, und bereit zu sein. Ist dies nicht etwas, das Dankbarkeit verdient? Bekommen wir es oft so einfach gemacht?

                                                    - Nun, höre ich den Skeptiker, wenn ich diesen Blick denn will, diese Landschaft, ich mir’s selber nicht viel rechter und passender machen könnte – nun aber sag doch mal: würdest Du dich freiwillig jetzt mit diesem großen Schlachten, mit diesem Jänner `17 beschäftigt haben? – würdest Du dir die Mühe all diesen Drecks, dieses Schlamms, dieses Lärms und Zerberstens gemacht haben? Die Vorstellungen selbst in deinem Geist zusammen-nachgebaut und dir vorgestellt haben,- wenn sie dir nicht, - /und doch wohl ohne übermäßige Verniedlichung / so präsentiert und frei Haus geliefert worden wären? – Und würdest du wohl, ohne Not, dir diese Arbeit gemacht haben,- um ihrer selbst willen,- denn ist nicht diese Vorstellung, von Not und Vernichtung, von Graus und Graun eine Herausforderung,- bedeutet sie nicht etwas, mit dem man sich beschäftigen sollte, um ‚etwas‘ damit zu machen, etwas daraus zu machen? Ist das denn möglich überhaupt? Wer exponiert den Schmerz grundlos, außer, zu erfahren, was Schmerz: das, wohin er wohl führen möchte – ist ? – Schmerz nur für sich oder noch für weiteres? Ist der Schmerz nicht, ins Menschliche übersetzt, eine Frage,- und nicht eine Ausage? Ließe sich mit einer bloßen solchen Aussage allein leben? Dann nicht doch lieber Reckt hoch das Hinterteil - ?

                                                    Wie gesagt, es gibt Menschen, die möchten doch lieber mit hocherhobenem Haupte leben. Dazu ist es nötig, die Reihenfolge umzukehren. Einige dieser Menschen, die sich an ragendes Körperwesen wenden, nennt man Künstler, und sie leisten Überzeugungsarbeit. Aus Bedarf.

                                                    Jeunet schlüpft –freiwillig , eben – in den Graben, den der Dauerregen füllt. Er schießt sich durch die Hand, er guillotiniert die gerechte Rache, er stinkt aus faulen wochenalten Wickeln, und er hat Mitleid. Er sühnt, und niemand hat es hier (da bliebe noch zu tun, ein Statement eben nur, Fakt des Status Quo, überblieben, ein weiteres Epos?). Jeunet zeigt den Ganzen Bodensatz und das ganze Elend. Und er tut es nicht, um zu beleidigen und zu bekümmern. Denn er hat sich Gedanken gemacht; besser, er hat sich Emotionen gemacht. Er hat für uns vorangedacht, voranerlebt, uns viel Arbeit abgenommen; wer’s zu schätzen weiß.

                                                    Nun, es gibt Leute, die mögen nicht, wenn ihnen vorgekaut wird, was vorgesetzt ist. Diese Leute bekümmern sich sehr um Realität, die ihnen leicht nicht Genüge tut. Ob diese Leute dann wohl diese Realität aufsuchen würden (Preisfrage)? Oder würde dieses Trümmerstück dann wohl bis zum jüngsten Tag liegenbleiben, dort und so wie es rottet? – aber es rottet eben nicht endlos: der jüngste Tag ist viel näher, und es ist der des Eigenen Todes. Wieviel können wir denn aus eigener Kraft aufnehmen? Und darf etwas liegengeblieben sein, wenn unsere Backen erschlaffen? - ach, nun gebt doch zu: wenn und wo Soviel zu tun wäre, darf man über eine helfende Hand schon erfreut sein. Sie muß ja nicht alles gleich piccobello machen: um den Feinschliff könnten wir uns doch selbst kümmern, wenn es uns so wichtig-, und so feindetailgenau wesentlich wäre: kritteln wir doch nicht am Künstler rum, der uns Veranlassung gab, eine unaufgeräumte Ecke in Augenschein zu nehmen, in der er bereits allein die gröbste Arbeit tat,- ohne Bezahlung (nun ja, er kommt schon nicht ganz ungelohnt davon),- aber doch, er hätte es nicht tun müssen, anders verdient sich‘s leichter?

                                                    Jeunet also machte sich die Mühe oder sah Veranlassung, sich ein bischen mit einer SEHR unaufgeräumten Ecke europäischer Erinnerung auseinanderzusetzen und ein bischen abfallsortierende Restmülltrennung vor- zu betreiben: er kaut schon ein Quantum an der Sinnfrage vor. Er tut dies auf angenehme Weise: es ist wie Mate- (Gespucktes-) trinken. Also Schmidt: kein Dokumentarfilm. Und ist auch in Ordnung so. Mit Dokumentarfilmen ist es so wie mit Physiklehrbüchern: es gibt sie, und niemand liest sie; außer Studentenpflichtigen vielleicht. Und? muß deswegen Niemand was wissen, von Tischlern und Schweißern,- welche krepierten? – schon gut: also nur: kein Dokumentarfilm,- sondern ein Film über die Hoffnung und Das Hoffen,- siehe eingangs,- anhand einer Geschichte, welche vor dem Szenario des Gemetzels im Untergang des Abendlandes spielt. Diese Geschichte ist nicht die nur eines oder einiger Soldaten und Dienstverpflichteter, die fallen nur nebenbei ab, und hin,- sondern eine Erzählung von der Kraft des menschlichen Herzens, zu hoffen, und zu überleben, und die Geschichte zu einem persönlich guten Ende zu führen. Ist das Schmalz? Das ist Schmalz? Sind Sie wirklich so verblendet, und sich selbst so ungetreu, das Sie nicht sehen, das es genau Ihre eigene Geschichte ist, die Sie zu leben versuchen, wenn,- dann allerdings eher mit dem Hinterteil als mit dem Kopf? Nehmen Sie ihn doch einmal hoch und reiben Sie den Sand aus den Augen, dann können Sie vielleicht auch etwas erkennen: geben Sie Ihrer persönlichen Geschichte vielleicht kein gutes Ende - ist es nicht gerade das, was sie tags- und nachtsüber unablässig versuchen, in all diesem Chaos, der über übergestülpten Widerlich-sinnigkeit zum Trotz, ihr eigenes kleines persönliches Refugium aufzufinden und mit Klauen zu bewahren? Lüge ich? – Und wenn ich nicht lüge: woher nahmen und nehmen Sie die Kraft, so zu tun? – Wie leicht hätte Amelie – Verzeihung Mathilde – nicht ihr Leben ohne ihren gedächtnisverlorenen Maneche hinbringen können, wie auf Messers Schneide war nicht dieser Weg am verlorenen Glück vorbei,- in irgendeine andere Beziehung hinein, mit dem Andenken an einen gefallenen Verlobten? – wäre das Leben also nicht auch so weitergegangen? –aber hatte nicht er in Bäume und Glocken überall MMM geschnitzt? Wieviele MMMs verträgt denn so ein Leben bis zur Beliebigkeit? Ist nicht in jeder Lebensrinde nur Platz für ein zumindest SEHR wenige derartige Insignien geschaffen und vorgesehen (das soll beileibe kein Plädoyer für die Einehe sein)-? Ist es mit der Liebe nicht wie mit der Herkunft: es gibt nur einen Ort, aus dem sie entspringt? - Auch wenn sie in viele Gestalten zu schlüpfen vermag? Ist es nicht immer dieselbe? Und ist es nicht die Geschichte vom zähen Festhalten und Sich-erobern, die uns gelingen läßt,- darf man dieses Glück nicht fahren lassen, ohn Gefahr des Nimmer-Wiedersehens? Ist das Glück nicht eine Eroberung, und nicht ein federleichtes Geschenk? Sieht es zum -***nochmal nicht oft zwar genau gegenteilig aus,- und ist doch genau so? Die federleichten Geschenke des Glücks: wie lange dauern sie, mehr, als nur unseren Appetit zu lecken,- und auf mehr, als nur zur Anstrengung anzuspornen? Und kann Verlust uns nicht endgültig kraftlos zurücklassen, in einer noch intakten Lebenshülle, doch ohne inneres Feuer und Bewähren?- Ist es nicht so, sage ich, das wahres Glück der Lohn einer Anstrengung ist, immer und jedesmal im einzigen Fall, und das umsonst nur das Unwahre ist? Glück ist ein Lohn und kein Mitbringsel, und wenn Vorschuß dann nur so gering, das es ums gerade nicht-Verrecken geht, und Sinn zum Nicht-Aufgeben macht. Und hier also, langsam, haben wir mathildes theme. Mathilde ist nicht die Teautou, und Mathilde hat nie gelebt: Mathilde ist eine Vorstellung. Ihr Herz schlägt dennoch, und Maneche hält in seiner Hand ein pochend Fühl. Es ist Unseres, dessen Schlag wir spüren, entdecken sollen. Sollen: doch die Illusion mißlingt? In der Tat: fühlen wir es nicht, war Fehlschlag gegeben, ist der künstlerische Anschlag mißlungen: denn das ist Kunst, ein Anschlag auf unser Herz und unser Fühlen, unsere Überraschung, denn der Dokumentarfilm und das Lehrbuch redet zu unserem Verstand: Kunst wendet sich eine (aber nur eine!) Etage tiefer; /noch etwas weiter unter klopft der Kitsch und der Schmalz an oder gar noch Elenderes.-

                                                    Jeunet, wie alle Kunst (von ihrem Wesen her gezwungen und nicht anders möglich) liefert ein Gleichnis: nicht Wirklichkeit, sondern eine Auffassung, eine Kurzform, eine Parabel davon. Er erzählt, schlußendlich, ausführlich und verkrochen wie die Schützengrabenkrabbe eine Geschichte der bewahrten Hoffnung angesichts einer erdrückenden Beweislast gegenteiliger Zusicherung: aber das Herz darf nicht aufhören zu hoffen, es sei denn nur aufhören, zu schlagen. Keine Beleidigung für alle die, deren Liebe fiel und blieb: denn dies ist nur ein Symbol. Fleisch ist vergänglich, Hoffnung nicht. Wenn neue Liebe sät: war Hoffnung die Krume, so der Regen, der fällt, der weckt, der nährt. Wenn es schwer ist, zu vergessen, und neu anzufangen: ist doch Hoffnung der Grat, der die lebensfähigen Täler kreuzt, der Paß, der Getrenntes eint, auf dem niemand lebt, und der doch verbindet. Hoffnung verbindet zwei Lebensgebiete. Hoffnung ist nicht das Leben, sondern die Aussicht auf Leben. Hoffnung ist Zehren von mitgebrachter Nahrung, nicht Anbau und Ernte,- das Brotbacken selbst. Hoffnung ist das Überleben im Winter, nicht das keimende und aufsprießende Frühjahr, nicht der wogende Sommer, nicht die duftende Ernte. Hoffnung ist das Durchhalten,- und Gehofft-Haben der Lohn, wenn der Fuß wieder auf Erde statt auf Firn stößt. Wer hoffte,- tat dies um das endlichen Ankommens willen. Hoffen ist die Ausgabe,- nicht die Einnahme der Kraft, das Schöpfen, nicht das Auffüllen vom Vorrat. Hoffen ist Wesensabfluß-, nicht Einnahme. Hoffen ist, also endlich,- Kraft abgeben,- und das: ist schwer, denn Kraft muß momentan erzeugt, im Abbrennen erschaffen werden. Und da ist: Aufgeben und nicht länger ertragen leicht. Und liegt nahe - verlockend, wird ein zutunliches Maß überschritten.

                                                    Die Felder der Lebenden sind mit Aufgaben,- Aufgegebenem überhäuft und übersät. Jede Unterhose der aufgereckten Gesäße hißt eigentlich eine weiße Fahne,- ein Wald davon,- zum Beispiel. - Mathilde gibt nicht auf. Sie spürt, sie weiß noch um das jenseitige Pochen,- die Verbindung zum anderen Herzen,- welches im Grunde ihr eigenes armes, bedrängtes, gepreßtes Herz ist. (Wäre ihr Verlobter wirklich gefallen: auch dann müßte dieses Herz kämpfen, um sich zu bewähren,- zu bewahren. Das Gesicht: spielt doch keine Rolle, begreift endlich). Dies ist kein Kitsch: wenn sie am Ende ihren alten Maneche wiederfindet statt eines neuen Gesichtes: warum dieses Bild verschwenden?! – verwischt und erschwert es doch nur, zu verstehen, worum es geht: es ist eine Hoffnung, nicht zwei oder wieviel, um die es geht: um das Bewahren der Liebe, der Liebesfähigkeit,- derjenigen,- weiter säen und ernten zu können,- weil man auf Acker,- und nicht auf Firn lebt.

                                                    Jeunet gibt uns dieses Bild. Er listet die Vernichtungen und Bedrohungen auf, er zählt akribisch auf, mithilfe der –menschengemachten- Apokalypse gar-, was unsere Hoffnung bedroht und sie fressen möchte. Diesen Lebensentschluß als seicht oder gar Kitsch zu bezeichnen, halte ich denn doch für etwas zu phantasielos. Ich mag mich irren, doch auch ich bin nicht unfehlbar, Hr. Schmidt, aber J.-P. Jeunet wird schon etwas an Lebenszoll abgeliefert haben, um sich das Recht erworben zu haben, sich zum Thema melden zu dürfen(kann daran auch seit Amelie jemand zweifeln?).- Zumindest beglaubigen einige Bildabdrücke in seinem Film davon: das er den Kopf schon einige Male aus dem Sand gehoben hat, um, wie Mathilde am Ende, nur hinzusehen, wie sie vorher hinsah, um zu verstehen. „Sie sieht ihn an; sie sieht ihn an. Sie sieht ihn an“ (Ausklang): Sie bemerkt sein Sein. Wie er ist. Das er ist. Das er immer noch da ist. Sie sieht seine Wirklichkeit, gegenüber der ihren. Sie spürt ihr gegenseitiges Gleichzeitig-Sein. Sie ist für ihn da, und er, wie sie es findet, für ihn. Sie sieht, das er ist; das er keine Vorstellung ist, sondern das er wirklich ist; immer noch ist. Das die Zeit, wo statt eines Seins nur die vorgestellte, vorgeschaukelte-, -gegaukelte Hoffnung eines Seins war,- eines Glaubens an dieses Sein,- an das zum Keimen fähige Tal jenseits des vereisten Passes,- das diese Hoffnung sich nicht als umsonst und unrichtig erwiese: sondern ein Glaube sich als belohnt durch Richtigkeit erstarke und bewahrheite. Dies ist eine große Belohnung: uns zum Hoffen stark zu machen geeignet. Denn geben wir es zu: Was in unserem Leben ist so groß und beglaubigt, das wir des Hoffens erübrigen könnten? Und so ist jede Rede und jede Atempause der Hoffnung willkommen und alles andere als unangebracht und überflüssig: und sollten Sie dies doch finden, so beglückwünsche ich Sie von Herzen und schaue neidlos auf ihre anspruchsvoll bessere Befindlichkeit.

                                                    J.-P. Jeunet jedoch danke ich, das er mir mit einem starken und hinreißenden Plädoyer den Rücken gestärkt habe, was der meine durchaus nötig haben will,- oder doch eben immer durchaus gebrauchen kann ; Ich danke ihm für die starken Bilder, die Glaubwürdigkeit, die (tatsächlich) Heiterkeit und Unverwüstlichkeit der Charaktere, für seine Zusicherung :
                                                    jenseits der Schneegrenze grünt ein neues Tal, ich solle mich nicht legen zum Wegesrand und meine kalt werdenden Augen blicklos im Himmelseis erstarren lassen, während mein auskühlender Hintern langsam zum aufgespeicherten Tiefkühlsnack der Geschichte, ausgeliefertes Futter der Bestie, gefriert.

                                                    Dank Dir, lieber Freund Jeunet, für deine Kunst, um deine Gunst,- für mich. Du hast ein hohes Festmahl bereitet.

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