J.F.Lannister - Kommentare

Alle Kommentare von J.F.Lannister

  • 10

    Thomas Vinterberg zwingt sich durch das Dogma-Manuskript zum Minimalkino und vollbringt damit etwas ganz Großes. Ein Drama, von dem sich viele Regisseure gerne eine Scheibe abschneiden können. Von dem Dogma-Manuskript halte zwar weiterhin nicht allzu viel, aber hier kann ich nicht anders, als mich vor den Einschränkungen zu verbeugen.

    "Das Fest" thematisiert das Zusammentreffen einer Familie aus dem Bürgertum im eigenen Hotel, um den 60. Geburtstag eines Familienmitglieds zu feiern. Im Normalfall würde man behaupten, ein Film beginne noch recht harmlos, aber das trifft in diesem Fall nicht zu - allenfalls für ein paar Sekunden. Ein Mann läuft eine Straße entlang und telefoniert. Danach fährt ein Auto vorbei, ein Mann am Steuer mit Frau und drei kleinen Kindern. Nicht nur fordert Vinterberg den Zuschauer durch seine Handkameraaufnahmen zur erhöhten Aufmerksamkeit, bei dem Mann am Steuer handelt es sich zudem um den Bruder des Laufenden. Prompt lässt Ersterer seine Frau und Kinder aussteigen und zu Fuß gehen, um sich in Ruhe mit seinem Bruder unterhalten zu können, weil er diesen schon lange nicht mehr gesehen habe. Als Zuschauer merkt man sofort, dass hier etwas in der Luft liegt.

    Ohne groß spoilern zu wollen, aber dieses merkwürdige Gefühl entwickelt sich nach und nach zu einem Sturm, der Film wird von Sekunde zu Sekunde besser, spannender, zermürbender und endet mit einem angemessenen, wohlüberlegten Schluss. Die Handkamera eignet sich perfekt zum Filmen der Festlichkeit, zum Einfangen des regen Treibens und des Aufkochens der Emotionen. Für mich stark vergleichbar mit "Cloverfield". Eingespielte Musik wird aufgrund des Dogma-Manuskript aus dem Film verbannt, Musik entspringt nur aus der Handlung selbst und durch das oftmalige Fehlen entfalten sich dramatische Szenen - Reden, Streitereien, Rufe in die Stille hinein - umso intensiver. Die Synchronsprecher machen hier neben den eigentlichen Schauspielern übrigens selbst für deutsche Verhältnisse einen hervorragenden Job. Wer "Das Fest" also nicht im Original sehen kann, braucht sich nicht zu ärgern.

    Das komplexe Figurengeflecht belebt Vinterberg durch eine gezielt detaillierte oder nicht detaillierte Charakterzeichnung und durch einen stetigen Fluss bestehend aus Aktion und Reaktion. Ständig bilden sich neue Situationen heraus, die Handlung wird stringent und konsequent fortgeführt. Selten hat mich ein simpler, linearer Handlungsverlauf so begeistert wie hier! Ich möchte den Inhalt hier nicht im Detail analysieren, denn das würde zu weit ausschweifen und nur aus Spoilern bestehen. Folgendes möchte ich allerdings anmerken: "Das Fest" setzt sich vielschichtig mit dem Verdrängen und Lösen von Problemen, mit dem Patriarchat und der Emanzipation von diesem, mit seelischen Schmerzen und dem Ausbrechen aus diesen, mit verschiedenen Gesellschaftsstellungen und dem Blick dieser aufeinander sowie mit Rassismus und dessen Ausleben innerhalb der Gesellschaft auseinander.

    10/10 Punkten für dieses Meisterwerk! "Das Fest" würde ich nicht nur jedem Filmliebhaber empfehlen, eigentlich sollte sich jeder Mensch diesen Film einmal ansehen. Obendrein würde er sich perfekt dafür eigenen, im Schulunterricht analyisert zu werden. Ein äußerst lehrreiches Stück Kunst!

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    • 7
      J.F.Lannister 06.10.2016, 18:00 Geändert 17.10.2016, 19:30

      Ich habe mir den Film zum zweiten Mal angesehen, diesmal (natürlich) in 2D und in der Originalfassung. Ich weiß nicht, ob das jetzt am 3D oder an der deutschen Fassung lag, jedenfalls hat mir der Film bedeutend besser gefallen als damals im Kino. Sogar der Soundtrack hat diesmal funktioniert. Endlich ist das alte Star Wars Feeling auch für mich zurückgekehrt, the atmosphere awakens! Vor allem die ersten 40 Minuten sind soo gut! An dieser Stelle möchte ich besonders betonen, wie hervorragend die meisten der neuen Charaktere umgesetzt wurden. Ich liebe Rey, ich liebe Finn, ich liebe Poe Cameron, ich liebe die Chemie zwischen Rey und Finn sowie zwischen Finn und Poe, ich liebe Kylo Ren und ich liebe BB-8. Ansonsten feiere ich vor allem die Rückkehr Han Solos und des Millennium Falcons.

      SPOILER

      Zu Rey (und Finn):
      Trotz ihrer OT-Parallen haben mir diese beiden Charaktere gut gefallen. Sie wurden nicht vollständig aus der OT übernommen, sondern unterscheiden sich auch von ihren dortigen Äquivalenten. Zum ersten mal wird eine Frau detaillierter als Jedi dargestellt, zum ersten mal sehen wir einen (desertierenden) Stormtrooper als Helden. Von einem schwarzen Hauptcharakter und einer angedeuteten homosexuellen Beziehung (zu Poe) in einem Star Wars Film ganz zu schwiegen!

      Rey folgt einer ordentlichen Charakterentwicklung, eine toughe Kämpferin und Überlebenskünstlerin. Zu Beginn vielleicht noch etwas schwach gezeichnet, erhält ihr Charakter parallel zur Entdeckung ihrer Jedifähigkeiten mehr und mehr Tiefe. Das Machtduell mit Kylo Ren, der Gedankentrick mit Stormtrooper Daniel Craig, die Lichtschwertszene (aus dem Schnee ziehen) und der anschließende Kampf gegen Kylo Ren. Ich habe keine Probleme damit, dass sie ihre Fähigkeiten alleine oder eventuell zu schnell erlangt hat. Niemand weiß, wie stark die Macht in ihr ist, für mich war das in Ordnung. Mittlerweile bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Rey Lukes Tochter ist und er Einiges an sie weitergegeben hat. Als Kind war sie Schülerin in Lukes Jeditempel und erlernte dort ihren ersten Umgang mit der Macht und dem Lichtschwert. Ihre Technikaffinität stammt von Luke, ihr Know-How hat sie sich auf Jakku selbst angeeignet. Einzig störend ist hier für mich, dass sie den Falcon besser zu kennen scheint als Han. Ihre Kampferfahrung lässt sich durch das harte Leben auf Jakku begründen und natürlich durch den Unterricht im Jeditempel. Die Macht ist dank der Skywalker-Linie sowieso stark in ihr, hinzukommt abermals der Unterricht im Jeditempel. Das titelgebende Erwachen der Macht in Rey hat Abrams eindrucksvoll in Szene gesetzt. Lukes Jediausbildung wird im Vergleich dazu überbewertet, denn er hatte zum Einen keinen Unterricht als Kind und zum Anderen beschränkte sich seine Ausbildung auch nur auf Episode IV und einen Teil von Episode V. Mein Bruder und ich haben während des Abspanns im Kino außerdem über die Darstellung der Macht diskutiert, weil diese in Episode VII ein paar neue Facetten erhält. Mein Bruder hat dabei die These aufgestellt, dass Luke (ebenso wie Snoke) die Macht weiter erforscht hat und Rey daran unbewusst hat teilhaben lassen. Das könnte ihre Fähigkeiten ebenfalls erklären.

      Zu Kylo Ren:
      Natürlich ist er eine Kopie bestehend aus dem OT Darth Vader und dem PT Anakin, aber nichtsdestotrotz hat auch er mir gefallen. Die oben erwähnten neuen Facetten der Macht sieht man bei Kylo Ren logischerweise am deutlichsten und wurden von Abrams klasse umgesetzt. Generell hat er ein Händchen dafür, die Macht perfekt darzustellen. Wie Kylo Ren zu Beginn das Lasergeschoss in der Luft aufhält, das war ein Wow-Effekt. Irgendwie habe ich ja gehofft, dass er Poe Dameron vor das Geschoss stellt und ihn durch seinen eigenen Schuss exekutieren lässt. Das wäre mal ein Einstieg gewesen! Stattdessen metzelt er Lor San Tekka nieder, was auch einen guten, aber leider nicht ganz so großen Effekt erzeugte. Ansonsten wird Kylo Ren als zerrissene Seele zwischen der hellen und der dunklen Seite beschrieben. Überraschenderweise empfinde ich Kylo Rens Maske im Nachhinein als geschickt gewähltes Symbol für seinen Charakter, während ich im Kino großen Misfallen wegen des Helms hegte. Betrachten wir dazu mal das Offensichtliche: Wozu braucht er die Maske? Für nichts! Dementsprechend habe ich die Maske im Kino zunächst als "Style over Substance" Element empfunden, was durch Adam Drivers Milchbubi-Gesicht noch verstärkt wurde. Zu Hause machte ich mir weitere Gedanken und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die falsche Frage gestellt habe. Nicht "Wozu braucht er die Maske?", sondern "Warum trägt er die Maske?" müssen wir uns fragen. Kylo Ren möchte sich von seinem alten Ich befreien, er möchte sich von Ben Solo lossagen. Er strebt nach der Macht seines Großvaders und leistet ihm mit der Maske Gefolgschaft. Unter der Maske kann er sich zudem als Sith fühlen, als Sith ausgeben. Er wird ernstgenommen, wirkt bedrohlich, obwohl er eigentlich nur ein Junge ist. Das wird deutlich, wenn Kylo Ren seine Maske abnimmt. Von jetzt auf gleich verfliegt jegliche Bedrohlichkeit. Die Maske soll sein Alter und seine helle Seite, die immer noch in ihm steckt, kaschieren. Stellenweise kommt sein altes Ich erneut zum Vorschein, z.B. wenn er seinen kindlichen Wutanfällen mit Schwertgefuchtel verfällt oder vom Sog der hellen Seite spricht. In dem Moment, als er Han Solo umbringt, stellt er sich seinem alten Ich. Er tötet Han, ohne seine Maske zu tragen, er tötet ihn also als Ben Solo und versucht, sein altes Ich damit entgültig zu zerstören. Im Kino habe ich mich gefragt, warum Kylo Ren vor dem Todesstoß "Danke!" sagt, vielleicht ist genau das der Grund. Wenn ihr euch das nächste mal den Film anschaut, achtet mal auf die von Abrams eingesetzten Lichteffekte in Hans Todesszene. Während der Szene wird Ben sowohl in blauem als auch in rotem Licht angestrahlt. Erst kurz vor Hans Ermordung erstrahlt Bens Gesicht vollkommen in rotem Licht. Für mich ein äußerst gelungenes Sinnbild!
      Darüberhinaus gefällt mir der Gedanke, dass Kylo Ren gar nicht mal soweit entfernt ist von dem Severus Snape vor der Ermordung von Harry Eltern. Man könnte eben diesen Snape sogar direkt mit Adam Driver besetzen, sein Aussehen passt wie die Faust aufs Auge.

      Zu den Schicksalsschlägen der altbekannten Charaktere:
      Das Leben ist hart, Geschehnisse können sich wiederholen, schnell kann man alle Errungenschaften wieder verlieren. Das von Kritikern angeführte Märchen-Argument (verdientes Happy End der OT-Charaktere) kann ich natürlich gut verstehen, auch wenn ich es selbst nicht so empfinde. Aber dafür muss man wohl auch ein ganz bestimmter Typ von Fan sein. Das Märchenhafte an Star Wars findet sich so nur in der OT, die PT ist mit einer Geschichte voller Politik, Intrigen, Kriegseroberungen, etc ja schon in eine völlig andere Richtung gegangen. Wenn man felsenfest auf das Märchenhafte besteht, hätte man sich Episode VII vielleicht gar nicht ansehen sollen. Märchen enden nach dem Happy End (Episode VI), sie erzählen nicht von dem Danach. Da Abrams und Disney aber groß angekündigt hatten, sie wollten wirklich "back to the roots" gehen, kann ich die Kritiker schon verstehen, wenn sie das als Rückkehr zum Märchenhaften gedeutet haben. Falls ich so empfinden würde, hätte mich Episode VII auch nach mehrmaligem Ansehen wohl ebenso sehr enttäuscht.

      Schwachpunkte des Films:
      Auch wenn ich The Force Awakens nachträglich als einen gelungenen Beitrag zum Star Wars Franchise betrachte, beinhaltet der Film nichtsdestotrotz mehrere Elemente, die das Sehvergnügen eindeutig limitieren. Der gesamte "Findet Luke"-Plot macht für mich wenig Sinn oder basiert zumindest auf großem Zufall. Entweder möchte Luke nicht gefunden werden, warum dann also eine Karte anlegen? Oder er möchte von einer reifen Rey gefunden werden (das fehlende Kartenstück befindet sich ja auf Jakku), aber dann überlässt Luke Vieles dem Zufall und kann von Glück reden, dass es sich überhaupt alles so zugetregen hat. Des Weiteren sollte Leia als machtstarke Person eigentlich ohne Mühe in der Lage sein, ihn zu finden, wenn sie sogar Hans Tod Lichtjahre entfernt spüren kann.

      Der First Oder stehe ich immer noch etwas skeptisch gegenüber. In Sachen Snoke erwarte ich in den Fortsetzungen eine gute Erklärung, der aktuelle Gollum-Thanos will mir absolut nicht gefallen. General Hux ist eine Witzfigur und dient allenfalls als Hitlerparodie. Captain Phasma überzeugt bis zu dem Augenblick, als sie vollkommen out-of-character ohne Widerstand den Schutzschild herunterfährt. Die Starkiller-Base funktioniert als wiederkehrende, altbewährte Waffe, dass sie durch Nutzen ähnlicher Schwächen auf genau die gleiche Weise wie in Episode V und VI zerstört wird, kann ich jedoch nicht akzeptieren. Das sollten die Star Wars Schurken mittlerweile echt besser wissen.

      Chewbacca wird den gesamten Film über von Abrams mit Füßen getreten. Er wird zu einer passiven Randfigur degradiert und darf zum Großteil nur in Dialogen in Aktion treten. Im Millenium Falcon darf er nicht helfen, weil diese Aufgabe nun Rey zusteht und Chewie von einem Stormtrooper passenderweise am Arm verletzt wurde. Selbst im Kampf darf er kaum eingreifen, weil Han seine Armbrust cool findet und diese ständig selbst benutzt. Ernsthaft, nach all den Jahrzehnten hat er jetzt zum ersten mal mit der Armbrust geschossen? Tja und am schlimmsten ist eindeutig die Szene gegen Ende, in der sich Leia und Rey umarmen. Im Kino ist mir das gar nicht aufgefallen, nun habe ich genauer darauf geachtet. Das geht überhaupt nicht klar! Wie Chewie da durchs Bild läuft und dabei sogar nur teilweise zu sehen ist, als ob er nichts weiter ist als ein unbedeutender Statist! Augen auf bei der Kontrolle, Herr Abrams!

      Ansonsten sind es mehrere Kleinigkeiten. Das Finden des Millennium Falcons geschieht für meinen Geschmack weiterhin zu plump, Rey sollte diesen als Mythos-Begeisterte doch eigentlich sofort erkennen. Ansonsten hätte man die Szene mit den Tentakelmonstern meiner Meinung nach so umschreiben sollen, dass Finn nicht von diesen gepackt wird. Würde der Film seiner eigenen Logik folgen, hätten wir uns hier von ihm verabschieden müssen. Die Tatsache, dass sich Lukes Lichtschwert bei Maz Kanata befindet, muss man als Zuschauer leider einfach so hinnehmen und wird mit "eine Geschichte für später" abgefrühstückt. Gegen C3POs roten Arm pflege ich einen persönlichen Hass. Eine Änderung, die nicht erklärt wird, keine Funktion hat und zum Schluss ebenfalls ohne Erklärung wieder rückgängig gemacht wird.

      Von 5/10 Hüten auf 7/10 Hüten erhöht.
      Nach dem Kinobesuch hätte ich J.J. Abrams am liebsten über alle Berge gejagt, nun nach der Zweitsichtung würde ich ihn gerne erneut auf dem Regiestuhl sehen. Jetzt liegt es an Rian Johnson, an Abrams Stärken als Regisseur und Drehbuchautor anzuknüpfen, aber auch an ihm, seine Schwächen auszumerzen. Ich bin gespannt auf Episode VIII!

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      • 9

        Was für ein ungewöhnliches aber fantastisches Filmerlebnis! Noch vor Danny Boyles Regie muss ich erstmal ein großes Lob für Aaron Sorkins Drehbuch aussprechen. Anstatt Steve Jobs Lebensgeschichte von Anfang bis Ende kleinlich aufzuarbeiten, kreiert er hier seine eigene Geschichte. Er nimmt sich drei wichtige Abschnitte aus Jobs Leben heraus und präsentiert diese dafür im Detail. Ein Kammerspiel hinter den Kulissen der Präsentationsbühnen. Zunächst war ich davon überhaupt nicht angetan, hätte man mich nach 40-50 nach einer Zwischenmeinung gefragt, hätte ich den Film wohl als "geschwätzig und nichtssagend" bezeichnet.

        Nach und nach wurde ich jedoch in den Film, hinter die Kulissen gezogen, dieses Erlebnis kann man durchaus mit jenem von Birdman vergleichen. Großen Anteil daran hatten die Konflikte zwischen Jobs und den Personen in seinem Umfeld, die sich mehr und mehr zuspitzten und emotional entluden, sowie die schauspielerischen Leistungen, die sich parallel dazu von Szene zu Szene steigerten. Michael Fassbender ist Steve Jobs, anders kann man es nicht sagen. Den Visionär und Egomanen spielt er gleichermaßen hervorragend. Dann wäre da z.B. noch Seth Rogen als Steve Wozniak in seinen aussichtslosen Kampf, Annerkennung für die Apple II Crew zu erkämpfen, von dem man so ein dramatisches Spiel wohl nicht erwartet hätte. Kate Winslet als Joanna Hoffman, Jobs "Büro-Ehefrau", die ihm ebenfalls Paroli bietet. Von allen schauspielerischen Leistungen empfand ich ihre am stärksten. Etc, etc.

        Ich glaube, nach Danny Boyles Werk braucht es keine Biographie über Steve Jobs mehr. Denn obwohl einige Aspekte mehr oder weniger frei erfunden sind, wird es kaum möglich sein, ein so detailliertes und genaues Bild von Jobs zu zeichnen wie hier. Das wird ja sogar von den Personen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld bestätigt, wie z.B. von Steve Wozniak, der Sorkin beim Schreiben des Drehbuchs als Berater zur Seite stand. Steve Jobs: Ein Mann, den man für seine visionären Ideen bewundert, und für sein tyrannischen Auftreten verachtet. Wenn der Abspann anläuft, kann einem dieser Mann eigentlich nicht sympathisch sein. Gleichzeitig lassen Boyle und Sorkin Kritik am Silicon Valley bzw. am von Jobs vorgelebtem Technikwahn in den Film einfließen. Über der Geschichte schwebt Stanley Kubriks technologiekritisches Werk 2001, welches von Jobs indirekt als Schurke bezeichnet wird. Fand ich persönlich sehr passend.

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        • 8 .5

          Von all seinen Filmen, die ich bisher gesehen habe, ist The Social Network wohl das mit Abstand un-Fincher-hafteste - wobei Zodiac ja ähnlich sein soll. Fast schon dokumentarisch, ohne seine üblichen filmischen Spielereien setzt Fincher die Geschichte über Mark Zuckerberg und die Gründung von Facebook in Szene. Die eine Seite der Betroffenen behauptet, der Film sei Fiktion, die andere Seite behauptet, der Film zeige die Wahrheit. Die echten Geschehnisse und Charakterzüge liegen wahrscheinlich irgendwo dazwischen, aber das ist auch gar nicht so wichtig.

          Viel bedeutsamer ist die Tatsache - heutzutage sogar noch mehr als vor sechs Jahren - dass Fincher und Sorkin das Phänomen Facebook erden, zurück auf den Boden der Tatsachen bringen. Die Informatiker-Nerds von 2003 entwickelten sich irgendwann zu Finanzhaien, aus der Studentenbude wurde eine Großraum-Firma, der Name Facebook wurde auf einem Fundament aus Ideenklau und juristischen Streitereien errichtet. Sicherlich mag es für den ein oder anderen schwierig sein, diesem Haufen an Arschlöchern länger als ein paar Minuten zuzusehen, aber Fincher findet mit seinen distanzierten, dokumentarischen Bildern den richtigen Weg.

          Nach Steve Jobs abermals ein großes Lob an Aaron Sorkin, der weiß, wie man vernünftige Filmbiographien schreibt. Generell sehr dialoglastig, die Anfangsszene mit Jesse Eisenberg und Rooney Mara erinnert durchaus an Tarantino. Und anstatt die Geschehnisse einfach linear hintereinander anzuordnen, ordnet er sie parallel nebeneinander an, weshalb die Geschichte niemals langweilige oder vorhersehbare Züge annimmt.

          Schauspielerisch bewegt sich der Cast auf einem hohen Niveau, eine herausragende, auszeichnungswürdige Leistung findet man hier mMn allerdings nicht. Den einzigen, wirklichen Kritikpunkt sehe ich in Finchers Entscheidung, die Charaktere ziemlich schnell sprechen zu lassen. Damit wollte er wohl das Nerdtum verdeutlichen, auf Dauer kann das Zuhören aber anstrengend werden.

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          • 8 .5

            Durchschnittlich fallen die Bewertungen zwar positiv aus, aber aufgrund der nicht wenigen Kritiken, die von einem mittelprächtigen bis schlechten Film sprechen oder ihn sogar als Finchers schwächsten überhaupt bezeichnen, habe ich das Gefühl, eine Lanze für "Gone Girl" brechen zu müssen.

            "Gone Girl" ist ein über 2,5 Stunden packendes Psycho-/Ehedrama, eine Studie über das Auseinanderleben eines Traumpaars. Mit Ben Affleck als Ken und Rosamund Pike als Barbie :D Beide spielen überragend, vor allem Affleck scheint mit seinem schlechten Ruf aus den 2000ern aufzuräumen. Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass Fincher beide Seiten gleichermaßen beleuchtet und keinem klassischen Gut-Böse-Schema folgt. Sowohl Affleck als auch Pike spielen beide Arschlöcher, keinen von beiden kann man sympathisch finden.
            Neben dem Ehedrama legt Fincher "Gone Girl" - und das ist meiner Meinung nach der stärker ausgeprägte Aspekt - als beißende Satire auf die Medien- und Öffentlichkeitswahrnehmung aus. Die Form unterstützt dabei den Inhalt. Mit kühlen und tristen Bildern hält er den Zuschauer auf Distanz und lässt den Zuschauer die Position der Öffentlichkeit einnehmen. Er manipuliert, spielt mit dem Meinungsbild und den Erwartungen der - oder besser gesagt: seiner - Zuschauer. Den klassischen Fincher-Storytwist haut er schon nach 50 Minuten raus, ratlos aber gespannt fragt man sich nun, wie die Geschichte weitererzählt wird. Mit der finalen Szene befindet man sich wieder am Beginn der Geschichte und was hier auf den ersten Blick als belangloses oder enttäuschendes Ende erscheint, ist in Wahrheit eben jenes Spiel mit den Zuschauererwartungen. Letztendlich reflektiert Fincher mit "Gone Girl" sogar sein eigenes Filmschaffen in den 90er Jahren. Ganz großes Kino!

            Dem makellosen Filmerlebnis stellt sich nur das Drehbuch in den Weg. Der Handlungsverlauf weist arge Logikfehler auf und wird so herbeikonstruiert, dass am Ende alles zusammenpasst. Das im deutschen Untertitel beschriebene "Perfekte Opfer" ist in Wirklichkeit gar keines, bei Weitem nicht. In diesem Fall muss ich allerdings klar sagen: Der Zweck heiligt die Mittel!

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            • 5

              Schon ein paar Jahre älter dieser Kommentar, damals kannte ich nur Drive.

              Diesen Film kann ich schwer einschätzen. Dabei muss ich allerdings auch zugeben, dass ich den Film beim Anschauen nicht wirklich verstanden habe und nicht hinter die Handlung gekommen bin. Winding Refn macht es dem Zuschauer hier allerdings auch nicht einfach. Dialoge gibt es nur wenige, Realität und Traumsequenzen lassen sich kaum voneinander unterscheiden und gegen Ende wurde es dann etwas wirr. Insgesamt: OGF ist sehr sperrig. Nach dem Lesen mehrere Kritiken habe ich mittlerweile einen ungefähren Überblick über die Geschichte. Die Handlung wird nicht direkt erzählt sondern metaphorisch. Kommuniziert wird nicht über Dialoge sondern über die Hände. Verschiedene Farben stehen für verschiedene Motive. Rot für Rache, Gelb für Sünde, Blau für Vergebung, etc. Auch die Charaktere stehen für etwas Höheres. Die Mutter ist der Teufel, der Polizei-Lieutenant steht für Gott, welcher die sündigen Menschen bestraft. So ergibt der Film schon mehr Sinn, aber letztendlich müsste ich mir OGF noch ein zweites mal anschauen.

              Abseits der uneinsichtigen Handlung hatte ich aber noch andere, wenn auch kleinere, Probleme mit dem Film. Manche Szenen wirkten arg überdramatisiert, insbesondere Polizei-Lt. Chang mit seinem Dha-Schwert! Nach dem Hand-Abhacken erstmal stocksteif stehen bleiben und ernst in die Kamera gucken - ernstnehmen konnte ich das nicht wirklich. Die Gewalteinlagen waren mir teilweise zu unnötig brutal. In Drive hat Winding Refn die realistische Härte doch schön mit Andeutungen hinbekommen, warum also nicht hier? Und dafür gibt es dann nur FSK-16, während Drive als FSK-18 eingestuft ist?? Die Darsteller spielen zwar gut, aber richtig mitfühlen konnte ich mit den Charakteren deshalb nicht. Am interessantesten war da noch der Ödipuskomplex-Handlungsstrang, im Speziellen die Rolle der Mutter mit ihrem losen Mundwerk.

              Wahrlich meisterhaft sind dagegen die Bebilderung, der Wechsel zwischen Dunkelheit und intensiver Farbegbung und die Kameraeinstellungen. So wirkt OGF oft wie eine Aufnahme von beeindruckenden Standbildern, die man so auch einrahmen und als Kunstwerk verkaufen könnte.

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              • 10

                Bildgewaltiges, farblich berauschendes und musikalisch bedrückendes Meisterstück.

                Keine Ahnung, ob ich einen "guten Tag" erwischt habe, aber für mich fühlte sich jedes Bild perfekt in sich abgestimmt an, Refn sog mich von der ersten Sekunde an in seine Geschichte und ließ mich erst mit der letzten wieder los. Aber auch danach war noch fasziniert von dem Erlebten.

                Schlamm, Blut, Rauchschwaden, dichte Nebel und Wälder.
                Kämpfe über Kämpfe, endloses Warten, zielloses Umherwandern.
                Rache, Aberglaube, Verzweiflung, Wahnsinn, Tod.
                Mittdendrin ein schweigsamer, einäugiger Krieger.

                Mad Mikkelsen spielt mit enormer physischer und mimischer Präsenz.

                Was Nicolas Winding Refn hier auf Film bannt, ist die Hölle auf Erden.
                Die sinnlose Suche nach Gott oder dem Sinn des Lebens.

                P.S.: Refn sollte eine DARK SOULS Verfilmung drehen!

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                • 6
                  über Bronson

                  Nicolas Winding Refns Filmbiographie über den "gefährlichsten Häftling Britanniens" Charles Arthur Salvador, besser bekannt - oder für mich auch gar nicht - als Charles Bronson. Dieser Film ist im Grunde genommen alles Mögliche und pfeifft auf sämtliche Biographiekonventionen. Action, Komödie, Drama... alles! Saukomisch, total verrückt, "Bronson" haut voll rein. Tom Hardy gelingt es dabei auf faszinierende Weise, all diese Extreme perfekt darzustellen.

                  Am Ende stellt sich mir allerdings die Frage: Was bleibt, abgesehen von 90-minütigem Spaß? Die stilistischen Ähnlichkeiten zu Stanley Kubrick "A Clockwork Orange" sind überdeutlich, nur fehlt hier eine Inention, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Charakter des Protagonisten. Wenn man den Fernseher ausschaltet, trifft dies ebenso auf den Film zu. Man denkt nicht weiter groß darüber nach.

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                  • 8

                    Nicolas Winding Refns gescheiterter Versuch, sich nach Pusher und Bleeder im englischsprachigen Raum zu etablieren. Nach mittelmäßigen Kritiken und dem Bankrott seiner Produktionsfirma verzog er sich für ein paar Jahre wieder nach Dänemark und kehrte erst 2008 mit Bronson zurück ins englischsprachige Kino.

                    Wer jüngere Refn-Werke wie Drive oder Only God Forgives gesehen hat, wird hier ihre Blaupause erkennen. Die Handlung wird mit der Zeit immer verworrener, der Einsatz von Farben spielt atmosphärisch und inhaltlich eine bedeutende Rolle. Fear X ist lange nicht so perfekt wie Drive, glücklicherweise aber auch nicht so sperrig und undurchsichtig wie Only God Forgives.

                    Viel mehr wird hier eine kleine Kriminalgeschichte mit einem großartigen John Turturro in der Hauptrolle und James Remar als "Gegenspieler" erzählt, die in ihren Anfangszügen an Oplevs bzw. Finchers Verblendung erinnert. Die Frau eines Kaufhaus Security Guards (Turturro) wurde in der Kaufhaustiefgarage ermordet, der Security Guard begibt sich mit Hilfe von Fotos, etc auf die Suche nach dem Mörder. Refn schlägt ein ruhiges Tempo an, was der Spannung aber nicht im Wege steht. Als Zuschauer bewegt man sich wie durch Honig und wird gelegentlich von den Farben erdrückt. Über das Ende mag man sich streiten, ich konnte mich jedenfalls damit anfreunden.

                    *SPOILER* Zum Einen steht die Sinnlosigkeit für die Sinnlosigkeit des Mordes. Zum Anderen glaube ich, dass Harry den Mord gar nicht begangen hat, wie es die Polizisten bestätigten. Die Farbe Rot steht für Harrys Zorn, Erklärungsbedarf, etc, im Hotel ist auf dem Höhepunkt der Handlung quasi alles rot ausgeleuchtet. Als Harry danach im Bett aufwacht, ist die Farbe Rot komplett aus den Bildern gewichen. Für mich deutet dies darauf hin, dass Harry den Tod seiner Frau nun akzeptiert hat und nicht mehr nach Antworten suchen wird. *SPOILER ENDE*

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                    • 8

                      Heutzutage vielleicht weniger Horror, dafür aber immer noch ein spannender, hochatmosphärischer Kriminalfilm. Oberflächlich gesehen folgt "Opera" einer Whodunnit-Handlung, zwischen den Zeilen beschäftigt er sich mit dem audiovisuellen Erlebnis von Horrorfilmen und des Films im Allgemeinen.

                      Im Zentrum stehen sowohl das Sehen als auch das Nicht-Sehen oder anders ausgedrückt (Mr Vincent Vega™): das "Sehen müssen" und das "Nicht sehen dürfen". Der Mörder bleibt lange Zeit im Verborgenen, handelt aus dem Off, aus der Ich-Perspektive oder wird geschickt durch Gegenstände vor dem Blick der Zuschauer geschützt. Oftmals sieht man nur seine Hände (Handschuhe) oder seinen maskierten Kopf. Der Protagonistin klebt er vor jedem Mord Zahnstocher unter die Augen, sodass sie diese nicht schließen kann, sondern wie der Zuschauer zusehen muss. Argento schockiert mit teils heftigen Gewaltszenen, die den Zuschauer manchmal so unvorbereitet treffen, dass man gar nicht die Möglichkeit hat, wegzusehen.

                      Die Kamera bewegt sich aus einem freien Raum auf die Charaktere zu oder entfernt sich von ihnen, bis wieder der gesamte Raum zu sehen ist - stets die Charaktere im Fokus. Sie schwebt durch Wände und Türen, durch enge Öffnungen, durch die Luft, dreht sich auf den Kopf oder zeigt verdeutlichende Nahaufnahmen. Neben der reinen Erzeugung von Spannungselementen stehen die Kamerafahrten somit ganz im Zeichen des Sehens und Nicht-Sehens.

                      Ansonsten nutzt Argento verschiedene musikalische Themen (von Operngesang bis zu Metal) zur Verdeutlichung des Inhalts und arbeitet mit einer breitgefächerten Farbvariation, um den Zuschauer gezielt in die Irre zu führen. Film ist ein audiosvisuelles Medium und Argento nutzt dieses eindrucksvoll, um Spannung und Atmosphäre zu erzeugen. Empfehlenswert für jeden Filmliebhaber!

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                      • 3 .5
                        über Woyzeck

                        In der Schule haben wir "Woyzeck" gesehen, als wir das Buch gelesen haben, vor einiger Zeit hatte ich Lust, mir den Film erneut anzuschauen.

                        Werner Herzog begeht meiner Meinung nach zwei große Fehler. Erstens hält er sich manisch nahezu 1:1 an die Buchvorlage, auch in den Dialogen, was einen sehr gestelzten Eindruck macht. Selbst der dümmste, besoffenste Bauer klingt wie Shakespeare. Zweitens versucht er, den Film der Dramavorlage entsprechend wie ein Theater aussehen zu lassen. Auch das funktioniert so gut wie überhaupt nicht. Der Setaufbau ist miserabel, der Schauspieler starren merkwürdig in die Kamera und führen Selbstgespräche. Ziemlich unsinnig ohne Theaterpublikum. Klaus Kinski als Woyzeck und Eva Mattes als Marie harmonieren sehr gut miteinander und retten den Film noch einigermaßen, auch wenn sie bis auf zwei Ausnahmen aufgrund des Drehbuchs nie zu Hochleistungen auflaufen können. Als gelungen würde ich nur die Streitszene nach der Tambourmajoraffäre und die Mordszene bezeichnen, den Rest nicht.

                        Stattdessen sollte sich jeder Interessierte lieber die bedeutend freier und moderner interpretierte Neuverfilmung mit Tom Schilling ansehen oder eben ins Theater gehen.

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                        • 5 .5

                          Werner Herzog lässt seine Zusammenarbeit mit Klaus Kinski Revue passieren, besucht alte (Film-)Stätten und unterhält sich mit verschiedenen Leuten über Kinski. Die bekanntesten Szenen findet man mittlerweile alle auf Youtube, ansonsten lohnt sich vor allem das Gespräch mit Eva Mattes.

                          Herzog selbst geht mit seiner selbstverliebten und selbstdarstellerischen Art und Weise allerdings sehr auf die Nerven. Hauptsache, sich immer vor irgendwelche Wasserfälle o.Ä. stellen und dann alleine vor der Kamera Monologe führen! Streckenweise könnte man auf die Idee kommen, der Titel der Dokumentation laute "Werner Herzog - Mein liebster Freund"... Wenn er über den Dreh so mancher Filme redet, ist das durchaus interessant, hat mit Kinski aber relativ wenig zu tun.

                          Ich gehe davon aus, dass Herzog einen genauso großen Dachschaden hat wie Kinski vor seinem Tod, nur dass sich das auf komplett andere Art und Weise zeigt. Vielleicht passten die beiden auch deswegen so gut zueinander.

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                            Ein Budget von 370000 US-Dollar, sodass Herzog komplett auf Spezialeffekte verzichten musste. Die Kamera hatte er zuvor aus dem Filmmuseum München geklaut. Die Affen brachte Herzog ans Set, indem er sich als Tierarzt ausgab. Durch ein Hochwasser wurden mitten im Dreh alle Flöße weggeschwemmt. Ein Flugzeug stürzte ab, indem das Filmteam eigentlich mitfliegen sollte. Um den stressigen Dreh zu überstehen, putschte sich das Team mit von Ureinwohnern gelieferten Cocablättern auf. Und mittendrin Klaus Kinski mit seinen Wutanfällen.

                            "Ein Zwergenregisseur sind Sie, aber nicht ein Regisseur für mich!"

                            Die Hintergründe des Filmdrehs sind bei Weitem interessanter und unterhaltsamer als der eigentliche Film. Denn dieser beinhaltet 90 Minuten voller Langeweile, in denen man besser etwas anderes hätte tun können. Schlafen zum Beispiel. Aufgrund der fehlenden Spezialeffekte sieht man die Bilder genauso, wie sie gedreht wurden. Die absolute Authentizität. Normalerweise mag ich ja Filme, die auf authentische, dokumentarische Bilder setzen, aber hier haben sie mich zu keiner Sekunde erreicht. Klaus Kinski spielt hier als eine Art Mischung aus sich selbst und Jack Sparrow, kann den Film dadurch aber auch nicht wirklich retten.

                            Nichtsdestotrotz habe ich Respekt vor Herzogs Leistung, diesen Gewaltakt von einem Dreh zu Ende zu führen. Als Jungregisseur einen Film komplett im Dschungel drehen. Das Wegspülen der Flöße inhaltlich in dem Film übertragen. Regisseure solchen Kalibers findet man heutzutage überhaupt nicht mehr.

                            Und irgendetwas scheinen die Leute ja an diesem Werk zu finden, Francis Ford Coppola benennt "Aguirre" als große Inspirationsquelle für "Apocalypse Now". Beide Filme beruhen zu Teilen auf der Erzählung "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad. Coppola machte daraus schließlich ein Meisterwerk.

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                              Ehrlich gesagt weiß ich nicht so Recht, wie ich diesen Film bewerten soll. Und das bezieht sich nicht darauf, dass Werner Herzogs erneuter Dschungelausflug schwer zugänglich oder schwer zu verstehen ist, sondern darauf, dass die Hintergrundgeschichte einen bitteren Nachgeschmack herbeiführt.

                              Wie schon "Aguirre" stellte sich auch der Dreh von "Fitzcarraldo" als exotisch und Gewaltakt heraus. Mit Oscarpreisträger Jason Robards, Mick Jagger und Mario Adorf war der Film schon zur Hälfte abgedreht, als Robards für längere Zeit erkrankte. Jagger reiste wegen einer Stones-Tournee ab, Adorf kehrte nach Europa zurück und unterschrieb irgendwann für einen anderen Film. Danach erst wurde Kinski engagiert (Wutanfälle inbegriffen) und das Drehbuch nochmal umgeschrieben. Darüberhinaus geschahen mehrere leichte bis tödliche Unfälle während des Drehs. Die Hand des Kameramanns wurde zwischen Ring- und kleinem Finger aufgerissen, ein Setarbeiter schnitt sich nach einem Schlangenbiss mit einer Motorsäge den Fuß ab und das Set wurde einmal von einem Ureinwohnerstamm angegriffen. Bei einem Flugzeugabsturz starben mehrere Menschen.
                              Trotz aller Tragik wäre dies nur halb so schlimm, wenn sich Herzog in Interviews (siehe z.B. "Mein liebster Feind) nicht so selbstverliebt darüber äußern würde, als sei dies nur ein großer Spaß gewesen. Teilweise war er es selbst, welcher die Menschen bewusst der Gefahr aussetzte, zudem ließ er wohl Hunderte von Regenwaldbäumen fällen. Mit Bulldozern fuhr er durch den Regenwald, um ein Schiff über einen Hügel zu ziehen, Fitzcarraldos größenwahnsinnige Aufgabe eignete sich Herzog am Set irgendwann selbst an. All dies trübt den Blick auf den ansonsten guten Film und man fragt sich unweigerlich: "War es das wirklich alles wert?"

                              Die 8/10 Punkten, die ich hier vergebe, beziehen sich also nur auf die Qualitäten des Films, nicht aber auf meinen Gesamteindruck, welcher die Hintergründe miteinbezieht. Das soll jeder für sich selbst entscheiden.

                              Zu Beginn des Films erscheint ein Zitat, welches die Schöpfungsgeschichte der Indios erläutert. Gott habe das Land vor Vollendung seiner Schöpfung verlassen und werde erst wieder zurückkehren, wenn die Menschen verschwunden sind. Dieses Zitat zieht sich als Motiv durch die gesamte Handlung. Fitzcarraldo möchte die unvollendete Schöpfung nach seinen Vorstellungen vollenden. Der Bau einer Oper mitten im Dschungel, das ist sein großer Lebenstraum. Dieses möchte er durch Kautschukverkauf finanzieren. Also haut der das Vermögen seiner Geliebten (gespielt von Claudia Cardinale) auf den Kopf, kauft sich ein unzugängliches Kautschukgebiet, eine Yacht und stellt eine Mannschaft zusammen. All dies gipfelt in dem wahnwitzigen Versuch, die Yacht über einen Hügel zu transportieren, um in das Kautschukgebiet zu gelangen. Fitzcarraldo ist ein Träumer, ein Größenwahnsinniger, welcher den Geist der Kolonisationszeit atmet, sich durch nichts aufhalten lässt und alles Menschenerdenkliche tut, um an sein Ziel zu gelangen. Klaus Kinski ist diese Rolle auf den Leib geschnitten, er geht darin voll auf. Und da Herzog ihm eine detaillierte Charakterzeichnung an die Hand gibt, wirkt Kinskis Spiel weniger wie das typische Kinski-Klischee sondern sehr glaubwürdig. Sowohl in den ruhigen als auch den lauten Momenten.

                              Zugegeben, hier klaue ich dreist von Andy Dufresne, aber folgende Zitate umschreiben den Charakter und den Film Fitzcarraldo perfekt:

                              "Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen." (Mohammed)
                              "Das muss das Boot abkönnen." (Das Boot)

                              Die Einleitung in die Geschichte geschieht meiner Meinung nach etwas holprig und langatmig, mit dem Ablegen der Yacht hat sie mich jedoch unweigerlich in ihren Bann gezogen. Hier zeigt sich Herzogs Gespür für große, atmosphärische Bilder. So wie hier präsentiert, könnte ich der Yacht stundenlang dabei zusehen, wie sie gemächtlich durch die Dschungelflüsse tuckert, zwischen den Blättern verschwindet und wieder auftaucht! Musikalisch werden die Bilder inhaltsbezogen oftmals durch Operngesang untermalt, was die mitreißende, magische Atmosphäre noch weiter verstärkt. Darüberhinaus ist Herzog mit der Zusammenarbeit mit den peruanischen Ureinwohnern ein echter Glücksgriff gelungen. Sie kennen sich im Dschungel aus, wuseln herum und sprechen in ihrer Muttersprache. Der Geschichte verleiht dies im späteren Verlauf einen authentischen Unterbau und dem ohnehin schon spannenden Schiffstransport über den Berg zusätzlichen Biss.

                              Insgesamt und vor allem im Bezug auf die letzten 30 Minuten des Films ist Herzog mit "Fitzcarraldo" ein großartiger und kritischer Kommentar zum Kolonialismus in Südamerika gelungen. Leider wird dies wie oben beschrieben durch die Hintergründe des Drehs getrübt.

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                                Nirgendwo wie hier sieht man so deutlich, wie sehr die typische MCU-Leichtigkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der gegebenen Thematik im Wege stehen kann. Es folgen SPOILER.

                                Zunächst ein Wort zu den Actionszenen. Joss Whedon hat oft die Angewohnheit, die Kämpfe seiner Helden als eine Art fließenden Übergang darzustellen, vor allem in der Einführungsszene sieht man das sehr gut. Da kämpft erst Thor, dann fährt Captain America auf seinem Motorrad ins Bild, Schwenk zu einem fliegenden Iron Man, einem wütenden Hulk, Black Widow, Hackeye und so weiter. Zwischendurch sind dann per Slow Motion Effekt alle Avengers-Mitglieder zugleich zu sehen. Für mich fühlt sich das nicht natürlich an, man merkt dieser Actionszene zu deutlich ihr zugrundeliegendes Drehbuch an. Gleiches gilt für den finalen Kampf an der Vibraniummaschine. Nach dem Motto: "Hallo Zuschauer, wir sind die Avengers, wir sind das MCU." Dass Whedon authentischere Action inszenieren kann, zeigt er mit dem großartigen Hulkbusterkampf und der Evakuierung der fliegenden Stadt.

                                Ansonsten lebt der Film ungemein von der Chemie zwischen den Avengers-Mitgliedern und Joss Whedons Talent dafür, selbst die Nebencharaktere in diesem großen Ensemble einprägsam in Szene zu setzen. Für mich ein Highlight: Andy Serkis als Ulysses Claw!

                                Zur Handlung: Zu Beginn erfolgt erstmal ein schöner Brückenschlag zu The Winter Soldier, leider wird das Kapitel Hydra sehr schnell abgeschlossen, dafür der Ultron-Handlungsstrang allerdings gelungen eingeführt. Daraufhin beginnt Whedon, die Superhelden-Stilisierung der Avengers zu dekonstruieren, wobei ihm mit Scarlett Witch und Ultron zwei tatkräftige Gehilfen zur Seite stehen. Scarlet Witch verhext jedem Avenger im Nu den Kopf, ohne dass sie etwas dagegen tun könnten, und Ultron hält ihnen den Spiegel vor. Tony Stark demaskiert er als egozentrischen Waffennarren/-lobbyisten und Captain America als Kriegsabhängigen. Thors Gottesstatus erhält einen gehörigen Knacks, indem Vision seinen Hammer mühelos durch die Gegend schwingt und selbst Steve Rogers diesen leicht anheben kann. Hulk wird unkontrolliert auf eine Großstadt losgelassen und wenn er Gefahr läuft, sich in Bruce Banner zurückzuverwandeln, ballert Ultron ihn einfach mit einem Kampfflugzeug ab, um seine Wut neu anzufachen. Generell ist Hulks Handlungsstrang ob seiner Tragik der stärkste im gesamten Film und reicht durchaus an Ang Lees Interpretation heran. Schließlich hat Ultron die Avengers soweit gebracht, dass sie sich von innen heraus zerfressen und auch von der US-amerikanischen Bevölkerung gehasst werden, sodass sie sich auf Hawkeyes ruhiges, einsames Grundstück auf dem Land zurückziehen müssen. Mit dem Kampf in der fliegenden Stadt konfrontiert Ultron die Avengers letztendlich mit der Frage, ob sie bereit sind, das Leben von wenigen Menschen zu opfern, um das Leben von vielen zu retten. Sie entscheiden sich zwar dagegen, jedoch zeigt Whedon folgendes: Die Avengers mussten noch nie so sehr an ihre Grenzen gehen wie hier und ohne den von Nick Fury organisierten Helicarrier ex Machina hätten sie es nicht geschafft, die Menschen zu retten.
                                In den letzten 1,5 Jahren habe ich viel Negatives über Ultron gelesen, manches davon erscheint mir doch sehr überzogen. Viele beklagen sich darüber, Ultron sei zu witzig, aber das ist Teil seines Charakters als Spiegelbild der Avengers. Schließlich reißen diese auch ständig unsinnige bis unpassende Witze, insbesondere Ultrons Vater Tony Stark. Sicherlich braucht man bezüglich der Komplexität keinen Vergleich zu der K.I. in z.B. Terminator oder Matrix zu ziehen und sonderlich bedrohlich wirkt Ultron ebenfalls nicht, aber welcher MCU-Schurke mit Ausnahme des Winter Soldiers ist dies schon? Abseits davon steckt hinter seinem Schurkendasein jedoch ein interessantes Konzept, er hat eine Daseinsberechtigung und das ist für mich im MCU schon ein kleiner Meilenstein!

                                Das Enttäuschende an Age of Ultron ist im Endeffekt nicht Ultron selbst, sondern das, was das Drehbuch gezwungenerweise aus ihm und der gesamten Handlung macht. Ultron ist ein Schurke, der nicht gewinnen darf, beziehungsweise dessen Niederlage zu leicht vonstatten geht. Vision sperrt ihn mal eben so aus dem Internet aus, wie soll das funktionieren? Am Ende sind die Avengers letztendlich doch wieder die unumstößlichen Helden. Der alte Status Quo vor Ultrons Geburt wird wiederhergestellt, all die psychischen Schäden, Spiegelbilder und inneren Zerrüttungen sind wie weggeblasen. Nach den Meinungsverschiedenheiten rundum die Entwicklung der K.I., insbesondere zwischen Tony Stark und Steve Rogers, sind alle Avengers wieder Best Buddies, sodass ich mich als Zuschauer unweigerlich frage, wie daraus der Civil War entstehen soll. Einzig und allein Hulks Handlungsstrang erhält ein angemessenes Ende. Der fehlende Tod von Hauptcharakteren bzw. der teilweise unpassende Humor der Avengers, z.B. die Auseinandersetzung zum Thema "Flüche", die ich oft als Kritik im MCU anführe, wirken dagegen wie eine Nebensächlichkeit.

                                Wie oben erwähnt verträgt sich die typische MCU-Leichtigkeit mit der ernsthaften Auseinandersetzung rundum Ultron als Spiegelbild der Avengers absolut nicht. Am Ende darf der Film dann doch nicht weh tun, sondern soll nur der Unterhaltung dienen. Dies ergibt alles in Allem eine Bewertung von 2,5/5 Hüten.

                                Anmerkung: Joss Whedons Vorgänger The Avengers hat inhaltlich zwar nicht so viel zu bieten wie Age of Ultron, versteht sich dafür aber als reiner, humorvoll-nerdiger Actionfilm ohne Ballast und macht daher einen runderen Eindruck. Dem würde ich 7/10 Punkten geben.

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                                  Es ist gut möglich, dass ich den Fans des Marvel Cinematic Universe in den letzten vier Jahren etwas Unrecht getan habe. Vielleicht habe ich sie über all die Jahre hinweg auch gar nicht richtig verstanden. Sie schwärmten von einem Filmuniversum, von Referenzen, von zusammenhängenden Geschichten. Sie schwärmten von ihrem größten (Kindheits)Traum, sie schwärmten davon, einen Teil ihrer Lieblingshelden gemeinsam auf der Leinwand zu sehen oder zumindest in einer höhergeordneten Relation zueinander wahrzunehmen. Auch wenn ich diese Begeisterung selbst in Ansätzen verspürte, blieb sie für mich doch etwas Fremdartiges. Zu oft missfielen mir die Einzelfilme, zu selten konnte ich mich mit den Charakteren identifizieren, als dass ich mich vollends dieser Begeisterung hingeben konnte. "Suicide Squad" lässt mich in dieser Hinsicht nun verstehen und hat mir die Augen geöffnet.

                                  Vorweg gesagt, ich möchte hier nicht übertreiben. Ich bin kein Comicleser und habe von dem DC Cinmatic Universe im Prinzip überhaupt keine Ahnung. Von der Suicide Squad las ich zum ersten Mal, als der erste Filmartikel auf Moviejones erschien und danach dauerte es lange, bis das Projekt überhaupt mein Interesse gewann. Bis auf Harley Quinn, Batman, den Joker und Killer Croc war dieses Ensemble komplettes Neuland für mich. Die mittelmäßigen Kritiken ließen mich nach "Batman v Superman" zwar unbeeindruckt, jedoch stellte die zwiespältige Trailerpolitik einen Kinobesuch in Frage. Letztendlich hatte ich doch Bock darauf, zum Glück!

                                  Denn der Kinobesuch gab mir ein Gefühl, erfüllte einen Traum der letzten drei Jahre, welcher über das alleinige Zusammentreffen von Batman und Superman hinausgeht. Es ist die oben beschriebene Begeisterung für ein Universum voller Geschichten und Charaktere, mit denen man sich identifizieren kann. Mehr noch, es ist die Erkenntnis, dass Warner Bros trotz aller Unkenrufe sehr wohl einen funktionierenden Plan für ihr DCCU hat und sich damit Stand jetzt tatsächlich auf erfrischende Weise vom MCU unterscheidet. Im MCU laufen mehrere Filme zeitlich parallel und münden schließlich in einem großen Finale. "Suicide Squad" dagegen ist wider Erwarten kein Spin-Off, sondern die direkte Fortsetzung von "Batman v Superman". Alles baut aufeinander auf und daraus entsteht ein Fluss, welchen ich im MCU so noch nicht verspürt habe. Natürlich weiß ich, dass dieser Fluss durch "Wonder Woman" unterbrochen wird, aber ich freue mich jetzt schon ungemein auf die "Justice League"! Des Weiteren sei gesagt, dass "Suicide Squad" trotzalledem für sich alleine steht und auch ohne Kenntnis des Vorgängerfilms verstanden werden kann, allerdings entfaltet sich das volle Potential eben nur im Zusammenhang mit "Batman v Superman". Von der Post-Credit-Szene ganz zu schweigen!

                                  Hier folgen nun ein paar spoilerfreie Schilderungen, damit ihr Leser ungefähr einordnen könnt, womit ihr es hier zu tun habt. Die größte aller Fragen dürfte wohl sein: Ist das jetzt ein humorvoller oder ein ernsthafter Film? Nun, es ist beides. "Suicide Squad" enthält eine enorme Anzahl und Vielfalt an Popsongs, das selbst "Guardians of the Galaxy" dagegen alt aussieht. Für meinen Geschmack zu viele, oftmals werden sie sogar nur angerissen und/oder stehen im Widerspruch zur eigentlichen Atmosphäre der Bilder. Egal, ob dies nun Warner Bros oder Ayers Entscheidung war, aber einige der Popsongs erfüllen nur den Selbstzweck und schaden der Atmosphäre dadurch mehr, als dass sie sie unterstützen. Anders verhält es sich mit dem Dialoghumor. Auch wenn längt nicht jeder Witz zündet, fügt sich der Dialoghumor in die Handlung ein und belebt die Charaktere.

                                  Die Charaktere sind jedoch keine reinen Gagmaschinen, stattdessen ist Ayer an einer inneren Dualität interessiert. "Suicide Squad" ist - zum Glück! - weder ein poppiges Feelgoodmovie voller cooler Charaktere wie "Guardians of the Galaxy", noch ein reiner Actioner voller menschenverachtender Arschlöcher wie "Sabotage". Ins Zentrum seiner Handlung stellt Ayer die Frage nach dem Guten im Menschen, nach seiner Wertigkeit. Er interessiert sich für die Freaks und die Aussetzigen der Gesellschaft, die nicht nur wegen ihrer Verbrechen sondern auch wegen ihrer Andersartigkeit weggesperrt werden. "Suicide Squad" als verkappter X-Men Film. "Nicht vergessen, wir sind die Bösen." ist ein Satz, der von verschiedenen Charakteren mehrmals wiederholt wird. Zunächt wirkt das wie eine innere Bekräftigung oder eine Erinnerung an den Zuschauer, die Charaktere bloß nicht zu cool zu finden, aber im Endeffekt schwingt mit dem Satz eine vielsagende Ironie mit. "Wenn die Gesellschaft uns schon als abgrundtief böse betrachtet, liefern wir ihr doch einfach klischeehaft Böses." Wichtig ist dabei natürlich die Frage nach der Gemeingefährlichkeit und dem tatsächlich Bösen, jedem würde wohl mulmig werden, würde er auf der Straße einem dieser Typen begegnen. Diese Grenzlinie lässt Ayer nicht aus den Augen, weswegen der Film stets die Gräueltaten der Protagonisten aufzeigt und auch nicht mit einem klassischen Happy-End endet. Nichtsdestotrotz können auch Verbrecher und Psychopathen Gefühle wie Liebe oder Freundschaft empfinden. Bei Metawesen wie Diablo oder Abnormalitäten wie Killer Croc kommt noch hinzu, dass sie von der Gesellschaft generell nicht verstanden werden wollen/können und diese sich auch selbst nicht wirklich verstehen können. Es bildet sich eine Abwärtsspirale, mündet in einer Katastrophe, die letztendlich den Tod von Unschuldigen zur Folge hat und für die Täter im Hochsicherheitsgefängnis endet. Obendrein ist die hier präsentierte Gesellschaft in Zeiten von Superman, General Zod und Doomsday ohnehin nicht gut auf Metawesen bzw. falsche Götter zu sprechen. All diese negativ geprägten Gefühle münden in der US-Regierungsbeauftragten Amanda Waller, die als wahrhaftige Anti-Nick-Fury-Inkarnation aus dem talentierten Abschaum der Gesellschaft eine Art Justice League zusammenstellen möchte, um terroristische Metawesen zu bekämpfen. Rick Flagg bezeichnet sie passenderweise als Gott, Harley Quinn als Teufel. Was würden Superman und Lex Luthor dazu wohl sagen? Batmans Antwort erfahren wir.

                                  Und dann turnt neben der Suicide Squad und sontigen Charakteren (kurz, aber eindrucksvoll: Ben Affleck als Batman) irgendwo ja auch noch der Joker herum. Auf Basis der Trailer hätte ich mit einer größeren Rolle gerechnet, letztendlich fungiert er als Getriebe im Character arc Harley Quinns, was ziemlich gut funktioniert. Ansonsten tut er genau das, was der Joker immer tut. Er pfeift aus gesellschaftliche Normen und tritt ihnen gehörig in den Arsch. Die US-Regierung will Harley Quinn auf eine Selbstmordmission schicken? Nicht mit dem Joker!

                                  Nun habe ich lang und breit über die Charakterzeichnung der Protagonisten geschrieben, aber noch nichts über die Charaktereinführung oder gar den Antagonisten. Prinzipiell ist die Einführung sehr interessant gestaltet, nacheinander werden die Mitglieder der Suicide Squad vorgestellt und es wird kurz erläutert, wie jeder von ihnen im Bau landet. Danach konzentiert sich Ayer aber zunächst nur auf Deadshot, Harley Quinn und Rick Flagg, was bedeutet, dass der Rest des Teams ins Hintertreffen gerät und erst nach und nach an Profil gewinnt. Dieses charakterliche Ungleichgewicht hat zur Folge, dass sich "Suicide Squad" streckenweise wie (großartiges) Pulp-Kino anfühlt. Eine Gruppe von Typen in lustigen Kostümen verkloppt reihenweise Monster, die von einer verrückten Hexe losgeschickt werden. So schön, so unterhaltsam, nur beißt sich dies alles zwangsläufig mit dem enormen Budget und den zahlreichen CGI-Effekten. Pulp mit praktischen Effekten wirkt bedeutend authentischer. Aber wie gesagt gewinnen auch die Nebencharaktere nach und nach an Profil, die Geschichte wird ernsthafter und relativiert damit die CGI-Effekte. Über den Antagonisten braucht man nicht viele Wort zu verlieren, man hätte ihn auch "MacGuffin" nennen können. Beliebig und zu keiner Zeit bedrohlich, aber im Bezug auf "Man of Steel" und "Batman v Superman" zumindest interessant. Siehe Amanda Waller und ihre terroristischen Metawesen.

                                  Zu den Schauspielern bleibt zu sagen, dass der Ensemblecast ungemein von sich selbst profitiert. Im Zentrum stehen gemäß ihren Rollen Will Smith, Margot Robbie und Joel Kinnaman. Von Will Smith habe ich persönlich in seinen Filmen noch keine schlechte Leistung gesehen, aber sollte die Kritik an ihm je berechtigt gewesen sein, dann kehrt er hier bravourös zu seinen alten Stärken zurück. Ein Star, der Action, Humor und Emotonalität perfekt meistern kann. Gleiches gilt für Joel Kinnaman, der mich schon in Robocop überzeugte und hier begeisterte. Margot Robbie befindet sich auf dem momentanen Höhepunkt ihrer Karriere, Harley Quinn mit ihren wechselhaften Gefühlsausbrüchen vermag sie dementsprechend nuanciert darzustellen. Diesen drei (mehr oder weniger) Hauptdarstellern gelingt es, auch den Rest der weniger talentierten Schauspieler mit hochzuziehen, da straft selbst Jai Courtney all seine Kritiker Lügen. Jared Leto leidet meines Erachtens nach unter der deutschen Synchro, er macht einen tollen Job, dürfte im Original aber noch deutlicher zur Geltung kommen. Über allen thront letztendlich Viola Davis als fiese, gefühlskalte Amanda Waller. Gruselig!

                                  Eine Bewertung der "Suicide Squad" hängt wohl davon ab, wie man die Stärken und Schwächen gewichtet. Auf der pro-Seite stehen der herausragende Cast, die humanistische Auseinandersetzung mit der Antihelden-Thematik und die logische Fortführung des DCCUs. Auf der contra-Seite stehen das Ungleichgewicht zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, zwischen der Entwicklung verschiedener Charakter sowie zwischen Pulp und CGI-Bombast. Für mich überwiegt die pro-Seite, was sich in der Bewertung wie folgt wiederspiegelt

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                                    Ich bin ein nahezu vollkommener Star Trek Laie, kenne nur den Reboot von 2009 und den mochte ich nicht. Im Vergleich dazu macht Beyond qualitativ jedenfalls einen deutlichen Sprung nach vorne, kommt mMn insgesamt aber nicht über gehobenen Durchschnitt hinaus.

                                    Seine Stärken entfaltet der Film eindeutig in den ruhigen, charakterbezogenen Szenen. Zu Beginn wird eindrucksvoll geschildert, wie sich das Leben auf einem Raumschiff während einer jahrelangen Erforschungsreise anfühlt und wie sich das auf die Besatzung auswirkt. Nach dem emotionalen, Kirks Identitätszweifel reflektierenden Absturz der Enterprise findet sich die Mannschaft in Grüppchen versprengt auf einem fremden Planeten wieder und wird mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Diese gilt es zu lösen, Charaktere reiben aneinander und vor allem Kirk, Spock und Pille (Karl Urban!) erhalten dadurch eine tiefergehende Zeichnung. Die restlichen Charaktere müssen sich dem leider unterordnen und verbleiben als rudimentär ausgebildete Stichwortgeber. Nichtsdestotrotz profitiert die Geschichte von der Chemie zwischen den Schauspielern und dem von Lin in den Fokus gestellten Motiv des friedliebenden, gleichberechtigten Zusammenhalts. Wenn man an die Entdeckungsreisen des vergangenen Jahrtausends zurückdenkt, kann man bei dieser hier nur ins Träumen geraten! Krall ist als Schurke zwar weit davon entfernt, bedrohlich zu wirken oder gut ausgearbeitet zu sein, mit seiner kriegstreiberischen, terroristischen Veranlagung passt er allerdings sehr gut in das Zeitgeschehen. Schade, dass Idris Elba hinter der Maske überhaupt nicht zur Geltung kommt, er hätte Krall allein durch seine Mimik mehr Profil geben können.

                                    Warum trotz dieses Lobs dennoch nur gehobener Durchschnitt? Nun, das liegt daran, dass sich auch Star Trek Beyond wie schon der Abrams-Reboot weiterhin primär als SciFi-Actionfilm mit humorvollen Einlagen versteht und sich als solcher in die Masse des aktuellen Blockbusterkinos einreiht. Über Logik braucht man z.B. gar nicht erst anfangen, zu diskutieren. Die Handlung verläuft trotz der ruhigen, charakterbezogenen Momente linear und vorhersehbar und es wird wie gesagt nur ein kleiner Teil der Charaktere detaillierter beleuchtet. Die Aliens sehen mit ihren Masken ziemlich künstlich und irgendwie sehr CGI-mäßig aus und erinnern unangenehm an die Hobbit-Orks. Die standardisierte Action langweilt enorm, ist hektisch und unübersichtlich geschnitten und zumindest in 3D so dunkel, dass man kaum etwas erkennt. Einzige Ausnahme: die "Beastie Boys - Sabotage" Szene, die rockt hart!

                                    Sofern ich das richtig verstanden habe, gilt Star Trek in seiner Urform bzw. in den Filmen/Serien vor 2009 als Paradebeispiel des Hard Science Fiction Genres. Star Trek Beyond geht dagegen wie schon der Abrams-Reboot mehr in Richtung Space Opera und als solche muss sich der Film zwangsläufig mit Größen wie Star Wars, Firefly/Serenity oder Guardians of the Galaxy messen lassen. Insgesamt fehlt da für mich die atmosphärische, herzerwärmende Klasse der genannten Beispiele

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                                      Mel Gibsons Regiedebut und meiner Meinung nach sein bisher bester Film. Und mit "bester" meine ich "insgesamt am rundesten". Basierend auf Braveheart, Die Passion Christi und Apocalypto könnte man wohl behaupten, dass Gibson ein hervorragender Actionregisseur aber kein sonderlich guter Geschichtenerzähler ist. Nun, Der Mann ohne Gesicht beweist ganz klar das Gegenteil!

                                      Ruhig und behutsam erzählt Gibson seine Geschichte über die Generationen übergreifende Freundschaft zwischen dem 12-jährigen Chuck (Nick Frost) und dem ca. 33-jährigen Justin McLeod (Mel Gibson selbst). Die Geschichte wird getrieben von der Nähe zu den Charakteren, Gibson arbeitet ihre Komplexität Stück für Stück heraus und macht sie für den Zuschauer emotional greifbar. Neben seiner Regie gelingt Gibson auch vor der Kamera eine großartige, einfühlsame Performance und mit dem Jungdarsteller Nick Frost steht ihm ein kongenialer Schauspielpartner zur Seite. Untermalt werden die Bilder durch einen wunderschönen, manchmal jedoch etwas zu kitschigen Soundtrack aus den Federn James Horners.

                                      Chuck leidet unter familiären Problemen, sein Vater kam bei einer Militäroperation der Air Force ums Leben, seine Mutter hat mittlerweile den vierten Mann am Start, generell gilt er in einer intellektuellen und studierten Familie als schwarzes Schaf. Während sich der Rest seiner Familie mit weltpolitischen Themen beschäftigt, vergräbt er sich lieber in seinen Superhelden-Comics. Sein Traum ist eine Aufnahme an der Militärakademie, leider fallen seine Schulnoten dafür zu schlecht aus. Mr. McLeod ist ein verschlossener Neuhinzugezogener, welcher zurückgezogen in einem Haus am See lebt. Seine rechte Gesichthälfte ist von Brandnarben entstellt, im Dorf kursieren zahlreiche Gerüchte über seine Narben und seine Vergangenheit, man könnte ihn wohl als "Shrek" des Dorfes bezeichnen. Durch einen Zufall erfährt Chuck, dass Mr. McLeod in seinem früheren Leben ein Lehrer war und bittet ihn um Nachhilfeunterricht. Aus dieser Zweckgemeinschaft entwickelt sich schließlich eine enge Freundschaft.

                                      Sicherlich ist dieses Handlungskonzept nicht neu und an manchen Stellen vorhersehbar, gegen Ende betritt Gibson dennoch ein paar neue Wege und sorgt für überraschende Wendungen. Insgesamt steht bezüglich des Altbekannten aber das "Wie" und nicht das "Was" im Vordergrund. Vor allem profitiert die Geschichte von dem Mysterium, welches Mr. McLeod umgibt. Seine Vergangenheit wird zwar Stück für Stück beleuchtet und aufgedeckt, zum Schluss gewährt ihm Gibson jedoch einen Rest an Dunkelheit. Aus dieser Ungewissheit heraus entfaltet der Film eine enorme Kraft, welche über die wahre Freundschaft zwischen Chuck und Mr. McLeod weit hinausgeht. Eine Kraft, die Vorurteile jeder Art überwinden kann. Mit "Der Mann ohne Gesicht" appelliert Mel Gibson an das Positive im Menschen und hält ein berührendes Plädoyer dafür, dass Straftäter immer eine zweite Chance, eine Möglichkeit der Rehabilitierung verdient haben. Bravo!

                                      P.S.: Für eine detaillreichere, aber ebenso treffende Betrachtung des Films empfehle ich die Kritik von Roger Ebert.

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                                      • 6 .5

                                        Seit Jahren mal wieder gesehen. Vielleicht liegt es an meiner damaligen Jugend und daran dass ich weniger über die Geschichte nachgedacht oder mich belesen habe, aber heute kann ich "Apocalypto" nicht mehr so hart abfeiern, wie ich es früher tat.

                                        Mel Gibson hat mit "Apocalypto" den Höhepunkt seines inszenatorischen Schaffens erreicht. Die Kulissen und Kostüme wie gewohnt allererste Klasse, im Jahr 2006 ist Gibson ein Regisseur, welcher für solche Werke komplett ohne CGI auskommt. Mit klugen Schnittfolgen (mal schneller, mal langsamer) und beeindruckenden Kameraeinstellungen (in den Bäumen, an Menschen/Tieren, entlang eines Wasserfalls, etc), in Kombination mit dem Ton, der antiken Sprache und James Horners abwechslungsreichem Soundtrack erweckt Gibson den Dschungel Mittelamerikas mit all seinen überwältigenden Schönheiten und Schrecken zum Leben. Ein meisterhaftes und hochatmosphärisches Stück Actionkino!

                                        Im Gegensatz zu "Braveheart" verzichtet Gibson auch auf großangelegten Kitsch und Pathos, sondern verlässt sich mehr auf seinen tollen Cast, der diesmal komplett aus unbekannten oder Laiendarstellern besteht. Dadurch kommen Gefühle und Motive wie Liebe, Familie, Furcht, Trauer und Rache bedeutend besser zur Geltung, wirken reiner und kraftvoller als in "Braveheart".

                                        Leider versucht sich Gibson darüberhinaus an einer Zivilisationskritik, welche eindeutig zu kurz greift und die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, im Speziellen der Maya, mit Füßen tritt. Die Hochkultur der Maya mit ihrer Architektur, Infrastruktur, ihrem Kalendersystem und ihrer Religion reduziert Gibson auf einen grausamen Opferkult. Dem stellt er ein vollkommen reines und friedliebendes Waldvolk gegenüber, welches von den "zivilisierten" Maya ermordet und verschleppt wird. Für Gibson existiert mal wieder kein grau, sondern nur schwarz und weiß. Besonders ärgerlich wird es dann nochmal gegen Ende, wenn er als Brückenschlag zum Eingangszitat, dass große Zivilisationen nur erobert werden könnten, wenn sie sich von innen bereits selbst zerfressen haben, die Kolonisation durch die christlichen Spanier rechtfertigt. Nach dem Motto: "Ist ja nicht so schlimm, die sind eh schon halbtot!"

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                                        • 5

                                          "Braveheart" gilt als Filmklassiker, nicht nur unter den Historien-Epen sondern auch allgemein. Wie oft mir in dieser Hinsicht schon geraten wurde, mir dieses Epos endlich einmal anzusehen! Die meisten Kritiker und normalen Kinogänger mögen den Film, hier im Forum hört man nur Gutes darüber und auch meine Eltern lieben "Braveheart". Wie zur Bestätigung dessen erhielt der Film zehn Oscarnominierungen, von denen er fünf gewinnen konnte. Darunter neben den technischen Auszeichnungen für Kamera, Tonschnitt und Make-Up auch jene für Film und Regie. Die Zeichen für ein großartiges Stück Kino hätten also nicht besser stehen können, im Nachhinein machte sich bei mir aber die Erkenntnis breit: "Braveheart" ist ein zutiefst mittelmäßiger Film.

                                          Wenn ich an andere Genre-Vertreter wie "Der Herr der Ringe" oder "Gladiator" denke, die sich durch epische Breite, Komplexität, emotionale Wucht und charakterliche Tiefe auszeichnen, wirkt "Braveheart" im Vergleich dazu geradu einfach und stümperhaft. Auch ein Werk wie "Troja" macht da einen bedeutend intelligenteren und komplexeren Eindruck. Eine epische Breite findet sich in Mel Gibsons Film zwar auch, aber mehr in Form der Laufzeit und weniger in Form des Inhalts.

                                          Dies liegt vor allem daran, dass Gibson und Wallace die komplexen, realen Begebenheiten rundum William Wallace, Robert the Bruce und Edward Longshanks zu einer simplen Rache- und Freiheitsgeschichte eingekocht haben, in der die Schwarz-Weiß-Zeichung überwiegt. Während Gibson die Schotten als ehrwürdige und aufrechte Freiheitskämpfer glorifiziert, dämonisiert er die Engländer als grausame, hinterlistige Unterdrücker. Besonders ärgerlich wird es dann, wenn man bedenkt, dass auf der Schotten-Seite Brendan Gleeson, James Cosmo und Brian Cox mitspielen, diese dank Gibsons Schwarz-Weiß-Malerei aber keine Möglichkeiten haben, ihr Talent auszuspielen. Im Abspann hätte man sie leider genauso gut als "Romantisierter Schotten-Krieger Nr. X" bezeichnen können. Immerhin wurde Gleeson ein sehr emotionaler Moment gewährt, als sein Film-Vater (Cosmo) starb. Ansonsten verbleibt auch die weitere Charakterzeichnung größtenteils auf einem eindimensionalem Niveau. Zu nennen sind da z.B. der nervige, verrückte Ire, William Wallace Ehefrau, die englische Prinzessin (überfordert: Sophie Marceau) oder der böse Edward Longshanks (hervorragend: Patrick McGoohan). Robert the Bruce (toll: Angus Mcafadyen) kommt lange Zeit zwar auch nicht über sein machtbezogenes Hin-und-Her-Getue hinaus, macht jedoch gegen Ende als einer der wenigen glücklicherweise doch noch eine Entwicklung durch.

                                          Mit seiner Selbstinszenierung als William Wallace setzt Gibson dem Ganzen schließlich die Krone auf, man könnte es durchaus auch als Selbstverliebheit bezeichnen. Aus dramaturgischen Gründen oder der Einfachheit halber stammt sein Wallace anstatt aus wohlhabenden aus bäuerlichen Verhältnissen, um ihn gemäß des Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Prinzips zum Heerführer aufzubauen. Eine durch und durch idealisierte Heldenfigur, die insbesondere gegen Ende zum Fremdschämen einläd, wenn Gibson Wallace als Jesus Christus glorifiziert und mit einem peinlichen "FREIHEIT!!" aus dem Film scheidet. Und als wenn das alles nicht schon schlimm genug wäre, scheitert Wallace Darstellung vor allem an einer Sache: Mel Gibson selbst. Schauspielerisch absolut fehlbesetzt, gelingt es ihm keineswegs, Wallace Charakter oder Motivation irgendwie greifbar zu machen. Nur Kämpfen und Schreien zu können, reicht definitiv nicht aus. Wobei eine Szene emotional tatsächlich sehr stark ausfiel: der Moment, als Wallace erfährt, dass er von Robert the Bruce verraten wurde und zusammenbricht.

                                          Insgesamt hat "Braveheart" eine Laufzeit von 177 Minuten und wenn ein solcher Film aus meiner Sicht inhaltlich und charakterlich kaum etwas zu bieten hat, fällt eine Identifikation mit der Geschichte natürlich ziemlich schwer. Beispielhaft dafür hatte die Ermordung von William Wallace Ehefrau, welche den Stein des Freiheitskampfes ja erst ins Rollen bringt, für mich überhaupt keinen Nachhall. Gibson versucht zwar oft, die Eintönigkeit seiner Geschichte und seiner Charaktere durch Kitsch und Pathos zu übertünchen, die ganz großen Emotionen erzeugt er jedoch so gut wie nie. Abgesehen von den Schlachtszenen hat "Braveheart" daher ebenfalls mit einigen Längen zu kämpfen.

                                          Apropos Schlachtszenen: Wenn Mel Gibson etwas kann, dann das! Ich liebe das Raue, das Dreckige, das Blutige, welches er in die Geschichte und insbesondere in die Kämpfe einfließen lässt. In diesen Szenen liegen die wahren Stärken des Films, wahrlich atmosphärisch! So wenig ich die Oscar-Auszeichungen für Film und Regie bzw. die Nominierung für das Drehbuch nachvollziehen kann, umso mehr sind sie für die technischen Aspekte gerechtfertigt. Die Kamera fängt die Landschaften und das Schlachtengetümmel sehr gut ein, James Horners Soundtrack wertet die fade Geschichte auf, Kulissen, Requisiten und Kostüme verleihen ihr ein mittelalterlich glaubhaftes Aussehen. Dass Kilts im 13. Jahrhundert noch nicht existierten, geschenkt; dafür sorgen sie für ordentlich schottischen Charme! Denn auch das ist "Braveheart": eine Art Werbefilm für Schottland und seine Highlands.

                                          Auf der Pro-Seite stehen für mich nun die überragenden Kampfszenen, die Landschaftsaufnahmen, die raue und dreckige Atmosphäre, der Soundtrack, die technischen Finessen und der Cast in der zweiten Reihe. Auf der Contra-Seite stehen eine simple und flache Schwarz-Weiß-Geschichte, eindimensionale Charaktere, ein fehlbesetzer und sich selbst inszenierender Mel Gibson, zu viel Kitsch bzw. Pathos und zu wenig wahre Emotionen. Warum "Braveheart" vom Großteil der Filmliebhaber und Laien so sehr abgefeiert wird, erschließt sich mir nicht so recht.

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                                          • 3 .5
                                            J.F.Lannister 06.10.2016, 16:59 Geändert 08.10.2016, 01:55

                                            "The Big Short" ist mit seinen 130 Minuten ein oftmals langweiliger und vor allem sehr nerviger Film, der an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. Adam McKay möchte die Finanzkrise 2008 erläutern und dies geschieht mehr oder weniger vergeblich auf drei verschiedenen Niveaustufen.

                                            Die niedrigste Stufe beinhaltet Informationen solcher Art, die man bereits aus den Zeitungs- oder TV-Berichten der letzten Jahre kennt, und daher keinen wirklichen Mehrwert besitzt.

                                            Die mittlere Stufe dringt tiefer in die Finanzhintergründe ein und veranschaulicht diese anhand vereinfachter Modelle. Dafür hat Adam McKay mit Christian Bale, Ryan Gosling und Brad Pitt ein paar Schauspieler engagiert, die mit ihren Charakteren eindeutig unterfordert sind - einzige Ausnahme: der von Steve Carell großartig gespielte Mark Baum - und im Prinzip nichts anderes machen müssen, als ihre bekannten Gesichter vor die Kamera zu halten und den Erklärbär zu geben. So weit, so gut, diesen Job machen sie hervorragend und auch wenn das Drehbuch dem Großteil seiner Charaktere nur wenig Tiefe verleiht, können Bale, Gosling und Pitt diesen doch Leben einhauchen. Nervig wird es jedoch dann, wenn sich McKay zur Erläuterung des Geschehens dem Durchbrechen der vierten Wand verschreibt, egal wie deplatziert dieses Stilmittel auch ausfallen mag. Albern wird es obendrein, wenn z.B. eine nackte Margot Robbie oder eine sexy geschminkte Selena Gomez mit Ankündigung als sie selbst auftreten und erklärend direkt zum Zuschauer sprechen.

                                            Die höchste Stufe beschäftigt sich mit dem Kern der Finanzthematik und haut dementsprechend mit fachchinesischen Begriffen um sich, die ein Otto-Normal-Kinogänger wie ich niemals verstehen wird. Da frage ich mich dann schon, was das soll. Aber vielleicht hat das ja auch etwas Gutes an sich, mit einer Intention nach dem Motto: "Kauft euch ein Buch, wenn ihr wirklich alles über die Finanzkrise verstehen wollt!"

                                            Neben dem Durchbrechen der vierten Wand setzt McKay auf einen äußerst hektischen Schnitt und auf semi-dokumentarische Kameraarbeit, wobei mich speziell die Hektik ebenfalls sehr genervt hat. Für die eigentliche Erklär-Intention ist die Hektik sogar mehr schädigend als hilfreich. Ich hätte mir gewünscht, dass Adam McKay die Thematik mehr auf der Dramaebene und weniger durch technische Spielereien diskutieren würde. Das hätte "The Big Short" zu einem erträglicheren und spannenderen Film gemacht, in dem man zu mehr Charakteren als nur zu Steve Carells Mark Baum eine Bindung aufbauen könnte. Eines muss man dem Film allerdings definitiv zu Gute halten: McKay erzählt hier keine Heldengeschichte, die Abzocker der Abzocker sind eben auch nur Abzocker.

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                                            • 6 .5
                                              J.F.Lannister 06.10.2016, 16:55 Geändert 10.10.2016, 04:50

                                              Macht euch bereit zur Steinigung, hier kommt jemand, der bisher noch keinen einzigen Rocky-Film gesehen hat! Und dann fängt der auch noch mit "Creed", dem siebten Teil der Reihe, an! Merkwürdig, nicht wahr? Der Grund ist ein einfacher: Heute lief "Creed" im Bochumer Unikino, wurde dort als "ohne Vorkenntnisse anschaubar" beworben und spontan bekam ich Lust, mir den Film anzusehen. Auf Nachfrage versicherte mir der Moviejones-Ältestenrat daraufhin, dass die Aussage mit den Vorkenntnissen seine Richtigkeit habe, man als Laie aber selbstverständlich nicht das vollkommene Rocky-Feeling verspüren werde. Nun, diese Pille musste ich wohl oder übel schlucken, denn mit einem Film der Reihe muss ich ja anfangen und warum die Gelegenheit nicht beim Schopf packen? Zumal ich auf einen ähnlichen Effekt hoffte, wie ihn Prometheus 2012 erzielte und mir die Alien-Reihe schmackhaft machte.

                                              - - - - - - - - - - - - - - - - - - - ACHTUNG SPOILER - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

                                              Insgesamt wurde ich positiv überrascht, auch wenn mir längst nicht alles gefallen hat, was Ryan Coogler hier präsentiert! Hervorzuheben ist auf jeden Fall der Generationenkonflikt, der im Verlauf der Handlung immer mehr an Bedeutung erlangt. Beginnt es noch harmlos und humoristisch mit Rocky, der seinen Trainingsplan mit Stift und Papier erläutert und sich dann über die Technik von Adonis Smartphone wundert, nimmt der Konflikt zunehmend dramatischere Züge an. Rocky ist vom Alter gezeichnet und blickt zurück auf sein Leben voller Höhen und Tiefen, während Adonis voll im Saft steht und sein Leben noch vor sich hat. Großartig die Szene, in der von Adonis und Bianaca auf Rocky geschnitten wird, wie er am Grab seiner Frau Adrian und seines Freundes Paulie sitzt und ihrer auf seine Weise gedenkt. Der Geschichte kommt es dabei zu Gute, dass Coogler sie nicht wie eine Staffelübergabe oder wie ein einseitiges Trainer-Schüler-Ding erzählt, sondern das Gegenseitige Miteinander in den Vordergrund stellt. Dies hier ist keine Geschichte, in der ein alter Mann am Lagerfeuer sitzt und seine Lebensgeschichte erzählt, und es ist keine Geschichte, in der ein alter Mann stirbt und ein junger Mann lebt. Kein fairer Tausch, sondern eben ein Miteinander. Adonis braucht Rocky, um ihm die Tür hinaus aus dem Schatten seines Vaters zu zeigen, und Rocky braucht Adonis, um seinen Lebenswillen neu zu entfachen und die Chemotherapie anzutreten - letztendlich dient das Boxen für beide nur als Aufhänger. Ich sehe da einen Bezug zur Realität. Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren (oder zumindest nicht gut), wenn die alte Generation ihre Erfahrungen nicht an die junge Generation weitergibt, und die junge sich nicht um die alte kümmert, wenn diese pflegebedürftig wird. Insbesondere Letzteres ist heutzutage leider nicht mehr so selbstverständlich. An das Miteinander sind des Weiteren wie zu erwarten die einzelnen für Rocky typischen "Stehe wieder auf und kämpfe"- und "Besiege den inneren Schweinehund"-Intentionen gekoppelt. Ob oscarwürdig sei jetzt mal dahingestellt, allerdings können sowohl Michael B. Jordan als auch Sylvester Stallone diesen Generationenkonflikt überzeugend darstellen. Vor allem Jordans Leistung wächst mit seinen Aufgaben.

                                              Trotz dieser Stärken leidet der Film für mich unter zwei großen Schwächen. Vermag es Coogler zwar, den Konflikt zwischen Rocky und Adonis hervorragend auszuarbeiten, sieht es im Bezug auf den Rest des Drehbuchs doch eher mau aus. Einerseits könnte die Liebesgeschichte zwischen Adonis und Bianca nicht klischeehafter ablaufen, diese dient nur als Storyelement ohne Tiefe. Andererseits verläuft die Underdoggeschichte bzw. Adonis Boxerkarriere größtenteils klassisch und bleibt bis zum Ende vorhersehbar. Immerhin wurden die Kämpfe ordentlich choreographiert und erfreulicherweise kam der Ausgang des finalen Kampfes für mich dann doch noch überraschend! Ich hätte erwartet, Coogler würde sich für die einfache, langweilige Lösung entscheiden und Adonis gegen Konlan gewinnen lassen. Stattdessen verliert Adonis, gewinnt dafür aber den Respekt seines Gegeners und der Zuschauer. Aber wie gesagt, leider die einzige Überraschung in dieser Hinsicht, daher ergaben sich für mich ein paar Längen im Verlauf der Handlung. Darüberhinaus driftet Coogler mit seinem Inszenierungsstil zu oft ins rein Pathetische ab, was ich als komplett abstoßend empfand. Mir kam es dann so vor, als ob ich auf einmal in irgendeinen Kriegsfilm geraten bin. Zudem hat Coogler die Neigung, alle Schwarzen so "Badass" und "Gangster" wie möglich darzustellen. In solchen Szenen habe ich fast schon erwartet, dass gleich Samuel L. Jackson um die Ecke kommt, Adonis zum nächsten Triple X ernennt und mit ihm gegen das Weiße Haus zieht, um den US-Präsidenten zu befreien. Negatives Highlight des Films war für mich die Szene, in der Adonis die Bikerbande abholt, diese ihm mit Wheelies folgen und er sich vor Rockys Fensters zum Affen macht. Und dann erst diese Musikeruntermalung. Boah, war das grauenhaft!

                                              Aber wie gesagt, trotz der eindeutigen Schwächen hat mir "Creed" mit Michael B. Jordan und Sylvester Stallone als Leinwandduo, der Darstellung des Generationenkonflikts und seiner Intention gut gefallen. Von mir erhält "Creed" 3,5/5 Hüten. Nun fragen sich bestimmt Einige, wie es nun um die früheren Rocky-Filme bestelt ist. Die werde ich definitiv noch nachholen, überraschenderweise hat mir "Creed" jetzt aber zwei andere Filme besonders schmackhaft gemacht. Zum Einen Darren Aronofskys "The Wrestler" und zum Anderen "Mr. Holmes" mit Ian McKellan, der ja auch vom Leben eines alternden Helden handelt.

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                                              • 7 .5

                                                Nachdem mich Regisseur Jalmari Helander mit seiner erfrischend anderen Weihnachtsgeschichte "Rare Exports" überzeugen konnte, war ich gespannt auf seinen neuen Film "Big Game", einen Ausflug ins Action-/Abenteuergenre. Als Hommage an die Genrebeiträge aus den 80er/90er Jahren angelegt, sind die Thematik (US-Präsidentenentführung) und Handlung zwar altbekannt, Helander vermag es aber trotzdem, einen überraschend anderen und äußerst unterhaltsamen Film aus dem Stoff zu zaubern.

                                                Erstens liegt das an der klaren Überzeichnung der Geschichte und Charaktere sowie dem daraus resultierenden Humor. Der 13jährige, finnische Junge Oskari (Onni Tommila) muss den Traditionen folgen und eine Nacht im Wald verbringen, um als Mann in seinem Dorf aufgenommen zu werden. Nach beeindruckenden Luftaufnahmen der Berglandschaft Bayerns folgt das erste Aufnahmeritual und eine Ansprache des "Dorfältesten". Diese Szenen unterlegt Helander mit einem dermaßen vor Pathos triefenden Soundtrack, dass einem Hören und Sehen vergehen. Nichtsdestotrotz verliert er dabei nie den Witz, ich fand es einfach nur großartig und witzig, wie Trivialitäten hier hemmungslos überstilisiert werden. Parallel zu diesem Handlungsstrang ist US-Präsident William Moore (Samuel L. Jackson) unterwegs zum G8-Gipfel in Helsinki, allerdings hat er ein Problem: Terroristen wollen ihm ans Leder und holen die Air Force One mit einem Raketenwerfer vom Himmel, er selbst wird in einer Rettungskapsel in die Weiten der finnischen Natur geschossen. Im Wald trifft er, oh Wunder, auf den Jungen Oskari und nach anfänglichen Schwierigkeiten tun sie sich zusammen, um gegen die Terroristen anzukämpfen. An dieser Stelle triumphiert "Big Game", denn die Chemie zwischen Onni Tommila und Samuel L. Jackson stimmt sofort und es macht einfach Spaß, ihren humorvollen Wortgefechten und ihren verrückten Aktionen beizuwohnen. Im Pentagon herrscht Panik ob des terroristischen Angriffs und es wird ein Krisenstab rund um den Vizepräsident (Victor Garber) und den früheren CIA-Agenten Herbert (Jim Broadbent) einberufen. Jim Broadbent haut hier quasi einen geilen Spruch nach dem nächsten raus - wunderbar, dieser Typ! Es gibt keine Partei, die hier nicht durch den Kakao gezogen wird. Seien es die finnischen Hinterwäldler, der US-amerikanische Machtapparat und oder die Terroristen, jeder bekommt auf seine Weise sein Fett weg.

                                                Damit wären wir dann auch beim zweiten Punkt: Trotz des auf den ersten Blick unsinnig erscheinenden Actionsspaßes steckt hinter "Big Game" eine ernsthafte Botschaft. Helander nutzt diesen Action-/Abenteuerfilm, um sich mit Themen wie dem Verhältnis und der Verschiebung von Macht sowie dem gegenseitigen Respekt verschiedener Länder und Kulturen auseinanderzusetzen. Die Darstellung von Samuel L. Jackson gehört mit zu dem Besten, was bisher an US-Präsidenten in Filmen gezeigt wurde. Das liegt primär nicht mal an seinem sympathischen Spiel, sondern an der Ehrlichkeit des Drehbuchs. Jackson ist kein Präsident, der große, patriotische Reden schwingt oder zum Actionhelden mutiert, wie man es aus so vielen Filmen kennt. Nein, vielmehr ist er das, was ein Präsident in so einer Situation tatsächlich sein würde. Ein Mensch, der Hilfe benötigt und konsequent auf die Fresse bekommt. In dem einen Moment die mächtigste Person der Menschheit, welche die größte militärische Streitkraft befehligt, und im nächsten Moment ein Typ, der hilflos durch den Wald irrt und Würstchen über einem Feuer brutzelt. In einem der stärksten Dialoge des Films legt Jackson das Schein und Sein von Macht offen. Es kommt oft nicht darauf an, wie mächtig man ist, sondern wie mächtig man sich präsentiert. Bewusste Ablenkungsmanöver, eine harte Schale für einen weichen Kern. Helander geht sogar noch einen Schritt weiter und setzt den Jungen Oskari als Charakter in Szene, der zwar nach und nach mit dem Präsidenten harmoniert, sich zu Beginn aber ordentlich an ihm reibt und eine klare Position vertritt. Der Wald ist sein Territorium, dort kennt er sich von beiden am besten aus, er ist der Mächtige und verweist den Präsidenten dementsprechend auf seine Plätze. Vom Schein der Macht, dargestellt durch den Personalausweis des Präsidenten, lässt er sich nicht beeindrucken. Gleichbedeutend können Oskari und der Präsident als Symbole für zwei verschiedene Völker bzw. Kulturen betrachtet werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten begegnen sie sich mit gegenseitigem Respekt, erkennen die Stärken und Schwächen des Gegenübers in der jeweiligen Situation an und entwickeln darauf basierend einen gemeinsamen Lösungsweg.

                                                Eigentlich hatte ich im Fall von "Big Game" nur mit einem unterhaltsamen und spaßigen Actionfilm gerechnet, nie hätte ich erwartet, dass es vor allen anderen Dingen ausgerechnet die (Tiefe der) Handlung sein wird, die mich am meisten beeindruckt. In gewisser Weise erinnerte mich der Film damit durchaus an "Iron Sky". "Big Game" rückt nun in den erweiterten Kreis meiner Lieblingsfilme, ein kleiner Geheimtipp des vergangenen Kinojahres. Nach "Rare Exports" hatte Jalmari Helander meine Neugier, jetzt hat er meine Aufmerksamkeit!

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                                                • 5 .5
                                                  über Babel

                                                  In Marokko kauft ein Familienvater einem Nachbarn ein Gewehr ab und überlässt es seinen beiden Söhnen zum Schutz der Ziegenherde vor Schakalen. Ein US-amerikanisches Ehepaar begibt sich auf eine Reise durch Marokko, um über den Tod ihres jüngsten Kindes hinwegzukommen. Um ihre beiden älteren Kinder kümmert sich währenddessen die mexikanische Haushälterin des Ehe-Paars, welche die Hochzeit ihres in Mexiko lebenden Sohnes feiern möchte. Parallel dazu versucht eine japanische, gehörlose Jugendliche, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten.

                                                  Ähnlich wie in 21 Gramm geht Inarritu auch in Babel den Weg des Leidens, nur erweitert er die Geschichte diesmal auf vier Handlungsstränge und lässt obendrein die titelgebende Sprachbarriere miteinfließen. Man sollte sich auf viele Untertitel einstellen, welche sich allerdings mehrfach auszahlen, da es Inarritu hier wie fast kein zweiter versteht, verschiedensprachige Menschen miteinander interagieren zu lassen. Englisch und Spanisch, Englisch und Arabisch, Japanisch und japanische Gebärdensprache. Abermals konnte Inarritu aus seinem hervorragenden Cast den letzten Rest herauskitzeln, welcher u.A. aus Brad Pitt, Cate Blanchett, Elle Fanning und den beiden Oscar-Nominierten Rinko Kikuchi und Adriana Barraza besteht.

                                                  Nichtsdestotrotz erreichte mich Babel nicht so sehr, wie es 21 Gramm tat. Zum Einen war ich etwas enttäuscht darüber, dass sich die Verknüpfung der Handlungsstränge zum Großteil nur auf Kleinigkeiten beschränkte. Von einer vollkommenen Verschmelzung wie in 21 Gramm ist keine Spur. Zum Anderen legt Inarritu den Weg des Leidens in Babel bedeutend grausamer und deprimierender an als es in 21 Gramm der Fall war. Er führt seine hervorragend geschriebenen Charaktere gnadenlos von einem Unglück ins nächste und irgendwann war es für mich dann einfach zu viel. Mein Fassungsvermögen an Leid lief über, den Rest konnte ich nicht mehr aufnehmen, mein Kopf schaltete also auf Durchzug. Man könnte hier auch von einem konstruierten Drehbuch sprechen, welches genau auf diesen Leidensprozess (nochmal und nochmal und nochmal,...) ausgelegt ist. Selbst die positiv und fröhlich gedachten Momente verschafften keine Linderung, da über ihnen ständig eine schwarze, niederdrückende Wolke des Leids und des "Gleich geschieht etwas Schlimmes"-Gedankens hing. Erlösung erlangte ich erst mit dem Ende des Films und damit meine ich nicht nur das tatsächliche Ende (Abspann) sondern auch Inarritus Entscheidung, manchen Charakteren etwas zurückzugeben, was er ihnen über den gesamten Film hinweg genommen hatte: Hoffnung und Erlösung.

                                                  • 9

                                                    "21 Gramm" gehört zu der Sorte Film, die heutzutage entweder nur noch selten vorzufinden sind und/oder in der Masse einfach untergehen. Drei verschiedene Handlungsstränge über drei verschiedene Menschen und deren Familien, welche miteinander verwoben werden. Cristina Peck (Naomi Watts), die ihre Drogensucht überwunden hat und ein glückliches Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern führt. Paul Rivers (Sean Penn), der an einer Herzkrankheit leidet, auf eine Transplantation wartet und mit seiner Frau (Charlotte Gainsbourg) über das Zeugen eines Kindes streitet. Jack Jordan (Benicio del Toro), ein früherer Sträfling, der seinen Weg zu Jesus Christus gefunden hat und seine Frau (Melissa Leo) und Kinder damit belastet. Anstatt diese Handlungsstränge linear auszuarbeiten und zu verknüpfen, setzt Inarritu auf eine zeitlich nicht chronologische und verschachtelte Erzählweise. Der Geschichte verleiht diese Verschachtelung zwar keine höhere Komplexität, wohl aber kann sie die Intensität des Dramas punktuell verstärken und den Zuschauer zum selbstständigen Mitdenken auffordern. Man kann sich nicht einfach nur berieseln lassen, sondern muss sich mit den Charakteren beschäftigen. Nach einer gewissen Laufzeit entwickelt sich ein automatischer Fluss, ein Sog zu den Charakteren hin, und in diesen Fluss bettet Inarritu schließlich seine Verknüpfungen und Handlungswendungen ein, die mich mehrmals vollkommen unvorbereitet und hart trafen. Aha-Momente, die ein größeres Ganzes offenbaren.

                                                    Mit "21 Gramm" widmet sich Inarritu sehr ausführlich dem Leid der Menschen. Wie viele Schicksalsschläge kann ein Mensch erleiden, bis er daran und am Leben selbst zugrunde geht? Inwiefern können Schicksalsschläge das Wesen eines Menschen verändern, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn? Wie kann man als Mensch glücklich sein in einer Welt voller Tod und Krankheit? Gibt es trotz alldem Hoffnung auf Besserung? Welches Gewicht hat das Leben, sind es diese 21 Gramm, das "Gewicht der Seele"?
                                                    "21 Gramm" ist ebenso eine Belastungsprobe für den Zuschauer, manche Szenen bewegen sich nahe an der Grenze zur Unerträglichkeit. Selten findet man solche Filme, in denen sich die Schauspieler dermaßen intensiv in ihre Rollen hineinversetzen wie hier. Und das betrifft nicht nur das Hauptdarstellertrio bestehend aus Watts, Penn und del Toro sondern auch die komplette Nebendarstellerriege. Naomi Harris und Benicio del Toro wurden für ihre Leistungen für den Oscar nominiert, selbiges hätte ebenfalls auf Sean Penn zugetroffen, wenn er im gleichen Jahr nicht schon für Mystic River nominiert gewesen bzw. wenn eine Doppelnominierung in der Darstellerkategorie erlaubt wäre.

                                                    Die 9/10 Punkten stehen hier wegen ein paar, aber wenigen Längen im Mittelteil, allerdings hat die Bewertung definitiv Luft nach oben. Es könnten genauso gut 10/10 Punkten sein! Ohne jetzt auch nur irgendeinen näheren Vergleich ziehen zu wollen, vermittelte mir Inarritu hier in gewisser Hinsicht ein Filmgefühl, wie ich es zuletzt bei Nolans und Tarantinos Frühwerken bzw. Erik Van Looys "Loft" verspürt habe. Jeder dieser Filme beeindruckte mich auf unterschiedliche, aber doch ähnliche Weise. Damit meine ich nicht die Form an sich, sondern die Art, wie Form und Inhalt zu einer Einheit verschmolzen werden.

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