mikkean - Kommentare

Alle Kommentare von mikkean

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    über Boston

    Nach seinem Schiffe-Versenken-Firlefanz besann sich Peter Berg recht erfolgreich auf seine wahre Stärke als Hollywoods vielleicht bester Ersatz-Michael-Bay. Mit "Boston" alias "Patriots Day" glänzt Berg jedenfalls als Orchester-Meister, der mühelos zwischen grausamen Terror-Chaos und dichter Thriller-Handlung dirigiert.

    Für diesen Film hat es denn auch jemanden gebraucht, der sowohl als Chronist der Ereignisse rund um den Anschlag auf den Bostoner Marathon fungieren kann, als auch der aufgewühlten Nation ein Trostpflaster zu spenden vermag. Und selbst wenn ich mir jetzt ganz doll auf die Birne schlage, irgendwie denke ich, dass Berg hier beinahe einen auf Spielberg macht.

    Schließlich gibt es allerhand: die große beiläufige Einführung von Figuren, die Ruhe und die überwältigende Entsetzlichkeit des Attentats. Aber auch einiges an lauter Ballerei und viele große Gesten, die natürlich auf manche Zuschauer außerhalb der Vereinigten Staaten etwas zu hochtrabend patriotisch wirken möchten.

    Etwas mehr bemängeln würde ich persönlich Sachen wie die die Rolle von Wahlbergs fiktivem Sergeant, der wieder in alle Belange der Ermittlungen bis zum Zugriff involviert ist. Oder dass die Tsarnaev-Brüder weniger als Fanatiker, als denn durchgeknallte Schwachmaten dargestellt werden.

    Oder, und das wäre dann mein letzter Einwand, dass sich "Boston" nach seinem Auftakt in eine XXL-Folge von "Homeland" verwandelt, die dennoch kleindimensionierter wirkt. Und sich vor allem mit dem Zeigen von Einsatztruppen und deren Feuerkraft begnügt, doch wie bereits gesagt, hier ging es wohl mehr um das Besänftigen der Volksseele, als denn einen wirklich detailgetreuen Erlebnis-Bericht der wahren Ermittlungen.

    So bleibt Bergs Werk keineswegs strittig oder ambivalent wie es noch "Zero Dark Thirty" phasenweise zuließ. Es fehlt sogar ein aufälliges Alleinstellungs-Merkmal. Und dennoch würde ich den Film als durchaus anschauungswürdig einstufen.

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    • 9 .5

      Es gibt Frauen, für die würdest du einfach alles tun. Eine Bank ausrauben, dein altes Leben abfackeln oder geschlagene drei Stunden am Bildschirm kleben bleiben.

      Betty (Béatrice Dalle) ist so ein Mädchen. Eine sinnliche Mischung aus Kindfrau und einem heißblütigen Wildfang. Es ist ganz leicht, ihr mit Leib und Seele zu verfallen und ihr überallhin zu folgen. Für den sorgenlosen Nichtstuer Zorg (Jean-Hugues Anglade) ist es zu Beginn keine Frage, für seine Angebetete alles Stehen und Liegen zu lassen.

      Betty reißt ihn aus seiner mickrigen Existenz als Hausmeister einer Strandhaus-Siedlung. Gemeinsam stürmen sie nach Paris, später in die kleinstädtische Abgeschiedenheit des Südens. Und Zorg muss mit der Zeit erkennen, dass seine Betty mehr als nur ein sprunghaftes Temperament besitzt. Tatsächlich verbergen sich hinter der hinreißenden Fassade manische Schübe und ein immer größerer Hang zur Selbstzerstörung,

      Weshalb die stürmische, wie auch begeisternde Romanze von "Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen" denn auch in Gewalt und Blutvergießen endet. Wenn vielleicht auch ganz anders als gedacht. Aber bis dahin dauert es stolze 185 Minuten.

      In seiner komplett restaurierten Vision zeichnet Regisseur Jean-Jacques Beineix das facettenreiche Gemälde eines lodernden Feuers der Leidenschaft, die zwangsläufig mindestens einen Liebenden verzehren wird. Diese wiederhergestellte künstlerlische Vision ist komplex, lang, aber auch vollkommen überwältigend. Und sie wird von der schieren Aufrichtigkeit eines Schauspiel-Duos getragen, das diesen Streifen angeht, als wäre es das einzige und letzte Mal auf der Leinwand das zählt.

      Nun ist "Betty Blue" sicherlich nicht der einzige Liebesfilm im XXL-Format. Aber von welchem Titel lässt sich noch behaupten, dass er sich quasi mit jedem Akt neu erfindet? Denn genau das passiert mit Betty und Zorg. So ganz mühelos werden sie für jeden neuen Handlungsabschnitt hin und herverpflanzt. Verwandeln sich von Tagträumern in Neuankömmlinge der Großstadt, die vor allem von Bettys Wunschtraum angetrieben werden, aus Zorgs vollgeschriebenen Kladden einen echten Roman zu machen. Bis hin zur ihrer letzten Station in der Kleinstadt, als Wohnungs-Besitzer samt eigenem Laden.

      Beineix's Erzählung setzt dabei ganz auf die Macht übergroßer Bilder. Auf Kulissen, die mal wie Poster-Motive ausschauen, wie auch auf ausgelassene und teils skurrile Figuren. Als da wären die dauergeile Frau des Ladenbesitzers oder den Polizisten, bei dem die Verkehrskontrolle in eine halbe Musical-Nummer umschlägt. Diese Wechsel geschehen allesamt mühelos und machen aus "Betty Blue" einen echten Ritt durch die Extreme. Selbst dann, wenn der Film nicht wie ein Dauer-Angriff auf Magengrube und Netzhaut daherkommt.

      Was bliebe mir da anderes übrig, als, teils berauscht und vor allem nachhaltig beeindruckt, eine absolute Empfehlung für diese Ausnahme-Erscheinung von einem Liebesdrama voller traumhafter Bilder, emotionaler und sexueller Anziehung, psychotischen Selbstdestruktion und poetischer Beschreibungen auszusprechen?

      Keine Entschuldigung gut genug sein kann, um ein Sich-Verweigern von "Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen" begründen zu können.

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      • 10

        Es gibt diese Tage, da möchtest du alles Schlechte mit einem Fingerschnippen aus dem Universum tilgen. Nur wird es ein Endgegner wie der Welten-Halbierer Thanos einem kaum so leicht machen. Weshalb "Avengers: Endgame" denn auch alles andere als ein gewöhnlicher, lang gezogener Nachklapp zu "Infinity War" geworden ist.

        Was hier abgeht, ist nichts weniger als das Ende einer Kino-Ära. Nicht bloß der Abschluss irgendeiner MCU-Phase. Und dafür ließ sich Marvel nicht lumpen und kreuzt mal so eben ein Comicheft mit der biblischen Gigantomanie alter Hollywood Historien-Schinken und den Mega-Schlachten eines Tolkien, massives Staraufgebot inklusive.

        Für Neueinsteiger ist das selbstredend nur bedingt was. Alle anderen, darunter auch Casual-Viewer, werden sich dagegen über die zahlreichen Anspielungen, Ausflüge in und Easter Eggs rund um die bisherigen Marvel-Filme freuen. Selbst wenn es die Avengers wie Marty McFly machen und in die eigene Vergangenheit sprinten, begnügt sich der Film nicht mit dem Abspulen reiner Szenen-Wiederholungen. Habe ich übrigens schon die Gast-Stars erwähnt?

        Ganz richtig, um dem ansonsten schon riesen-haften Wahnsinn die Krone aufzusetzen, wurde so ziemlich jeder nennenswerte Hollywood-Gast des Marvel-Universums nochmals eingeladen. Eine Entscheidung, die nicht nur aus Angebersicht völlig Sinn macht, sondern auch den ein oder anderen narrativen Schlusspunkt setzt.

        Dank dieses Besetzungs-Bonus und dem an sich schon größten aller Marvel-Casts ever, könnte sich "Endgame" denn auch vielleicht sogar das Genre als etwas größeres etablieren, als denn nur Dicke-Hose-Fantasy-Spinnereien, in die sich gute Darsteller verirren. Wird uns doch hier mehr geboten, als das Auffahren aller Superlativen, aller Elemente, irdischer wie überirdischer Physik:

        "Avengers: Endgame" kennt keine Längen, er ist die Länge. Ein gut ausbalanciertes Epos mit einer Menge Humor, großen Gesten und wohlverdienten Abschieden, gegen die die Staats-Trauer von "Batman v Superman" wie Grillen-Gezirpe wirkt. So nah kann das einem gehen, nach über zehn Jahren.

        Und schließlich wegen seines Gipfeltreffens, nein, der lang überfälligen Komplettierung aller bisherigen Mosaik-Stücke zu einem großen Marvel-Kosmos, entsteht eine völlig neue Güteklasse von Mega-Unterhaltung. Da können selbst kleine verwirrende Logik-Löcher oder neue Parallel-Stränge im Raum-Zeit-Gefüge nichts gegen ausrichten.

        Marvel setzt sich spätestens jetzt völlig von der Konkurrenz ab. Und Stan Lee hätte wohl Freudentränen geweint. Aber wir sind ja auch noch da, Stan.

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        • 5

          Kann Musik einen Film eigentlich verhunzen? Ich rede nicht einmal von einer krassen Bild- und Tonschere oder einer fürchterlichen Playlist, die beim Anschauen körperliche Abwehr-Krämpfe verursacht.

          Bei "Jenny's Wedding" ist es die ständige Berieselung mit Songs, die jetzt unbedingt das Gezeigte nochmals betonen wollen. Bisweilen ist das schon nervig. Auch, weil ich den Film mögen will. Ich möchte so gern sagen, dass die Geschichte wichtig ist. Dass die Heigl mal einen echten Treffer gelandet hat und wie doch das Herz am richtigen Fleck sitzt.

          Aber dann ist auch klar: die Idee ist gut, die Umsetzung hingegen in der Planungs-Phase stecken geblieben. Der Film ist nicht der teuerste und das ist nicht mal der Punkt. Was bei "Jenny's Wedding" hingegen deutlicher auffällt, neben der überbetonten Songverwendung, sind auch manche recht ungelenken Szenen.

          Wortwechsel, die natürlich auch den Annäherungsprozess zwischen der lesbischen Hauptfigur und ihren konservativen Eltern dokumentieren. Auf diesem Weg jedoch wirkt so manche Szene ein wenig steif und musste jetzt wohl genau so gespielt werden. Was denn leider auf Kosten des guten Cast geht, der vor allem viel bedrückt vor sich gucken muss. Echte Frische kommt nur selten aus den Mündern, es mag aber auch am sehr versöhlichen Charakter des Films liegen.

          Es ist ein bisschen so, als hätte hier ein Drama erzählt werden wollen, das niemanden auf die Füße treten wollte. Das geht insofern noch in Ordnung, da der Film seiner ursprünglichen Intention treu bleibt. Es muss dennoch davor gewarnt werden, wie rührselig so manche Passage dann ausfällt. Und dass immer wieder ein Song zwischengeschaltet wird. Na ja, es gibt natürlich Unerträglicheres.

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          • 8
            mikkean 27.04.2019, 20:01 Geändert 27.04.2019, 20:10

            Rätselhaft und so unergründlich wie ein Traum. Mit "Picknick Am Valentinstag" lässt Peter Weir viele Aspiranten alt aussehen, die darauf hoffen, die Mystik der Anderswelt unseres Unterbewusstseins auf Film bannen zu können.

            Weir erschafft ein ganz eigenes Universum, irgendwo zwischen den scheinbar trans-dimensionalen Pforten des Hanging Rock und den schwelgen Wunschwelten seiner Schulmädchen, die zwischen romantischer Fantasie und Verlustängsten pendeln.

            Es ist wirklich wahr. Kaum gut zwei Stunden sind einerseits so in sich verschlossen und führen den Zuschauer doch so sanft und unmerklich auf die Spuren eines mysteriösen Verschwindens, das fesselnder nicht sein könnte, obwohl es am Ende doch nur ausgedacht wurde.

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            • 2

              Das unerotische Elend geht in die Verlängerung. Von Grenzverschiebungen und dem Auskosten verbotener Triebe wird so mancher geträumt haben, der zweite "Fifty Shades Of Grey" bleibt dennoch wieder Mainstream mit zusammengekniffenen Hintern. Die Ausstrahlung ist nicht lüstern, sondern steril, kalt und unaufgeregt. Einzig Dakota Johnson und Jamie Dornan haben merklich an der Verbesserung ihrer nicht vorhandenen Chemie gearbeitet.

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              • 8

                Sergio Leone machte ihn zum Star. In seiner ersten US-Hauptrolle muss Clint Eastwood aber erst einmal an den Strick. Seine Figur Jed Cooper wollte ja nur eine eigene Herde, wird dann aber Opfer eines Lynchmobs. Und später droht ihm das Aufknüpfen in Fort Grant, wo der Galgen von einer echten Volksfest-Stimmung begleitet wird. Strahlende Kinder mit Süßigkeiten und Jubelgesänge inklusive.

                Aber das Schicksal hat noch ein paar Überraschungen in petto. Aus dem Gehängten in spe wird Marshal Cooper. Ein Verfechter des Gesetzes, dessen vorgesetzter Richter ihn vor Alleingängen warnt und doch dankbar für jeden neuen Galgenvogel ist.

                Das klingt doch schon mal so, als läge die Rechtschaffenheit der Cartwright-Ranch auf einem fernen Planeten. So wie Entenhausen und Sin City wohl kaum Nachbarn sein können.

                "Hängt Ihn Höher" ist denn auch ein wahrhaft herber Western. Sein Protagonist trägt die Narben am Hals als stete Erinnerung an seine offenen Rechnungen. Der Richter ahndet alle Vergehen gleichermaßen hart. Filme wie Ted Post's nüchterne Ballade über das mangelhafte Justiz-System werden als revisionistisch bezeichnet. Und das leuchtet ziemlich schnell ein.

                Obwohl auch hier gelegentlich schnell gezogen und geschossen wird, überwiegt doch die schwerwiegende Stimmung. Ehrenhaft, aufrichtig oder gerecht sind nicht die Adjektive, die das Geschehen treffend beschreiben. Auch wenn es gelegentliche Auflockerungen gibt wie die Krankenpflege im örtlichen Bordell oder Coopers langsam aufkeimende Liebe zur Witwe Warren.

                Für uns spätgeborene Zuschauer mag das jetzt nicht der erste Western, der mit einem "Helden" im Zwiespalt aufwartet oder auf abgegriffene Klischee-Bausteine wie Bankraube und an Gleisen gefesselte Jungfrauen in Not verzichtet. Nicht, dass dieses Genre größtenteils so rosafarben zuckerwatte-mäßig ausfiel. Was an "Hängt Ihn Höher" dennoch so fasziniert, ist sein reflektierender Umgang mit schweren Fragen über das Rechtssystem.

                An deren Ende steht dann aber keine Läuterung, sondern fast schon wieder die sehr resignierende Haltung, die sowieso schon die meiste Zeit vorherrschte. Vielleicht ist es gerade diese schwere Verdaulichkeit, die hier immer noch für einen großen Anreiz sorgt. Heldentaten gibt es schließlich schon zu Genüge. Da kann auch mal das enttäuschende wahre Leben Einzug halten.

                5
                • 8 .5

                  "Dirty Harry" ist mehr als nur ein Copfilm oder ein Action-Thriller. Clint Eastwood verkörpert wie kein zweiter zuvor und danach den Prototyp des toughen Bullen, der Polizeiarbeit weniger als Diensterfüllung, als denn persönliche Mission begreift.

                  Regeln und Vorschriften sind da hinderlich, wenn es darum geht, Psychopathen wie Scorpio aus dem Verkehr zu ziehen. Und damit meine ich nicht das Ausstellen von Strafzetteln.

                  Harry Callahan wirkt gerade im ach so aufgeschlossenen San Francisco wie eine wandelnde Eiterbeule. Ein tief sitzender Stachel, der mit seinen Kommentaren über andere Hautfarben und Homosexualität dem liberalen Zeitgeist die Schamesröte ins Gesicht ins Gesicht treibt. Und dennoch braucht es Typen wie ihn. Sind es doch die Callahans dieser Welt, die als Grenzlinie zwischen all dem Abschaum und der friedvollen Gesellschaft fungieren.

                  "Dirty Harry" ist und bleibt der schnörkelloser Wettlauf zwischen einer völlig unberechenbaren Naturgewalt und einem dahergelaufenen Irren, der es wagt, dem falschen Cop ans Bein zu pinkeln. Der Film ist hart, hat einen provozierenden Helden, der niemanden kaltlässt und wirkt trotz seines zeitgenössischen Erzählstils irre spannend. Und am Ende siegt die Gewissheit, dass es die Callahans dieser Welt sind, die uns unbescholtene Normalos und Eier-Schaukler ruhig schlafen lassen.

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                  • 3 .5

                    Nee, also Sorry. Was ist das? "Kids In Love" möchte irgendwie eine Beobachtung des Taumelns zwischen Sinnsuche und exzessiver Lebenslust sein. Ein bisschen Coming of Age und eine Brise "La Dolce Vita".

                    Hauptsächlich aber begnügt sich dieses in Sonnenschein getränkte Filmchen damit, junge schöne Menschen beim Feiern zu zeigen. Dazwischen gibt es zwar ein paar Gespräche über Lebensziele oder Beziehungskram. Das bleibt allerdings alles recht unverbindlich.

                    Ich möchte natürlich nicht unterstellen, dass es bei "Kids In Love" nicht doch irgendwie um das Gefühl einer Jugend geht, die sich mit ihren besseren Mitteln in eine große Blase aus Endlos-Party und angehäuften Vergnügungstrips geht. Jedoch muss ich mich fragen, in welcher Relation Will Poulters Protagonist Jack dann am Ende zum Feiervolk steht. Er schießt ja halt nur ein paar nichtssagende Fotos und wird hoffentlich die Laufburschen-Karriere sausen lassen.

                    Was den Rest betrifft, so geht dieser Film jeder wichtigen Diskussion schön aus dem Weg und flüchtet sich ganz in seine Hochglanz-Welt. In dieser wirkt die Unbeschwertheit der jungen "Kids" wie Cara Delevigne immerhin natürlich. Nicht, dass mir die Figuren als zu oberflächlich missfallen würden.

                    Nicht einmal das ist das Problem. Dann schon eher, dass ich diesem Film auch eine der Scripted-Reality-Shows von MTV vorziehen könnte. Dort wurden mit "The Hills" oder "Lagnuna Beach" so ziemlich das gleiche zelebriert. Und es gab immerhin richtiges Drama.

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                    • 6

                      Auch wenn Überraschungen ausbleiben, Bridget und Mark Darcy wieder einmal unnötig lange bis zur Happy-End-Zielgeraden brauchen:

                      "Bridget Jones' Baby" ist als Fortsetzung beinahe ein Sequel der Marke "Psycho II". Nach Ewigkeiten nachgeschoben, nicht gerade von der ganzen Welt innig erwartet. Und trotzdem halten sich unnötiges Geschichten-Fortspinnen und Fanservice noch die Waage.

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                      • 3 .5

                        Vor 65 Millionen Jahren schlug ein Asteroid auf unsere Erde ein, nur um eine gold-fressende Hexe aufzuhalten? Der mächtigste Kristall des Universums liegt direkt unter dem örtlichen Donutshop? Und fünf Highschool-Misfits aus dem Breakfast Club werden plötzlich zu den Beschützern des Planeten?

                        Ganz klar, dann müssen wir uns ja inmitten einer gigantischen Kinderstunde befinden. Mit "Power Rangers" versucht die "Saw"- und "Panem"-Schmiede Lionsgate mal wieder den Vorstoß in die erste Liga der Big-Spender-Studios. Der dafür maßgeschneiderte Blockbuster folgt ganz dem Erfolgs-Modell von "Transformers" und "G.I. Joe.", scheitert dabei jedoch in fast jeglicher Hinsicht.

                        Für die Neuauflage wurden das quietschbunte wie trashige Flair der TV-Vorlage (samt zugehöriger Spielzeug-Welt) geopfert und durch einen grimmigen Düster-Look ersetzt. Als könne dadurch eine Epicness der "Herr Der Ringe"-Marke suggeriert werden. Dafür fehlt es der Handlung allerdings wieder an ansprechenden Motiven und eben einer, tja, echten Handlung.

                        Sobald die Helden-Teenies als Rangers gecastet wurden, verstarrt der Film in einer ziemlich langwierigen Trainingsroutine und Freundschaft-Schließen-Runde. Wobei einem die fünf Kids mit ihren Backgrounds schon recht sympathisch werden. Wenn "Power Rangers" etwas gutes zu bieten hat, dann sind es seine Heroes. Nur leider passt das zugehörige Abenteuer so gar nicht zu deren Niveau.

                        Denn es fehlt neben tricktechnischen Muskeln auch an der bekloppten und manchmal schon beinahe bewundernswerten Gigantomanie eines Micheal Bay. Bei einem Bay rätsele ich immer wieder, ob er einfach nur alles reinpackt oder ob er sogar einer wirklichen Vision folgt, für die wir einfach zu kleinlich denken. Egal, "Power Rangers" bleibt da einfach im Showdown ein mittelmäßiges Monster-Gekloppe, für das alternativ auch gleich noch einmal "Pacific Rim" geguckt werden kann.

                        Was an sich schon wieder schade ist, denn schließlich gehören – trotz aller guten Vorsätze – autistische oder lesbische Charaktere noch immer nicht zur typischen Stamm-Besetzung eines Films dieser Größenordnung. Das ist, neben dem Bewusstsein für Selbstironie, die größte Errungenschaft dieses Ranger-Reboots. Aber wenn der ganze Rest nicht passt ...

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                        • 7 .5

                          Überraschung!!! "A Most Violent", der 1981, mitten im damals gewalttätigsten Jahr New Yorks spielt, ist alles andere als brutal jugendgefährdend. Statt Mord und Totschlag in Dauerschleife erweist sich dieser sehr besonnen erzählte Film als Charakterstudie eines Mannes, dem von allen zugesetzt wird.

                          Heizöl-Unternehmer Abel Morales hat nicht gerade den saubersten Background. Aber nun steht er kurz davor, die Michael-Corleone-Nummer aus "Der Pate III" abzuziehen und auf einem Schlag sein Geschäft reinzuwaschen. Wären da bloß nicht der Bezirks-Staatsanwalt, der Abel ins Visier genommen hat. Und die ominöse Bedrohung durch die Konkurrenz. Irgendeinvon "Mitanbieter" Abels lässt immer heftigere Schläge gegen seine Mitarbeiter ausführen.

                          Es ist keine leichte Zeit, es ist die denkbar beschissenste und doch muss Abel einen klaren Kopf behalten. Der Zuschauer übrigens auch. Denn statt auf heftigste Gewalt-Eruptionen setzte Regisseur J. C. Chandor auf die Bedachtsamkeit eines Sidney Lumet. Hier sind weder Fäuste noch Knarren Trumpf, sondern die elementare Wichtigkeit guter Dialogzeilen. Und mann, die sind teils von erlesener Qualität und werden vom Cast, besonders zwischen Oscar Isaac als Abel und Jessica Chastain in der Rolle seiner Frau Anna. Da zeigt er sich nämlich schließlich, der Konflikt zwischen Konzentration und Aufbrausen. Zwischen Abel, der seine Pläne ja nicht in Gefahr bringen will und seiner Angetrauten, die nur zu gern die gute alte Mob-Brechstangen-Mentalität nutzen würde.

                          Dennoch bleibt die Gewalt bei "A Most Violent Year" (fast) so unsichtbar wie auch imminent. Nicht immer gelingt es so überzeugend wie hier, einem das Gefühl ständiger (unsichtbarer) Bedrohung und Anspannung zu vemitteln. Könnte Atmosphäre materialisiert werden, dann wäre sie hier vielleicht eine dichte Nebelwand, die langsam aber sicher von einer Rasierklinge durchtrennt wird.

                          Weshalb es einen auch hier viel mehr interessiert, welche Worte gesprochen, statt wie viele Kugeln verschossen werden. Und am Ende bleibt die bittere Erkenntnis, dass unser Protagonist, trotz aller Bemühungen, das Blut an seinen Händen nie loswerden kann. Ein wirklich starkes Stück von einem Film.

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                          • 7 .5

                            Tränen schießen mir ins Auge, bevor es überhaupt richtig losgeht. Vor Freude und vor Rührung, aber das Tribute an Stan Lee lässt mir auch gar keine andere Wahl. Aber dann soll sich endlich alles um die Frau der Stunde drehen:

                            Bei "Captain Marvel" ist der Power-Akku mächtig aufgeladen. Was angesichts einer Heldin, die Energie-Ladungen aus den Fäusten verschießt, kaum verwundern dürfte. Dennoch stehen am Ende zwei Erkenntnisse.

                            1.) Wenn der Film vor "Wonder Woman" rausgekommen wäre, hätte Marvel die Sensation eines rein weiblichen Superhelden-Vehikels für sich verbuchen können.

                            2.) Carol Danvers ist die neue, mächtigste Frau der Galaxie, das hätte mit einem etwas besseren Film gewürdigt werden können.

                            Jetzt nur nicht wundern. "Captain Marvel" stellt wie gewohnt zwei Stunden großes Entertainment aus der Schmiede von Spider-Man und Co. dar. Hier ist wieder einmal alles bigger than life mit einer liebevollen, state-of-the-art Großkotz-Attitüde aus dem Boden gestampft worden. Die uns unbekannte Welten fern der Erde, die Rassen und ihre Fähigkeiten und sogar die Konflikte übersteigen das irdische Fassungsvermögen.

                            Da gibt es traditionsgemäß nichts zu bemängeln. Vor allem an Brie Larson, die nun also auch den Weg vieler Kolleginnen geht und aus der Oscar-Robe ins Heldenkostüm schlüpft. Sie ist die Idealbesetzung, das quasi ab der ersten Sekunde deutlich. Larson meistert diese übermenschliche Rolle mit einer Ausstrahlung, die vor Selbstsicherheit und Gelassenheit nur so strotzt. Ob sie nun Wände durchlöchert oder einfach nur Jude Law oder Samuel L. Jackson neckt, ihre Freude an der Sache springt gleich auf den Zuschauer über.

                            Anders verhält es sich da schon mit der Geschichte. Diese ist, so will ich es gleich betonen, als Origin-Story unserer Heroin ja rundum befriedigend. Innerhalb des 90's-Retrofestes werden alle Rätsel geklärt und einige Mysterien des Avengers-Kosmos endlich gelöst. Kein Grund zur Klage.

                            Trotzdem changiert "Captain Marvel" immer auch zwischen der (jetzt nicht so langen) Suche einer Figur nach ihrer Herkunft und dem Krieg der Kree gegen die formwandelnden Skrull. So kollidiert der fabelhafte Budenzauber aus "Guardians Of The Galaxy", das Gefühl der Frische, die "Iron Man" und "Black Panther" so mühelos in unseren Herzen streuten, mit etwas Ernüchterung. Zumindest wirkt der Film in seinem Roadmovie-Abschnitt fast wie die etwas weniger geliebten Marvel-Angelegenheiten der Marke "Iron Man 2". Da stimmten die Motive, aber doch schon rückten einige im Sessel hin und her und meinten, der Vorgänger hätte etwas mehr Pep gehabt.

                            Diese in sich ruhenden Abschnitte sind aber auch nicht so unwichtig für die Heldinnenreise. Schließlich muss Carol Danvers alias Vers wieder neu entdecken, wer sie eigentlich ist. Damit sich der Film vom anfänglichen intergalaktischen Konflikt zu einem humanistischen Flüchtlingsdrama wandeln kann.

                            Ohne jetzt zu viel ins Detail zu gehen, will ich konkludieren, dass sich bei "Captain Marvel" die Pros und Cons relativ die Waage halten. Etwas aufgesetzte Pop-Kultur-Referenzen? Ein wenig zu viel Jungs, die einem Mädchen sagen, dass sie es nie schaffen wird? Schnell noch einen Chef-Ankläger Ronan einbetten, damit die Verbindung zu den Guardians hergestellt wird?

                            Ich will da mal ganz klar sagen: Brie Larson ist der Kitt und das abschirmende Teflon-Feld dieses Films, mit dem all diese Punkte ausgewogen werden. Und natürlich auch der herrlich junge und nicht so strenge Nick Fury. Lashana Lynch als beste Freundin und Piloten-Kollegin und auch Annette Bening, die als weiterer "Alt-Star" die Marke-Marvel adelt. Der Humor passt zudem einfach aufs Geschehen und hält das Unterhaltungs-Level schön oben.

                            Und nochmals, ganz klar, überzeugt dieses Denkmal für alle Powerfrauen (so, jetzt habe ich es geschrieben) vor allem durch Brie Larson. Sie etabliert sich auf einen Schlag als neue und interessante Lichtgestalt des Marvel-Universums und wirft zugleich die Frage auf, warum es noch irgendwelche Avengers braucht, um einen Thanos zu besiegen. Das könnte Captain Marvel doch locker alleine schaffen.

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                            • 8 .5

                              Remakes, es gibt die guten und die schlechten. Das ist Fakt, auch bei rein emotionaler Wahrnehmung. Und dann gibt es Filme wie den neuen "Suspiria", die sich so mit einer unerwarteten Wucht über den Zuschauer entladen, als würden ein Blitzschlag und das Krachen gegen eine Granitwand auf eben jenen Moment des Ansehen fallen.

                              Luca Guadagninos radikale Neuerfindung des Horror-Klassikers ist im Grunde so eigenwillig und eindrucksvoll wie Dario Argentos Original. Visuell karg, verschachtelt und thematisch weiträumig wie die Räumlichkeiten der Markos Tanz-Akademie.

                              Diese Version der Schauer-Mär aus Ballett und Hexenkult holt ganz weit aus und bietet dem Okkulten ebenso Platz wie dem Deutschen Herbst, der Berliner Mauer, besetzten Häusern und dem Dritten Reich. Ziemlich viel Futter für einen Sechs-Akter von knapp zweieinhalb Stunden, was denn auch einiges Sitzfleisch abverlangt.

                              Guadagnino setzt dabei auf eine gemähliche Gangart, deren Wirkung vorrangig aufs Unterbewusstsein abzielt. Womit sich auch alle Befürchtigungen auflösen, dieser "Suspiria" würde in irgendeiner Form nur konventionelle Geschmäcker bedienen. Das Gegenteil ist der Fall. Dieser Film wurde ganz klar als ein Gesamtkunstwerk begriffen. Und wie auch bei seinen Artverwandten aus der Malerei bedarf es hier eines genauen Zusehens und Studierens, um hinter all jene subtilen Anspielungen und Verstrickungen zu kommen.

                              Mit dieser Erzählweise schafft es diese Neuverfilmung aber auch, einen ein Stück weit von der Realität zu entkoppeln. Und den Fokus von üblichen Schock-Taktiken weg-zulocken und sich dem Beleuchten von Facetten wie der streng religiösen Herkunft von Dakota Johnsons (ich hätte es nicht gedacht, die Johnson gefällt mir hier!) Susie oder den Strukturen des Hexenzirkels zu öffnen. Was aber auch keineswegs den Umschwung zu Blutfontänen oder schmerzhaft Deformierungen des menschlichen Körpers ausschließt.

                              Was auch hier absolut gewürdigt werden muss ist die darstellerische Überzeugungs-Kraft, mit der Tilda Swinton selbst mehrere Rollen auf einmal bewältigt. "Suspiria" ist ein erneuter Beleg für ihre Fähigkeiten als eine der aufregendsten Mimen unserer Zeit. Überhaupt hält Luca Guadagnino so einige Besetzungs-Überraschungen bereit. Aber den Spaß gönne ich euch, diese selber zu entdecken.

                              Einzig einen Tipp will ich mir nur noch erlauben. Ergründet den Film doch mal im englischsprachigen Original und erlaubt euch die Freude, dem Cast dabei zu lauschen, wie sie das (immer etwas gestelzte) Deutsch bewältigen.

                              Ansonsten gilt für diesen "Suspiria" das gleiche Urteil wie für sein übergroßes Vorbild: Die Besten sind halt die, die nicht mit dem Strom zu schwimmen versuchen. Ist dies hier mindestens so gut wie das Original? Oder gar besser? Eigentlich vollkommen egal. Dieser Film ist einfach er selbst und wird dadurch schon besonders. Der Rest bleibt einfach triviale Horrorkost.

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                                "Meinungen sind wie Arschlöcher, jedermann hat eins."

                                Nur eine von vielen zeitlosen Dirty-Harry-Weisheiten, mit denen sich Clint Eastwood eigentlich eine eigene Kollektion von Gedenkmünzen verdient hätte. In seinem fünften und letzten Auftritt als Inspector Callahan wird die verbale Treffsicherheit dann auch nur von den Kugeln übertroffen, die böse Buben in die Zwangsrente vom Leben schicken. Es gibt aber auch Glückskekse, Liam Nesson als Horror-Regisseur, Gorilla-Brieffreunde aus dem Knast, Guns N' Roses und einen jungen Jim Carrey, der an Drogen verreckt.

                                "The Dead Pool" ist natürlich nicht der beste "Dirty Harry", dafür eine routiniert abgewickelte Angelegenheit, die ganz auf ihren Star zugeschnitten wurde. Inhaltlich gibt es denn auch nicht mehr zu holen als Zeilen für die Ewigkeit und Shootouts, mit denen sich Eastwood ein Image als Mann der Tat aufgebaut hat. Lieber Schießen und der Justiz Zeit und Geld sparen (so cool).

                                So ähnlich gingen dann auch die Macher beim Schreiben vor. Denn der Krimi- und Thrilleranteil des Prominenten-Sterberatens tendiert so gegen völlig belanglos. Immerhin sorgen eine Film-Kritikerin und der Tod durch ferngesteuerte Spielzeugauto für einen Hauch von Selbstironie.

                                Schließlich steht "Dirty Harry V" auch für seine Entstehungszeit, die goldenen Achtziger der steten Fortsetzungen. Während derer ja irgendwie jede Woche ein neuer "Freitag der 13.", ein weiterer "Police Academy" oder ein neuer "Rocky" um die Ecke kam. Und wenn der Film schon nicht mehr der beste im Feld sein konnte, so wirkt er wenigstens auch heute noch recht souverän auf seine ruppige, wie auch mal humorvolle Weise.

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                                  Greta Gerwig mausert sich immer mehr zum weiblichen Schutzpatron des Indie-Kinos. In "Maggie's Plan" gibt sie eine fürsorgliche und ziemlich ausgelastete Patchwork-Mom, der wenn überhaupt, nur ihr Mode-Geschmack vorgehalten werden kann. Wie beim süßesten Kätzchen-Video auf youtube kann auch ihr niemand böse sein, selbst wenn sie versucht, ihren Gatten wieder mit der Ex-Frau zu verkuppeln.

                                  Was in diesem Fall eine kleine Komödie mit sich bringt, die recht komisch, aber nie belustigend flach ausfällt. Die, obwohl auch in Literatur-Kreisen angesiedelt, nie zu intellektuell daherkommt. Nee, das Script ist zwar überschaubar, jedoch auch mit einigen wirklich amüsanten Dialogzeilen gesegnet.

                                  Natürlich handelt es sich bei diesem Stück Klein-Produktion vor der Kulisse New Yorks um einen Ausflug in ein Paralleluniversum, dessen Einwohner ihre Nahrung natürlich auf dem Wochenmarkt einkaufen und die lieber kleine selbstgeführte Fair-Trade- Cafés frequentieren, als die Brühe von Starbacks zu schlürfen. Aber hey, dies ist eine Welt in der wir uns wohlfühlen dürfen.

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                                    über Roma

                                    Alfonso Cuarón ist wohl einfach nicht der Typ fürs kleine Brötchen Backen. Mit "Roma" liefert er nicht nur den einen Film 2018 ab, über den alle reden und nach dem nur noch Lobeslieder übers Kino angestimmt werden. Nein, er serviert uns, trotz Schwarz-Weiß-Fotografie und Untertiteln, eine Wagenladung an Emotionen, Momentaufnahmen zwischen willkürlichem Charakter und Bildern großer Symbolkraft.

                                    Sprich: "Roma" ist nicht nur ein faszinierendes Meisterstück des Geschichteerzählens und in der Kunst der Beobachtung, er ist viel mehr so facettenreich wie das Leben selbst.

                                    Bar jeder dramaturgischen Dringlichkeit, erhalten wir nicht bloß Einblick in die Lebenswelt des Dienstmädchens Cleo und wie eng verwurzelt ihr Leben mit dem ihrer mittelständischen Arbeitgeber ist. Cuarón nimmt uns mit auf einen Streifzug durchs Mexiko der frühen Siebziger. In ein Land, das die Auswüchse des urbanen Lebens ebenso kennt wie Landstriche voller Wellblechhütten ohne Strom und fließend Wasser.

                                    Dies ist nicht irgendein melodramatisches Bediensteten-Portät. Eher schon eine gesellschaftliche Bestands-Aufnahme, in der so beiläufig wie mühelos verschiedenste Themen angerissen werden wie Studenten-Unruhen, ländliche Armut oder Großgrundbesitzer, die fürstengleich in ihren riesigen Villen residieren.

                                    All das ist Mexiko. Und dennoch bleibt die erfrischende, schauspielerisch überhaupt nicht vorbelastete Yalitza Aparicio alias Cleo stets Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Was es dem Zuschauer abverlangt, ist natürlich die Geduld und die nötige Entdeckerlust, diesem, oberflächlich betrachtet, sehr frei schwebenden erzählerischen Rahmen zu trotzen.

                                    Denn immerhin fällt es auch spontan sehr schwer, Fixpunkte für ein Werk wie "Roma" zu benennen. Welche Filme sind auch nur ansatzweise ähnlich? Für mich wären das Alex de la Iglesia's "Mad Circus" und Gasper Noé's "Enter The Void". Wenn schon nicht inhaltlich, dann wenigstens formal und in der Wirkung, bewegt sich Alfonso Cuarón traumwandlerisch durchs Zeitgeschehen und weckt so auch viel stärkeres Interesse dafür. Und wie auch bei Noé nutzt er die Kamera als Instrument, um Figuren zu begleiten und zu erforschen. Ob in heiteren, unbeschwerten Situationen oder während Tragödien. Ob beim köstlichen, allabendlichen Einparkritual des Herrn des Hauses, ob bei Silvesterfeiern oder dem ständigen Putzen des Marmorbodens, auf den der Hund kackt.

                                    "Roma" geht sogar mit dahin, wo es wirklich schmerzt. Und genau dies macht die große Faszination und Strahlkraft des Films aus. Er nimmt Episoden aus einem unscheinbaren Leben und verwandelt sie zu etwas größerem. Ob da hier gänzlich neue Standards gesetzt werden oder dass gerade das Indie-Kino uns immer wieder mit Geschichten real anmutender Charaktere unterhält, das seien jetzt einmal überflüssige Diskussionspunkte.

                                    Was zählt ist das Gefühl und die Wirkung, die Cuarón vermittelt. Und die besagen, dass in "Roma" so viel steckt, obwohl augenscheinlich doch nur die Geschichte einer unbedarften Angestellten aus ärmlichen Verhältnissen erzählt wird. Doch gerade für solche Geschichten kann oftmals keine Leinwand zu groß sein. Ich hoffe, die bei Netflix registrieren das auch irgendwann. Über die Auswertungspolitik müssen wir noch einmal sprechen.

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                                      Spätestens mit "The Gift" und seiner Dreifach-Besetzung als Psycho vor und Autor und Regisseur hinter der Kamera hat Joel Edgerton bewiesen, dass er Herausforderungen zu meistern versteht. Das war auch schon nicht so schlecht. Sein wahres Gesellenstück legt er nun jedoch mit "Der Verlorene Sohn" vor.

                                      Basierend auf dem Erlebnisbericht des Autoren und Journalisten Garrard Conley, wird hier ein entlarvender Blick auf die Konversionstherapie geworfen. Pastoren-Sohn und Vorzeigekind Jared begibt sich auf Drängen seines streng religiösen Vaters in die Arme von Love In Action.

                                      In diesem Umerziehungslager predigt Ober-Therapeut Sykes (Edgerton) vermeintlich verwirrten Seelen, dass Homosexualität lediglich eine Entscheidung sei und dass sich Männlichkeit antrainieren lasse.

                                      Natürlich begnügt sich dieser Tempel der hohlen Lehre nicht dem Vermitteln allzu bequemer Weltbilder. Praktiziert wird eine geistige und körperliche Erniedrigung, die letztlich nur auf die Geldbörse besorgter Eltern abzielt und eine langfristige Bindung der Jungen und Mädchen an die Organisation zu erzielen sucht.

                                      Es gibt ihn leider, diesen Horror, der nur vom wahren Leben geschrieben werden kann. "Der Verlorene Sohn" handelt die einzelnen Schritte dieser "Behandlung" ab, die harmlos und schwachsinnig anrollt und schließlich ein gar perfides Konstrukt der Nötigung offenlegt. Hier geht es nur ums Lokalisieren von Schwachstellen, wie der schmächlichen Familienhistorie, die allein dazu dient, Löcher in die Psyche zu hämmern, um Menschen gefügig zu machen.

                                      Und obwohl der Film keineswegs so hart daherkommt wie das erste Kapitel von "Full Metal Jacket", ist die beunruhigende Wirkung doch beinahe maximal abstoßend. Verstärkt wird dies noch durch die bewusst passive Haltung von Hauptdarsteller Lucas Hedges, der diese Tortur größtenteils stumm aufsaugt und damit viel Raum fürs Entsetzen des Zuschauers lässt.

                                      Oder lösen derartige Hirngespinste von homosexuellen Neigungen als Resultat geistiger Schwäche, gefakte Beerdigungen oder massiver Druck auf den Verstand etwa keine Kotzanfälle aus? Natürlich ist der Rest des Films, die Geschichte Jareds über seine aufkeimende Faszination für Jungs und sein Verhältnis zu den, von Russell Crowe und Nicole Kidman gespielten Eltern, geradezu zurückhaltend und lässt auch bewusst die schwierigsten Part weg. Doch ich begreife dies nicht als erneute Erzählung darüber, wie jemand sich selbst entdeckt, sondern wie er in ein unmenschliches System gesteckt wird, dass sich als höhere moralische Instanz begreift. Und das, how shocking!, nicht von ausgebildeten Fachleuten betrieben wird.

                                      Gerade mit dieser sich sehr langsam entwickelten Art vermittelt "Der Verlorene Sohn" die Konfusion und den lähmenden Schock, der bei jemanden einsetzen muss, der, noch gar nicht im Klaren über sich selbst, in diese Mangel genommen wird. Wie diese Mangel sich Menschen einverleibt oder diese daran schließlich zerbrechen müssen. Und wie sich auch subtil und irgendwann doch merklich, ein Graben zwischen einem überzeugten gottes-fürchtigen Vater und seine Frau auftut, die nicht nur aufs Wort von Leuten baut, die ja so viel klüger in diesen Dingen sein sollen.

                                      Da mag es schon stimmen, dass Edgertons völlig solide Regiearbeit auch viel Diskussionsraum offenlässt und nicht jede Meinung befriedigt ausfallen wird. Es hätte sicherlich noch einige alternative Handhabungen geben können. Doch ich bleibe dabei. Das Drama ist vielleicht gemächlich, die Analyse der leider realen Heilungsstätte hingegen traf bei mir genau den richtigen Nerv.

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                                        Oh, wie ich Peter Hyams doch vermisse. Nicht, dass der Mann schon tot ist. Er ist quicklebendig und arbeitet hin und wieder als Regisseur, Autor, Director of Photography und Produzent in Personalunion. Nur liegt seine Karriere spätestens seit "End Of Days" oder "The Musketeer" (hat den eigentlich schon mal jemand gesehen?) Brach.

                                        Unverdient, wie ich meine. Den Hyams schenkte uns auch "2010", "Ein Richter Sieht Rot", die zwei unterhaltsamsten und leinwandtauglichsten Van-Damme-Vehikel "Timecop" und "Sudden Death" und naürlich "Unternehmen Capricorn".

                                        Und dann gibt es da noch "Outland – Planet der Verdammten". Diesen "Zwölf Uhr Mittags" im All, mit einem hartgesottenen Sean Connery als einsamen Verfechter von Recht und Ordnung und dem düster-kühlen Industrial-Look von "Alien". Mal abgesehen von den Cartoon-Abenteuern "BraveStarr" und "Saber Rider" fällt mir schon kein echtes Beispiel für einen Sci-Fi-Western ein.

                                        Hyams Film nimmt seine Genre-Verschmelzung ziemlich ernst und verzichtet auf Gummi-Masken, schrille Kostüme oder mechanische Sidekicks. Stattdessen geht es um einen Marshal, der mit dem ganzen Scheißladen aufräumen muss. Das geht halt nur mit der Wumme oder Hilfsmitteln wie Druckluftkammern.

                                        Wenn "Outland" überhaupt etwas vorzuwerfen ist, dann ist höchstens seine etwas einseitig und sture Story. Auf der anderen Seite, wie viele Western bietet denn schon mehrere verschachtelte Ebenen und Wendungen im Fünf-Minuten-Takt? Wie gesagt, führt Peter Hyams die klare Schwarz-Weiß-Aufteilung der klassischen Westernwelt im Weltall fort und setzt auf zielstrebrig raubeinige Unterhaltung.

                                        Selbst wenn die Handlung ziemlich vertraut scheint und "nur" auf den Showdown zusteuert, wird diese Unternehmung allein schon von Sean Connery getragen, dessen Sprüche und Haltung hier die halbe Miete sind. Frances Sternhagen als abgeklärte Dr. Lazarus wäre da schon die andere Hälfte.

                                        Ansonsten bleibt "Outland" auch heute noch ein sehenswerter Quasi-Klassiker. Das gelungene Gedankenspiel, die Prärie einfach mal auf einen Jupitermond zu verlegen und die Western-Rezeptur auf ihre wesentlichen Bausteine zu reduzieren. Ob er dabei nicht so visionär ausfiel wie andere Genre-Vorreiter des Jahrzehnts, ist im Grunde denn auch völlig nebensächlich. Hauptsache, der ganze Rest stimmt so wie hier.

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                                          mikkean 11.03.2019, 16:59 Geändert 11.03.2019, 17:00

                                          Das wird jetzt hart. Über einen Film wie "Jem And The Holograms" herzuziehen, fühlt sich in etwa so an, als würde Gott einen Wirbelsturm auf eine Fliege hetzen. Die spät nachgerechte Realfilm-Adaption einer, einer hierzulande nicht allzu bekannten, Eighties-Trick-Serie kann doch gar nicht derart viel Groll verdienen?

                                          Aber das ist ja gerade das Problem mit dem Film. Er verdient weder unseren Hate, noch unsere Aufmerksamkeit. Denn diese wird nicht einmal den eigenen Figuren und deren Geschichte geschenkt.

                                          "Jem And The Holograms" handelt ja davon, als verschlossenes Teenie-Songwriter-Talent über Nacht im Netz groß rauszukommen, in die Fänge von Juliette Lewis als böse Platten-Mogulin zu geraten, dabei das eigene Haus vor der Bank zu retten und nebenbei eine Sci-Fi-Schnitzeljagd mit dem kaputten Roboter des verstorbenen Vaters zu absolvieren. Außerdem ganz wichtig, mit allem, was du machst und singst, die Herzen von Millionen von Fans zu erreichen.

                                          Sorry, diese Seifenblase ist dann doch zu groß. Keiner der Story-Ansätze wurde als so richtig bindend empfunden, um bis zum (mit fast zwei Stunden viel zu lange auf sich wartenden) Schluss eine richtig logische Auflösung zu finden. Die einzelnen Plotpoints werden einfach mit Humor, der beschworenen Familien-Einheit und dem richtigen Song zur richtigen Zeit weggelächelt.

                                          Jetzt bin ich natürlich alles andere als der typische Vertreter der hier anvisierten Zielgruppe, noch Fan des Originals. Ich nehme nur die Freiheit zu behaupten, dass "Jem And The Holograms" sein Ziel, eine Projektionsfläche für die Träume und Kraftfutter für die Seelen seiner Anhänger zu sein, komplett vergeigt. Weil das alles unter einer ziemlich steril wirkenden Oberfläche einfach nicht durchschimmern will. Und auch die dargebotenen Songs können dieses Gefühl leider nicht überwinden, dafür klingen sie zu sehr nach Pop-Konserve.

                                          Charmless und belanglos sind dann auch die Attribute, mit denen ich den Kino-Auftritt von Jem taggen muss. Da helfen auch Molly Ringwald als Tantchen, Promi-Grußbotschaften oder eine Wagenladung verwursteter Webvideos zum Thema nichts. Es bleibt ein Produkt ohne Esprit, das sich zu oft auf die blinde Gutherzigkeit seines Publikums verlässt. Wenn ihr auch nur einen Lieblings-Film über die Kraft der Musik sucht, dann gibt es doch einige andere, die sogar ohne viel Geld echte Authentizität und Power transportiert haben. So, und nun werde ich die Gewitterwolken sich schnell auflösen lassen. Bevor ich noch zu arschig rüberkomme.

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                                            mikkean 11.03.2019, 16:00 Geändert 11.03.2019, 16:02

                                            Im Kampf gegen ihren erbittersten Gegner ist der Medizin ja schon so mancher Fauxpas unterlaufen. Da hätte es jetzt nicht unbedingt mit "The Lazarus Effect" einen weiteren Beleg dafür gebraucht, dass sich Gevatter Tod nur ungern ins Handwerk pfuschen lässt.

                                            So gut besetzt und recht komprimiert (sprich: kurz gehalten) der B-Horror auch ist, die irgendwie immer gleichen bei "Frankenstein", "Re-Animator", natürlich "Flatliners" und ein Spritzer "Friedhof Der Kuscheltiere" machen die Veranstaltung jetzt nicht gerade zur originellsten. Und überraschungsarm ist's außerdem (Schluss-Gag inklusive).

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                                              Wenn Hollywood gegen lange Mienen und grassierende Langeweile vorgeht, dann wird Weihnachten einfach vorgezogen und ein riesiges Tamtam gemacht. Und ein weiblicher Reboot von "Ghostbusters" wird uns schon mal als größtes Happening seit Erfindung des Bewegtbilds verkauft.

                                              Hollywood zeigt uns also quasi den Arsch und will verhauen werden. Dies meinten zumindest nicht wenige, die eine erinnerungs-, wie auch unwürdige Welle von Online-Hate auf alle Beteiligten plumpsen ließen. Ein bisschen Hochnäsigkeit von den Machern war allerdings auch im Spiel, wollten sie uns Fans und Zuschauer doch in unserer Rolle als Endabnehmer etwas zurechtweisen.

                                              Nach dem Sturm bleibt ein Film übrig, für den teilweise sogar eine Lanze gebrochen werden kann/könnte. Der aber auch unter einem gravierenden Makel leidet: er ist halt nicht das Original.

                                              Da erweist sich die Besetzung der Damen Wiig, McCarthy, McKinnon und Jones durchaus noch als beste Eingebung. Chris Hemsworth als Mischung aus Janine und Louis blödelt recht herrlich gegen sein Thor-Image an. Und die Cameos fast aller noch lebenden GB-Urgesteine sind recht lässig eingeflochten worden.

                                              Nur, ach nur: Paul Feigs Neuauflage ist viel zu oft Ehrerbietung als echte Neuerfindung. Das wird schon bei der Einführung klar, die der unschlagbaren Dynamik der Bibliotheks-Sequenz Rechnung tragen will. Als auch einen kleinen Wink in Richtung Vigo zu geben scheint. Aus diesem recht sklavischen Anheimeln des Gewesenen will halt nur kein echter Funke Eigenständigkeit übersrpingen.

                                              Seine Vorbilder zu kennen, ist dann aber auch nicht immer alles. Was noch an neuen Ideen drin war und vom Cast mit nicht mal schlechten Figuren vorgetragen wird, erhält wiederum einen gehörigen Dämpfer, wenn der etwas neuartige Humor zu klugscheißerisch daherkommt. Es macht dann doch den Unterschied, ob der neue "Ghostbusters" Popkultur heranzieht, während das Original dort lieber selbst neue Akzente setzte.

                                              Und überhaupt, Ivan Reitmans ursprünglicher Spuk wird nicht nur wegen einer schwebenden Sigourney Weaver, dem Marshmallow-Man und seiner Sprüche noch lange für Fan-Geschmachte sorgen. Es gibt da noch eine Qualität: der Film bot echte Monster-Gestalten und bezog sich auf eine unheimliche Mystik, die ernst genommen wurde.

                                              In dieser Version sehen die Geister wiederum so aus, als wären sie aus einer animierten Gummibärchen-Werbung entstiegen und lässt den Horror-Zeiger auf der Null ruhen. Allein,wenn Ozzy Osbourne einen größeren Part übernommen hätte, wäre vielleicht was daraus geworden.

                                              So bleibt mit "Ghostbusters" ein Fall von annehmbarer Cartoon-Unterhaltung, die schnell vorbeirauscht, ohne viel Eindruck zu hinterlassen. Und die berechtigte Frage aufwirft, wie oft die Studios es noch wagen sollten, statt neue Geistesblitze zu suchen, sich immer wieder auf die Umformung alter Klassiker versteifen.

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                                                Auch wenn nicht alle gleichermaßen daran Gefallen finden mussten, "Snow White And The Huntsman" war die etwas andere Märchen-Neuerzählung. Etwas großspurig, aber dafür weit entfernt von jeglicher Heiho-Niedlichkeit.

                                                Konsequenterweise gab's nach dem Erfolg einen Nachklapp, "The Huntsman & The Ice Queen". Und dem fehlt genau dieses märchenhafte Element, welches dem Vorgänger noch gut stand. Die Schneewittchen-Saga ist auserzählt, also wird gleich noch die Eiskönigin herangezogen. Immerhin hat diese Freiheit auch bei "Once Upon A Time" funktioniert.

                                                Auf der großen Leinwand entsteht aus diesem Vorhaben eine mäßig erzählte Konstruktion, die sich sichtlich am Standard der Konkurrenz abrackert, ohne unterwegs wirklich viele zauberhafte Momente abzuwerfen.

                                                Was funktionert, ist der Neuzugang von Emily Blunt, die ihrer Film-Schwester Charlize Theron in nichts nachsteht. Und Theron gab die böse Königin, als wäre sie dafür geboren. Chris Hemsworth hingegen stellt seine gute Laune zur Schau, die auch ab und zu aufs restliche Geschehen übertragen werden kann.

                                                Der Rest wirkt einfach nur unnötig nachgereicht und hemmt das Vergnügen. Was wiederum beweist, dass das Rumdoktorn an geschlossenen Erzählungen ein schönes Gedankenspiel bereithalten kann, aber nicht immer ein würdiges Filmerlebnis.

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                                                  The Return of Nicolas Winding Refn. Der Mann, der mit "Drive", nicht ganz über Nacht, plötzlich in aller Munde war, wirft der Spalternation einen neuen Knochen hin. Auf das wir ihn schlucken und ersticken mögen.

                                                  Seit dem Hype betreibt Refn seine künstlerische Mission bemerkenswert stur und versessen, wie es auch an Selbstdemontage grenzt, Aufnahmebereitschaft und Erwartungshaltung seines Publikums so radikal am Bildschirm zerschellen zu lassen. Auch "The Neon Demon" treibt dieses Vorhaben weiter voran und nimmt keine Gefangenen.

                                                  Bei diesem Trip in die Modelwelt von Los Angeles liegt der kalte Neonhauch nicht nur wie Beton auf der Glamourmetropole. Auch in den Herzen der Figuren scheint nur Platz zu sein für rücksichtsloses Vorankommen und die Bereitschaft zu blutigen Gräueltaten.

                                                  Der Knackpunkt an der Sache ist die, bis sich diese Erkenntnis materialisiert, bietet Refn's Film vor allem eines: eine fast leblose Oberflächlichkeit, die kaum oder eigentlich gar keine Anreize für Interpretationen bietet. Vage, nebulös wären hier noch die schmeichelhaftesten Umschreibungen. Denn "The Neon Demon" verweigert sich so umfassend einer irgendwie gearteteten Einordnung, dass Genre-Karteikarten, Charakter-Zeichnung und inhaltliche Kohärenz der Unberechenbarkeit eines Traums weichen müssen.

                                                  Störend daran ist allerdings, dass mit dieser Haltung auch jeder gute oder vielleicht sogar amüsante Ansatz zerschreddert wird. Und das Resultat sich gern als Kunstwerk begreift, wo es doch mehr einem Produkt gleicht. Beim Versuch, die unterkühlte Ästhtetik der Modewelt zu verinnerlichen, ist Nicolas Winding Refn irgendwo wohl auch die Idee abhanden gekommen, welche Geschichte er erzählen will. Nicht, dass er was bietet. Einen sarkastischen Schwenk über exzentrische Designer und Fotografen, eine düstere Umkehr des Aschenputtel-Mythos in der Modewelt.

                                                  Refn bietet und beantwortet alles und auch wieder nicht. Sein Problem bleibt einfach mal, dass es nicht immer reicht, auf die coole Art etwas hinzurotzen und sich dann sämtlichen Diskussionen zu entziehen. Ich halte den Mann dabei nicht mal für ein selbstherrliches Arschloch, ich weiß seine Formsprache und alle Eigenheit zu würdigen. Aber "The Neon Demon" gleicht denn zu sehr einer Schaufensterpuppe, die auf alle erdenklichen Arten aus- und umgezogen, geschändet und zerkleinert wird und dies auch vorrangig zur Erquickung desjenigen, der sich an ihr auslässt. Das eigentliche Publikum nämlich ist da schon längst weitergezogen.

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                                                  • Auf die unschöne Art abserviert. So zeigt sich Netflix natürlich besonders arrogant und herzlos, neben allen Beteiligten vor und hinter der Kamera wird so auch den Fans und potenziellen Streamingkunden der Mittelfinger gezeigt. Andererseits bin ich da wenig überrascht, schließlich hütet Netflix seine Zuschauerzahlen wie ein Staatsgeheimnis. Da werden sie jetzt nicht damit anfangen, aufgegebene Serien gebührend abzuschließen. Da hilft nur das Hoffen auf Marvel und seine eigenen Plattformpläne.

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