Rajko Burchardt - Kommentare

Alle Kommentare von Rajko Burchardt

  • 9

    Über Dekaden hinweg waren Nebelschwaden ein unverzichtbares Standardmotiv filmischer Schauergeschichten, bevor das moderne Horrorkino der 1960er Jahre es schlagartig zum ästhetischen Relikt erklärte. Rundum anachronistisch muss daher "The Fog" gewirkt haben, der 1980 nicht nur ein klassisches Erkennungszeichen des Genres wiederbelebte, sondern den Bedrohungen verkündenden Nebel selbst zur tödlichen Gefahr werden ließ. Als die jungen Regiestürmer des Horrorfilms von allzu realen Schrecken erzählten, verortet in Nebenschauplätzen der Zivilisation, die uns auf texanische Schlachthöfe oder Hügel voll blutiger Augen entführten, stellte John Carpenter einfach Nebelmaschinen und Trockeneis auf. Das Ergebnis ist noch heute verblüffend, kein Film hat blauen Dunst je anmutiger in Szene gesetzt. "The Fog" präsentiert Nebel als buchstäblich heraufziehendes Grauen, das zur eigenen Figur reift – ein Antagonist, der seine Opfer elegant umzingelt und für immer verschwinden lässt. [...]

    24
    • 5

      "Waterworld" begleitet mich seit seiner Veröffentlichung, ich habe den Film im Kino gesehen, auf Video, DVD und jetzt als stimmig abgetastete Blu-ray von Arrow (im sogenannten Ulysses Cut), und zwar jedes Mal mit der Hoffnung, es ihm gegenüber vom nie erlischen wollenden Interesse zu wirklicher Begeisterung bringen zu können. Dass das nicht gelingt (und ich es trotzdem immer wieder versuche), hat mit den Stärken ebenso wie den Schwächen zu tun, nämlich der einerseits ziemlich grandiosen ersten Stunde, die fast ein Film für sich ist, vom Universal-Logo, das in die endlos blaue Welt überleitet, bis zur Erstürmung des Atolls – inklusive Happy End gewissermaßen, wenn der (ich vermute von Kevin Costner selbst) respektabel arschig angelegte Antiheld mit Frau und Kind davon segelt (ein Schluss, der nicht im Interesse des Films wäre, endet er doch tatsächlich mit einer Verbannung) –, und der andererseits gar nicht so grandiosen letzten Stunde, die noch einmal Spektakel möchte, den Aufwand und Übermut des Anfangs jedoch scheut (über den Mittelteil bin ich mir unsicher, er lässt sich schön treiben, wirkt aber zugleich völlig planlos).

      Der Film ist recht unstimmig in seinem Weltentwurf, und er wirkt auf den letzten Metern seltsam gehalten, als habe er Angst, über die Stränge zu schlagen oder die in der Geschichte und dem Setting angelegten George-Miller-Verrücktheiten herauszulassen. Schaut man "Waterworld", der einst Schlagzeilen als bis dato teuerste Hollywoodproduktion machte, aber im Kontext eines aktuellen Blockbusterkinos, das keine physikalischen und längst auch keine interessanten ästhetischen Bezugspunkte mehr setzt (Marvel lässt ja nicht mal mehr Menschen miteinander interagieren), kann man durchaus wehmütig werden.

      15
      • 3

        Ein Exploitation-Film aus Hollywood zwischen Re-Animator und Wolfenstein – das ist der mancherorts als Nazi-Zombie-Spektakel beschriebene "Overlord" leider nicht. Er beginnt mit einem kompetent getricksten Flugzeugabsturz, der alles Räudige sauber vorsortiert: Wenn hierin überhaupt ein B-Movie steckt, wird es ihm schnell mit doppeltem A ausgetrieben. Danach steht der Film erstmal still, bewegt sich tatsächlich kein Stück vom Fleck (der Fleck ist ein Dachboden, auf dem sich US-Soldaten vor den Nazis verstecken), und nur die Hauptfigur schert für einen Moment aus (Labore erkunden, Menschenexperimente bestaunen), um dann schnurstracks zum Fleck zurückzukehren. Das ist einerseits sterbenslangweilig und anderseits eine große verpasste Chance. Die ohnehin spärlichen Sets bleiben weitgehend unbespielt, das hässliche digitale Gekröse lässt die Schultern zucken und an Zeiten denken, in denen es Menschen wie Rob Bottin noch erlaubt war, Mutationen richtig geil aussehen zu lassen. Übrigens gab es vor einigen Jahren einen ähnlichen Film, der hieß "Frankenstein's Army" und war ebenfalls scheiße. Man kann sicherlich positiv vermerken, dass das hier kein ironieversiffter "intendierter Trash" ist. Aber etwas höher dürfen die Ansprüche schon sein.

        16
        • 7 .5

          Drei Geschichten erzählt Kelly Reichardt in ihrem siebten und traurigsten Film, drei Geschichten von Frauen in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Die ersten beiden sind so gut und genau wie Erzählungen von Reichardt immer mindestens gut und genau sind, auf die emotionale Wirkung der dritten Geschichte aber bereiten sie nicht vor. Kristen Stewart spielt darin eine Anwältin, die an zwei Tagen der Woche von Livingston, Montana ins vier Autostunden entfernte Belfry fährt, um Jura an einer Abendschule zu unterrichten. Zufällig stolpert eine ortsansässige Farmerin in die Klasse, Nacht für Nacht wird sie wiederkehren und die Nähe zur unbekannten Frau suchen. Lily Gladstone ist die große Entdeckung des Films, vielleicht sogar des Filmjahres 2017. Mit erwartungsvoll aufgerissenen Augen erkennt ihre Figur in "Certain Women" das Begehren, nimmt eine lange Fahrt nach Livingston auf sich, um der plötzlich ausgewechselten Lehrkraft nachzuspüren. Bevor es auf dem Parkplatz einer Anwaltskanzlei zur letzten Begegnung kommt, hält sie inne und atmet schwer durch. Sich jemandem derart zu öffnen, erfordert mehr als nur Mut. Nichts ist falsch an Kristen Stewarts befremdetem Blick, der lediglich von einem anderen Empfinden spricht und doch zerstörerische Kraft besitzt. Okay, sagt ihr Gegenüber, alles andere geht in Verlegenheit unter. Berührender kann ein Film nicht sein.

          19
          • 7

            Boy meets Girl, kurzes Beziehungsglück, schnelle Trennung, das Girl wird krank und ins Koma versetzt: Wo andere Liebesgeschichten auf ihr Ende zusteuern, geht dieser Film erst richtig los – alles, was noch zu sagen ist, kann der Boy nicht mehr sagen. Über "The Big Sick" geriet die Presse nachvollziehbar ins Schwärmen, an den Kinokassen war er ein Überraschungserfolg. Manche warfen ihm vor, dass der tragische Wendepunkt jene eigensinnige sprachliche Komik suspendiere, die für den Protagonisten (einen emigrierten Pakistaner, der sich als Stand-Up-Comedian versucht) überlebenswichtig sei. Ausgebremst wird der Humor dadurch allerdings nicht, höchstens etwas verlagert (in Richtung einer kulturellen und familiären Emanzipation: autobiographisch-selbsttherapeutisch rollen Kumail Nanjiani und Co-Autorin Emily V. Gordon die Geschichte ihrer Liebe auf). Und überhaupt stellt der melodramatische Plotpoint den Film vor die spannende Herausforderung, wie sich eine romantische Komödie erzählen lässt, wenn ihr der für genreüblich-gewitzte Annäherungen und wechselseitige Reaktionen entscheidende Gegenpart abhanden kommt. Mit tollen Figuren, die alle einen an der Waffel haben und trotzdem nicht vom Drehbuch an leichtfertige Gags verkauft werden, erschließt sich "The Big Sick" eine Nische im sonst unerträglichen Feel-Good-Kino aus Sundance. Ohne falsche Gefühle.

            19
            • 2

              Es bringt wahrscheinlich nichts, über die Besetzung der Titelfigur in "Spider-Man: Homecoming" zu diskutieren, wenn schon Andrew Garfield der großäugig-sympathischen Verpeiltheit von Tobey Maguire kaum noch etwas entgegenzusetzen wusste. Und es wäre auch unfair, Tom Holland jenes ironische Grimassieren zum Vorwurf zu machen, das Marvel offenbar von ihm verlangt hat. Bedauerlich ist es dennoch, dass Spider-Man hier als Avengers-Kompagnon in spe nur noch Bindeglied sein darf – und eine durchweg von Marvel-Abhängigkeiten bestimmte Geschichte vorantreiben muss, in der die außerirdische Technologie des ersten Avengers-Films auch gleich eine entscheidende Rolle spielt. Zu diesem Zweck ist ihm sicherheitshalber Tony Stark aka. Iron Man aka. Marvels lästigstes Verkaufsargument an die Seite gestellt worden. Der schaut regelmäßig vorbei, um einerseits Peter Parker belehren und die leisesten Anflüge adoleszenter Vergnüglichkeiten ausbremsen zu können. Und scheint als Marvel-Gesandter andererseits kontrollieren zu wollen, dass sich der jüngste Zuwachs im "Cinematic Universe" brav dem aalglatten Gesamtbild fügt. Mit der Rückbindung des tollpatschigsten aller Marvel-Superhelden ans firmeneigene Kinouniversum ist Spider-Man endgültig jener Unschuld beraubt, die ihn einst so liebenswert machte.

              18
              • 7

                Was für ein schöner Titel: "Die Lebenden reparieren". Im Körper des einen hört das Herz zu schlagen auf, im Körper der anderen schlägt es weiter – die Lebenden werden repariert, die gerade noch Lebenden reparieren. Was für ein schönes Bild: Die Massen des Meeres zu verschlingenden Wolken geformt, Wellen, die sich bereiten und bezwingen lassen, Wasser, aus dem ein Leben sprudelt, das bald nicht mehr sein wird. Im Krankenhaus erfahren Eltern vom Hirntod ihres Sohnes, im Raum steht die Frage nach der Spende seiner Organe. Was für ein schöner dritter Akt: Organtransplantation als Kraftaufwand, als logistisch und menschlich unermessliche Herausforderung. Die Beobachtung eines minutiös getimten Ineinandergreifens, die Beobachtung auch eines Wunders der Medizin. Das Herz wird entnommen, der Körper gewaschen, das Flugzeug gestartet. Liebevoll flüstert der Arzt dem Verstorbenen ins Ohr, sein Herz darf leben und Leben schenken. Am Ende sehen wir einen Augenaufschlag, der alle Mühe wert war, der ergreifend ist und uns tief im Innern berührt. Denn was für ein schöner Film: Von Katell Quillévéré präzise inszeniert wie ein operativer Eingriff. Nicht überladen mit Symbolen, nicht aufdringlich und kein bisschen affektiert. Kino voller Mitgefühl. Und ganz viel Herz.

                11
                • 9

                  [...] Tarantino inszeniert die vermeintlichen Hauptfiguren der ersten Hälfte als starke, aber dem klassischen Objektivierungsparadigma des Slasher-Kinos verpflichtete Frauen – fast übertrieben mädchenhaft scheinen ihre Gespräche, fatal nachsichtig die Auseinandersetzung mit dem zudringlichen Stuntman Mike. Solche im ersten Teil des Films bestätigten Klischees richtet das "Remake im Remake" brachial gegen sich selbst. Wenn die Gruppe der natürlich nicht zufällig als Schauspielerinnen und Stuntfrauen im Filmgeschäft tätigen Heldinnen den Spieß umdreht, nimmt Tarantino mit der Emanzipation seiner Figuren von Genrerollenmustern eine erstaunliche Korrektur am Lieblingskino vor. Kaum noch treten in der zweiten Hälfte dann jene künstlichen Verunreinigungen des Materials hervor, die der trügerischen Nachahmung einen taktil-ästhetischen Grindhouse-Anstrich verpassen sollen. Das Spielerische und die Ernsthaftigkeit bedingen sich hier wie in keinem anderen Tarantino-Film. Dass auch er "Death Proof" für seine schwächste Arbeit hält, ist glücklicherweise vollkommen unerheblich. Manchmal verstehen gerade publikumshörige Filmemacher ihre eigenen Meisterwerke nicht.

                  28
                  • 7

                    Ein Geisterfilm über Reinkarnation und außerkörperliche Erfahrung; mit Menschen, die sich an frühere Leben zu erinnern glauben und vielleicht auch ein kleines bisschen durchgeknallt sind; in langen sorgfältigen Einstellungen, deren Klar- und Aufgeräumtheit etwas Metrisches hat und dennoch wunderbar offene Bilder produziert. Die Filme von Apichatpong Weerasethakul sind in den letzten Jahren noch tiefenentspannter geworden, im Träumerischen und hier auch buchstäblich Schläfrigen seiner Kinolyrik muss man aufgehen wollen. Langweilig ist das allenfalls dem Wortsinne nach. Länge und Weile machen in Cemetery of Splendour sichtbar, was sichtbar zu machen sich die Figuren erhoffen, der Film könnte nicht reicher sein an sich verbindenden Eindrücken. In der tollsten Szene erliegt ein gerade aus wochenlangem Schlaf erwachter Mann erneut seiner Schlummersucht, als er im Kino einen wüsten Fantasyfilm sieht. Solche selbstreflexiven Momente ergänzt Cemetery of Splendour, der natürlich selbst ein Fantasyfilm ist, nur kein sehr wüster, um gelassene Absonderlichkeiten. Einmal scheißt jemand on-screen in den Wald, ein anderes Mal inspizieren zwei Frauen den erigierten Penis des schlafkranken Mannes. Weltkino geht auch ohne heiligen Ernst.

                    12
                    • 1

                      Michael Moore bereist europäische Länder, um sich an- und abzuschauen, was die USA besser machen könnten. Moore pur: Kein Adeln ohne Tadeln, das Beste gegen das Schlechteste, Europa versus Amerika. "Where to Invade Next" macht auch in Deutschland Halt. Es geht aus unerfindlichen Gründen um das angeblich vorbildliche Arbeitsleben der Deutschen. Und schnell auch um mehr: Archivmaterial, Bilder aus "Triumph des Willens", gefolgt von einem Schnitt in ein deutsches Klassenzimmer, wo Grundschüler etwas über den Holocaust lernen. Michael Moore spricht dazu folgenden Text: »Jedem dieser Schüler wird beigebracht, was ihre Vorfahren getan haben. Sie reden es nicht schön. Sie tun nicht, als wäre es nie geschehen. Und sie sagen nicht: Hey, das war vor meiner Zeit. Was hat das noch mit mir zu tun?«. Dem Tiefsinn fügt Moore weiteres Archivmaterial hinzu, diesmal Photographien der Kolonialisierung Nordamerikas und der Sklaverei, sowie einen nochmaligen Voice-Over. »Warum verstecken wir uns vor unseren Sünden?«, fragt er mit Blick auf die wenigen US-Museen und -Denkmäler, »haben wir uns geändert?«. Wie gesagt, Moore pur. Deutschland, Weltmeister der Geschichtsaufarbeitung. Und mittendrin ein Filmemacher, dessen Profilierungsdrang selbst die Relativierung der Shoah nicht fürchtet.

                      12
                      • 8

                        Viele Kritiker schrieben, "The Hateful 8" sei der politischste Film von Quentin Tarantino. Einerseits mag das stimmen: Sehr konkret nimmt er Bezug auf US-amerikanische Geschichte, woraus sich wiederum relativ konkret schlussfolgern lässt, dass er auch über US-amerikanische Gegenwart etwas zu sagen hat. Diese Lesart wurde bestärkt durch Tarantino selbst, der kurz vor Filmsstart in die "Black Lives Matter"-Diskussion um behördliche Gewalt gegen Schwarze eingriff und es sich mit Polizeiorganisationen und wahrscheinlich auch einigen Kinogängern verscherzte. Andererseits ist die politische Qualität des Films, so sie denn unbedingt eine Rolle spielen muss, gerade nicht schnöde und damit vorzeigbare Themenrelevanz, sondern Tarantinos erstaunlicher Versuch, den Western gegen sich selbst zu wenden. Er tut das durch einen Verzicht jener mythischen Sehnsuchtsbilder, nach denen sowohl das Genre als auch sein prächtiges 70mm-Format zu verlangen scheinen, und durch eine kammerspielartige Verdichtung der Geschichte, die die alten und neuen Machtstrukturen in den USA nach dem Sezessionskrieg anhand weniger Figuren und auf einen einzigen Raum beschränkt durchspielt. Darin, und das halte ich für sehr politisch, ist "The Hateful 8" vor allem ein Bekenntnis zum Kino.

                        22
                        • 6
                          über Rift

                          [...] Auf den letzten Metern wandelt sich "Rift" beinahe zum genregerechten Schocker. Er spielt mit der seit "Blair Witch Project" fest im Horrorkino verankerten Found-Footage-Ästhetik und zitiert mehrfach "Wenn die Gondeln Trauer tragen", Nicolas Roegs meisterliche Schauergeschichte über eine von traumatischen Erfahrungen geprägte Ehe. Auch Erlingur Thoroddsen denkt Horror und Drama nicht als Gegensätze. Denn in Geisterfilmen liegen Kummer und Schrecken dicht beisammen. [...]

                          3
                          • 3

                            Die Autoren des Films sagen, sie hätten Jamie Lee Curtis ein Drehbuch geschrieben, das sie nicht hätte ablehnen können. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass eine sehr hohe Gewinnbeteiligung den ewigen Star der Serie zur nochmaligen Rückkehr bewog. Unwiderstehliches stellt der nunmehr dritte zweite "Halloween" mit Laurie Strode jedenfalls nicht an, streckenweise verschwindet die Figur sogar völlig aus der Handlung, um Platz für blöde Polizisten und noch blödere Teenager zu machen. Vom emotionalen Unterbau des wahrlich nicht makellosen, allzu ähnlich konzipierten "H20" fehlt jede Spur, es gibt keine Gänsehaut und keine Größe, nicht mal etwas Melancholie. Stimmungsvolle Bilder gelingen obendrein nicht, es wird nur permanent an der Erhaben- und Schönheit des zum direkten Vorgänger erklärten Originals gekratzt. Überhand nimmt die defizitäre Ästhetik in den ausgespielten und erstaunlich ineffektiven Spannungsmomenten, besonders der end- und grundlosen Wandschrankszene. David Gordon Green hat schlicht kein Gespür für Horror, selbst die bekannte und immer wieder gern gehörte Carpenter-Musik verpufft an den entscheidenden Stellen (mit Ausnahme der wehmütig stimmenden Eröffnungstitel). Gegen Ende bestellt ein ziemlich alberner Twist den Sargnagel. Und nur Jamie Lee Curtis spaziert erhobenen Hauptes aus diesem Film.

                            16
                            • 7

                              [...] Ein verstörender Film, in sehr eigener Weise unheimlich: Die Menschenjagd-Thematik, auf die sich das Kino seit Richard Connells Kurzgeschichte "Das grausamste Spiel" und ihrer Verfilmung "Graf Zaroff - Genie des Bösen" wiederholt bezieht, wirkt in seiner mit 15-jährigen Schülern durchgespielten Abwandlung besonders finster. Organisiert werden die rituellen Teenagermorde von einem System, das gerade nicht glaubt, alles Zivilisatorische aufzugeben, sondern das Abschlachten zum Spiel von Recht und Ordnung erhebt (während Takeshi Kitano als geradezu tiefenentspannter "Spielleiter" tut, was dieses System ihm eben aufträgt). Die grausam-schlüssige Logik solcher Zukunftszerrbilder entwirft ein faschistisches System, das militärisch und medial so effizient durchorganisiert ist, dass es aller Widersprüchlichkeit zum Trotz hochentwickelt erscheint. Vielleicht wurde "Battle Royale" deshalb oft Satire genannt, wurde mit bemühten Zustandsbeschreibungen und unkonkreten Begriffen wie Gesellschafts- und Sozialkritik als Gegenwartsmetapher gedeutet. Dem liegt ein verständlicher Reflex zugrunde, der intelligentem Genrekino, das weder seine Pulp-Ursprünge noch B-Movie-Anleihen kaschiert, große Bedeutung verleihen und auch das etwas schuldige Vergnügen daran legitimieren soll – denn zu schnell wird einem Film wie "Battle Royale" bekanntlich das Stigma dämlicher Exploitation angeheftet. [...]

                              15
                              • 10

                                [...] 25 Jahre ist es her, seit Studioverantwortliche und Marketingstrategen nach Fertigstellung von "Batmans Rückkehr" ratlos aus dem Vorführraum spazierten ("Ich würde den Film lieber Aliens zeigen", scherzte Tim Burton zu dieser Zeit noch im Interview mit David Breskin). Sie verstanden nicht, was sie sahen, und wussten vor allem nicht, wie sie es handelsfähig bekommen sollten. Burton hat den Vertrauensvorschuss seiner Produzenten für einen eigensinnigen, schlicht wunderbar idiosynkratischen Blockbuster genutzt. Er setzte ihnen etwas vor, das weder in ihrem Sinne geformt noch formbar gemacht werden konnte – legendär ist die Anekdote vom drohenden Zerwürfnis mit McDonald's, das um den Absatz seiner Produkte fürchtete, wenn darauf ein schwarze Flüssigkeiten spuckender Pinguin und andere Unappetitlichkeiten des Films abgebildet wären. "Batmans Rückkehr" scheiterte daraufhin an jenem Tentpole-Masterplan, den der Vorgänger erfolgreich entworfen hatte. Er war kein Verlustgeschäft, aber seine weltweiten Einnahmen blieben 150 Millionen Dollar hinter denen des ersten Teils zurück. Richten musste es dann Joel Schumacher. Mit "Batman Forever" ließen sich Happy Meals wieder sorgenfrei verkaufen.

                                23
                                • 6

                                  [...] Es gibt natürlich Filme, deren absurder Humor zur Masche gerinnt, wenn randomisierte Komik den entscheidenden Unterschied zwischen Willkür und Widerspenstigkeit verkennt. Oft heften sie sich das Label "Kult" vorsorglich selbst an und bemühen einen Surrealismus, der genauso schranken- und uferlos wie beliebig und austauschbar scheint. "The Greasy Strangler" ist kein solcher Film, obschon er alle Voraussetzungen dafür mitbringt (es hängt vom persönlichen Geschmack ab, ob die gezogenen Vergleiche mit John Waters oder Quentin Dupieux ihm zur Ehre gereichen). Jim Hosking interessiert sich auf die ihm eigene, also unterhalb der Gürtellinie gelegene Art für eine Verfremdung von Wirklichkeit, deren chauvinistische Skurrilitäten eigentlich nur männliche Unsicherheit und tief sitzenden Frauenhass freilegen. Im noch einmal besonders wüsten Schlussakt purzelt das Vater-Sohn-Gespann die Evolutionsleiter spektakulär herunter, nachdem "Hootie Tootie Disco Cutie" Janet das plötzlich gar nicht mehr so ulkige Vater-Sohn-Gespann kräftig durcheinander gebracht hat. [...]

                                  10
                                  • 9

                                    [...] Dass die Trennlinie zwischen sanfter Doppeldeutigkeit und grobem Unernst im Kino mittlerweile scharf verläuft, hat offenbar mit einer Signifikanzen ebenso wie Gefühle scheuenden Risikopanik zu tun. "Terminator 2" mag vielleicht nicht primär als tiefsinnige Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz oder der Angst vor einer Vernichtung menschlicher Zivilisation in die Filmgeschichte eingegangen sein. Doch ganz bestimmt hat James Cameron für seine Geschichte der nuklearen Katastrophe nachhallende Kinobilder gefunden, die sie in ein fortwährend beunruhigendes Verhältnis zum Spektakel setzen. Bei Cameron geht es immer auch um Dramaturgie. In der ersten Verfolgungsjagd ergibt sich Spannung weniger aus der (ohnehin theoretischen) Frage nach dem Überleben des jugendlichen Protagonisten, als vielmehr durch seine Unwissenheit darüber, dass einer der ihn verfolgenden Cyborgs gute Absichten hat. Manche rührt "Terminator 2" sogar zu Tränen. Welcher Action-Blockbuster kann das noch von sich behaupten? [...]

                                    21
                                    • 7

                                      [...] "Dirty Dancing" ist ein überaus widerstandsfähiger Klassiker. Er hat nichts eingebüßt von Charme und Chemie seiner damals weitgehend unbekannten Hauptdarsteller, die sich angeblich kaum ausstehen konnten: Der ewig unterschätzte Patrick Swayze, dessen robuste Sanftmütigkeit vor allem in Actionrollen einen Kontrapunkt zum Markigkeitsideal jener Zeit setzte, und die wunderbar ungekünstelte Jennifer Grey, deren Karriere aus den leider denkbar blödesten Gründen nie Fahrt aufnehmen wollte, geben schlicht ein unwiderstehliches Paar ab. In ihren gemeinsamen Momenten macht der Film tatsächlich Glauben, durchs Tanzen ließen sich ideologische Mauern einreißen. Anders als manchen Wegbereitern geht es ihm nicht um ausgestellte Tanzakrobatik und körperliche Selbstoptimierung, sondern eine romantische Utopie der rhythmischen Bewegung per se. Auf amüsante Weise veranschaulicht die so legendäre wie zigfach parodierte Szene, in der Johnny und Baby für eine Hebefigur am See trainieren, dass Tanzen zwar nicht ohne Technik funktioniert. Aber ins Schweben eben nur gerät, wer auch wirklich loszulassen bereit ist.

                                      12
                                      • 1

                                        [...] Vielleicht wäre die pos(s)enhafte Selbstgenügsamkeit des Films erträglicher oder jedenfalls leichter zu ignorieren, wenn seine Räuberpistolensentimentalität nicht mit Tiefsinn verwechselt würde. Viele Kritiker meinten in ihm einen Diskussionsbeitrag zu erkennen, der "wichtige Fragen unserer Zeit" aufgreife, als handele es sich dabei um ein ernstzunehmendes künstlerisches Kriterium. Offenbar ist das Verlangen nach Gesinnungskino mittlerweile so ausgeprägt, dass auch der absurdeste Spielraumentwurf tagesaktuelle Zustandsbeschreibung sein muss – sogar eine Welt wie die von Martin McDonagh also, in der Menschen weder reden noch handeln wie Menschen, sondern allenfalls Schablonen für den nächsten Witz sind, beliebig hin und her geschoben auf einer vor Vulgärpsychologie strotzenden Landkarte. Die Oscar-Academy scheint so etwas zu lieben. Im letzten Jahr umarmte sie eine Reihe von Befindlichkeitsfilmen und Speckgürtelerzählungen über abgehängte, auf der Strecke gebliebene Menschen, jetzt soll es zusätzlich noch um Machtmissbrauch gehen. Mit "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" verläuft sich das so nachvollziehbare wie notwendige Interesse am Trump-Amerika in eine Affirmation des Ressentiments. [...]

                                        19
                                        • 7

                                          Spektakuläre Vulkanbilder gibt es in diesem Vulkanfilm einige zu sehen, aber sie haben nicht viel mit Werner Herzog zu tun: Tatsächlich in die Tiefen des Infernos begibt sich hier nur Archivmaterial des verstorbenen Ehepaars Katia und Maurice Krafft, das Herzog als Zeugnis menschlicher Selbstüberschätzung sich selbst überlässt. Sein Film erkundet andere Tiefen. Statt Vulkane stehen Menschen, Glaubensrichtungen und Politik im Mittelpunkt, alles ist ein ständiger Exkurs. Herzog besucht Bewohner von Java, die im Palast des Sultans die Göttin des Meeres mit dem Dämon des Vulkans versöhnen wollen, und zeigt eine römisch-katholische Kirche unlängst des Merpai, die die Form eines Hahns hat (das ist Herzog, und noch mehr Herzog ist, wie die Kamera einen im Innern der Kirche herumstehenden Plastikstuhl ins Visier nimmt). Irgendwann geht es sogar um die Entstehung der Menschheit, ein besonders amüsanter Abschnitt begleitet enthusiastisch Knochen ausbuddelnde Wissenschaftler in Äthiopien. Herzog filmt natürlich nicht die Funde, sondern das Finden, und was er nicht filmen kann, die inneren Zustände oder eben Tiefen seiner Protagonisten, bekommt er trotzdem noch ins Bild. Am Ende dienen ihm die Vulkane als Tojanisches Pferd, um in Nordkorea drehen zu dürfen. Wahnsinn.

                                          19
                                          • 1

                                            Zu "The Big Short" schrieb Marc885 auf moviepilot, ihn habe "das ungute Gefühl" beschlichen, "dass viele Zuschauer den Film verlassen und denken, sie sind jetzt der antikapitalistische Widerstand". Die mutmaßliche Rezeption eines Kunstwerks zu rezipieren führt zwar nie sonderlich weit und in der Regel auch vom Kunstwerk weg. Andererseits können zwischen einem dummen Film und den ebenso dummen Reaktionen auf ihn natürlich Zusammenhänge bestehen. Wer sich nach "The Big Short" tatsächlich wie der größte Bescheidwisser vorkommt, tut es vielleicht deshalb, weil der Film selbst glaubt, Bescheid zu wissen. Die Finanzkrise ab 2007 versteht er (oder versteht er eben nicht) als kausale Pointenkette. Und er möchte (oder möchte eben nicht) nachvollziehen, warum geschehen ist, was nicht hätte geschehen dürfen. Im Kern ist dies ein Film, der sein Publikum verachtet. Er ist mit "Told you so"-Duktus aus sicherer Gegenwartsperspektive erzählt und hat nicht das geringste Interesse an Kompliziertheiten. Die vermeintlich cleveren Passagen, in denen Prominente Fachbegriffe erläutern, verschwinden hinter der nervösen und dadurch gerade nicht erhellenden Inszenierung. Eigentlich geht es dem Film nur um selbstbesoffene Jokes. Am Ende stehen Montagen angeblich verurteilter Banker, "just kidding", alles nur ein großer Witz.

                                            10
                                            • 6

                                              Der Debütfilm des brasilianischen Regisseurs Marcelo Caetano zeichnet mit beeindruckender Beiläufigkeit das Porträt des Mizwanzingers Elias, dem in einem Vorort von Sao Paolo nicht das eigene Schwulsein zu schaffen macht, sondern die universelle Frage, was wichtiger ist: die Karriere oder das übrige Leben. Gegenüber dem mühsamen Arbeitsalltag in einer Großschneiderei, der die Gefahr birgt, den eigenen Körper zu verdinglichen, entwirft "Body Electric" die Utopie einer Gruppe junger Leute, die über die Grenzen des sozialen Standes und der sexuellen Identität hinweg füreinander da sind. [...]

                                              2
                                              • 1
                                                über Nerve

                                                "Nerve", der Film, erzählt von Nerve, dem Spiel: Ein ganz, ganz gefährliches Social-Media-Game für ganz, ganz leichtsinnige Teenager mit ganz, ganz viel virtueller Gefallsucht. Hier wollen Jugendliche, die reden und agieren, wie Erwachsene sich das Reden und Agieren von Jugendlichen vorstellen, Beobachter oder Subjekt gefährlicher Selbstversuche sein. Die einen also glotzen, die anderen riskieren Geld und Ansehen und Leben – darunter geht es nicht, denn darunter hieße auf Augenhöhe. "Nerve", das ist sozial- und medienpädagogisches Neuland-Kino von Christian Pfeiffers Gnaden. Technologische Möglichkeiten als adoleszente Verführungen begriffen, Killerinternet als Nachfolger von Killervideo und Killerspiel. Diese Cybervariante der Menschenjagd ist im Kern durchaus vergnüglich, weil zufällig auch mal interessant (gelangweilte Mittelstandkids drehen auf), meistens aber ist sie moralinsauer und pathetisch (gelangweilte Mittelstandkids drehen zurück). Ich vermute, dem auf Young-Adult-Adaptionen spezialisierten Filmstudio Lionsgate wurde diese Mainstream-Version von "Spring Breakers" mit Worten wie Zeitgeist, Prank-Kultur und Snapchat gepitcht. Irgendjemand wird noch das wahnsinnig talentierte Regieduo von "Paranormal Activity" 3 und 4 erwähnt haben. Fertig war die nächste franchisetaugliche Teensploitation.

                                                8
                                                • 6

                                                  Ein "What Ever Happened to Baby Jane?"-Remake mit Iris Berben und Hannelore Elsner, gedreht von Oskar Roehler für RTL – das dürfte als Prämisse eines deutschen Fernsehfilms recht sicher ohnegleichen sein. Derangiert jedenfalls geht es in "Fahr zur Hölle, Schwester" (grandioser Titel!) allemal zu. Overacting-Queen Hannelore Elsner hat sich unter ihr rechtes Auge eine Träne tätowieren und auf die Stirn "Fuck" schreiben lassen, steht mit einer Flying V vor riesigen Marshall-Amps und trällert kiffend zu Hendrixx oder Led Zeppelin, gereicht ihrer (von Berben gar nicht Crawford-like, eher fernsehgerecht gespielten) Schwester deren abgetrennten Fuß zum Abendbrot und führt am Ende einen Stepptanz im Tutu auf. Kurzum: Elsner tanzt und feixt und grimassiert sich dankbar durch den Davis-Part, sodass man nicht anders kann, als sich wieder einmal in sie zu verlieben. Oskar Roehler bringt passende Reminiszenzen von Hitchcock über Laughton unter, einiges an Insekten und Kunstblut, natürlich auch vulgäre Ideen, die er bestimmt wieder saugeil fand. Normalerweise nähern sich seine Geschichten großspurig der Grenze zum Camp, um sie dann kleinlaut nicht übertreten zu wollen. Das ist hier definitiv anders, von kontrolliertem Wahnsinn keine Spur. Damals hätte Roehler ein interessanter Filmemacher werden können.

                                                  6
                                                  • 8

                                                    "Isn't she the best actress in the whole wide world?", fragte John Waters wohl nur rhetorisch, als er gleich zwei Filme mit Isabelle Huppert in seine Jahresbestenliste 2016 aufnahm. "L'avenir", die Geschichte einer sich notgedrungen privat und beruflich neu sortierenden Philosophielehrerin, gehörte nicht zu ihnen – obwohl die also beste Schauspielerin der ganzen weiten Welt selten besser war als unter Mia Hansen-Løve, der vielleicht besten Filmemacherin der ganzen weiten Welt (nur mal rhetorisch gefragt). Dies ist ein Film zweier Künstlerinnen im vollständigen Bewusstsein ihrer Fähigkeiten. Bei der einen sitzt jede Regung, und zwar jede Regung, die tut, als sitze eigentlich überhaupt nichts: Selbstsicher und trotzdem unbeholfen auftreten, das kann niemand so wie Isabelle Huppert, deren Figur hier eine ziemlich klare Vorstellung von der Welt hat und gerade deshalb über manche Unklarheit zu stolpern droht. Bei der anderen hingegen sitzt jedes Bild, jeder Schnitt, einfach jedes Detail: Keine überflüssige Einstellung gönnt Mia Hansen-Løve ihrem Film, aber auch keine Zudringlichkeiten, durch die alles Nicht-Überflüssige zum Zweckdienlichen verkommt. Wenige können derart genau inszenieren und sich bei aller Ökonomie einen prägnanten Stil bewahren.

                                                    16