Rajko Burchardt - Kommentare
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Alle Kommentare von Rajko Burchardt
Danke für acht Jahre regen Austausch und unkomplizierte Zusammenarbeit, für wertvolle Hilfestellungen und tolle Ideen. Mach's gut!
Der Klang von Hupen und Pfeifen in den Rücklautsprechern, die verschmutzt vor der Einfahrt liegenden Spielsachen, das zentimetergenaue Parkmanöver mit Papas Ford Galaxie - in "Roma" scheint es kaum eine Einstellung zu geben, die nicht aus lebhaften Erinnerungen schöpft, kein Bild, das nicht reich ist an zu erkundenden Details, und fast keinen Schnitt, der nicht auch das Trügerische dieser Erinnerungen mitdenkt. Alfonso Cuarón ordnet die beiläufige und sich gerade dadurch bemerkbar machende Virtuosität seiner früheren Filme einer Erzählhaltung unter, die großen Kompliziertheiten im scheinbar Schlichten nachspürt.
Wo also "Children of Men" und "Gravity" noch eine Verständigung auf reinen Formalismus ermöglichten, vor allem über deutlich gesetzte ästhetische Bezugspunkte, lenkt "Roma" den Blick auf ein spezifisches Milieu und dessen Beziehungen. Cleo, die bis zur letzten Erschöpfung fürsorgliche Haushaltshilfe einer bürgerlichen Familie im Mexiko der 1970er Jahre, ist Cuaróns bislang vertrackteste Figur. Sie steht im emotionalen Zentrum eines Films, der aller Könnerschaft zum Trotz den Menschen gehört.
Offenbar kein wehleidiges Scheidungsdrama, sondern einen waschechten Horrorfilm hat Xavier Legrand mit dieser von Elterntrennung und Kindererziehung erzählenden Geschichte im Sinn gehabt. Um Abwägungen jedenfalls geht es bei "Nach dem Urteil nicht". Er setzt die zunehmende Gewalt eines tyrannischen Vaters unmissverständlich als Folge ungleicher Machtverhältnisse in Szene. Mit einer Eskalationsdramaturgie, die trotz Vorahnungen des Unvermeidlichen nicht vorbereitet auf ihren atemlosen Schlussteil. Erahnen lässt allenfalls der Wissensvorsprung durch jenen oscarnominierten Kurzfilm, den Legrand mit gleicher Besetzung und gleichen Figuren wenige Jahre zuvor drehte, dass die in der Luft liegende Nervosität tatsächlich etwas Grauenhaftes antizipiert: Einen Mann, der zwar von monströser Gestalt, aber doch allzu sehr Mensch ist, und zu dem selbst der weggelaufene kleine Sohn verängstigt zurückkehrt, weil es letztlich doch kein wirkliches Entkommen vom Patriarchat gibt.
Inspirative Erbaulichkeitskitschfilme trotzen jeder Wahrscheinlichkeit (was erstmal super ist), haben also nicht das geringste Interesse an Plausibilität, und müssen als überzeugende Kinopredigten außerdem unüberbrückbare Widerstände leugnen (was nicht mehr ganz so super ist) und die Erzählung mit ihren Konflikten versöhnen (was dann zum großen Ärgernis wird). Im Speziellen unerträglich sind inspirative Filme, die zu diesem Zweck Menschen mit Behinderung, Krankheiten oder anderen Dingen, die sie angeblich besonders und daher für ihre Umwelt anregend machen, instrumentalisieren.
"Wunder" erzählt von Auggie, einem 10-jährigen Jungen mit Gesichtsfehlbildungen, der kein normales Kind sein darf, sondern von Drehbuch und Regie dazu verdonnert wird, jeden um sich herum zu einem besseren Menschen zu machen - den zunächst nicht ganz so besten Freund toleranter, den von reichen Eltern abhängigen Schulleiter durchsetzungsfähiger, die ihn verleugnende ältere Schwester aufrichtiger. Am Ende versichert Mutti Julia Roberts, dass Auggie ein Wunder sei. Und wer sich da noch nicht übergeben hat, zückt gerührt die Taschentücher.
Eine politische Familienchronik, mit Worten aus Briefen erzählt: Gefühle im ständigen Bezug zu den Verhältnissen, intime Geständnisse als Mentalitätsgeschichte. Aufgespannt ist das zwischen der Weimarer Republik, dem Hitlerfaschismus und der deutschen Teilung, wobei der Abschnitt über die nahende Deportation so grandios und beklemmend geriet, dass der Film sich davon fast nicht mehr erholen kann. Ihm fehlt auch, stellte Georg Seeßlen richtig fest, Raum zum Atmen – nach den vergleichsweise reizlosen Einblicken ins bürgerliche DDR-Milieu soll noch der historische Spagat zur Gegenwart gelingen. Faszinierend und problematisch, wie so viele Arbeiten von Thomas Heise.
Kinoproduktionen über das indigene Volk der Sami, die jahrhundertelang unterdrückte ethnische Minderheit der skandinavischen Halbinsel, lassen sich an einer Hand abzählen. Von ihrer gesellschaftlichen Ächtung erzählt Regisseurin Amanda Kernell aus Sicht eines 14-jährigen Mädchens, das im Schweden der 1930er Jahre Rassifizierung und Segregation der Sami am eigenen Leib erfährt. Durch gewaltvolle Ausgrenzung und jugendliche Findungsschwierigkeiten in Selbstzweifel gestürzt, verbrennt das Mädchen seine samische Tracht und läuft davon.
Bewegender noch als diese fiktiv-biographische Rekonstruktion eines vergleichsweise wenig bekannten Kapitels europäischer Rassismusgeschichte ist die in der Gegenwart spielende Klammer des Films. "Das Mädchen aus dem Norden", nunmehr 78 Jahre alt, blickt darin auf ein von verinnerlichter Diskriminierung und Herkunftsleugnung geprägtes Leben zurück. Oft werden solche Filme klein genannt und leider auch klein gehalten. Doch tatsächlich könnten sie größer kaum sein.
[...] Vielleicht besteht der eigentliche Witz von "Sie leben" in seiner Grobschlächtigkeit. Die mit dickem Pinselstrich gezogenen kapitalismuskritischen Storyelemente werden gerade durch konsequente Vereinfachung in unterschiedlichster Weise deutbar, noch jede politische Richtung kann sich auf Angstfaktoren wie Obrigkeitsskepsis, mediale Manipulation und uneingelöste Selbstoptimierungsversprechen einigen. Selbst John Carpenters Klassenkomödie ist damit ein Film des reinen Stils. Er beendete das produktivste und von reichlich frustrierenden Erfahrungen geprägte Jahrzehnt seiner Karriere mit einer Schlussnote, deren Grimmigkeit zur bestimmenden Konstante des gesamten mittleren und späten Schaffenswerks wurde. [...]
Zur kuriosen Rezeption des Vorgängers gehörte die Behauptung, er sei eine willkommene Abwechslung vom bunten Marvel-Mainstream, weil es einerseits sehr brutal und frech darin zugehe, sich der Film aber andererseits auch selbst auf die Schippe nehme. Großzügig übersehen wurde offenbar, dass "Deadpool" abzüglich seiner Blutspritzer genau da weitermachte, wo die kinderfreundliche Konkurrenz des Hauptmarkenverwalters anfing: Beim unaufhörlichen Runterrattern des eigenen Referenzkatalogs, der stolzen Verweigerung von Ernst und jedweder Bedeutung sowie einer sehr braven und komplexitätsreduzierten Idee des Superhelden.
Auch "Deadpool 2" ist viel zu feige, mit diesem Konzept zu brechen. Noch einmal werden die nervigsten, längst überwunden geglaubten Elemente der Kinopostmoderne ausgebuddelt, um sich eingeweiht fühlende Zuschauer mit Witzen für vorgebliche Kenner zu bespaßen. Die Selbstreflexivität des Films beginnt und endet in der Feststellung seiner Hauptfigur, dass er zwar schlecht geschrieben und nur eine Wiederholung des Bekannten sei, allerdings trotzdem super gefunden werden müsse, weil er diese Mängel ja zum Thema mache.
Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas und die afroamerikanische Sexualpädagogin Mollena Williams-Haas suchten 40 Jahre lang nach dem richtigen Partner. Nun leben sie glücklich in einer BDSM-Beziehung, in der Mollena 24 Stunden am Tag Georgs "Sklavin" und er ihr "Meister" ist. Die Filmemacher Beatrice Behn und René Gebhardt haben das Paar ein Jahr lang begleitet, vielschichtig unterwandert ihr Film Klischees, Vorurteile und den normativen Blick auf Liebe und SM - er porträtiert zwei Menschen, die erst in der Beziehung zueinander sich selbst gefunden haben. [...]
Hier offenbart sich die ganze gegenwärtige Agonie eines Genres, zu dem vielleicht wirklich schon alles gesagt und gezeigt wurde. Duncan Jones, den manche aus unerfindlichen Gründen seit 10 Jahren für ein großes Regietalent halten, besitzt keinerlei Gespür für Science-Fiction. Er hat zweifellos die richtigen Filme gesehen, aber konsequent falsche Schlüsse aus ihnen gezogen. Stellenweise wirkt "Mute" so kolossal gegen die Wand gefahren, dass sich die Frage aufdrängt, ob ihn die Welt möglicherweise kollektiv missverstanden hat. Sollte er irgendwann tatsächlich neu entdeckt und gefeiert werden, muss ich das hoffentlich nicht mehr erleben.
"Sorry Angel" spielt 1993, das Jahr, in dem mit "Philadelphia" die erste Hollywoodproduktion über Aids erschienen ist, und in dem Jane Campion bei den Filmfestspielen von Cannes als bislang einzige Frau die Goldene Palme gewann. Im Kino muss daher die Liebe beginnen, von der Christophe Honoré hier erzählt. Es läuft "Das Piano", Campions Siegerfilm, und draußen geht die Angst vor einer unheilbaren Krankheit um. Ganz kurz darf der Saal ein Schutzraum sein, in dem allein Blicke zählen, und das träumerische Landei verguckt sich in den HIV-positiven Zyniker aus dem ewigen Sehnsuchtsort Paris.
Mit seinen Musicals "Chanson der Liebe" (2007) und "Die Liebenden" (2011) empfahl sich Honoré als ironieresistenter Nostalgiker, dessen film- und literaturhistorisch motiviertes Formbewusstsein frei von Angeberei ist. In "Sorry Angel" gerinnt das ausgeprägte Sinnieren über die Kunst und das Leben erstaunlicherweise nicht zu jenem französischen Kinoklischee, dem es vermutlich sogar entspringt. So ungezwungene, schlicht wunderbare Filme können momentan nur wenige drehen.
Dass Superhelden-Filme aus Kino schlechtes Fernsehen gemacht haben, zählt wohl zu den besonderen Reizen von Marvel-Produktionen, deren Anhänger alle paar Monate 15 Euro für die neueste Doppelfolge ihrer ewig laufenden Lieblingsserie zu zahlen bereit sind. "Avengers: Infinity War" trägt das Versprechen auf Endlosigkeit sogar im Titel, wobei eine jede Sekunde spürbare Lauflänge von 150 Minuten die Richtung vorgibt (den Russo-Brüdern zufolge hat sich das Format des zweistündigen Films sowieso überholt). Das Erstaunlichste an dieser plotfrei aufgeblasenen und äußerst hässlichen Spielzeugwerbung ist, mit welcher Inbrunst, Leidenschaft und teils auch Geschocktheit über angebliche Figurentode debattiert wurde, als würde Marvel sich tatsächlich wichtiger Protagonisten entledigen - oder als sei in diesen Filmen jemals etwas konsequent, notwendig und relevant gewesen. Daran zeigt sich eine in der Tat respektable Wirkmächtigkeit, die augenscheinlich vergessen oder gar nicht erst beachtenswert macht, dass das vor grünen Wänden und weitgehend ohne zwischenmenschliche Verständigung gedrehte Digitalgetöse zwar Bilder in Bewegung zeigt, sonst aber eigentlich nicht mehr viel mit einer Definition von Film zu tun hat.
Jane Austen als konfuzianisches Sittenbild. Im englischen Landadel des 19. Jahrhunderts spielt dieser Film, er zeigt eine Welt der falschen Gefühle, der absurden Knickse, tristen Entschuldungsgesten, und hinter jeder zwischenmenschlichen Regung haust irgendein pragmatischer Gedanke, der Figuren zwischen Aufbruch und Selbstverleugnung, Begehren und Pflichtbewusstsein beschwert. Daraus hat Ang Lee, was keine leichte Aufgabe ist, einen ungekünstelten Film gedreht, evokativ und doch zurückhaltend, im Verzicht auf Ausagierungszwänge, denen so viele andere Filmemacher verfallen. Es ist seine respektvolle Distanz, die überhaupt erst Nähe zu den Figuren ermöglicht, mit räumlichen Anordnungen, die jenen "Sicherheitsabstand zwischen den Menschen" betonen, "den die gute Erziehung einzuhalten gebietet" (Fabienne Liptay). Für besonders herzzerreißende Momente sorgt Alan Rickman. Niemand hat den früh verstorbenen Schauspieler und dessen sonore Stimme zärtlicher in Szene gesetzt als Ang Lee.
Über die geschmacklose Parallelmontage von Frauen in Gaskammern und Luftangriffen auf Dresden diskutierten Kritiker schon bei den Filmfestspielen von Venedig, in deren Wettbewerb sich "Werk ohne Autor" verirrt hatte, bevor er auch noch als deutscher Beitrag für die Oscarverleihung 2019 ausgewählt wurde. Zu den denkwürdigsten Momenten des Filmjahres zählte die Nachfrage einer Journalistin auf der Pressekonferenz in Venedig zum Sinn ebendieser Szene, was Florian Henckel von Donnersmarck erst in Verlegenheit und dann sichtlich durcheinander brachte. Der Grund ist simpel, es gibt keine oder jedenfalls keine unpeinliche Erklärung dafür, den Vernichtungswahn der Nazis und die Versuche seiner Bekämpfung durch die Westalliierten in ein gemeinsames Bild zu setzen. Und wer es schließlich doch tut, wider besseres Wissen oder weil er die Implikationen nicht scheut, muss sich mindestens den Vorwurf gefallen lassen, einen sehr dummen Film gemacht zu haben. In seiner Vulgarität ist der Moment allerdings auch ein treffliches Symbol. Die Unfähigkeit des deutschen Kinos, deutsche Täterschaft relativierungsfrei abzubilden, kam selten großkotziger zur Geltung.
Hab schon Tickets gekauft. *freu*
Albern.
Zunächst geht es "Ex Libris" um Bibliotheken als Labyrinthe des Wissens: Ein gigantischer Apparat der Informationsverwaltung, in dem Organisation unbedingt Vorrang haben muss. Verhandelt wird die New York Public Library aber zugleich als Begegnungsstätte und Diskursraum, in dem jede Organisation dem Informationsaustausch dient. In Bibliotheken, heißt es an einer Stelle, stünden Menschen im Mittelpunkt, nicht Bücher. So lauscht der Film einerseits gebannt und zeigt andererseits gebannt Lauschende. Er thematisiert Zugangsschranken, gesellschaftliche Ungleichheit und die Anstrengungen, bibliothekarischen Vorrat sowohl zu erhalten als auch ständig zu vermitteln. Natürlich gibt es auch Besucher und -nutzer, die gehörigen Unsinn erzählen, und das sind sogar die spannendsten Passagen. Mit über 80 Jahren beobachtet Frederick Wiseman präziser als viele jüngere Kollegen. Sein Film dauert 210 Minuten und ist keine Sekunde zu lang.
Manchen geht Paul Thomas Anderson fürchterlich auf die Nerven. Sie halten ihn für wichtigtuerisch und versteift, mögen den Mut zur großen Geste nicht, das Barocke, den Kitsch, die Schrillheit. Und dass in seinen Filmen alles am rechten Platz sein müsse, sich selbst das Enervierende noch zu fügen habe. Solche und ähnliche Einwände begleiten Andersons Karriere seit 20 Jahren, den Grundstein legte vermutlich "Magnolia". Obwohl ihm ein leichtfüßiges Intermezzo mit Adam Sandler folgte, wirken die Zweifel am so überwältigenden wie -fordernden Supermelodram bis heute nach. Natürlich ist Anderson in Wahrheit ein vollkommen unprätentiöser Filmemacher. "Phantom Thread", seine bisher reflektierteste Regiearbeit, offenbart einen abgründigen Humor gerade in den offenen und bis zuletzt unverschlossen bleibenden Nähten. Am Ende dieser von Domestizierung und Selbstaufgabe erzählenden Liebesgeschichte werden Krämpfe verlagert statt gelöst. Das Ergebnis ist kein um Makellosigkeit bemühter Film, sondern lediglich ein weiteres, locker aus dem Ärmel geschütteltes Meisterwerk von Paul Thomas Anderson.
Mag sein, dass meine persönliche Abneigung gegenüber bestimmten Drehbuchmechaniken, zum Beispiel den unsäglichen Missbrauch historischer Erzählungen für gegenwartsschlaue Kommentare und Woke-Dialoge, es mir von vornherein unmöglich macht, Filme wie "Can You Ever Forgive Me?" nicht unerträglich zu finden. Gewundert hat mich dennoch, dass keine Kritik, jedenfalls keine, die ich las, ein Problem zu haben schien mit Richard E. Grants übertrieben effeminierter Performance einer Figur, die keine über ihr Schwulsein hinausweisenden Eigenschaften besitzt, und so etwas, im Gegenteil, sogar für preiswürdig erachtet wird. Zumal der Film auffällig flach gedreht ist (ähnlich wie Marielle Hellers Vorgänger, der seinerseits recht dümmliche "Diary of a Teenage Girl") und keinerlei Gespür für Lee Israels literarische (Aneignungs-)Qualitäten sowie jene offenbar sehr überzeugend gestalteten Fälschungen vermittelt, die sie zur resignierten Heldin der Geschichte machen.
"Can You Ever Forgive Me?" startete in den deutschen Kinos am selben Tag wie "Boy Erased" und etwa einen Monat nach "The Favorite", zwei ebenfalls von nicht-heteronormativem Begehren erzählenden Filmen. Misslungen sind sie auf insgesamt sehr unterschiedliche Weise, wobei sie allesamt zur figuralen Vereinfachung neigen (Queerness als plot device: der heimlich schwule Konversionstherapeut, die lesbischen Intrigen von Machtfrauen). Im Oscar-Kontext 2019, der noch "Green Book" und "Bohemian Rhapsody" mit einschloss, kommen dann Revision und Verschämtheit hinzu, besonders grotesk beim Queen-Biopic, das Homosexualität als Exzess mit anschließender AIDS-Diagnose zeigt, die Freddie Mercury in einem sakral anmutenden Krankenhaus erhält, durch dessen dunkle Gänge er schleichen muss, vorbei an sichtbar von der Krankheit ausgemergelten Patienten. LGBT-Kino, oder auf welche Formel auch immer man diese Filme bringen möchte, war schon mal deutlich weiter.
Nichts als Liebe für in Hollywood spielende Kriminalgeschichten und ihre mit der US-amerikanischen Filmproduktion verknüpften Totschlagsplots! Zum einen, weil sich da ein Mythos hinter dem Mythos versteckt, die Traumfabrik als Schlangengrube, in der buchstäblich über Leichen gegangen wird, ein Hollywood Babylon im Kenneth Angerschen und somit überhöhten Sinne, aber auch weil das Ökonomische und Vertrackte deutlich wird, ein Studiosystem nämlich, öffentlichkeitswirksam und doch gänzlich abgezirkelt, dessen Produktivität selbst noch Verbrechen zu kaschieren im Stande gewesen wäre. Doppelter Budenzauber quasi, von dem ein Film wie "Hollywood Story" profitiert, obwohl er sich, denn gedreht hat ihn der unermüdlich fürs Kino begeisterte William Castle, nicht die Schlangengrube selbst vornimmt (das hat er Billy Wilder und später Robert Altman überlassen), sondern den Mord eines Stummfilmregisseurs sogar über Mittel der Filmproduktion zur Aufklärung bringt, inklusive finaler Täterhatz durch Requisiten. Gimmick-Maestro Castle, das vergessen heute viele, war ein effizienter Studiohandwerker. Und seine markante Zweckmäßigkeit steckt hier bereits im anfänglichen Voice-Over: "A deserted motion picture studio, a shot, and a corpse – the year: 1929".
[...] Grundsätzlich wird jeder Film besser, wenn die Menschen darin plötzlich zu singen und tanzen beginnen. In "Saturday Church" bewahren die intimen Musical-Momente den mit allerhand schweren Themen beladenen Film nicht zuletzt davor, in didaktische Problemvermittlungsstrategien abzudriften. So gibt es zum Beispiel eine Aussprache zwischen Mutter und Sohn, die als gesungene Variante gleich erheblich weniger klischeehaft wirkt, als sie es vielleicht ist. Im besten Sinne eingängig präsentieren sich die Songs als melancholische Popballaden, die ohne Stilisierungen auskommen und den Figuren Erleichterung vom tristen Alltag verschaffen. Eher genreunüblich scheint die Kamera wie erstarrt von den leidenschaftlichen Gefühlsausschüttungen der Figuren – und auch im Schnitt, dem entscheidenden rhythmischen Instrument von Musicals, hat Regisseur Damon Cardasis sich offenbar bewusst zurückgenommen. [...]
[...] Allenfalls oberflächlich hält Dumbo, der sich wie "Alice im Wunderland" als Realfilmversion eines Disney-Zeichentrickklassikers begreift, jener vorteilhaft-biographischen Lesart stand, die seine Erzählung vom kommerziell ausgebeuteten Elefanten mit Tim Burtons eigenen Studioerfahrungen zusammenbringt. Tatsächlich reflektieren in der zweiten Hälfte des Films nicht die rigorose Vermarktung und der über Leichen gehende Erfolgsdruck eine dem Unternehmen ähnliche Kompromisslosigkeit, sondern verkörpert der Schlappohrenprotagonist selbst die zweifelsfrei affirmative Idee vom Disney-Branding. Als vermeintlicher Sonderling, der einen Nach- zum Vorteil wendet, bewegt sich Dumbo nur so lange auf Burton-Linie, wie er im Disney-Sinne anpassungs- und also marktfähig bleibt. Beschwippst von Rosaelefanten träumen darf der kleine Held 2019 deshalb nicht mehr. Burton musste die tollste Sequenz des Originalfilms gegen schnell verpuffende Seifenblasen eintauschen.
Über die Filme von Lars von Trier lässt sich unterschiedlich geistreich schmunzeln. Witz haben sie allesamt, auch seine von unmöglichster Aufopferung erzählenden Dramen. Schon Dogma 95, das ästhetische Manifest der neuen dänischen Lieblingsregisseure des Weltkinos, war im Kern ein Jokus, an dessen vorgebliche Regeln sich die Unterzeichner am allerwenigsten hielten. Dass also gerade der für seine Derbheiten zum Skandalwerk hochgejazzte "The House That Jack Built" eine Komödie ist, ließ sich irgendwie erahnen, wenngleich natürlich nicht jeder lachen mag über ein Kind, das erschossen und zur grinsenden Puppe umpräpariert wird. Matt Dillon, der hier als von Putzneurosen geplagter Serienkiller wieder und wieder an Tatorte zurückkehrt, auf der Suche nach möglichen Verunreinigungen, ist grandios komisch, genau wie der ständig von Bruno Ganz abgewürgte Versuch, die eigene Mordlust zu erklären. Weil der Film konstant sowohl blumige Bilder männlicher Hybris als auch die Misogynie seiner Hauptfigur hinterfragt, ist er in Lars von Triers Selbsttherapiekino vielleicht die bisher aufschlussreichste Sitzung.
Eigentlich ist schon die Idee eines "Conjuring"-Franchise recht irre: Gegenstände und Figuren, die als Überbleibsel von paranormalen Hilfseinsätzen im Haus eines Dämonenjägerehepaars verschimmeln, sollen das Zeug zur großen Kinoerzählung haben. Neben den regulären, wenigstens noch mit Vera Farmiga und Patrick Wilson besetzten Sequels werden deshalb auch Filme über die hässliche Puppe Annabelle oder jene dämonische Nonne gedreht, die in "Conjuring 2" für einige schlechte Jump-Scares verantwortlich war. Natürlich hätten die Macher genauso gut Spin-offs zu alten Bettlaken oder knarzenden Standuhren in Produktion geben können - entscheidend ist allein, dass sich jeder filmische Furz zum niemals endenden Cinematic Universe ausbauen lässt. Dass "The Nun" zu Beginn ungefähr zwei Sekunden an europäische Exploitation-Filme der 1970er Jahre erinnert, sollte nicht irritieren. Dies ist ein aktueller Horrorfilm wie jeder andere, mit Kinoeinahmen von 365 Millionen Dollar lediglich ein besonders erfolgreicher. Bieten möchte er außer lauten Soundeffekten und willkürlich aufblitzenden Fratzen nichts. Wer keine Ideen hat, lässt es einfach ständig knallen. Und Ideen hatten die "Conjuring"-Produzenten ja wirklich noch nie.
Geschichten über Menschen, die Terroristen in den Arsch treten, kann es eigentlich nicht genug geben, was auch einmal für die Regiearbeiten von Clint Eastwood galt, bevor er mit Stühlen sprach und Filme von bemerkenswerter politischer Schlichtheit drehte. In "The 15:17 to Paris" bekommen wir es erneut mit Figuren zu tun, die sich für Football, Gott und Feuerwaffen interessieren, wobei die Fähigkeiten im Umgang mit solchen Waffen bereits frühkindlich angelegt und Voraussetzung des heldenhaften Handelns sind, auf das der Film gemächlich zusteuert. Da die Figuren also kaum deutlicher als Eastwood-Prototypen identifizierbar sein könnten, hat der 88-jährige seinen Film über einen vereitelten Terroranschlag in Frankreich mit jenen US-Amerikanern besetzt, die tatsächlich 2015 im Thalys-Zug das Schlimmste verhinderten. Was dadurch an mutmaßlich beabsichtigter Authentizität gewonnen wird (keiner der Darsteller kann vor der Kamera einen Satz geradeaus sprechen), summiert sich zum sonderbaren Reenactment, das jede Irrelevanz im Leben der Helden auf Amateurfilmniveau ausbreitet. Eventuelles Durchhaltevermögen wird dann mit einem fassungslos machenden Abschnitt belohnt, der in Deutschland spielt.