Patrick Reinbott - Kommentare
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Alle Kommentare von Patrick Reinbott
[...] Im Gegensatz zu den gängigen populären High-School-Filmen, von denen die 90er Jahre spätestens mit Beginn der Mitte des Jahrzehnts nahezu überflutet wurden, rückt Andrew Fleming (Vision der Dunkelheit) in seinem Film Der Hexenclub zur Abwechslung die gescholtenen Außenseiter in den Vordergrund. Nur ein Jahr zuvor entwarf Regisseurin Amy Heckerling (Kuck mal, wer da spricht) mit Clueless - Was sonst! eine rasch zum Kult avancierte Blaupause für bunte Teenie-Stereotypen, Cliquenbildung und alles, was zum turbulenten Alltag an US-amerikanischen Schulen dazugehört. Diese Vorlage, für die vor allem auch ein Gespür für den 90s-Zeitgeist und die dazugehörigen Outfits und Frisuren von entscheidender Bedeutung ist, greift Fleming für seinen Film dankend auf. [...] Den prägendsten Eindruck hinterlässt Der Hexenclub somit zwangsläufig durch seine modische Ästhetik, für die Fleming den federleichten Pop-Appeal der üblichen High-School-Komödien mit rotzigen Punk-Posen unterwandert und somit eine bestechende Mischung kreiert, die als eine Art Zeitkapsel direkt in das Bewusstsein aufrührerischer Teenie-Rebellionen führt. Wie einflussreich und inspirierend sich Flemings Film, der mit markanten Jungdarstellerinnen wie Neve Campbell (Scream - Schrei!) und Fairuza Balk (American History X) besetzt ist, entwickeln sollte, lässt sich in der Popkultur beispielsweise auch an nachfolgenden Veröffentlichungen ablesen. So haben die Schöpfer der Hexen-Mystery-Soap Charmed, die erstmals im Jahr 1998 ausgestrahlt wurde, für den Vorspann sicherlich nicht zufällig den Song How Soon Is Now? der Band Love Spit Love ausgewählt, die das Stück zuvor als Coverversion des Originals von The Smiths für den Soundtrack von Der Hexenclub beigesteuert haben. Auf der inhaltlichen Ebene entpuppt sich das Werk hingegen als leidlich innovative Abwandlung vertrauter Erzählklischees, die von Fleming weitaus weniger subversiv angeordnet werden als es zunächst den Anschein erweckt. Nachdem sich das Quartett immer stärker der dunklen Seite voller schwarzer Magie und Hexenkräfte hingibt und die neu erlangten Fähigkeiten dazu nutzt, ordentlich Chaos und Unheil zu stiften, bewegt sich die Handlung nach und nach auf einen vorhersehbaren Konflikt zwischen den Mädchen zu. Mit der Kombination aus unreifer Teenager-Adoleszenz und dunklem Humor sorgt Fleming für den ein oder anderen gelungenen, mitunter herrlich bösartigen Moment, wenn enttäuschende Liebhaber aus dem Fenster geschleudert werden, fiesen Mobberinnen die Haare ausfallen oder unliebsame Elternteile gleich vollständig das Zeitliche segnen. Einflüsse aus dem Horror-Genre bleiben jedoch kaum mehr als vergnügliche Spurenelemente, weshalb der banale Zwist zwischen den Protagonistinnen, den Fleming im Finale immerhin mit gehörigem Effekt-Gewitter aufpeppt, innerhalb der müden Konventionen des Teenie-Films verläuft, an dessen Ende zudem ausgerechnet die moralische Läuterung oder Bestrafung der rebellischen, gegen den Strich gebürsteten Außenseiterinnen steht. [...]
[...] In Eliza Hittmans (Beach Rats) Spielfilmdebüt It Felt Like Love nehmen Körper das Zentrum des Films ein. Schon in den ersten Szenen, die weitestgehend ohne Worte oder Dialoge auskommen, folgt die Kamera bevorzugt den Bewegungen der jungen Figuren, verharrt in Gesichtern, in denen sich Erwartungen und Unsicherheit abzeichnen, und verweilt auf Körperpartien, die sich erschöpft dem lethargischen Stillstand ergeben. Dabei erzählt die New Yorker Regisseurin eine recht simple Coming-of-Age-Geschichte, die sie irgendwo in Brooklyn ansiedelt, ohne jemals zu konkret bei den Schauplätzen und Orten zu werden. Hittman entzieht sich in ihrem Werk dem Spezifischen und formt stattdessen ein allgemeingültiges Lebensgefühl über das Heranwachsen, Bedürfnisse und Verlockungen sowie ständige Orientierungslosigkeit. [...] Indem sie sich der Persönlichkeit ihrer Protagonistin eher zaghaft annähert und stumme Gefühle, unterdrücktes Begehren und unerfüllte Sehnsüchte vage umkreist, findet Hittman vor allem über die Ästhetik ihres Films zu einem visuell fühlbaren Ausdruck der Identitätssuche, von der Lila angetrieben und gleichzeitig geplagt wird. It Felt Like Love, dessen Titel bereits als vorsichtige Rechtfertigung für ein eventuelles Fehlverhalten gedeutet werden kann, verschreibt sich der Teenagerin über Kameraeinstellungen, die den Bereich um Lila herum regelmäßig in Unschärfe verschwimmen lassen. Von der Protagonistin selbst sind oftmals nur einzelne Teile ihres Körpers zu sehen, um ganz bewusst den Eindruck eines vollständigen, intakten Menschen zu kaschieren. Am liebsten scheint Hittman mit der Kamera nur in das Gesicht von Hauptdarstellerin Gina Piersanti (Here Alone) blicken zu wollen, die mit ihren eigenen Augen wiederum ständig nach irgendetwas zu suchen scheint oder gerade noch einen bestimmten Moment erhaschen will. [...] Innerhalb der erzählerischen Konventionen des Coming-of-Age-Films, die sie kaum durchdringt, schildert die Regisseurin vielmehr jenes belastende Gefühl der Jugendlichkeit, durch das sich viele Betroffene fühlen, als seien sie für ihr Umfeld unsichtbar. Hittman visualisiert diesen Zustand teilweise mit überaus poetischen Einfällen, wenn Lila in einer Szene des Films beispielsweise förmlich mit den hochgewachsenen Grashalmen einer Wiese verschmilzt, während sie ihre beste Freundin bei Liebeleien mit deren Freund beobachtet. Selbst die Umgebung der Hauptfigur rückt die Regisseurin manchmal in einen völlig neuen Kontext. Nachdem es Lila endlich gelingt, dass sie von Sammy zu sich in seine Wohnung eingeladen wird, findet sie sich zwischen ihrem Schwarm und dessen Kumpel auf dem Sofa wieder, wo die beiden in Anwesenheit der Teenagerin Gras rauchen und einen Porno anmachen. Kein einziges Mal fängt die Kamera währenddessen eine klar erkennbare Szene des Pornos ein, wodurch ausschließlich das monotone Stöhnen der Darsteller zu hören ist, welches der Atmosphäre eine zunehmend beklemmende Eintönigkeit verleiht. Das Ausblenden des sexuellen Akts entspricht speziell in dieser Passage zudem noch einmal dem zentralen Dilemma der Protagonistin, die in diesem Moment auf verzerrte Weise sieht, was sie begehrt, ohne fühlen zu können, was dieses Begehren eigentlich genau ist. Eine Lösung findet Hittman nur im angedeuteten Ende der Unschuld, doch es ist ein Ende, das Liebe und Leidenschaft, Körperlichkeit und Trieb sowie Gefühle und Schmerzen miteinander verwechselt. Zurück bleibt ein bemerkenswertes Debüt, das über Leerstellen und Bruchstücke ein Bild von femininer Adoleszenz zeichnet, das Hoffnungslosigkeit, Zerbrechlichkeit und Zärtlichkeit zugleich ausstrahlt. [...]
Sichtlich abgenutzt und ohne erkennbare Botschaft stehen die drei Werbereklametafeln anfangs noch am Straßenrand in der Nähe von Ebbing, Missouri. Für Mildred Hayes, die in dem Örtchen irgendwo im amerikanischen Hinterland lebt, werden die leerstehenden Reklametafeln in Martin McDonaghs drittem Langfilm „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ zur Kampfansage gegen eine Kleinstadt, die durch Mildreds Handlung schlagartig wie aus dem Tiefschlaf gerissen wird. Sieben Monate zuvor wurde die jugendliche Tochter der Protagonistin vergewaltigt und ermordet, ein Täter wurde nicht ermittelt.
Vorbeifahrenden Menschen drängen sich die drei Botschaften „Raped while dying“, „And still no arrests“ und „How come, Chief Willoughby?“ nun in kurzen Abständen aufeinanderfolgend am Straßenrand förmlich auf. Unbehagen macht sich breit, vor allem im lokalen Polizeirevier, in dem besagter Chief Willoughby mit Officer Dixon, einem rassistischen Hitzkopf, der noch zu Hause bei seiner Mutter wohnt, umgehend alles daran setzen will, dass die Reklame auf den Werbetafeln so schnell wie möglich wieder verschwindet.
Die Art und Weise, mit der McDonagh die überwiegend mit schroffen oder schrägen Ticks behafteten Schlüsselfiguren in seinem Werk in Stellung bringt und auf einen möglichen Krieg zusteuern lässt, erinnert nicht von ungefähr an das filmische Schaffen der Coen-Brüder. Schon in seinem meisterhaften Langfilmdebüt „In Bruges“ etablierte sich der irische Regisseur hingegen als begnadeter Dramatiker, der selbst durch komplex miteinander verzweigte Schichten von Tragik und Komik zum innersten Kern seiner Figuren vordringen konnte.
Nach der eher ausgelassenen, verspielten Meta-Gangsterkomödie „Seven Psychopaths“ markiert „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ McDonaghs vermutlich komplexesten, herausforderndsten Film, was die extrem schmale Gratwanderung zwischen tief bewegendem Charakterdrama und unterhaltsamen Auflockerungen betrifft. Eindeutige Schwarz/Weiß-Kontrastierungen der verschiedenen Figurenpersönlichkeiten verschwimmen zu einem kantigen Grau, während die unausweichliche Schuldfrage, die den schrecklichen Tod einer jungen Frau umkreist, immer wieder neu im Raum steht, ohne jemals mögliche Antworten in Aussicht gestellt zu bekommen.
Über den Verlauf der Geschichte, die der Regisseur regelmäßig mit drastischen Konflikten, Zuspitzungen und Eskalationen anreichert, stößt McDonagh dafür abermals über gewalttätige Frustrationen, gebrochene Knochen, unschöne Brandwunden oder überraschende Todesfälle durch den dicken Schutzpanzer der Figuren, um ähnlich wie Mildred selbst für mehr Empathie zu kämpfen und ein verständnisvolles Bewusstsein zwischen Menschen zu schaffen, die sich vorher noch bis auf den Tod bekämpfen wollten.
Den tollen Score von Carter Burwell und die zusätzlich überaus stilsicher ausgewählten Originalsongs auf der Tonspur hätte es dabei fast gar nicht gebraucht. Durch das durchwegs exzellent besetzte Ensemble, in dem besonders Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell nochmal hervorstechen, entwickelt sich „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ wie von ganz alleine zur melancholischen Kleinstadtballade über den Schmerz des drohenden Vergessens, die Unfähigkeit zur angemessen Gerechtigkeit und die Notwendigkeit von verständnisvoller Zwischenmenschlichkeit, durch die sich selbst in den Gesichtern der verlorensten, gebrochenen Seelen nach langer Zeit mal wieder ein Lächeln abzeichnet.
Ein abgelegener Hinterhof irgendwo in Frankfurt bei Nacht, grimmig dreinblickende Fahrzeuginsassen, die sich Sturmmasken aufziehen und ihre Waffen durchladen und ein Coup, der fatal nach hinten losgeht. Der Auftakt von "Chiko"-Regisseur Özgür Yildirims Film "Nur Gott kann mich richten" setzt konsequenterweise da an, wo man den genreaffinen Deutsch-Türken auch in seinem neuesten Werk wieder einmal vermuten durfte. In den altbekannten Versatzstücken und Elementen des Gangsterfilms wühlt sich der Regisseur inmitten von druckvoller Kinetik, drastischer Zuspitzung und folgerichtiger Eskalation direkt zu Beginn zum Kern seiner zentralen Figuren vor.
"Nur Gott kann mich richten" ist ein Film, der durchgängig von der Straße aus gedacht ist. Die glänzenden Hochhausfassaden des Frankfurter Bankenviertels straft Yildirim daher mit Desinteresse, während selbst die Szenen in dem geordneten, sauberen Haus der Polizisten Diana, die später aufgrund von einer Verkettung unglücklicher Ereignisse in den Handlungsstrang der Kriminellen gezogen wird, wie klinisch aufpolierte Fremdkörper erscheinen. Das überwiegend klägliche Leben der meisten Figuren in diesem Film spielt sich stattdessen in Shisha-Bars, Stripokalen oder Kellern von Boxclubs ab, die der Regisseur oftmals als hermetisch von der restlichen Außenwelt abgeriegelten Mikrokosmos inszeniert, in denen ausschließlich die Regeln der Straße gelten.
Wie schnell hier ein Menschenleben seinen Wert verliert, muss auch Ricky wieder feststellen, als er nach einem verpatzten Raubüberfall und fünf Jahren Haftstrafe in die Freiheit entlassen wird, die für den Frankfurter wiederum ebenfalls von unsichtbaren Gitterstäben umzäunt zu sein scheint. Sein Bruder Rafael und sein Kumpel Latif waren ebenfalls in die misslungene Straftat verwickelt und auch sie zeichnet Yildirim nach den fünf Jahren, die zwischen dem Auftakt und der eigentlichen Handlung des Films vergehen, als gescheiterte Existenzen am Rand der Gesellschaft, die mit allen Mitteln gegen den Sturz in ihren persönlichen Abgrund ankämpfen. Ein neuer Plan, der endgültig den finanziellen Absprung ermöglichen soll, führt die drei Männer wieder als Komplizen zusammen und in das Zentrum der Kriminalität.
Leichtfertig ließe sich "Nur Gott kann mich richten" als ein einziges Gangster-Klischee abstempeln, doch dass dieser Ansatz in deutschsprachigen Produktionen fernab der üblichen Filmförderungsanstalten funktionieren kann, hat zuletzt beispielsweise auch Marvin Kren mit seiner Serie "4 Blocks" unter Beweis stellen können. Yildirims Film, für den passenderweise auch der tolle "4 Blocks"-Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan verpflichtet werden konnte, vereint ebenfalls Vorzüge aus zwei verschiedenen dramaturgischen Welten in sich. An der Oberfläche lebt die Atmosphäre von der rauen Authentizität, die sich in den mitunter holprig unkontrollierten Bewegungsabläufen der Figuren, den betont unattraktiven Schauplätzen und der Sprachweise widerspiegelt.
Die Dialoge werden nicht nur von den multikulturellen Slangs der unterschiedlichen Figuren und Milieus beherrscht, sondern unterliegen einer tonalen Eigenart, bei der gewöhnliche Dialoge überwiegend lauten Schreien, aggressiven Drohungen, explosionsartigen Ausreißern oder einem knurrigen Bellen unterliegen und regelmäßig in brutaler Körperlichkeit aufgelöst werden. Wenn Yildirim nicht gerade zum Handlungsstrang der von Birgit Minichmayr großartig gespielten Polizistin wechselt, der als starker Kontrast vor allem davon geprägt wird, was nicht ausgesprochen wird und dadurch intensiv unter der Oberfläche brodelt, besitzt "Nur Gott kann mich richten" eine konstant elektrisierende Grundstimmung, die der Regisseur zugleich mit privaten Verstrickungen und familiären Schwierigkeiten aus dem Leben der Hauptfiguren anreichert, damit diese immer wieder zu mehr werden dürfen als bloße Stereotype, die dem Gangster-Genre dienlich sein sollen.
Gegen Ende ist es aber vor allem die überraschende, bisweilen erschütternde Härte, die den Film bis zuletzt in tragische Gefilde befördert, die in diesem Ausmaß vorab nicht unbedingt abzusehen waren. Auch wenn Yildirim den ansonsten tristen Himmel Frankfurts spät im Film, vor dem unausweichlichen Showdown, mit einem violetten Schleier überzieht, bleibt das einzige hoffnungsspendende Licht in "Nur Gott kann mich richten" nur das ungeborene Leben, das erst noch auf die Welt gebracht wird.
Kunstvolle Sinnlichkeit und zum Trash neigender Voyeurismus sind die beiden Gegensätze, von denen François Ozons „L’amant double“ beherrscht wird. Der französische Regisseur eröffnet seinen erotischen Psychothriller hierfür mit einem Schnitt, den schon Luis Buñuel als Vorreiter des filmischen Surrealismus in seinem stilbildenden Kurzfilm „Un chien andalou“ verwendete. Bei Buñuel war es das Bild eines kugelförmigen Vollmonds, das in das Auge einer Frau übergeht, welches mit einem Rasiermesser durchgeschnitten wird. Ozon lässt die Kamera hingegen gleich zu Beginn langsam aus einer Vagina herausfahren, um das Bild im selben Moment mit dem Auge der gleichen Frau zu überlagern, die dem Regisseur als Protagonistin dient.
Als Patientin sucht die 25-jährige Chloé den Psychiater Paul auf, da sie seit langer Zeit von chronischen Bauchschmerzen geplagt wird. Maßnahmen wie Diäten oder der Verzicht auf spezielle Lebensmittel haben nichts verändert, bis auf die Tatsache, dass die junge, sehr schlanke Frau durch ihr Erscheinungsbild nur noch verletzlicher und labiler erscheint. Ihr Leiden ist offenbar psychosomatisch bedingt, weshalb sie sich bei dem sensiblen, aufmerksamen Paul in Behandlung begibt und sich endlich Besserung erhofft.
In den anfänglichen Therapiesitzungen, die Ozon wie seinen gesamten Film in kühlen und doch anziehenden Einstellungen inszeniert, offenbart sich Chloé als depressive Frau, die ihre vergangene Karriere als Model aufgegeben hat und als Tochter unter einer Mutter leidet, zu der sie keinen Kontakt mehr hat, da sie kein gewolltes Kind war und von den Großeltern aufgezogen wurde. Wenig später muss Paul die Behandlung von Chloé abbrechen, da ihm das passiert ist, was zwischen Psychotherapeuten und Patienten niemals passieren darf: Er hat tiefe Gefühle für Chloé entwickelt und sich in sie verliebt.
Durch das Beziehungsverhältnis, das Paul und Chloé von nun an als Liebespaar eingehen, häufen sich die mysteriösen Geheimnisse zwischen den beiden Figuren. Zur gefährlichen Amour fou kommt es allerdings erst, nachdem Ozon Pauls Zwillingsbruder in die Geschichte seines Films einbaut, von dem die Protagonistin zufällig erfährt und den Paul vor ihr geheim hält. Louis sieht Paul nicht nur zum Verwechseln ähnlich, sondern ist ebenfalls Psychiater, in dessen Behandlung sich Chloé fortan begibt, was sie wiederum vor Paul geheim hält. Im weiteren Verlauf der Handlung, für die der Regisseur auf düstere Dopplungen, trügerische Maskeraden und verhängnisvolle Affären zurückgreift, entwickelt sich „L’amant double“ fortwährend zu einem wirren Traumspiel zwischen kruden psychologischen Motiven, offensichtlichen Wendungen und weniger offensichtlichen, dafür umso abstruseren Wendungen.
Wie sich Ozon zwischen den klinisch sauberen Bildern immer wieder an schmutzige Abgründe und aufreizende Details heranwagt, wenn er in das sexuelle Spiel seiner Hauptfiguren beispielsweise einen Umschnalldildo als lustvolles Austesten von Grenzen integriert, weist durchaus Züge zu den an Alfred Hitchcock angelehnten Thrillern von Brian De Palma auf. Zwei Regisseure, über die sich Ozon keinesfalls überraschend als großer Fan geäußert hat. Dabei erinnert gerade die Figurenkonstellation der Zwillingsbrüder, die hier wie voneinander entfremdete Konkurrenten im gleichen Berufsfeld arbeiten, an das Gynäkologen-Zwillingspaar aus David Cronenbergs „Dead Ringers“, wobei Chloé in der Rolle des unklaren Objekts der Begierde oder auch anderer, wesentlich drastischerer Obsessionen als zunehmend überforderte Außenstehende zwischen Paul und Louis in ein undurchsichtiges Netz aus Lügen, Gewalt und Sex gerät.
Trotz des offensichtlichen Anbandelns mit lupenreiner Genre-Stilistik, die Ozon unter anderem in Form von unheilvoll dröhnender Musik wie aus einem verstörenden Horrorfilm bevorzugt unter die immer häufiger vorkommenden Traumsequenzen legt, bleibt der Franzose im Kern unübersehbar ein Drama-Regisseur. In dieser Hinsicht fällt „L’amant double“ enttäuschend banal aus, wenn Ozon das aus der Psychoanalyse bekannte Doppelgänger-Motiv lediglich für eine schlichte Unterteilung in Gut und Böse verwendet, während Chloé als einzige weibliche Hauptfigur überwiegend zum wehrlosen Spielball des Regisseurs mutiert. Die psychischen Belastungen der Protagonistin, die Ozon in erster Linie über ihre sichtbare Körperlichkeit regelrecht oberflächlich abtastet, bleiben kaum mehr als grob umrissene Impulsgeber für die erzählerischen Haken, die der Regisseur im Verwirrspiel der uneindeutigen Identitäten, verdrängten Zwillinge und traumatisierten Individuen bis zu einem finalen, grotesken Twist schlägt, der „L’amant double“ als unausgegorene Kombination von kühler Arthouse-Dramatik und freizügigem, schrillem Psycho-Horror endgültig in sich zusammenfallen lässt.
[...] Erst sind es nur Horden von Elternpaaren, die sich vor den Fenstern und Zäunen der Schulgebäude wie zombieähnliche, abgestumpfte Kreaturen scharen. Sobald allerdings das erste Kind zum Opfer wird, nachdem die Mutter mit dem Autoschlüssel auf dieses einsticht, verwandelt sich Mom and Dad mit rasendem Tempo in eine blutige, rabenschwarze Groteske. Dabei ruft die Verbindung von abgehackten, unübersichtlichen Schnitten und einem beunruhigenden, Synthesizer-lastigen Score umgehend Assoziationen zum modernen Horrorfilm, speziell zum Sub-Genre des Zombiefilms, hervor, wobei es in Taylors Film bis zuletzt äußerlich völlig normale Menschen sind, die wie im Wahn die tödliche Jagd auf ihre Kinder eröffnen. Die altbekannte Devise, dass Eltern stets für ihren Nachwuchs zu sorgen haben und dafür eigene Interessen hinten anstellen müssen, verkehrt der Regisseur ebenso auf subversive Weise ins radikale Gegenteil wie die sichergeglaubte Vorstellung der Kinder, dass sie von ihren eigenen Eltern niemals etwas Schlimmes zu befürchten hätten. Abgesehen von rauschenden Störbildern, die auf Fernsehern auftauchen, bevor sich die Erwachsenen in unkontrollierte Berserker verwandeln, verweilt Taylor bevorzugt im unkonkreten Erzählen und verzichtet vollständig auf erklärende Motive für sein schonungsloses Szenario. Den Spannungsbogen hat er dabei trotzdem nicht so richtig unter Kontrolle, sobald die Geschichte regelmäßig von abrupten Rückblenden unterbrochen wird, die den geradlinigen, von Mitteln des rastlosen Terrorfilms geprägten Handlungsfluss überaus störend ausbremsen. Im letzten Drittel des mit gut 83 Minuten recht kurz geratenen Films wird der Überlebenskampf schließlich kammerspielähnlich auf die eigenen vier Wände der zentralen vierköpfigen Familie reduziert, wobei die schwarzhumorigen, skurrilen Einfälle gleichzeitig in einen festgefahrenen Konflikt zwischen politisch inkorrekter Raserei und seltsam ernsthaften Einschüben geraten. Auch wenn der Regisseur mit einem spaßigen Cameo-Auftritt zuletzt noch einmal für turbulentes Chaos sorgt, versickert Mom and Dad bis zu einem frustrierenden Nicht-Ende unentschlossen zwischen anarchischem Tabubruch, absurden Gewaltexzessen und dem misslungenen Versuch, eine Art verzweifelte Eskalation einer Midlife-Crisis der Eltern abzubilden. Die einzige souveräne Konstante in diesem daher stark durchwachsenen Film bleibt deshalb wenig überraschend nur Hauptdarsteller Nicolas Cage (Con Air). Nachdem das Regie-Duo die Grenzen des Schauspielers bei ihrer ersten Zusammenarbeit für Ghost Rider: Spirit of Vengeance bereits austesten konnte, wird Cage von Taylor in Mom and Dad auch wieder ungehalten von der Leine gelassen. Der hält sich selbstverständlich nicht zurück und läuft in seiner Rolle des überforderten, frustrierten Familienvaters und späteren Tollwütigen zur Höchstform auf. Ob er sich mit einer elektrischen Säge Zugang zum verschlossenen Kinderzimmer verschaffen will oder in einer aufgebrachten Wutrede allerlei Porno-Gattungen aufzählt, denen die Jugendgeneration heutzutage schon früh ausgesetzt wird, Cage ist erneut das verlässliche Spektakel, das der Film selbst nur in Teilen einhalten kann. [...]
[...] Die prachtvollen und mit zahlreichen Kunstobjekten ausgestatteten Räumlichkeiten, durch die sie sich bewegt, und die edlen Kleidungsstücke, die sie täglich am Leib trägt, sind dabei kaum noch mehr als hübsch arrangierte Staffage, die vom wahren Innenleben der Frau ablenken soll. In Wirklichkeit sehnt sich Emma, die später im Film enthüllt, dass sie ihren russischen Mädchennamen aus der Vergangenheit längst vergessen hat, nach jener Leidenschaft und Zärtlichkeit, die ihr in ihrem Leben in der italienischen Oberschicht scheinbar schon lange abhandengekommen ist. In seinem Film gibt sich Guadagnino über die recht schlicht gehaltene Handlung hinweg als Kämpfer für diese verlorene Leidenschaft, die er nach und nach wieder in den zwar ohnehin prachtvollen, aber oftmals von eisiger Gefühlskälte durchzogenen Impressionen durchblitzen lässt. Ein sichtlicher Ruck durchfährt Emma, als sie zum ersten Mal den begabten Koch Antonio erblickt, der ihren Sohn Edoardo kurz zuvor bei einem Ruderrennen bezwungen und somit den disziplinierten, kämpferischen Ruf der Recchis ins Wanken gebracht hat. Revanchieren will sich Antonio durch eine selbstgebackene Torte, mit der er bei der Geburtstagsfeier zu Beginn auftaucht. Das Gefühl, das Emma beim Kosten dieser Torte verspürt, greift der Regisseur später wieder auf, um es noch zu steigern. In einer hinreißenden Szene, in der Antonio der Frau Garnelen mit Ratatouille serviert, verwandelt sich der Ton in Emmas Umgebung beim Verzehr des köstlichen Gerichts plötzlich in ein dumpfes Hintergrundrauschen, während der Teller vor ihr in einem hellen Licht erstrahlt. In diesem Moment hat die alles durchdringende Leidenschaft endgültig Einzug in Guadagninos Film gehalten. [...] Im Zentrum spielt Swinton die im Luxus Gefangene, die erst wieder erblüht, nachdem sie sich in der Gegenwart von Antonio all ihrer Kleider, dem Kostüm des schönen Scheins, entledigt, und der Regisseur die nackten Körper der zwei sich Liebenden in fiebrig aufgeladenen Fragmenten abtastet. Wie die meisten großen Liebesgeschichten kommt auch I am Love nicht ohne die dazugehörige Tragik aus, mit der die Protagonistin spät im Film unweigerlich konfrontiert wird. Guadagnino aber inszeniert bis zuletzt gegen jeglichen Schmerz und Verlust an, um bis tief in den Abspann hinein bei Emma zu verweilen, die erst zwischen sexuellem Erwachen und leidenschaftlicher Selbstbestimmung wieder zu dem russischen Mädchen finden kann, das vor Jahren verlorengegangen ist. [...]
[...] In den strahlendsten Farben leuchtet das Coney Island, das Woody Allen (Match Point) in Wonder Wheel mit nostalgischer Pracht heraufbeschwört. Für den Regisseur, der selbst im hohen Alter von über 80 Jahren noch Jahr für Jahr verlässlich wie ein Uhrwerk einen Film dreht und veröffentlicht, bedeutet sein mittlerweile 48. Film wieder einmal eine Reise in die Vergangenheit. Zwischen den zahlreichen Spielbuden, Restaurants und Touristenattraktionen des Vergnügungsparks, der den zentralen Schauplatz der Handlung in den 50er Jahren markiert, widmet sich das New Yorker Regie-Urgestein allerdings einem Teil der Gesellschaft, deren Träume längst geplatzt sind und die im Schatten der glanzvollen Illusion leben, die im Inneren der Vergnügungsparks von Coney Island aufrechterhalten werden soll. In den Mittelpunkt des theaterhaft inszenierten Streifens platziert Allen hierfür eine Handvoll bedeutender Hauptfiguren, die mit ihren Macken, Neurosen und Sorgen erneut dem unverkennbaren Figurenkosmos des Regisseurs entstammen. Dabei erweist sich ausgerechnet die zum Erzähler der Geschichte auserkorene Figur des Mickey Rubin als erstes Problem des Films. Justin Timberlake (The Social Network) spielt den Literaturstudenten und aufstrebenden Theaterautor, der sich in den Semesterferien als Bademeister am Strand von Coney Island sein Geld verdienen will, und erweist sich prompt als Fehlbesetzung. Auch wenn der Popstar den glatten Charmeur und Frauenschwarm mit selbstsicherer Routine verkörpert, nimmt man ihm den kunstinteressierten, belesenen Studenten, der gerne mit Einflüssen aus den Werken seiner großen literarischen Vorbilder um sich wirft, in keiner einzigen Szene ab. [...] Allen-Fans dürfte diese reichlich turbulente Konstellation aus zwischenmenschlichen Spannungen, persönlichen Tragödien, romantischen Verwicklungen und komödiantisch eingeflochtenen Nebenschauplätzen nur allzu bekannt vorkommen. Da es kein Geheimnis ist, dass der Regisseur speziell in seinem Spätwerk auf beliebige Abwandlungen seiner liebsten Handlungsmotive und Charaktervariationen zurückgreift, entpuppt sich auch Wonder Wheel als recht uninspirierte Ansammlung von vielversprechenden, überwiegend vertrauten Einzelelementen, die nur teilweise überzeugend zusammenfinden. Trotz vereinzelter Lichtblicke im gewohnt illustren Cast wirken die Figuren des Films zu einseitig, so als habe der Regisseur ihnen von Anfang an starre Charakterzüge zugewiesen, die im Verlauf der Handlung kaum bemerkbaren Veränderungen unterzogen werden. Neben Kate Winslet (Titanic), die in der Rolle von Ginny stellenweise zur Höchstform aufläuft und trotzdem, gerade gegen Ende, sichtlich Mühe hat, gegen die gestelzten, betont theatralischen Dialoge des Drehbuchs anzuspielen, und Jim Belushi (Red Heat), der im schmutzigen Unterhemd den temperamentvollen, immer wieder zu Aggressionen neigenden Humpty spielt, überzeugt vor allem Juno Temple (Magic, Magic) mit einer fast schon gefährlichen Unschuld und Naivität, die der britischen Schauspielerin wenig überraschend wie auf den Leib geschneidert wurde. Ein amüsanter Lichtblick ist zudem Ginnys Sohn Richie, der wohl am ehesten dem trockenen Humorverständnis des Regisseurs entspricht. Sobald mal wieder Ärger in der Wohnung ausbricht, schnappt sich dieser schnell Kleingeld, um ins Kino zu gehen. Ein wohliger Fluchtort, der nicht Allen-typischer sein könnte. Als verlässlicher Höhepunkt erweist sich neben der eigentlichen Geschichte, die so konsequent wie unoriginell in Tragik und Verzweiflung endet, die Kameraarbeit von Vittorio Storaro. Die italienische Kamera-Legende, mit der Allen bereits für seinen vorherigen Film Café Society zusammenarbeitete, zaubert mithilfe von Farben und Licht ganze Gemälde auf die Leinwand, wodurch Wonder Wheel sicherlich zum visuell schönsten Film zählen dürfte, den der Regisseur jemals gedreht hat. Immer wieder ist es vor allem das Licht, das in ständig neuen Farbvarianten ganze Schauplätze erhellen darf und viele Szenen mit nachhaltigen Akzenten versieht. So sind es neben den melodramatischen, gekünstelten Momenten der Geschichte vielmehr Gesichter, die mal im Schein eines aus dem Regen hervorbrechenden Tageslichts in ungeahnter Schönheit funkeln oder im warmen Orange eines Raums mit feurigem Zorn glühen, die von Wonder Wheel am stärksten in Erinnerung bleiben. [...]
Auch wenn Genre-Regisseur Jaume Collet-Serra mit Horrorfilmen wie dem Remake von „House of Wax“ und dem beklemmenden, erfreulich altmodischen Waisenkind-Grusler „Orphan“ erste Gehversuche im Filmgeschäft wagte, scheint er erst durch die Zusammenarbeit mit Schauspieler Liam Neeson vollends zu sich gefunden zu haben. Neeson selbst erlebte 2008 aufgrund des durchschlagenden Erfolgs der Luc-Besson-Produktion „Taken“ eine Art zweiten Karrierefrühling und konnte sich auch noch im hohen Alter als charismatischer, kantiger Actionstar behaupten. Als Gegenentwurf zu dem Trend, vorwiegend jüngere Nachwuchsdarsteller in actiongeladenen Hollywood-Filmen zu besetzen, arbeitete Collet-Serra für drei Filme mit Neeson zusammen, wobei die versierte Handschrift des Regisseurs, der stets offenkundige Anleihen an Motive aus dem Schaffen von Alfred Hitchcock mit einer ausgeklügelten Kameraarbeit kombiniert, überaus stimmig mit dem knurrigen Charme des irischstämmigen Schauspieler Hand in Hand ging.
In der bislang vierten Zusammenarbeit zwischen Collet-Serra und Neeson machen sich daher wenig überraschend erste Abnutzungserscheinungen bemerkbar. „The Commuter“ wirkt hierbei aufgrund des Handlungskonzepts wie eine leicht variierte Version von „Non-Stop“. In dem 2014 veröffentlichten Film musste sich Neeson in der Rolle des abgebrühten Air-Marshalls einen Weg durch das Innenleben eines Flugzeugs bahnen, um einen Erpresser an Bord ausfindig zu machen, der alle 20 Minuten eine Person töten will, sofern die von ihm geforderte Lösegeldsumme nicht ausgezahlt wird. In „The Commuter“ wird das Flugzeug gegen einen Pendlerzug eingetauscht, der quer durch New York rast und eine bestimmte Person unter den Fahrgästen beinhaltet, die der von Neeson gespielte Protagonist ausfindig machen soll.
Dabei hat der Tag für Michael MacCauley schon schlecht genug begonnen, nachdem der Versicherungskaufmann nach 10 Jahren von seinem Vorgesetzten entlassen wird. 10 Jahre, in denen Michael Tag für Tag derselben Routine gefolgt ist, die Collet-Serra mit einer bestechenden Auftaktmontage veranschaulicht, bevor sich die Geschichte im Inneren des Pendlerzugs noch stärker zuspitzt. Michael befindet sich gerade auf der Heimfahrt, nachdem er entlassen wurde und noch nicht einmal den Mut gefasst hat, seiner Frau und seinem Sohn etwas davon mitzuteilen. Für den robusten Arbeiter aus der amerikanischen Mittelschicht könnte die Entlassung kaum unpassender kommen, nachdem seine Familie durch die große Finanzkrise aus dem Jahr 2008 einen Großteil der Ersparnisse verloren hat und die MacCauleys nun zwei Hypotheken abbezahlen müssen, die auf dem Haus lasten, während der Sohn kurz davor ist, aufs College wechseln zu wollen.
Da macht eine von Vera Farmiga gespielte Frau namens Joanna dem gebeutelten Michael ein verlockendes Angebot, das dieser nicht abschlagen kann. Er soll nur eine Person ausfindig machen, die eine auffällige Tasche bei sich trägt, den Tarnnamen Prynne verwendet und bis zur Endhaltestelle in Cold Spring mitfährt, und dieser einen GPS-Sender unter das Gepäck schmuggeln. Als Belohnung winken dem frisch Entlassenen dafür 100.000 Dollar, auf die dieser in seiner misslichen Lage einfach nicht verzichten kann. So wird aus Michael, der sich noch dazu (wie könnte es anders sein) als Ex-Cop entpuppt, ein gehetzter Detektiv, der ähnlich eines klassischen Hitchcock-Protagonisten schnell merkt, dass er immer tiefer in etwas hineingezogen wird, das immer verheerendere Ausmaße anzunehmen scheint und eine großangelegte Verschwörung erkennen lässt.
Gerade die Szene, in der Michael am Telefon realisiert, dass seine Familie als Geiseln genommen wurde, verkommt durch die Verwendung des ikonischen Vertigo-Zooms zur offensichtlichen Hommage an den Meisterregisseur. Collet-Serra lässt sich trotzdem keineswegs zu sehr von seinem eigenen Stil abbringen und inszeniert die Personensuche in den Waggons des Zugs mit einer detailversessenen, lebendigen Dynamik und einer Vorliebe für räumliche Verdichtung, durch die sich der Regisseur längst als verlässliche Größe im Action-Thriller-Sektor der letzten Jahre etablieren konnte. Oberflächlich folgt das Drehbuch von gleich drei Autoren dabei den schnörkellosen, geradlinigen Impulsen des Trial-and-Error-Prinzips, aufgrund dessen der Protagonist eine Liste von Verdächtigen abarbeiten und immer wieder feststellen muss, dass er die richtige Zielperson doch noch nicht gefunden hat.
Erst durch diese Abschweifungen hin zu den vielfältig besetzten, mitunter aus völlig unterschiedlichen sozialen Milieus stammenden Passagieren entwickelt „The Commuter“ reizvolle Qualitäten abseits des eigentlichen Plots, der in recht vorhersehbaren Bahnen verläuft und gegen Ende vielleicht einmal zu viel in unnötig irrsinnigen Dimensionen eskaliert. Mit einem Figurenpersonal, das so gegensätzliche Charaktere wie den herablassenden, kalten Finanzbroker, die sensible Krankenschwester mit Migrationshintergrund oder die junge, trotzige Punk-Rockerin umfasst, wird der Mikrokosmos des Pendlerzugs zum authentischen Abbild eines multiethnischen, äußerst diversen New Yorks, das wiederum als Ausschnitt des gegenwärtigen Amerikas aufgefasst werden darf.
Fernab des persönlichen Bezugs von Protagonist Michael, der für das Wohl seiner Familie selbstverständlich auch wieder handgreiflich werden und auf seine Erfahrungen als Polizist zurückgreifen muss, beherbergt „The Commuter“ somit interessante, kleine Lebensgeschichten hinter der eigentlichen Geschichte, die Collet-Serra mithilfe der unterschiedlichen Charakterzüge seiner Nebenfiguren zum Leben erweckt, wenn auch manchmal nur für einen kurzen Moment.
Sieben Jahre, nachdem das Saw-Franchise mit „Saw 3D“ ursprünglich ein für alle Mal beendet werden sollte, sucht das unerschütterliche Vermächtnis des sadistischen Selbstjustiz-Puzzle-Mörders nun doch wieder die Kinosäle heim. Auch wenn die insgesamt sechs Sequels nur noch wenig mit der kreativen, zermürbenden Terror-Kraft von James Wans „Saw“ gemeinsam hatten, wohnte dem Franchise für seine vielen Fans ein über die Jahre liebgewonnener Event-Charakter bei. Die Tradition, jedes Jahr pünktlich zu Halloween ein Sequel der Reihe in die Kinos zu bringen, erwies sich als lukrativer Schachzug, der das Franchise zu einer der kommerziell erfolgreichsten Horror-Maschinerien machte.
Daneben prägten vor allem die Sequels den mittlerweile gängigen Begriff des „Torture Porn“ wesentlich mit. Während die Nebenhandlungsstränge in den einzelnen Filmen zunehmend verwirrender gestaltet waren und das grausame Erbe von John Kramer, dem Jigsaw-Killer, mit immer haarsträubender konstruierten Wendungen am Leben erhalten wurde, lag der Fokus der Reihe hauptsächlich auf den perfiden Todesfallen, in denen die zumeist blass gezeichneten Opfer ein möglichst brutales Ableben erwartete. Speziell „Saw 3“ zählte diesbezüglich wohl zum kontroversesten und extremsten Sequel des Saw-Franchises und lotete die Grenzen dessen aus, was im massenkompatiblen Mainstream-Horror-Kino an grafisch expliziter Gewaltdarstellung möglich war.
In „Jigsaw“, dem nunmehr achten Saw-Film, ist die Handlung zehn Jahre nach dem Tod von John Kramer angesiedelt. Als fünf Menschen angekettet in einem kargen Raum erwachen, der einem Verließ gleicht, und jene verzerrte Stimme ein Spiel ankündigt, die sich längst ins popkulturelle Unterbewusstsein eingebrannt hat, ist jedoch klar, dass die teuflischen Masterpläne von Jigsaw immer noch kein Ende gefunden haben. Womöglich ist diese Erkenntnis der vielleicht faszinierendste Aspekt dieses Franchises, das ebenso wie sein zentraler Fallensteller mit einem fragwürdigen Sinn für Moral und Gerechtigkeit immer wiederkehrt. Jigsaw als markante Horror-Ikone und unauslöschliche Präsenz, die auch nach ihrem Tod stets aufs Neue Mittel und Wege findet, charakterlich verwerfliche Menschen auf brutalste Weise zur Rechenschaft zu ziehen.
Neben dieser nahezu mythologischen Faszination herrscht in „Jigsaw“ allerdings kreativer Komplettstillstand. Für ihr Drehbuch haben sich die Autoren Josh Stolberg und Peter Goldfinger peinlichst genau am inhaltlichen Konzept der bisherigen Teile orientiert, wodurch der Film zu gleichen Teilen wie eine uninspirierte Kopie und befremdliche Fan-Fiction wirkt. Versammelt werden die schablonenhaften Opferfiguren diesmal wieder zu einem großen, gemeinsamen Spiel, bei dem die Männer und Frauen verschiedene Räume durchqueren sowie jeweils eine tödliche Falle überkommen müssen. Die vordergründig gerechte Chance auf Überleben erweist sich dabei in der Regel als zynische Illusion, während die Regisseure Michael und Peter Spierig, besser bekannt als The Spierig Brothers, mit glattgebügelten Hochglanzbildern verstümmelten, zerfetzten Körpern nachspüren, die als Resultate aus den Todesfallen hervorgehen.
Bemüht formelhaft wird parallel dazu der Handlungsstrang um zwei Police Detectives und zwei Gerichtsmediziner präsentiert, die in diesen neuen Fall eingespannt werden und ergründen wollen, ob John Kramer auf wundersame Weise vielleicht doch irgendwie dem Tod entkommen konnte. Von ernsthaftem Interesse an packenden Entwicklungen ist dabei nichts zu erkennen. Vielmehr dienen mehrfach gestreute Finten wieder einmal dazu, Zweifel und Misstrauen gegenüber den einzelnen Ermittlern und Gerichtsmedizinern zu streuen, während jederzeit klar ist, dass hier irgendjemand ein falsches Spiel spielt. Jegliche Resthoffnungen auf einen originellen Ausgang werden schließlich durch ein ganzes Streufeuer an Twists unter sich begraben, die „Jigsaw“ endgültig zum überflüssigen Lückenfüller degradieren, der das Saw-Franchise pflichtbewusst und somit konsequent irrelevant weiterführt. Hauptsache, Jigsaw wird weiterhin am Leben gehalten.
[...] In seinem Animationsfilm Your Name, der mittlerweile mit einem weltweiten Einspielergebnis von über 350 Millionen Dollar als erfolgreichster Anime aller Zeiten gilt, erzählt Regisseur Makoto Shinkai (5 Centimeters per second) die Geschichte dieser zwei Teenager, Mitsuha und Taki, die in unregelmäßigen Abständen jeweils für einen Tag ihre Körper tauschen. [...] Durch den erzählerischen Kniff des Körpertauschs erweckt Your Name neben den wunderbar gestalteten Animationen zudem den Eindruck eines Szenarios voller unwirklicher Unglaublichkeiten, bei dem Mitsuha und Taki zwischen den Realitäten zu reisen scheinen, bis sie am nächsten Morgen in ihren eigenen Betten und Körpern wie aus einem Traum wieder hochschrecken. Dabei kann sich der Regisseur gewisse Running Gags nicht verkneifen, wenn sich Taki im Körper von Mitsuha beispielsweise regelmäßig an die Brüste fasst und diese durchknetet, wobei er jedes Mal von Mitsuhas kleiner Schwester Yotsuha erwischt wird, die glaubt, dass ihre große Schwester so langsam den Verstand verliert. Durch diese humorvollen Auflockerungen verkommt Your Name keineswegs zur seichten Komödie, sondern ergründet fortlaufend die inneren Befindlichkeiten der jungen Teenager, die auf ihrer Suche nach einer eigenen Identität im zunehmenden Gefühlschaos des unerklärlichen, sprunghaften Körpertauschs durcheinandergeraten. Zu wahrer emotionaler Größe findet Shinkais Werk allerdings ungefähr nach der Hälfte der Laufzeit, wenn die einfallsreiche Geschichte von einer tragischen Wendung in eine völlig neue Richtung gelenkt wird. Hierbei erinnert Your Name auf gewisse Weise an den ebenfalls erst kürzlich erschienenen A Ghost Story, der im Dezember 2017 noch einen deutschen Kinostart erhielt. Ähnlich wie in David Lowerys (The Saints - Sie kannten kein Gesetz) ruhiger, poetischer Meditation über das Verhältnis von Raum und Zeit geht es auch in diesem Film von nun an darum, wie die aufkeimende Liebe zwischen zwei Menschen womöglich dazu imstande ist, die rationalen Grenzen von Zeit und Raum sowie Leben und Tod überwinden zu können. [...] Durch den Rückgriff auf Zeitreise-Elemente, die der Regisseur stimmig mit der eigentümlichen Mythologie dieses Films verflechtet, bei der traditionelle japanische Bräuche eine große Rolle spielen, entwickelt sich Your Name zu einem Kampf gegen das Vergessen. Zu einer surrealen Rettungsaktion, bei der unterschiedliche Zeitlinien durchbrochen werden müssen. Vor allem aber zu einer verzweifelten Reise, bei der zwei Menschen zueinander finden wollen, die durch das Schicksal voneinander getrennt wurden. Und dann ist da spät im Film diese eine Szene, in der Shinkai sämtliche Komplikationen, Schranken und Barrieren des komplizierten Zeitreise-Körpertausch-Geflechts beiseiteschiebt und sich Mitsuha und Taki in der Dämmerung der untergehenden Sonne gegenüberstehen. Indem der Film für diesen einen Moment einer rein emotionalen Logik unterliegt, die sich zuvor bereits hintergründig durch den gesamten Handlungsverlauf schlängelt, wie ein Haarband, das hier zwei Menschen über verschiedene Universen verbinden zu vermag, strahlt Your Name kurzzeitig mindestens so hell wie der immer wieder vom Kometen erleuchtete Himmel. [...]
[...] Ein Bild, das untrennbar mit Basic Instinct verbunden ist, zeigt Sharon Stones (Casino) Beine, die übereinander geschlagen sind. Noch viel brisanter wird dieses Bild allerdings erst durch die dazugehörige Bewegung in Paul Verhoevens (Starship Troopers) Film, der die Massen gleichermaßen in die Kinos lockte wie er Sittenwächter und Moralapostel gehörig in Aufruhr versetzte. [...] Ihr bewusstes Spiel mit lasziven Reizen und provokativ-verführerischen Posen kulminiert schließlich in der Szene, die sich nicht mehr verschweigen und vergessen lässt, wenn man diesen Film einmal gesehen hat. In einem kurzen Moment senkt Catherine beide Beine auf den Boden und öffnet sie, um einen Anblick zwischen ihren entblößten Schritt zu gewähren. Ohne Unterwäsche sorgt sie für Schweißperlen und verdutzte Gesichter bei den Männern im Raum, wobei diese kleine Bewegung gleichzeitig wie ein triumphaler Siegeszug wirkt, mit dem sich Catherine schlagartig als mächtigste Spielerin auf diesem Schachbrett der sexuellen Verlockungen, mörderischen Intrigen und perfiden Täuschungen erweist. Die eigentliche Handlungsstruktur von Joe Eszterhas' Drehbuch folgt oberflächlich den Regeln des Film Noir, doch bei einer tieferen Betrachtung stellt sich Basic Instinct vielmehr als raffinierte Konstruktion aus vertrauten Elementen und subversiv weitergesponnenen Extremen heraus. Als Aufhänger der Geschichte dient der Mord direkt zu Beginn, für den Verhoeven die dominierenden Motive seines Films, Sex und Gewalt, in nachhallender Virtuosität miteinander verschmelzen lässt. Auf den lustvollen Akt, bei dem das Gesicht der nackten Frau, die gerade mit dem ehemaligen Rockstar Sex hat, nie vollständig zu sehen ist, folgt ein ebenso lustvoll ausgeführter Akt des Tötens, bei dem der verwendete Eispickel wie bei einer Ejakulation in schnellen Schüben auf den Körper und in das Gesicht des Opfers schießt. [...] Wie der Regisseur das Verhältnis zwischen den beiden Hauptfiguren in einen erotisch aufgeladenen und gleichzeitig tödlichen Tanz auf der Messerklinge verwandelt und als Kräftemessen zwischen zwei verwerflichen, zu allem bereiten Seelen in Stellung bringt, stimmt aus heutiger Sicht nachvollziehbar nostalgisch. Unter der Oberfläche eines namhaften Hollywood-Studiofilms ist Basic Instinct aufgrund der risikofreudigen Kombination von Regisseur Verhoeven und Drehbuchautor Eszterhas ein schmutziger Flirt mit Stilmitteln des schmuddeligen Groschenromans sowie handwerklichen Reminiszenzen an die Thriller von Regisseuren wie Alfred Hitchcock (Psycho) und Brian De Palma (Dressed to Kill). Während der famose Score von Jerry Goldsmith deutlich an die musikalischen Kompositionen aus Hitchocks großen Werken angelehnt ist, erinnern die mitunter spielerisch ausgefeilten Kamerafahrten und Einstellungen sowie der starke Hang zum freizügigen und blutbesudelten Exzess eher an die Filme des ewigen Hitchcock-Epigonen De Palma. Die fast schon konventionelle Krimi-Plot-Struktur, welche die Schlinge um Nicks Hals über falsche Fährten, riskante Verstrickungen und drastische Verwechslungen immer enger schnürt, ist trotz der geschickt gestreuten Finten allem voran mithilfe der Verführungskraft des Kinos gestrickt. Eindeutige Blicke, verführerische Signale und heftige Körperlichkeit prägen diesen schweißtreibenden Erotik-Thriller, in dem die starr männlich gewählte, lüstern-voyeuristische Perspektive am Ende dem Bild einer Frau weichen muss, die das männliche Geschlecht nach Strich und Faden manipuliert und an der langen Leine hält. [...]
[...] Wenn Tony Manero durch die Straßen Brooklyns läuft, gleicht sein Gang einer einzigen Tanzbewegung. Begleitet von dem Song Stayin‘ Alive der Bee Gees scheint der 19-jährige Italoamerikaner die Blicke stets mit auffälligem Hüftschwung auf sich lenken zu wollen, selbst wenn er in der Auftaktszene von Saturday Night Fever nur einen Eimer voll Farbe zu dem Farbengeschäft bringt, in dem er arbeitet. Was nach diesem lässigen Auftakt von John Badhams (Nummer 5 lebt!) Film folgt, hat in Windeseile Kino- und Popkultur-Geschichte geschrieben und ist aus dem Kanon ikonischer Tanzfilme nicht mehr wegzudenken. Der damals 23-jährige Hauptdarsteller John Travolta (Pulp Fiction), der zuvor eher durch Auftritte in Serien bekannt war, wurde nicht nur zu einem gefeierten Star, sondern zum Gesicht einer ganzen Jugendgeneration, die sich vornehmlich an den Wochenenden in den Clubs die Nächte um die Ohren schlug, um der tristen Realität ihres Alltags so ausgelassen wie nur möglich zu entfliehen. Dass Saturday Night Fever, der Musikfilm, Drama und Milieustudie zugleich ist, so einen gewaltigen Anklang beim Publikum fand, mag sicherlich daran liegen, dass der Regisseur das Tanzen als ultimative Form des Ausbruchversuchs seiner Hauptfigur begreift. Die Farben, von denen Tony tagsüber bei seinem Job umgeben wird und die in eintönigen Eimern gelagert werden, erwachen erst zum Leben, wenn sie ihn als strahlende Lichter im Inneren des Clubs umhüllen. [...] Die Art und Weise, wie Badham auf Grundlage von Norman Wexlers Drehbuch, das wiederum auf dem fiktiven Artikel des Journalisten Nik Cohn basiert, das New York der 70er Jahre einerseits aufgrund der niedrigen Produktionskosten in geradezu spröden Bildern porträtiert, während er andererseits gerade in den Clubszenen das rauschhafte Gefühl eines ekstatischen Höhenflugs vermittelt, erzeugt den Eindruck eines ungefilterten, authentischen Lebensgefühls. [...] So fällt es zeitweise nicht allzu störend ins Gewicht, dass die eigentliche Geschichte von Saturday Night Fever recht dünn gestrickt ist. Neben dem Fokus auf Tonys kontrastreiches Leben, der als Mensch auf der Schwelle zwischen naiver, lebensfreudiger Jugendlichkeit und nachdenklichem Erwachsensein zwischen privaten Konflikten mit seiner Familie sowie seiner Clique und dem Ziel, einen kommenden Tanzwettbewerb zu gewinnen, hin und hergerissen wird, spürt Badham vor allem dem ansteckenden Fieber der samstäglichen Nacht nach, das der Filmtitel bereits vorwegnimmt. Ein Fieber, dem Tony ebenso verfallen ist wie seine zunächst widerwillige Tanzpartnerin Stephanie, die den forschen Jüngling anfangs immer wieder in die Schranken weist. Wie der Protagonist träumt auch die Sekretärin von einem besseren Leben, in der High Society New Yorks, wo Ruhm und Glamour an der Tagesordnung stehen. Am Ende hinterlässt jenes titelgebende Fieber dieses Films, das schließlich immer noch eine Krankheit ist, zwei desillusionierte, gebrochene Menschen, die zumindest in einem kurzen Hoffnungsschimmer noch einmal zueinander finden dürfen. Als Freunde, fernab vom Licht der schillernden Discokugel. [...]
[...] Verstohlene Blicke, angestautes und schließlich wild entfachtes Verlangen sowie Eindrücke, die das Bewusstsein trügen und manipulieren, sind bestimmende Motive in Jane Campions (Das Piano) Romanadaption In the Cut. Schon die anfänglichen Bilder, mit denen die neuseeländische Regisseurin den Handlungsort New York in Szene setzt, haben wenig mit den gewohnten Impressionen der belebten Millionenmetropole gemeinsam, die andere Filmemacher üblicherweise kreieren wollen. Das New York in diesem Film erstrahlt als verwinkeltes, eingezäuntes Reich der Träume und Schatten, in dem sinnliches Begehren und erotische Fantasien an einer hauchdünnen Grenze zwischen grausamen Abgründen entlang verlaufen. [...] Die verführerische Aura des von Mark Ruffalo (The Kids Are All Right) exzellent zwischen rauem Chauvinismus und sensibler Offenheit gespielten Detectives wird zugleich zum Sinnbild für Frannies unterdrückte Gelüste, die sich scheinbar in Malloy manifestieren. Überhaupt entsprechen die Figuren in Campions Film weniger konkret greifbaren Menschen als vielmehr Projektionsflächen, in denen die Regisseurin entgegengesetzte Charakterzüge spiegelt oder die sie als Blockaden begreift, an denen die tieferen Wesenszüge der Hauptfigur abprallt. [...] Dass die eigentliche Rahmenhandlung rund um den psychopathischen Serienkiller, der ausschließlich Frauen tötet und zerstückelt, mit erotischen Anleihen aus der komplizierten Gefühlswelt der weiblichen Hauptfigur kombiniert wird, führt zu einem bewusst unebenen, ruppigen Erzählrhythmus. Nichtsdestotrotz wird In the Cut gerade deshalb von einer ungewöhnlich faszinierenden Atmosphäre durchzogen, für die Campion hitzigen Sex und Momente voller verdichteter Emotionen mitunter in Szenen übersetzt, in denen die Bilder an ihren Rändern in einen verschwommenen Unschärfebereich übergehen. Besonders markant ist dabei, dass die Regisseurin den leidenschaftlichen, erotischen Momenten mit einer ähnlichen Sinnlichkeit begegnet wie den abscheulichen Bildern von Tatorten, an denen sich inmitten blutüberströmter Räumlichkeiten abgetrennte Körperteile verbergen. So entsteht der Eindruck eines in sich verschlungenen Traumlabyrinths, in dem Campion feministische Untertöne aufgrund der strikt weiblichen Perspektive mit düsteren Genre-Elementen des Crime-Thrillers kreuzt, um den Betrachter gleichermaßen vor den Kopf zu stoßen wie zu betören. [...]
In seinem Drama „Oslo, 31. august“ eröffnet Regisseur Joachim Trier die Perspektive seines Protagonisten mit dem Blick auf eine schöne Frau, die nackt im Bett vor ihm die Augen öffnet und ihn ansieht. Mit leerem Blick und ausdruckslosen Gesichtszügen signalisiert Anders seiner flüchtigen Bettbekanntschaft hingegen, dass er für sie offenbar rein gar nichts empfindet. Erst wenig später wird der Zuschauer dieses Films feststellen, dass der Mittdreißiger nicht nur für diese eine Frau, sondern generell für das Leben an sich nichts mehr empfindet.
Zeuge eines ehrlichen, intensiven Gefühlsausbruchs wird die Kamera daher nur in einer frühen Szene, in der Anders in einen verzweifelten Heulkrampf ausbricht, nachdem er direkt davor versucht hat, sich mit einem schweren Stein in einem See zu ertränken und dabei gescheitert ist. Zurückkehren muss er deshalb in die Entzugsklinik, in der er die letzten Monate verbracht hat, um sich von seiner Drogensucht zu erholen, bei der er irgendwann selbst vor Ecstasy und Heroin nicht mehr Halt machte. Zwei Wochen vor dem Ende seines Klinikaufenthalts wird er jedoch für einen einzigen Tag in die Freiheit entlassen, um ein örtliches Vorstellungsgespräch als Redaktionsassistent bei einer Osloer Zeitung wahrnehmen zu können. Trier nutzt den zeitlich abgesteckten Rahmen für einen Gang durchs Anders‘ Leben, der wiederum wie ein Geist durch die letzten Reste und Spuren seiner Existenz wandelt. Mithilfe von Dialogpassagen, in denen der Protagonist kurzzeitig Gast im Leben alter Freunde sein darf, die sich im Laufe der Zeit trotz vereinzelt frustrierter Anmerkungen weiterbewegt haben, zeichnet der Regisseur behutsam das Bild eines Menschen, der einfach stehengeblieben ist und mit seiner eigenen Lebensgeschichte bereits abgeschlossen hat.
Vor seinem Freund Thomas, der mit Anders früher einige wilde, drogengeschwängerte Nächte durchgefeiert hat und mittlerweile Literaturdozent mitsamt Frau und zwei Kindern ist, äußert er die ebenso nüchterne wie ehrliche Erkenntnis, dass er 34 Jahre alt sei und nichts habe. Ein Neustart ganz vorne kommt für ihn nicht in Frage und die abgedroschene Phrase, dass irgendwann alles wieder besser wird und schon noch alles in Ordnung kommt, kann Anders nur damit beantworten, dass es eben nicht so kommen wird. Über den Bildern Oslos, für die sich der Regisseur neben der eigentlichen Architektur auch immer wieder in der landschaftlichen Pracht der norwegischen Hauptstadt suhlt, hängt somit unentwegt ein Schleier der melancholischen Vergänglichkeit, der zugleich Anders‘ Sicht auf das Leben entspricht. Für ihn ist jeder Moment, egal von welch starker Bedeutung oder markanter Eindringlichkeit dieser auch geprägt sein mag, in dem Augenblick, in dem er ihn erlebt, bereits eine längst verblasste Randnotiz. Selbst nach kurz aufblitzenden Ausnahmen, die Anders ein bemühtes Lachen in Gesellschaft anderer Menschen entlocken, verfällt er sofort wieder in jene Form von apathischer Lethargie, mit der er sich von Schauplatz zu Schauplatz bewegt.
Nach einer Partynacht, der trotz des beinahe gewöhnlichen Ablaufs auch ein gewisser Hauch von Endgültigkeit innewohnt, folgt Anders einer Studentin, die er eben erst kennengelernt hat, in ein Freibad. Während sich die anderen Partygänger sofort ins Becken stürzen und auch die gutaussehende Studentin ihre Kleidung ablegt und ihn mit einem erwartungsvollen Blick zu sich ins Wasser einlädt, ist Anders auch hier am Ende wieder nur der unauffällige, teilnahmslos zurückbleibende Passant in den unübersehbaren Freuden des Lebens.
So wie der Protagonist seinen alten Freund in einer Szene an einen seiner Sätze erinnert, nach dem es die Gesellschaft dem Menschen ohne Eingriffe gestatten sollte, sich selbst zerstören zu dürfen, ist auch „Oslo, 31. august“ kein manipulativer Betroffenheitskitsch, der einer alarmierenden Funktion nachkommen soll, sondern eine finale, in filmischer Form dargebotene Anteilnahme an einem Lebensgefühl, das sich fernab von vergeblichem Verständnis Außenstehender und der Anerkennung wundervoller, kostbarer Einzelmomente mit definitiver Entschlossenheit vom Hier und Jetzt abwenden möchte.
[...] Lose basierend auf dem Amoklauf von Aurora, bei dem der 24-jährige Schütze James Eagan Holmes bei der Mitternachtspremiere von Christopher Nolans The Dark Knight Rises in einem Kinosaal in Colorado das Feuer eröffnete und zwölf Menschen tötete, während 58 weitere verletzt wurden, ist Tim Suttons (Pavilion) meditativer Kunstfilm Dark Night kein Werk über die Tat selbst. Der Regisseur verortet die elliptisch verknappte Handlung des Films in einer Vorstadt Amerikas, die durch ihren Charakter der flirrenden Anonymität und kalten Entfremdung stellvertretend für viele der zahlreichen Orte des gegenwärtigen Landes aufgefasst werden kann. [...] Sichtlich inspiriert von Gus Van Sants Amoklauf-Studie Elephant und dessen stilistischem Konzept der episodenhaften Zersplitterung gibt sich auch Sutton der scheinbar willkürlichen Präsentation von kurzen Ausschnitten hin, in denen etwaige psychologische Motive oder konkrete Ansätze eines geplanten Verbrechens zwischen allgemeinen Stimmungsbildern einer ganzen Nation verschwimmen. Was die einzelnen Szenen in Dark Night viel eher durchzieht, ist eine gewisse Stimmung der absoluten Gefühlskälte sowie zwischenmenschlichen Isolation, die die Gesellschaft anscheinend in ihrem Klammergriff gefangen hält. Immer wieder zeigt der Regisseur Menschen, die alleine sind und sich doch mithilfe moderner Technologien Aufmerksamkeit verschaffen oder ihrer derzeitigen Lage entfliehen wollen. Eine attraktive junge Frau filmt sich unentwegt mit ihrem Smartphone oder schießt Selfies. Wenn sie sich zum Frühstück einen besonders gesunden Smoothie zubereitet, leicht bekleidet im Badezimmer steht oder Fitnessübungen ausführt, will sie die ganze Welt daran teilhaben lassen. [...] Besonders ausdrucksstark ist hierbei eine Sequenz, in der die Kamera vorübergehend vollständig die Perspektive von Google Street View einnimmt. Täuschend echt wirken die Aufnahmen der Straßen der amerikanischen Vorstadt, durch die sich der Mauszeiger immer näher an bestimmte Stellen heranbewegt. Auch hier bleiben die Straßen jedoch unbelebt und zeugen von einem menschenleeren Klima der beklemmenden Einsamkeit, das Sutton oftmals durch vollkommene Stille unterstreicht. Würde die berührende Stimme einer Sängerin aus dem Off nicht hin und wieder balladeske Töne voller Sehnsucht und Verzweiflung anstimmen, käme Dark Night einem sperrigen Totentanz gleich, in dem die Allgegenwärtigkeit von automatischen Schusswaffen in den Haushalten der Menschen den unvermeidlichen Untergang der Zivilisation anstimmt. Zusammen laufen die erzählerisch unbestimmt umherschwirrenden Handlungsfäden schließlich ausgerechnet wieder im Kino. An diesem Ort, der das Träumen mit offenen Augen ermöglicht und dazu einlädt, selbst in illustrer Gesellschaft wunderbar für sich alleine sein zu können, blickt die Kamera ein letztes Mal in desillusionierte, erschöpfte und ausdruckslose Gesichter. Nach einem schwebenden Rundgang hinter die Kulissen des Kinobetriebs findet sie ein bemühtes und zugleich erleichtertes Lächeln erst im Gesicht eines jungen Mannes, der sich komplett in Schwarz gekleidet und mit einer verdächtigen schwarzen Tasche entschlossenen Schrittes dem Hintereingang nähert. [...]
[...] Die Atmosphäre der spröden, geradezu banalen Elegie des Alltags, die das Regiedebüt von Schauspieler John Carroll Lynch (The Invitation) durchweht, erinnert an Jim Jarmuschs bislang letztes Werk Paterson. Der bedeutenden Ikone des Independent-Films ging es vor allem darum, pure Schönheit in den gewöhnlichsten Situationen des Lebens zum Vorschein zu bringen und eine Ode an die Einfachheit zu entfachen. Lynch nutzt seinen Film dagegen für eine Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens sowie den Versuch, sich der eigenen Sterblichkeit im Angesicht der konkret werden Endlichkeit bewusst zu werden. [...] Mit kargen, minimalistisch komponierten Einstellungen, in denen die Gesichter einzelner Figuren ganz eigene Landschaften bilden, lenkt der Regisseur den Fokus seines unscheinbaren, zurückhaltenden Films zunehmend auf die Begegnungen zwischen Lucky und den Menschen in seinem Umfeld. Bei Gesprächen, die dezent philosophisch-existenzielle Denkanstöße streifen, skurrile Eigenarten zutage befördern oder ganz und gar unspektakuläre Themen anschneiden, öffnet Lynch für den Betrachter die Schwelle zwischen scheinbar unbedeutenden Nebensächlichkeiten und wertvollen Offenbarungen, die Lucky in ein Gemälde der aneinandergereihten Momentaufnahmen und repetitiven Beiläufigkeiten verwandelt, in denen die Melancholie und zugleich Schönheit des Lebens noch schimmern darf. Ruhen lässt der Regisseur seinen Film hierfür auf den Schultern von Hauptdarsteller Harry Dean Stanton (Pretty in Pink), dem ewigen Nebendarsteller und treuen Begleiter jener Sorte Kino, die sich zumeist in ruhigeren, abseitigeren Gefilden fernab des massentauglichen Bewusstseins einen Weg zum Zuschauer bahnt. Auch Stanton war über Jahrzehnte hinweg irgendwie da, doch das große Rampenlicht hat ihn abseits von Rollen wie in Wim Wenders‘ Paris, Texas nie sonderlich oft für sich beansprucht. Wie auch in diesem Film scheint Stanton im wahren Leben stattdessen eher der unaufhörliche Wanderer und Suchende gewesen zu sein, der regelmäßig am Rand aufgetaucht ist, um anschließend wieder zu verschwinden, als sei er nie wirklich dagewesen. Bevor der Schauspieler im September 2017 im Alter von 91 Jahren starb, ist er für Lynch also noch einmal in die Rolle seines Lebens geschlüpft, um durch die letzten verbleibenden Überreste seines eigenen Daseins zu wandern, die sich hier Lucky nennen. Auch Begegnungen mit Nebendarstellern wie beispielsweise Regisseur David Lynch (Eraserhead), dessen Figur eine über 100 Jahre alte Schildkröte namens President Roosevelt entlaufen ist und somit selbst eine Randnotiz aus den Filmen des großen Surrealisten darstellen könnte, oder Tom Skerritt (Harold and Maude), neben dem Stanton schon in Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt spielte und dessen Figur eine besonders bewegende Anekdote über seine Vergangenheit im Krieg erzählen darf, wirken somit eher wie ein letztes Wiedersehen mit alten Bekannten und Weggefährten. Ein wehmütiges und doch optimistisches Wiedersehen, das den Hauptdarsteller mit einem ungewohnten Lächeln auf dem Gesicht in die unendlichen Weiten der Prärie entlässt, wo er sich auf ewig auf die Suche begeben darf. Die Antworten auf seine Fragen liegen vielleicht schon längst in seiner eigenen Kinogeschichte verborgen, die gleichzeitig seiner Lebensgeschichte entspricht. [...]
Für Theresa, die von allen nur Tree genannt wird, ist der College-Campus eine Spielwiese, auf der sie ihre arroganten, selbstsüchtigen Impulse völlig frei auslebt. Bekanntschaften für eine Nacht oder Affären mit Professoren sind für das Mitglied einer ebenso egoistischen, oberflächlichen Studentenverbindung selbstverständlich. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass die junge Studentin verkatert bei einem Jungen im Bett aufwacht, ohne sich an irgendetwas vom Vorabend zu erinnern. Diesen hedonistischen, verschwenderischen, unbeschwerten Lebensstil, mit dem sich der durchschnittliche amerikanische Student wohl nur allzu gut identifizieren kann, durchbricht Regisseur Christopher B. Landon in der Blumhouse-Produktion „Happy Death Day“ hingegen nach anfänglicher Einführung, wenn das Messer eines bizarr maskierten Verfolgers in das Gesicht der Protagonistin rauscht.
Dieser fatale Tag, der gleichzeitig Trees Geburtstag ist, markiert jedoch nicht den endgültigen Tod der Studentin. Stattdessen wacht sie erneut in dem Bett des Jungen auf, in dem sie zuvor schon einmal aufgewacht ist, während dieser exakt die gleichen Sätze äußert wie am vermeintlichen Tag davor. Durch das Verhalten ihrer Umgebung, in dem sich die vorangegangenen Ereignisse wie ein Déjà-vu wiederholen, merkt Tree schließlich, nachdem sie ein weiteres Mal von dem maskierten Killer getötet wird und alles von vorne beginnt, dass sie denselben Tag bis zu ihrem gewaltsamen Ableben wieder und wieder durchleben muss.
Als Slasher mit markantem Zeitschleife-Twist entpuppt sich „Happy Death Day“ somit als eine weitere Variation im Fahrwasser von Harold Ramis‘ „Groundhog Day“. Ähnlich wie Ramis nutzt auch Landon das Konzept der schier endlosen Wiederholung eines einzelnen Tages hauptsächlich für die Verschiebung der Lebensrealität sowie Selbstwahrnehmung der Hauptfigur, die nach und nach zu Erkenntnissen gelangt, die ihren bisherigen Charakter grundlegend verändern wird. Während der ebenfalls im Jahr 2017 veröffentlichte „Before I Fall“ in gleichem Maße auf das Konzept der Zeitschleife zurückgriff und Klischees ungeniert bediente, indem eine bei einem Autounfall tödliche verunglückte Schülerin die Gelegenheit erhält, ein besserer Mensch zu werden, zeigt „Happy Death Day“ zumindest in Ansätzen Interesse an der ironischen Aufarbeitung sowie Brechung gängiger Slasher-Elemente.
Im Umgang mit Genre-Stereotypen wie beispielsweise dem machohaften Liebhaber erlauben sich Landon und Drehbuchautor Scott Lobdell die ein oder andere schmissige Pointe, während die Erwartungshaltung des Zuschauers vor allem hinsichtlich des identischen Handlungsverlaufs mit so manchen schwarzhumorigen Überraschungen unterlaufen wird. Innerhalb des Zeitschleife-Prinzips, das gerade in Bezug auf sicher geglaubte Sehgewohnheiten viel Potenzial für subversive Zerstreuung bietet oder abgestandene Konventionen der ausgelassenen Zerwürfelung opfern kann, fehlt „Happy Death Day“ allerdings die nötige Konsequenz.
Der sichtlich auf jüngere Zuschauer zugeschnittene, mit unkompliziertem PG-13-Rating versehene Film scheint vielmehr den Bedürfnissen eines Zielpublikums angepasst worden zu sein, dessen eher kurze Aufmerksamkeitsspanne als entscheidendes Kriterium für den Rhythmus der Handlung gegolten haben dürfte. In einem Zeitalter, in dem die jüngere Generation kurzen Videoclips mehr Aufmerksamkeit als vollwertigen Filmen schenkt, ist auch Landons Film primär der chaotischen Sprunghaftigkeit verschrieben, ohne festgefahrene Klischees des Horror-Genres jemals wirklich stimmig aufzuwirbeln.
Gegen Ende nähert sich der Handlungsverlauf des durchaus kurzweiligen Films schließlich vermehrt den rührseligen Entwicklungen des misslungenen „Before I Fall“ an, wenn neben der durchaus gelungenen Überraschung bezüglich eines Cupcakes in erster Linie die moralische Läuterung der von Hauptdarstellerin Jessica Rothe immerhin schwungvoll gespielten Protagonistin im Vordergrund steht und aus Tree eine rücksichtsvolle, einfühlsame junge Frau werden soll, die Konflikten strotzt, indem sie lediglich diesen unliebsamen Killer mit der Baby-Maske überwindet. Da darf ganz zum Schluss nur noch der lässig-ironisch eingestreute Verweis auf die unübersehbare Vorlage nicht fehlen.
[...] Auch Meyers‘ Regie-Wurzeln sind in The Hitcher unübersehbar, wenn der Regisseur von Anfang an auf eine hohe Schnittfrequenz setzt, einzelne Einstellungen mit übersättigten Farbkontrasten auflädt und regelmäßig Songs von Bands wie Nine Inch Nails einstreut, um Szenen eine möglichst treibende Wirkung zu verleihen. Trotz des schnittigen Stils, der sich wahlweise als Kompliment oder Vorwurf auslegen lässt, und damit einhergehenden Tempos über schlanke 80 Minuten hinweg entgleisen dem Regisseur die erzählerischen Zügel allerdings zunehmend, sobald die Handlung unentschlossen zwischen Horror, Psychoterror und Action-Thriller in zu viele Richtungen zerfasert. Während Meyers den von Sean Bean (Equilibrium) gespielten Anhalter anfangs noch als vage Bedrohung inszeniert, die in Gestalt einer Silhouette in der Schwärze der Nacht auf dem Highway thront, entwickelt sich der Psychopath im Verlauf des vorhersehbaren Katz- und Mausspiels zwischen ihm und dem Paar zu einer Art wiederkehrenden, unüberwindbaren Übermacht, die sich nicht mehr abschütteln lässt. Gemäß den Regeln des Genres gibt es für die ohnehin recht unüberlegt handelnden Protagonisten trotz ihrer unentwegten Flucht nach vorne kein Entkommen, wodurch sich The Hitcher in redundanten Verfolgungsjagden und willkürlichen Gewaltspitzen erschöpft, welche irgendwann auch noch die örtlichen Gesetzeshüter auf den Plan rufen. Wenn der Anhalter, der sich selbst John Ryder nennt, in einer Action-Sequenz Polizeifahrzeuge miteinander kollidieren lässt und Polizeihubschrauber mit Pistolenschüssen zum Absturz bringt, nimmt Meyers‘ Film in seinem ausufernden Verständnis von Spannungssteigerung gar absurde Züge an und erinnert eher an eines der logikfremden, überzeichneten Sequels der The-Fast-and-the-Furious-Reihe. Mit Nebenfiguren in Form von Polizisten, die wieder einmal reichlich fragwürdig handeln, und einem seltsamen Finale, welches das schwach beleuchtete Motiv der Todessehnsucht mit einem antiklimatischen Ausgang verbindet, ist The Hitcher letztendlich eine äußerst holprige Achterbahnfahrt auf den Schienen des Horrorkinos, die zu oft entgleist und schließlich unausweichlich gegen die Wand kracht. [...]
[...] Mit kräftigen Farben, in denen die weißen Gartenzäune und saftig grünen Wiesen dieses beschaulichen Städtchens aufleuchten, inszeniert der Regisseur das Bild der klassischen Vorstadtidylle, die gleichermaßen authentisch wie befremdlich erscheint. Ähnlich wie David Lynch (Eraserhead) in seinem einflussreichen Meilenstein Blue Velvet betont auch Weir von Anfang an die trügerische Künstlichkeit dieses uramerikanischen Szenarios der heilen Welt hinter heimischen Fassaden. Mit satirischer Schärfe und dramatischen Untertönen, die zwischen augenscheinlich unterhaltsamen Momenten verborgen liegen, wird der naive Traum der Vorstadtidylle buchstäblich als hermetisch abgeriegelter Mikrokosmos entlarvt, in dem die vorgespielte Authentizität aufrichtige Tatsachen verdrängt. Dabei lässt sich Die Truman Show nicht nur als Spiegel für eine artifizielle Gesellschaft auffassen, die Tag für Tag durch immer gleiche Verhaltensweisen, aufgesetzte Gesten und endlos wiederholte Floskeln in einer falschen Bilderbuchwelt vor sich hin vegetiert, sondern auch als prophetischer Vorreiter der nur kurze Zeit später aufkeimenden Reality-TV-Formate. [...] Weir nimmt die Mechanismen des Reality-TV mit seinem Film bereits vorweg, wenn er die Kamera von Peter Biziou beispielsweise mit dramatischen Zooms arbeiten lässt, um die bewusste Inszenierung in den Bewegungsabläufen der Hauptfigur hervorzuheben und so den Charakter eines jederzeit durchchoreographierten Lebens erkennbar zu machen. Dem Regisseur geht es neben der Konstruktion und somit auch Sichtbarwerdung eines solchen Formats aber zunehmend um die deutlichen Risse, die sich durch Widersprüche, Ungereimtheiten und unvorhersehbare Komplikationen einen Weg in diese Scheinwelt bahnen. Verhandelt wird dieser Zwiespalt schließlich über die sich verändernden Verhaltensweisen des Protagonisten, der glücklicherweise ausgerechnet von Jim Carrey (Der Mondmann) gespielt wird. Nachdem dieser fünf Jahre vor der Veröffentlichung von Weirs Film mit dem Sensationserfolg von Filmen wie Die Maske, Ace Ventura - Ein tierischer Detektiv und Dumm und Dümmer, die noch dazu alle im gleichen Jahr erschienen sind, zum erfolgreichsten, beliebtesten Comedy-Star Amerikas aufgestiegen ist, zeigt Die Truman Show einen wesentlich vielschichtigeren Carrey, der hinter der stets gut gelaunten Fassade seiner Figur zum misstrauischen Zweifler gerät. Das große Talent des Schauspielers, sein Gesicht wie eine Gummimaske zu grotesken Fratzen und Grimassen verziehen können, wird in diesem Film daher konsequenterweise ab absurdum geführt. In einer Szene, in der Truman längst die Echtheit seiner Existenz sowie der Welt um sich herum in Frage stellt, rast er mit seiner (falschen) Frau auf dem Beifahrersitz auf der Suche nach einem Ausweg durch die Straßen der Stadt, während sich sein Gesicht im hysterischen Wahn unter manischen Schreien verformt. Jeglicher Unterhaltungswert, der von diesem Spiel sonst immer ausgeht, weicht in Die Truman Show stattdessen offengelegter Verzweiflung, die der Regisseur in dieser denkwürdigen Anklage gegen vorgetäuschte Trugbilder, moralisch verwerfliche Medieninstitutionen sowie unersättlich voyeuristische Konsumenten äußert. [...]
[...] Umso ernüchternder ist die Erkenntnis, dass Black Mirror in dieser vierten Staffel erste Abnutzungserscheinungen und enttäuschende Fehlschläge aufweist. Könnte es daran liegen, dass der Blick in soziale Netzwerke oder auf das allgemeine Weltgeschehen im Jahr 2017 bereits genügend deprimierende, nachdenklich stimmende oder bedenkliche Auswirkungen entfaltete? [...] Einen absoluten Tiefpunkt stellt die dritte Episode Crocodile dar. Nimmt man der Handlung dieser Episode die technologische Komponente einer Verhörtechnik, mit der die Erinnerungen des Befragten nicht nur abgerufen, sondern konkret visualisiert werden können, bleibt von Crocodile nichts weiter als ein handelsüblicher Thriller-Plot, den man in dieser Form schon unzählige Male zu sehen bekommen hat. Im Mittelpunkt befindet sich eine Frau, die gemeinsam mit einem Freund einen tödlichen Unfall verursacht und die Tat mit anschließender Fahrerflucht sowie heimlich beseitigter Leiche vertuschen will. Nachdem sie von dem Verbrechen auch noch 15 Jahre später verfolgt wird und ihr damaliger Freund von drastischen Schuldgefühlen geplagt wird, durch die dieser einen anonymen Brief mitsamt Geständnis verfassen will, eskalieren die Ereignisse in mörderischen Dimensionen, in denen Unschuldige geopfert sowie Sünden der Vergangenheit zurück an die Oberfläche gespült werden und unglückliche Zufälle letztlich als zynische Pointe am Ende fungieren. Versöhnlicher stimmt hingegen die vierte und beste Episode der vierten Staffel. Hang the DJ erinnert an San Junipero aus Staffel 3, eine Episode, die aufgrund ihrer ungeahnten Emotionalität womöglich die beste Episode der gesamten Serie markiert. Diesmal stürzt sich Brooker gemeinsam mit Regisseur Tim Van Patten (Boardwalk Empire) in die chaotischen Dating-Wirrungen der Moderne, indem er eine abgeschirmte Welt etabliert, in der Singles über eine App, die in etwa mit einer fortschrittlicheren Version von Tinder vergleichbar ist, unentwegt mit einem Partner verkuppelt werden. Eine pikante Funktion stellt hierbei die zusätzliche Möglichkeit dar, sich anzeigen zu lassen, wie lange die Beziehung hält. Durch einen ablaufenden Countdown werden die Partner dazu angestiftet, sich ganz am Ende der Zeit umgehend wieder zu trennen und weiter darauf zu hoffen, dass sie irgendwann ihrem perfekten Partner begegnen, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Mit berührendem Optimismus, der den bitteren Zynismus sowie hoffnungslosen Pessimismus gängiger Brooker-Erzählungen überstrahlt, erzählt Hang the DJ anhand zweier Menschen, die wie füreinander bestimmt sind, von einem leidenschaftlichen Aufstand gegen das System, bei dem stürmische Romantik und der Drang nach ehrlicher Liebe diktatorische Normen zu überkommen vermag. Ein bisweilen vergnüglicher, aber schließlich sehr sinnlicher Höhepunkt. [...] Falls der Abschluss einer insgesamt extrem durchwachsenen, nur mit wenigen herausragenden Lichtpunkten durchzogenen Staffel als Kompass für kommende Episoden gewertet werden darf, steht „Black Mirror“ womöglich eine Zukunft bevor, die pessimistischer ausfällt als Charlie Brookers Dystopien selbst. Trotz einer mit Abstrichen gelungenen ersten Episode und der vierten Episode, die einen betörend emotionalen Höhepunkt darstellt, ist diese vierte Staffel eine herbe Enttäuschung und vor allem im Vergleich zur großartigen dritten Staffel ein merklicher Qualitätsabfall. [...]
[...] Dabei ist 25 Stunden nicht nur das Charakterporträt von Monty, der in seinen verbleibenden 24 Stunden vor allem noch Zeit mit seinen besten Freunden und seiner Freundin verbringen und nebenbei das schwierige Verhältnis zu seinem Vater aufarbeiten will, sondern auch eine Bestandsaufnahme New Yorks im Jahr 2002. Nachdem die Millionenstadt ein Jahr zuvor durch den Terroranschlag vom 11. September auf das World Trade Center wohl auf ewig verändert wurde, versucht der Regisseur neben Benioffs eigentlicher Geschichte auch einen Blick in die traumatisierte Seele einer erschütterten Stadt zu werfen, die sich nach wie vor in komatöser Stagnation und Verwirrung zu befinden scheint. Bedauerlicherweise bleibt es bei einem Versuch, denn so unpassend aufgesetzt die zusätzlich eingestreuten Einstellungen aus dem Fenster eines Apartments direkt auf Ground Zero beispielsweise bleiben, so oberflächlich und unterentwickelt entpuppt sich auch Lees Umgang mit den Figuren sowie der durchaus eindringlichen Thematik von existenzieller Schwere. Wehmütige Melancholie, tiefgründige Introspektion oder eine umfassende Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen verkommen in 25 Stunden regelrecht zu Nebensächlichkeiten, die nur in wenigen Momenten ihr volles dramaturgisches Potential entfalten dürfen. [...] Abgesehen von diesen spärlich gesäten Augenblicken irritiert 25 Stunden allerdings nicht nur aufgrund der mitunter dilettantischen Machart, sondern zusätzlich durch Nebenhandlungsstränge, die völlig ins Leere laufen, banale Dialoge, die der eigentlichen Handlung wenig Sinn verleihen sowie massiv vernachlässigte Nebenfiguren, die eigentlich einen integralen Teil von Montys Leben darstellen. Lee durchzieht seinen Film mit deutlichen Bildverfremdungen, für die er übersättigte Farbfilter und seltsam unpassende Schnitte verwendet, die identische Szenen durch Bilddoppelungen wiederholt abspulen. Zusammen mit dem äußerst dick aufgetragenen Score von Terence Blanchard, der dem eigentlich realistischen Szenario immer wieder Züge eines überhöhten Melodrams verleihen, wirkt 25 Stunden oftmals wie ein unnötig überstilisierter Film, der artifizielle Schauwerte und extravagante Regie-Spielereien ausstellt, ohne ihnen ein inhaltliches Gegengewicht zu verleihen. [...] Ebenso vergeudet erscheint auch der Cast, in dem sich neben Norton vielversprechende Namen wie Philip Seymour Hoffman (Happiness), Rosario Dawson (Kids) oder Brian Cox (Blutmond - Roter Drache) versammelt haben, die von Lee überwiegend mit erschreckend einseitigen Rollen gestraft werden. Während Hoffman als einer von Montys besten Freunden seit dem Kindergarten ein weiteres Mal die Figur des nervösen, verschrobenen Introvertierten spielt, der als Lehrer auch noch eine seiner minderjährigen Schülerinnen begehrt, die von Anna Paquin (Margaret) im lasziv-naiven Lolita-Modus gespielt wird, verkörpert Barry Pepper (The Green Mile) als Montys anderer bester Freund Frank einen egozentrischen, zynischen sowie sexistischen Wall-Street-Broker, der ganz am Ende immerhin noch kurz zeigen darf, dass auch er so etwas wie Gefühle besitzt. Dawson kommt als Montys Freundin Naturelle unterdessen die undankbare Rolle der umsorgenden Partnerin zu, die von den Freunden der Hauptfigur mit lüsternen Blicken angesehen wird, während sie von ihrem eigenen Freund verdächtigt wird, ihn unter Umständen an die Polizei ausgeliefert zu haben. Aus diesen halbgar angerissenen Figurenhülsen, unausgearbeiteten Konflikten sowie unsanft abgebrochenen Handlungssträngen findet 25 Stunden schließlich zu einem fast schon peinlich deplatzierten Finale, bei dem man als Zuschauer fast schon beruhigt ist, dass die Hauptfigur nach verzweifelten Ausflüchten in maskuline Eskalation und Was wäre, wenn?-Träumereien doch noch ihrer gerechten Strafe entgegenblicken muss, während eine ganze Stadt weiterhin in trauriger, überforderter Schockstarre verweilt. [...]
18 Menschen sterben in Alan Clarkes „Elephant“. In seinem 1989 für das britische Fernsehen gedrehten Kurzfilm reduziert der englische Regisseur den Akt des Tötens und damit verbundenen Sterbens radikal auf das Nötigste, um eine Reihe von Morden in einen Prozess von schonungslosem Realismus und zugleich spröder Monotonie zu transzendieren. Die Szenenfolgen des knapp 40-minütigen Werks, das es mehr auszuhalten als anzusehen gilt, gleichen sich hierbei in Aufbau und Ablauf auf nahezu identische Weise, wobei die schwebende Steadicam unterschiedlichste Figuren begleitet, die sich überwiegend in Bewegung befinden.
Zur Ruhe kommen diese meist erst, wenn sie sich mit einer Schusswaffe wie zum Beispiel einem Gewehr oder einer Pistole positionieren, um ihr offenbar fest ausgewähltes Opfer mit einem oder mehreren Schüssen zu töten. Mit dem Stilmittel der permanenten Wiederholung schildert Clarke zielgerichtete Hinrichtungen, bei denen weder Täter noch Opfer irgendeine Form von Charakterisierung erhalten. Der von Danny Boyle produzierte Kurzfilm, welcher beispielsweise Gus van Sants inszenatorischen Ansatz sowie den Titel für dessen meditative Highschool-Amoklauf-Studie „Elephant“ aus dem Jahr 2003 maßgeblich beeinflusste, stellt laut Aussage des Regisseurs einen Kommentar zum verheerenden Nordirlandkonflikt sowie dem IRA-Terror dar, der tausenden Menschen das Leben kostete.
Dabei funktioniert „Elephant“ selbst losgelöst von diesem konkreten Hintergrund auch ohne jeglichen politischen oder gesellschaftlichen Kontext als apokalyptisch geprägte Aktions-Reaktions-Kette, die sich als minimalistisch variierte Endlosschleife entfaltet, um irgendwann abrupt zu einem Abschluss zu gelangen. Mit nur insgesamt drei Zeilen Dialog, völlig ohne Musik und vor allem komplett ohne mimische Regung in den Gesichtern der Schauspieler inszeniert Clarke die einzelnen Taten mit einer reduzierten Selbstverständlichkeit, die den Morden sämtliche Ansätze der Stilisierung raubt und ihnen gleichzeitig eine unheimliche Beiläufigkeit verleiht, durch die sich der Akt des Tötens wie eine unbedeutende Alltäglichkeit zwischen die restlichen Geschehnisse der jeweiligen Szenen einreiht.
Auch wenn der Regisseur die Beklemmung der vorherrschenden Anonymität zwischen Zuschauer, Täter und Opfer immer wieder aufzuheben versucht, wenn die Kamera nach den Hinrichtungen in einer statischen Einstellung noch kurz auf den Toten verweilt, damit diese nicht einfach schnell wieder in Vergessenheit geraten, bleiben sie in „Elephant“ letztlich doch nicht mehr als Projektionsflächen für ein erloschenes Menschenleben sowie eine unmöglich wegzudenkende Last für denjenigen, der den Abzug gedrückt hat.
Dem gegenwärtigen Nostalgie-Trend, der das Kino wie einen roten Faden zu durchziehen scheint und bei vorwiegend älteren Zuschauern lange zurückliegende Gefühle auch noch viele Jahre später erneut aufleben lassen soll, verschreibt sich auch Lucia Aniello zunächst in ihrem Spielfilmdebüt „Rough Night“. Dabei hat es die Regisseurin aber keinesfalls auf ein bestimmtes Genre oder markante Elemente vergangener Filmjahrzehnte abgesehen, sondern auf das Einfangen eines speziellen Drangs nach dem Vergangenen, dem die Protagonistinnen des Streifens möglichst ungebremst und frivol nachspüren wollen.
Begonnen hat alles am College, wo Jess, Alice, Blair und Frankie im noch recht jungen Alter zu besten Freundinnen geworden sind und zahlreiche Abende auf Partys durchlebt haben, bei denen der Alkohol in Strömen geflossen ist und die Nacht überwiegend zum Tag gemacht wurde. Die eigentliche Handlung von Aniellos Film setzt nach einer kurzen Anfangssequenz, welche die Studentinnen bei einem ausgelassenen Beer-Pong-Match zeigt, 10 Jahre später an, wenn die vier Frauen längst von den Konventionen des Alltags eingeholt worden sind. Durch das Einschlagen grundlegend verschiedener Lebenswege, bei denen es Jess beispielsweise in die Politik verschlagen hat, wo sie für einen Sitz im Senat kandidiert, während sich Frankie als Aktivistin durchschlägt, hat sich auch die Beziehung zueinander merklich zerstreut.
Ein einziges Mal wollen die Frauen aber noch einmal dahin zurück, wo sie ihre Jugend zusammen verbracht haben. Als Jess kurz vor der Hochzeit mit ihrem Verlobten Peter steht, soll ein gemeinsames Wochenende in Miami in Form eines Junggesellinnenabschieds noch einmal all die exzessiven Gefühle zurückbringen, die damals im Rausch der Partynächte mit verschwenderischer Regelmäßigkeit durchlebt wurden.
Für ihren Film orientiert sich Aniello dabei an erfolgreichen US-Mainstream-Komödien der jüngeren Kinovergangenheit, wobei vor allem Filme wie Todd Phillips Sensationshit „The Hangover“ überdeutlich als Vorlage herangezogen wurden. Der geschlechterspezifische Kniff von „Rough Night“ besteht im folgenden Verlauf der Handlung ausschließlich darin, dass hier die Frauen maßlos über die Stränge schlagen dürfen, während die Männer in fast schon biederer Manier unter sich bleiben und gemeinsame Kicks höchstens bei einer spießigen Weinprobe erfahren.
Ohne jegliches Gespür für originelle Pointen und unterhaltsam getimte Ausreißer folgt die Regisseurin lediglich abgenutzten Comedy-Klischees wie minimal anzügliche und vulgäre Anspielungen oder seichte Situationskomik inmitten von Clubs und Bars, bei der sich die Frauen zwischen Kotz- und Tanzeinlagen eher zum Leid des Zuschauers ungehemmt blamieren dürfen. Mithilfe einer Prise bösartigen Humors, der unweigerlich an das blutige Chaos aus Peter Bergs kultiger Las-Vegas-Odyssee „Very Bad Things“ erinnert, scheint sich Aniellos Film kurzzeitig in rabenschwarze Gefilde zu begeben, wenn eine der Freundinnen versehentlich einen vermeintlichen Stripper im Ferienhaus umbringt.
Trotz der immer wieder aufblitzenden Chemie zwischen den Hauptdarstellerinnen, die sich in den besten Momenten mithilfe von überzogenen Dialogen gegenseitig die Bälle zuspielen, verliert sich die einfallslose Geschichte rund um eine ungewollte Leiche, die es nun unbemerkt zu entsorgen gilt, allerdings weiterhin in überaus vorhersehbaren Verwicklungen und hilfloser Hysterie. Die Regisseurin scheint sich nie so richtig zwischen einer schrillen Groteske und einer gewollt vulgären und am Ende doch viel zu gebremsten Komödie entscheiden zu können, wobei „Rough Night“ spätestens im letzten Drittel vollends in seichtem Wohlgefallen versinkt.
Wie es schon zu befürchten war, gesteht auch diese Regisseurin ihren Frauenfiguren nur Anflüge eines blanken, schamlosen Exzesses sowie dezent angedeutete Konflikte zu, die sich eigentlich nur längerfristig bewältigen lassen. Am Ende von „Rough Night“ ist vor allem die Rückkehr in die sicheren Konventionen des Alltags von Bedeutung, so als wäre der kurze Abstecher in anstößige, verwerfliche Regionen ein turbulentes Übel, das es um jeden Preis auszumerzen gilt. Ein verlogenes Machwerk.
Mit einer 90 Millionen Dollar teuren Eigenproduktion will Netflix dem klassischen Kinoverleih endgültig das Fürchten lehren. Der von Max Landis geschriebene und von David Ayer inszenierte „Bright“ darf als Kampfansage verstanden werden, bei der der Streaming-Riese unter Beweis stellen will, dass kostspielige, namhaft besetzte Blockbuster längst nicht mehr den Gang ins nächstgelegene Multiplex voraussetzen, sondern als Erstveröffentlichung bequem von zu Hause aus über die Heimkino-Ausstattung abgerufen und konsumiert werden können. Während der Konflikt zwischen Netflix und den Traditionen des Kinos vor allem bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Cannes für Schlagzeilen sorgte, nachdem die Einblendung des Netflix-Logos vor Filmen wie „Okja“ Buhrufe durch den Saal hallen ließ, ist „Bright“ nun ein weiteres Großereignis für den Streaming-Dienst, der für das kommende Jahr 2018 plant, insgesamt gut 80 neue Filme zu produzieren und hierfür sieben bis acht Milliarden Dollar zu investieren.
Für Ayer, der für seine äußerst negativ aufgenommene DC-Comicverfilmung „Suicide Squad“ zuletzt eher in Verruf geraten war, bedeutete „Bright“ einen großzügigen Freifahrtschein, mit dem sich der Regisseur offenbar ohne externe Einschnitte austoben konnte. Und tatsächlich lockt „Bright“ mit einer Prämisse, die so wahnwitzig wie reizvoll klingt. In seinem Film erzählt Ayer von einem modernen, aber als Paralleluniversum konzipierten Los Angeles, in dem die Menschen in unterschiedlichen Bezirken zwischen Orks, Elfen und Feen leben. Ein harmonischer Alltag ist hierbei keineswegs gewährleistet, denn während die Elfen gewissermaßen der Oberschicht angehören, vertreten Orks die Position der sozial schwachen Außenseiter und Diskriminierten.
Unübersehbar ist der Bezug zur Realität, den Drehbuchautor Landis seinem potentiell kreativen Szenario verleiht. Themen wie Rassismus, Segregation und korrupte Polizeigewalt durchziehen die Geschichte des Films wie einen roten Faden, wenn die von Will Smith mit etwas müder Routine gespielte Hauptfigur des LAPD-Cops Daryl Ward in einer frühen Szene des Films eine Fee mit dem Besen erschlägt und dabei den Satz „Fairy lives don’t matter today!“ äußert. Dabei befindet sich der Protagonist des Films selbst in einer heiklen Situation, denn unfreiwillig ist er zum Partner von Nick Jakoby auserkoren worden, der als erster Ork überhaupt ein Cop ist und von Menschen geächtet sowie von seiner eigenen Rasse verstoßen wird.
Mit der Kombination von Fantasy-Elementen und dem realistischen Kontrast eines harten Polizei-Thrillers vereint „Bright“ zwei extreme Genre-Ausrichtungen in sich, die eindeutig der Handschrift von Drehbuchautor und Regisseur zugeordnet werden können. Als Sohn von John Landis, der für seinen Hang zu fantasievollen Stoffen bekannt ist, ist Landis ein Kind der Nerd-Kultur, der sich mit Vergnügen durch die Popkultur wühlt. Ayer dagegen ist der Mann fürs Grobe, der seine Vorliebe für Polizei-Filme als Drehbuchautor und Regisseur in der Vergangenheit mehrfach mit Filmen wie „Training Day“, „S.W.A.T.“, „Street Kings“, „End of Watch“ oder „Sabotage“ auslebte.
„Bright“ markiert nun die unglückliche Kollision dieser beiden Stilrichtungen zu einem unentschlossenen, oberflächlichen Genre-Hybrid, der sich ebenso wenig für das vielversprechende Potential seiner eigenen Welt interessiert wie er in fetischisierten LAPD-Posen, knallharten Schusswechseln und finsteren Schauplätzen versinkt. Da Ayer trotz des hohen Budgets und prominenten Namen wie Smith, Joel Edgerton oder Noomi Rapace ohne angezogene Handbremse agieren durfte, entpuppt sich die Netflix-Produktion als abgegriffene Aneinanderreihung von Kernmotiven des Regisseurs, die dieser auf uninspirierte Weise in einem vorhersehbaren Narrativ aus gehetzten Cops, korrupten Kollegen, gefährlichen Gangmitgliedern und übermächtigen Gegenspielern ausbreitet.
Die fantasievolle Komponente, bei der Landis unter anderem eine Art Zauberstab in die Handlung integriert, der auserwählten Nutzern, sogenannten „Brights“, jeden Wunsch erfüllt, verkommt mehr und mehr zur Randnotiz, während brisante Spannungen zwischen der Abstammung der verschiedenen Figuren und gesellschaftspolitische Auswirkungen ungelenk ausgelassen oder als Eckpfeiler einer Buddy-Comedy-Dynamik zwischen Ward und Jakoby verschwendet werden.
Die eigentliche Handlung, in der eine Gruppe abtrünniger Elfen die Macht der Zauberstäbe missbrauchen will, um einen legendären dunklen Lord wieder zum Leben zu erwecken und die alleinige Herrschaft an sich zu reißen, dient Ayer einzig und allein für eine nächtliche Odyssee durch ein düsteres Los Angeles, das die Protagonisten durch heruntergekommene Häuserblocks, tödliche Gang-Gebiete und schmierige Stripclubs führt, wo der Regisseur Konflikte wie gewohnt in ausufernde Action-Setpieces münden lässt, die Spannung in blutigen Shootouts, Prügeleien oder anderen Todesarten auflösen.
Die druckvolle Handschrift von Ayer kaschiert die dünne, generische Handlung hingegen kaum, während der Film trotz geringfügiger komischer Einschübe offensichtlich als extrem ernstes Unterfangen verstanden werden will, das seine von Fantasie-Wesen sowie -Elementen bevölkerte Welt ausschließlich an glattpolierte Oberflächenreize und hohles Spektakel verrät. Ernüchternd, dass sich Netflix ausgerechnet auf diese Weise zwischen großen Konkurrenten in Form herkömmlicher Filmstudios als ernstzunehmende Konkurrenz positionieren will. Lediglich in Hinblick auf den zu vernachlässigenden, immer gleichen Blockbuster-Auswurf dieser Studios hat der Streaming-Dienst mit „Bright“ womöglich ein adäquates Äquivalent geschaffen.