Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 5 .5

    [...] Viel bedeutender als der Blick zurück ist für die Regisseurin der unentwegte Blick in das Gesicht ihrer Hauptdarstellerin. Kidman, die für ihre Hauptrolle der sichtlich gebrochenen, lebensmüden Polizistin mithilfe von Make-Up und einer Perücke besonders unansehnlich hergerichtet wurde, durchläuft für Destroyer eine ähnliche Wandlung wie damals Charlize Theron (Tully) für ihre Rolle der heruntergekommenen Prostituierten und Mörderin in Monster. Während Kidmans Erin jegliche zwischenmenschlichen Fäden gekappt zu haben scheint, besteht ihr einziger Anker für einen restlichen Funken von Verantwortung aus ihrer jugendlichen Tochter Shelby. Längst droht ihr das 16-jährige Mädchen, welches in der Schule versagt und sich mit einem fragwürdigen Freund herumtreibt, jedoch schon zu entgleiten. Nur in dem Versuch, mit ihrer fatalen Vergangenheit endlich abschließen zu können, erkennt die Protagonistin womöglich einen Weg, um die Zukunft ihrer Tochter abzusichern. Dabei pendelt Destroyer, der in seiner grundlegenden Stimmung stark an atmosphärische Grundpfeiler aus der 1. und 2. Staffel der HBO-Serie True Detective erinnert, über die meiste Zeit der zwei Stunden hinweg zwischen behäbiger Charakterstudie und formelhaftem Krimi-Plot hin und her. Während Kusama die verwinkelten Freeways, karg eingerichteten Wohnungen und bei Nacht mit hellen Neonschriftzügen anliegender Bars durchleuchteten Straßenzüge von Los Angeles als urbanes Netz in Erins Unterbewusstsein gestaltet und sich der Psyche der Protagonistin mittels eingestreuter Erinnerungsfetzen zersplittert und chaotisch nähert, wird auch mit diesem Streifen wieder einmal deutlich, dass die Regisseurin nur so stark ist wie das Drehbuch, das sie verfilmt. Gerade ihr vorheriges Werk The Invitation zeigte Kusama als versierte Thriller-Handwerkerin, die das mit leisen Hinweisen, verstörenden Andeutungen und schließlich kathartisch implodierender Gewissheit versehene Drehbuch von Phil Hay und Matt Manfredi erstaunlich dicht und voller unaushaltbarer Anspannung in Szene setzte. Ein ähnlich lobendes Urteil lässt sich für Destroyer, dessen Drehbuch ebenfalls wieder von Hay und Manfredi geschrieben wurde, bedauerlicherweise nicht mehr finden. Bei dem Versuch, die Erklärung für die gegenwärtig gebrochene, rätselhafte Verfassung der Protagonistin möglichst lange hinauszuzögern und mit einer Auflösung zu rechtfertigen, die kaum überrascht, erweist sich Kusamas Film als dramaturgisch schleppender, ansonsten viel zu generischer Gang durch Kriminalfilm-Klischees und Hardboiled-Stereotypen. So verletzlich und abgekämpft die Hauptdarstellerin Erin auch anlegt und verkörpert, so konventionell und altbacken mutet ihre Figur der stoischen, harten Ermittlerin im Angesicht einer gnadenlosen Welt ohne Gefühle letztlich an. Ein geradlinig-packender Schusswechsel in der Mitte des Films soll den Zuschauer ebenso wie Erin zwischen Vergangenheit und Gegenwart kurzzeitig wieder auf den Boden der Realität zurückführen. Ganz zum Schluss gelangen beide, die Ermittlerin und das Publikum, jedoch nur wieder zu einem Ende, das den Anfang bedeutet. [...]

    8
    • 5
      über Polar

      Ähnlich wie sein von Keanu Reeves gespielter Auftragskiller-Filmkollege John Wick muss auch Mads Mikkelsen als Auftragskiller in "Polar" feststellen, dass der Ruhestand Menschen in seinem Berufsstand eher weniger vergönnt ist. Nur noch 14 Tage ist sein Duncan in Jonas Åkerlunds Neo-Noir-Actionthriller-Comicverfilmung von der Rente entfernt, die ihm eine sofort ausgezahlte Pension von über 8 Millionen Dollar einbringen soll. Sein Boss beschließt jedoch, die stattliche Summe lieber selbst einzustreichen und den Beinahe-Ruheständler von Killern aus den eigenen Reihen liquidieren zu lassen. Die legen sich natürlich mit dem falschen an. Nicht umsonst gilt Duncan als einer der gefürchtetsten Killer weltweit.
      Welche Tonalität Åkerlund mit "Polar" einschlagen will, stellt der ehemalige Black Metal-Schlagzeuger und Musikvideo-Regisseur bereits im Intro unter Beweis. Für Bilder, die in ihrer fast schon unerträglichen Übersättigung bewusst an knallige Pop-Impressionen wie aus einem Comicheft erinnern sollen, hat sich der Regisseur für die ersten Minuten seines Films den ehemaligen "Jackass"-Star und mittlerweile Quasi-Schauspieler Johnny Knoxville ausgeborgt. Diesen lässt er nach einer kurzen Oralsex-Gefälligkeit als Ablenkung umgehend wieder verschwinden, nachdem seine Figur des ehemaligen Auftragskillers nach einer mühsam hinausgezögerten Ermordung als Paradebeispiel für das bevorstehende Schicksal von Mikkelsens Protagonist dienen soll.
      Dabei macht der Anfang von "Polar" schnell deutlich, dass Åkerlunds Comicverfilmung tonal regelrecht schizophren anmutet. Speziell die Szenen, in denen die angeheuerte Killer-Brigade von Oberboss Mr. Blut in der ersten Hälfte von einem Schauplatz zum nächsten irrt und bei der Spurensuche nach dem "Black Kaiser" einen Kopfschuss nach dem anderen an Befragte verteilt, sind in ihrer infantil-pubertären Art der überzeichneten Aneinanderreihung von Noir-Stereotypen, eingeblendeten Namensschriftzügen und aufgesetzten Posen nur schwer erträglich. In diesen deutlich zu zahlreich eingestreuten Momenten wirkt der Film so, als käme er mindestens 20 Jahre zu spät und hätte sämtliche Vertreter des cool-gewalttätigen, lässig-postmodernen Post-Tarantino-Kinos trotzig ignoriert.
      Mit seinem Hauptdarsteller hat Åkerlund dagegen einen wahren Glücksgriff gelandet. Mikkelsens stoisch-verschlossene Präsenz stemmt sich gekonnt gegen den grell überzogenen Tonfall der anderen Szenen, während der Däne mitunter seine hypnotische Performance aus Nicolas Winding Refns "Valhalla Rising" in Erinnerung ruft. Sein "Black Kaiser" wird von traumatischen Erinnerungen und Alpträumen an einen fehlgeschlagenen Auftrag aus der Vergangenheit gequält, für die Åkerlund wiederum sein Talent als früherer Regisseur frenetisch montierter, verstörend wirkender Musikvideos und Clips entfalten darf.
      Mikkelsen verleiht "Polar" einen verunsichernden Ruhepuls, der zwischenzeitlich in kurzen Action-Sequenzen auf 180 schlägt, bevor sich der vor allem körperlich ungemein omnipräsente Killer wieder in brodelndes Stillschweigen zurückzieht. Minimale Anzeichen von Gefühlsregungen lassen sich bei Duncan nur erkennen, als er die junge Frau Camille kennenlernt. Früher ist auch sie Opfer eines Gewaltverbrechens geworden und nun lebt sie ausgerechnet in der Gegend, in der sich der "Black Kaiser" endgültig zur Ruhe setzen will.
      Erst spät verbindet Åkerlund das aufdringlich Grenzdebile und das raue Melancholische seines Films, um diesen auf den letzten Metern in einen wüsten Kampf ums nackte Überleben kippen zu lassen. Nur dann, wenn sich der Regisseur vor dem eigentlichen, antiklimatischen Finale noch einmal auf die pure Zerstörung von Körpern im atemlosen Comicheft-Inferno konzentriert, erstrahlt "Polar" kurzzeitig als ernstzunehmender "John Wick"-Konkurrent. Geschlagen geben muss sich Åkerlunds Film aber schließlich aufgrund der weitaus weniger ästhetischen Kampfkunst-Choreografien sowie seines ständigen Zwangs zum Ausstellen penetrant-pubertärer Mätzchen.

      16
      • 7 .5

        Nur kurze Schnitte von vielleicht einer Sekunde Dauer genügen in Felix Van Groeningens neuem Film "Beautiful Boy", um die Welten zwischen einem Vater und seinem Sohn komplett umzukrempeln. Die Erzählstruktur des Dramas, das sowohl auf der Autobiografie von Sohn Nic Sheff als auch seines Vaters David Sheff basiert, ist so lose wie zeitlich ungebunden. Figuren werden von einem Moment auf den nächsten älter und wieder jünger, das ehrliche Lächeln eines kleinen Jungen wird zum ausdrucklosen Gesicht eines verlorenen Teenagers und ein Vater irrt verzweifelt durch den Eingangsbereich eines Krankenhauses, nachdem er seinen Sohn kurz zuvor in den Wellen des Meeres verlieren konnte, da sich dieser noch verlässlich auf dem Surfbrett über Wasser hielt.
        Aus kurzen Momentaufnahmen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die sich mit nahezu unaufhörlichen Bildern des Wartens, der Ungewissheit oder des stillen Verzweifelns abwechseln, erzählt Van Groeningen in "Beautiful Boy" die Geschichte einer Abhängigkeit, von der Davids Sohn Nic betroffen ist. Ungeachtet dessen, dass Nic als Wohlstandskind aufwuchs und aufgrund seines Intellekts sowie einer Schreibbegabung nach dem College einen ähnlichen oder sogar besseren Berufsweg wie sein als freier Journalist arbeitender Vater einschlagen könnte, ist in dem Teenager über die Jahre hinweg ein schwarzes Loch aufgeklafft. Eine Leerstelle, die Nic zunehmend stärker verschlang und ihn dazu motivierte, sämtliche Drogen auszuprobieren und regelmäßig zu konsumieren, die er auftreiben konnte.
        Als er seinem Vater gesteht, dass sein Drogenkonsum schon seit Jahren anhält und er mittlerweile schon beim Spritzen von Crystal Meth angelangt sei, bricht für David eine Welt zusammen. Bislang pflegte er zu Nic immer ein lockeres, offenes Verhältnis, selbst einen Joint teilten sich Vater und Sohn nach Nics erfolgreichem Highschool-Abschluss. Wie sein Sohn jetzt in den regelmäßigen Konsum harter Drogen abrutschen konnte, bleibt für ihn neben der Frage, wie er Nic überhaupt noch helfen kann, das größte Rätsel. Ein Rätsel, das Van Groeningen auch für den Zuschauer des Films bis über den Abspann hinaus nicht auflösen wird. An tiefenpsychologischen Motiven und einer expliziten Darstellung des Teufelskreislaufs aus Drogenbeschaffung und -konsum zeigt der belgische Regisseur ebenso wenig Interesse. Einige Szenen, in denen sich Nic erstmals sowie später als Rückfalliger Crystal Meth spritzt und völlig benebelt durch die Straßen taumelt, genügen. "Beautiful Boy" handelt vielmehr von all den Momenten der, für den Vater ebenso wie für den Sohn, nahezu unaushaltbaren Realität zwischen dem letzten und dem nächsten Drogenkonsum.
        Während Nic Realität in Anwesenheit seines Vaters fast schon beiläufig als etwas bezeichnet, dem es zu entkommen gilt, wird Davids Realität zur ständigen Hölle des machtlosen Wartens und zu einem Dauerzustand, in dem ihm sein Sohn mehr und mehr bis zur Endgültigkeit entgleitet. Wenn Nic für den Zuschauer zwischenzeitlich 15 Minuten aus Van Groeningens Film verschwindet, vergehen für David im sprunghaften, zeitlich nicht chronologischen Rhythmus der Handlung mitunter Wochen. Dieser Rhythmus, in dem Nic aufgrund des chaotischen Verstands eines Süchtigen durch sein eigenes Leben irrt, während David gleichzeitig zum Gefangenen seiner schönsten, wertvollsten Erinnerungen sowie schmerzlichsten Rückschläge und Erkenntnisse wird, dient in "Beautiful Boy" als gemeinsame Schnittstelle für Van Groeningens schonungslos intimen Zugang zur Geschichte von Vater und Sohn.
        Vorwerfen lassen muss sich der Regisseur dabei einen ausladenden Hang zum reinen Ästhetizismus, der einzelne Szenen dieses Films immer wieder gefährlich nahe zu puren Klischee-Einstellungen weichgezeichneter Indie-Produktionen rückt. Gerade der Soundtrack des Dramas ist so sorgfältig als hippes Mixtape zusammengestellt worden wie er kalkuliert als Taktstock der erzwungenen Gefühlsausbrüche dienen soll. Glücklicherweise überlagern diese Momente den emotionalen Kern von "Beautiful Boy" nie, welcher immer wieder in Gesprächen vollkommen ohne Musikuntermalung oder durch Blicke in zutiefst beunruhigte, fragende oder sich kurz vor dem inneren Kollaps befindende Gesichter sichtbar wird.
        Van Groeningen, der in seinem wohl bestürzendsten Werk "The Broken Circle Breakdown" spätestens gegen Ende einen unerträglichen Schicksalsschlag auf den nächsten türmte, zeigt sich in "Beautiful Boy" dagegen vorsichtig optimistisch. In der Erkenntnis, dass manche Form von wiederholtem Hilfeversuch ebenso vergeblich sein kann wie ein wiederholt lauter, verhallender Hilfeschrei, findet der Regisseur zuletzt einen leisen Hoffnungsschimmer, ähnlich knapp wie das Wort "everything", in dem Vater und Sohn all ihre Liebe zueinander bündeln.

        "I saw the shape of my wife's head, she so still, I ached for her life, just being there under the covers. I kissed her on the forehead, got down the stairway, got outside, got into my marvelous car, fixed the seatbelt, backed out the drive. Feeling warm to the fingertips, down to my foot on the gas pedal, I entered the world once more, drove down the hill past the houses full and empty of people, I saw the mailman, honked, he waved back at me."

        14
        • 7

          [...] Nahezu chronologisch geordnet erzählt der Regisseur die Geschichte vom Aufstieg und Fall von Mayhem als ausgelassenes Schelmenstück zwischen karikaturenhafter Überzeichnung, aufrichtiger Coming-of-Age-Sensibilität, dokumentarischen True Crime-Anleihen und grauenerregender Horrorfilm-Ästhetik. Die Geschichte von Mayhem und ihrem Gründer Euronymous, der laut eigener Aussage den True Norwegian Black Metal erfand, verwandelt Åkerlund gerade zu Beginn seines Films in eine Geschichte unreifer, rebellischer Jugendlicher, die sich in ihr möglichst anstößiges Image verbeißen, um dahinter mithilfe von Partys, Alkohol und Frauen all das zu feiern, was andere Heranwachsende ihres Alters ebenso hauptsächlich anstreben. Gleichzeitig ist Lords of Chaos aber auch ein Film über die unverstandenen Frustrationen, tiefen Unsicherheiten sowie schweren psychischen Erkrankungen von einigen der Protagonisten, die der Regisseur in den Mittelpunkt der Geschichte rückt. Ein frühes einschneidendes Ereignis des Films nimmt dabei der Abschnitt rund um Per Ohlin ein, der unter seinem Spitznamen Dead der erste Sänger von Mayhem nach deren Gründung wurde. Hierbei ruft ein gemeinsamer Live-Auftritt der Band mitsamt Selbstverletzung des Sängers sowie vergossenem Blut auf die Fans in der ersten Reihe unweigerlich Åkerlunds Qualitäten als wilder, nahezu avantgardistischer Konzertfilmer hervor, die dieser beispielsweise zuletzt auch für seinen Konzertfilm Rammstein: Paris unter Beweis stellte. Bereits kurz darauf entzieht sich der Regisseur hingegen bewusst der Gefahr der verheerlichenden Mythenbildung. Sobald er sich dem langsamen, qualvollen Suizid von Sänger Death widmet, der zuvor unter schweren Depressionen litt, verkommt Lords of Chaos zu einem geradezu unerträglich explizitem Schock-Drama, in dem Åkerlund ebenso auf aufflackernde Menschlichkeit hinter den manchmal humorvoll vorgeführten Metal-Klischees blickt wie er diese mitunter in zeitlupenhafter Schonungslosigkeit auslöscht. [...] Am Ende, wenn sich Åkerlund durch detailgetreuen Wahnsinn, jugendlichen Leichtsinn, trügerische Ikonenbildung, humorvoll überspitzte Klischee-Darbietungen und -Brechungen, surreal eingestreute Traumsequenzen und fiebrige Musik-Montagen geprügelt hat, wird Lords of Chaos von einem finalen Moment grenzenloser Brutalität beschlossen, der Teile des gefährlichen Black Metal-Kults endgültig in banale Regionen ernüchterndster Verwerflichkeit zurückbringt.

          17
          • 5

            Ganze 8 Jahre mussten vergehen, bis sich Florian Henckel von Donnersmarck 2018 mit einem neuen Film zurückgemeldet hat. Noch vor über 10 Jahren galt er als großer Hoffnungsträger des deutschen Films, nachdem sein Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" 2007 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Danach ging es für Donnersmarck direkt nach Hollywood, wo er mit den Superstars Angelina Jolie und Johnny Depp das Thriller-Remake "The Tourist" drehte. Ein Film, der bei den Kritikern ebenso gnadenlos durchfiel wie er am Box Office enttäuschte.
            Mit dem 188 Minuten langen Drama "Werk ohne Autor" ist der Regisseur jetzt nach Deutschland zurückgekehrt, um in der Mischung aus Historienfilm und Künstler-Drama sehr lose die Biografie des Künstlers Gerhard Richter zu beleuchten. Dabei bediente sich Donnersmarck offensichtlich derart großer kreativer Freiheiten, dass sich der reale Richter umgehend nach der Sichtung des Films von den gezeigten Darstellungen distanzierte und dem Regisseur vorwarf, seine Lebensgeschichte missbraucht und verzerrt zu haben. Donnersmarck selbst bezeichnet den Film wiederum als freie Interpretation der Biografie des Künstlers, die bewusst stark von den realen Ereignissen abweicht.
            Unabhängig davon entpuppt sich "Werk ohne Autor" gerade über das erste Drittel der Laufzeit hinweg als typischer Film eines deutschen Regisseurs, der mithilfe großzügiger Filmförderfonds aus dem vollen dramatischen Potenzial deutscher Aufarbeitungsgeschichte schöpfen will. Nach einem kurzen Intro, in dem Lars Eidinger als Museumsführer erklärt, was entartete Kunst ist, beginnt die Geschichte des Films 1937 in Dresden, wo der in Kurt Barnert umbenannte 5-jährige Protagonist viel Zeit mit seiner jungen Tante Elisabeth verbringt. Dass die noch recht junge Frau schizophrene Tendenzen aufweist und schließlich in eine Dresdener Frauenklinik eingewiesen wird, wo sie der Nazi-Ideologie der Euthanasie untergeordnet wird, ist der entscheidende dramaturgische Aufhänger für Donnersmarcks Geschichte, die bis in die 1960er-Jahre nach Düsseldorf führen wird.
            Bis es jedoch soweit ist und sich "Werk ohne Autor" ungefähr ab der zweiten Hälfte zu einem Film wandelt, der ebenso einnehmend wie schlüssig von Kunst, der Aufarbeitung vergangener Traumata sowie der Verknüpfung dieser beiden Thematiken erzählt, ruft Donnersmarck in der ersten, während der NS-Zeit spielenden Hälfte sämtliche Klischees und Ärgernisse ab, die ein für gewöhnlich fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen produzierter TV-Zweiteiler üblicherweise bieten muss.
            Hölzerne Dialoge, unpassende oder unfreiwillige Komik und forciertes Leid, für das sich Donnersmarck nicht zu schade ist, die Bombardierung Dresdens mit der Vergasung von Kurts Tante parallel zu montieren, bestimmen diesen Teil von "Werk ohne Autor", der ohne die darauffolgende zweite Hälfte zu einem der ärgerlichsten deutschen Kinofilme der jüngeren Vergangenheit geführt hätte. Viel Raum gesteht der Regisseur früh in seinem Epos der Figur des Professors Carl Seeband zu, der als Leiter der Dresdener Frauenklinik sowie SS-Obersturmbannführer dafür verantwortlich ist, dass Kurts Tante ihr Leben lassen muss. Wenig später werden sich die Schicksale des talentierten Malers und des von Schuld geplagten, zwischenzeitlich vom KGB inhaftierten und schließlich begnadigten Gynäkologen kreuzen, als sich Kurt in Seebands Tochter Elisabeth verliebt.
            Anstelle der ganz großen, erwartbaren Konfrontation, die zusätzlich durch einen diabolischen Abtreibungs-Handlungsstrang befeuert wird, setzt sich Donnersmarck ab dem Zeitpunkt, an dem sich der Protagonist an der Düsseldorfer Kunstakademie befindet, lieber mit dem künstlerischen Werdegang sowie die sich daran anschließende Schaffenskrise von Kurt auseinander. Unter den Lehren von Oliver Massuccis gleichzeitig strenger wie sanftmütiger Joseph Beuys-Interpretation muss er erst lernen, seine eigene Persönlichkeit in seine Arbeiten einfließen zu lassen, um wahre Kunst schaffen zu können. Es mag auch in diesen Passagen noch überaus kitschig und überzeichnet anmuten, wenn Donnersmarck Kurts Frau Elisabeth einer fast schon göttlichen Erlösung unterordnet, nachdem die von Paula Beer unterfordert gespielte Figur ohnehin vorwiegend als sanftmütiger Rettungsanker, sexuelles Lustobjekt sowie einladende Aktvorlage für die Kamera von Caleb Deschanel dient. Am Ende, wenn der Maler Schwarz-Weiß-Fotografien und weiße Leinwände mit Nachzeichnungen, Überblendungen und Verwischungen bearbeitet, um das persönlich Erlebte mit dem unbeschreiblichen Schrecken kollektiver Traumata zu vereinen, hat Donnersmarck ebenso wie Kurt Barnert aber zumindest in diesen kurzen Momenten wahre Kunst geschaffen.

            11
            • 5

              Den schicksalsträchtigsten und gleichzeitig endgültigsten Moment im Leben von Maria Stuart, die Hinrichtung der mit 18 Jahren zur Königin von Schottland aufgestiegenen Frau, setzt Josie Rourke in ihrem Historiendrama "Mary, Queen of Scots" direkt an den Anfang des Films. Den Tod der Thronfolgerin handelt die Spielfilmdebütantin ebenso beiläufig ab wie ihren königlichen Aufstieg. Rourke konzentriert sich in dem Werk viel lieber auf die Zeitspanne dazwischen, in der Maria ihre Macht nicht nur gegenüber intern aufeinanderprallenden Interessen, sondern vor allem gegenüber ihrer eifersüchtigen Cousine Königin Elizabeth I. von England verteidigen muss.
              Dass sich House of Cards-Showrunner sowie Drehbuchautor Beau Willimon auch für das Drehbuch zu diesem Film verantwortlich zeichnet, wird hingegen schnell offensichtlich. Auch "Mary, Queen of Scots" stellt sich frühzeitig als Aneinanderreihung politischer Machtkämpfe und Intrigen hinter den Kulissen heraus, bei dem ein falsches Wort oder eine verheerende Bewegung umgehend zum Tod führen kann. Im Gegensatz zu Kevin Spaceys Frank Underwood, der in "House of Cards" noch das Weiße Haus der gegenwärtigen USA aufwirbelte, ist Rourkes Film in erster Linie der von Saoirse Ronan gespielten Maria Stuart verschrieben, die ihre Macht trotz ihres jungen Alters auf dem Thron behaupten muss.
              Bedauerlicherweise erweist sich "Mary, Queen of Scots" bereits nach kurzer Zeit als überaus uninspiriert abgefilmte Geschichtsstunde, die sich aufgrund von Rourkes Hintergrund als vorherige Theaterregisseurin in audiovisuell eintönigen, starren Einstellungen wie aus dem staubigen Schulbuch entfaltet. Gerade in Bezug auf den zentralen Konflikt zwischen Maria und Elizabeth zerfällt der Film aufgrund der wenigen Szenen mit der von Margot Robbie verkörperten Königin von England in zerfaserte Einzelteile, die niemals ein Ganzes ergeben. Dabei erweist sich Robbies Figur der tragisch eifersüchtigen Konkurrentin, die sich zum konträren Spiegelbild von Maria entwickelt, als interessantester Charakter in Rourkes Film. Mehrfach im Film bringt Elizabeth in der Handlung des Films nach einer schweren Pockenerkrankung, die sie optisch dauerhaft beeinträchtigt, zum Ausdruck, dass sie erst zu einem Mann werden musste, um in dieser von Männern dominierten Welt an der Spitze bleiben zu können.
              Ähnlich feministisch-progressive Ansätze wie diese kurze Dialogzeile lässt "Mary, Queen of Scots" in der Auseinandersetzung mit der titelgebenden Königin hingegen vermissen. Vom Drehbuch wird Maria stattdessen auf eine junge, unerfahrene Frau reduziert, die trotz dominanter, willensstarker Tendenzen auf die Abhängigkeit von Männern setzt und sich den damals üblichen Konventionen der Eheschließung und des möglichst zeitigen Kinderkriegens fügt. Dass sich der Film immer wieder Freiheiten gegenüber den realhistorischen Ereignissen nimmt, beweist beispielsweise eine Szene gegen Ende des Films. Hier treffen Maria und Elizabeth I. in einer Begegnung aufeinander, die so nie stattgefunden hat, für die schlussendliche Realisierung beider Figuren jedoch von elementarer Bedeutung ist. In einem Waschhaus voller verhüllender Laken, durch die sich beide Frauen erst einen Weg zueinander bahnen müssen, verstehen sie, dass sie sich ähnlicher sind als gedacht und unter anderen Umständen womöglich einen gemeinsamen Nenner gefunden hätten. Maria und Elizabeth sind hierbei jedoch nicht nur längst Opfer ihres nahen Umfelds geworden, das sie manipuliert und lenkt, sondern auch Opfer des nachlässigen Drehbuchs, das den rebellischen, rücksichtslosen Machtkampf zwischen zwei mächtigen Frauen auf klischeehafte, der damaligen Zeit geschuldeten Konflikte reduziert, die der feministisch intendierten Aussage des Films massiv im Wege stehen.

              7
              • 7 .5

                Um Menschen im herkömmlichen Sinne ging es im Kino von Yorgos Lanthimos nie. Stattdessen zeichnet der griechische Regisseur, der sich mit provokanten Werken wie "Dogtooth", "The Lobster" und zuletzt "The Killing of a Sacred Deer" stets auf der scharfen Klinge zwischen absurdem, pechschwarzem Humor und zynischer Gesellschaftskritik bewegte, in seinen Filmen ein Abbild unserer Welt, bei dem gewöhnliche Verhaltensmuster aus dem bekannten Rahmen fallen. Dabei wies Lanthimos seine Schauspieler stets an, vor der Kamera möglichst emotionslos und dadurch ähnlich wie gefühllose Roboter zu agieren, was sich in den Figuren der jeweiligen Werke überdeutlich widerspiegelte. Menschen gerieten im Schaffen des Griechen vielmehr zu Versuchsobjekten innerhalb abstrakter, surrealer sowie zutiefst bösartiger Experimente und Beobachtungen, durch die der Regisseur wiederum allzu eindringlich unsere reale Gegenwart erfasste.
                Sein aktueller Film "The Favourite", der bei der bevorstehenden Oscar-Verleihung Ende Februar für 10 Auszeichnungen nominiert wurde, stellt im bisherigen Schaffen des Regisseurs Lanthimos' bis dato zugänglichstes Werk dar. Gleichzeitig markiert der starbesetzte Streifen, der Schauspielerinnen wie Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone in Hochform als zentrales Hauptfiguren-Trio vereint, eine willkommene Abwechslung dar. Selten hat sich der Regisseur so spielerisch ausgelassen den vergnüglichen Tiraden und Gefechten seiner Geschichte hingegeben. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Filmen spielt die Handlung von "The Favourite", dessen Drehbuch erstmals nicht von Lanthimos selbst geschrieben wurde, in der Vergangenheit am englischen Königshof im frühen 18. Jahrhundert. Hier befindet sich England zum Zeitpunkt der Geschichte im Krieg mit Frankreich, wovon die unterschiedlichen Figuren innerhalb des Schauplatzes nur durch regelmäßige Berichterstattungen Zeuge werden. Die politische Situation verschränkt das Drehbuch von Deborah Davis und Tony McNamara auf interne Machtspiele, Intrigen und Obsessionen, durch die das Chaos des extern verlagerten Kriegs nichtsdestotrotz die intimsten Kammern, Korridore und Säle des prunkvollen Königshofs beherrscht.
                Hierbei inszeniert Lanthimos eine Dreiecksbeziehung zwischen der Königin Anne, ihrer engsten Vertrauten sowie Premierministerin Sarah und deren neu am Königshof angereisten Cousine Abigail. Die aus einfachsten Verhältnissen stammende Abigail, die von ihrem Vater früher an einen Deutschen verspielt wurde und diesem sexuell hörig sein musste, wird von ihrer Cousine in Beschlag genommen und darf anfangs niedere Dienste verrichten, während sie sich mit einem Zimmer in der Größe einer etwas großzügigeren Besenkammer zufrieden geben muss. Nicht ohne Grund äußert sie einmal im Film den treffenden Satz: "My life is like a maze I continually think I’ve gotten out of only to find another corner right in front of me". Sarah ist derweil dafür zuständig, für das leibliche Wohl der Königin zu sorgen, die zurückgezogen und mit körperlichem Leiden abgeschottet in den eigenen vier Wänden ihres Schlafzimmers verweilt, wo ihr 17 Kaninchen Gesellschaft leisten. Dabei reicht Sarahs Fürsorge für die exzentrische, launische Anne von bürokratischen Verpflichtungen bis hin zu sexuellen Gefälligkeiten.
                Es dauert nicht lange, bis Lanthimos die Dynamiken dieser Ménage-à-trois zwischen Anne, Sarah und Abigail munter verschiebt, wenn Menschen hinter Karikaturen, Opfern hinter Tätern und Verletzte hinter Liebenden sichtbar werden und sich "The Favourite" zu einem abgründigen Kräftemessen rund um Machtausübung und -erlangung wandelt. Unter der Regie des provokanten Filmemachers verkommt dieses Kräftemessen zu einer Abfolge präzise beobachteter Scharmützel, pointierter Dialoge und surreal-absurder Einsprengsel, die im Vergleich zu dessen vorherigen Werken merklich überschaubar ausfallen. Wenn Lanthimos am Königshof nackte Männer mit Tomaten bewerfen, Enten und Hummer um die Wette rennen oder aus nächster Nähe auf Tauben schießen lässt, deren Blut plötzlich ins Gesicht der Konkurrentin spritzt, ist "The Favourite" aufgrund derart markanter Bilder aber immer noch weit entfernt von konventionellen Historien- und Kostümfilmen.
                Was die Bilder zusätzlich von vergleichbaren Genre-Vertretern unterscheidet, ist die sensationelle Kameraführung von Robbie Ryan. Durch die unentwegte Verwendung von Weitwinkel- und Fischaugen-Objektiven, stilvolle Überblendungen und mit natürlichem Kerzenschein erleuchtete Räumlichkeiten haftet "The Favourite" eine Optik an, die das historisch verbürgte, mit allerhand kreativen Freiheiten konstruierte Setting als schrägen, von der Realität immer ein Stück weit losgelösten Mikrokosmos erscheinen lässt. Verstärkt wird dieser Eindruck der dezenten Dissonanz durch die Verschmelzung von Kompositionen der Klassik mit zeitgemäßen, verschrobenen Klängen wie aus einem psychotischen Horrorfilm.
                Trotz des formal ungemein ausgereiften Stils verliert Lanthimos aufgrund des fremden Drehbuchs von Davis und McNamara diesmal nie den Blick auf seine Hauptfiguren. "The Favourite" mag in letzter Konsequenz zahmer und weniger abgründig-intensiv wie vorherige Filme des Regisseurs ausfallen, doch die neu gewonnene Emotionalität, durch die die Sympathien zu den drei Protagonistinnen immer wieder verschwimmt, ist definitiv ein angenehmes Novum im distanziert-kühlen Werk des Griechen. Hinter den einzelnen Schichten des Streifens kommt schließlich auch ein schmerzliches Liebesdrama zum Vorschein, das fernab der bewusst verabscheuungswürdigen bis dümmlichen männlichen Figuren eine betont feministische Note trägt. Die auffällige Zuneigung zu Tieren, die Lanthimos in "The Favourite" seit langer Zeit zur Abwechslung ausspart, kommt dafür noch einmal voll und ganz in der Schlusseinstellung zum Tragen, wenn Kaninchen über Kaninchen das Schicksal der einsamen Abhängigkeit besiegeln.

                13
                • 7

                  "How the fuck did this happen?" fragt Michael Moore nach einigen Minuten seiner neuen Dokumentation "Fahrenheit 11/9". Schon das Intro des Films, in dem der Regisseur die frühen Morgenstunden des 09. Novembers 2016 noch einmal Revue passieren lässt, in denen Donald Trump offiziell zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt wurde, kommt einer ernüchternden Ratlosigkeit gleich, der Moore in den nachfolgenden gut 2 Stunden auf den Grund gehen will. Bereits im Oktober 2016 veröffentlichte der Dokumentarfilmer überraschend ein kurzes Werk namens "Michael Moore in TrumpLand", das den Wahlkampf des damaligen Präsidentschaftskandidaten thematisierte. Schon hier war hingegen klar, dass das nur 73 Minuten lange Statement nicht alles gewesen sein konnte. Über zwei Jahre später folgt mit "Fahrenheit 11/9" nun der fast eine Stunde längere Nachschlag, in dem sich Moore mit einem Amerika, seinem Amerika auseinandersetzt, das in jüngster Vergangenheit längst zu einem TrumpLand geworden ist.
                  Ähnlich gespalten und chaotisch wie die Lage der US-Nation fällt die neueste Dokumentation des Regisseurs zunächst aus. Mit Trump hat sich Moore einen Gegner ausgesucht, dem er lange Zeit nicht gewachsen zu sein scheint. Alles, was es an absurden Fakten und haarsträubenden Details über den derzeitigen Präsidenten von Amerika an die Öffentlichkeit zu zerren gibt, befindet sich dort bereits, noch dazu oftmals von ihm selbst ans Tageslicht der öffentlichen Aufmerksamkeit befördert. Offensiv bündelt Moore nach einer kurzen Chronologie von Trumps Aufstieg als TV-Star zum Präsidenten noch einmal besonders verheerende Erkenntnisse wie beispielsweise die auffällig unangenehme Nähe von Trump zu dessen Tochter Ivanka, der Moore ohne großen Kommentar ein inzestuöses Begehren verleiht, während er parallel die Medien für dessen großen Erfolgszug anprangert.
                  Erst nach gut einer halben Stunde findet der Regisseur mit "Fahrenheit 11/9" dagegen zunehmend mehr in eine erzählerische Spur. Sobald sich Moore nicht mehr nur auf Trump selbst, sondern auf den Weg dahin fokussiert, gewinnt die Dokumentation an gewohnter Schärfe und Profil. Ohne eine einseitige Verurteilung der Republikaner wirft der Regisseur ebenso einen überaus kritischen Blick auf die Manipulation der Vorwahlen durch die Demokraten und das damit verbundene Ausscheiden des eigentlichen Favoriten Bernie Sanders, der sich gegen Hillary Clinton geschlagen geben musste. Besonders eindringlich wird der Film, sobald sich Moore zudem seiner Heimatstadt Flint in Michigan und der dort verursachten Wasserkrise zuwendet, bei der über 100.000 Einwohner mit vergiftetem Trinkwasser extrem schwer belastet wurden. Spätestens hier, wenn Moore das alleinige Verschulden des republikanischen Gouverneurs Rick Snyder als einen Akt bloßstellt, der jegliche Form von terroristischem Plan übertrumpft, ist "Fahrenheit 11/9" kein bloßer Film über Trump mehr, sondern eine ernüchternde Anklage eines verrotteten politischen Systems, das ganz Amerika ins Verderben gestürzt hat.
                  Selbst den vorangegangenen Präsidenten Barack Obama, der für den hohen afroamerikanischen Bevölkerungsteil von Flint einst als Hoffnungsträger galt, enttarnt der Regisseur als enttäuschenden Rückschlag, wenn dieser bei Aufnahmen öffentlicher Auftritte vor der Bevölkerung Flints vor der nötigen Verantwortung zurückweicht. Wie alle Filme von Moore ist auch "Fahrenheit 11/9" bei näherer Betrachtung mit Vorsicht zu genießen. Der angriffslustige Polemiker wirkt in seinem aktuellen Werk zwar weitaus weniger angriffslustig und dafür wesentlich resignierter als zuletzt. Dafür bedient sich der extrem linke Filmemacher auch hier wieder einiger reißerischer, undifferenzierter Methoden, bei denen er beispielsweise Trump kurz vor dem Finale wenig überraschend mit Adolf Hitler höchstpersönlich gleichsetzt und Interviews mit Leuten führt, die sich exakt in seine persönliche politische Überzeugung einfügen.
                  Nichtsdestotrotz ist "Fahrenheit 11/9" am Ende vor allem auch ein flammender Aufruf für verstärkten politischen Aktivismus, der klar Stellung beziehen und nach Veränderung streben soll. Das bewegendste und gleichzeitig menschlichste Argument hierfür entdeckt Moore bei seiner Auseinandersetzung mit dem Parkland-Schulmassaker. Ausgerechnet die jüngeren Einwohner der amerikanischen Bevölkerung verhelfen dem Regisseur schließlich doch noch zu einem leisen Optimismus hinsichtlich eines Landes, das womöglich längst untergangen ist.

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                  • 5 .5

                    Mit "We tried our fucking best" werden die anfänglichen Texttafeln von "Vice" abgeschlossen, in denen kurz und knapp die grundlegende Problematik von Adam McKays neuestem Film offengelegt wird. Von extremer Geheimhaltung wird das Leben und Wirken des 46. Vizepräsidenten der USA begleitet, der von 2001 bis 2009 unter der Präsidentschaft von George W. Bush im Amt war. Dabei entwickelte sich Cheney zum mächtigsten Vizepräsidenten der US-Geschichte, der politische Entscheidungen nahezu ohne die Bewilligung des eigentlichen Präsidenten treffen konnte. Nach "The Big Short" hat sich der ehemalige "Saturday Night Live"-Autor, der mit Filmen wie "Anchorman: The Legend of Ron Burgundy" und "Step Brothers" in erster Linie als Komödien-Regisseur tätig war, nun wieder eine reale Thematik vorgenommen, die politischen wie gesellschaftlichen Zündstoff bietet.
                    Nach der großen Finanzkrise von 2007 und 2008 hat der Filmemacher für "Vice" die höchst umstrittene Persönlichkeit Dick Cheney ausgewählt, um eine Mischung aus möglichst faktengetreuem Biopic, überspitzter Satire, zynischer Anklage und ambivalentem Charakterdrama zu inszenieren. Die Machart des Films erinnert hierbei stark an "The Big Short", den McKay auch schon regelmäßig mit sketchartigen Einschüben versah, um die herkömmliche Struktur gewohnter Filme dieser Art bewusst aufzubrechen. Der entscheidende Unterschied zwischen "The Big Short" und "Vice" besteht jedoch in den verschiedenen Themen, denen sich der Regisseur angenommen hat.
                    Während "The Big Short" noch so großartig funktionierte, da das Thema der Finanz- sowie anschließenden Immobilienkrise in den USA für uninformierte Außenstehende hochkomplex sowie nur mühsam zu durchdringen war und von McKay dafür ebenso unterhaltsam, einleuchtend wie niederschmetternd aufbereitet wurde, verhält es sich bei "Vice" nahezu umgekehrt. Auf die simplen Kernaussagen heruntergebrochen, entpuppt sich der neue Film des Regisseurs als Zurschaustellung politischer Mechanismen und geschichtsträchtiger Ereignisse, durch die der Regisseur Politiker wie Cheney als ultimatives Übel darstellen und sein Publikum zugleich belehren will, wie es durch die Wahl eines Donald Trump zum aktuellen Präsidenten von Amerika den gleichen Fehler noch einmal machen konnte. Offene Fragen des Zuschauers schmettert der Film gezielt ab.
                    Dabei gelingt McKay der Spagat zwischen wütender Anklage, bissiger Satire und ernstzunehmender Fiktionalisierung realer Begebenheiten rund um Cheney als private sowie öffentliche Person in "Vice" nur noch als holprige Berg- und Talfahrt der ständig miteinander kollidierenden Erzählstile. Während sich Hauptdarsteller Christian Bale mithilfe seines bekannten Method Actings und aufwendiger Maskenarbeit gewohnt hartnäckig in seiner Rolle verbeißt und den kontroversen Politiker seltsam faszinierend zwischen bloßer Karikatur und greifbarer Persönlichkeit verkörpert, trifft diese Qualität auf sämtliche Figuren in seinem Umfeld nur bedingt zu.
                    Charaktere wie Amy Adams als Cheneys Ehefrau Lynne, Sam Rockwell als George W. Bush, Steve Carell als Donald Rumsfeld, Jesse Plemons als lange Zeit ominöser Erzähler und mehrere Cameos des Films geraten zunehmend in den erzählerischen Zwiespalt aus Überhöhung und Authentizität. Zumindest mit einer Handvoll überaus gelungener Ideen formt McKay sein eigenwilliges Cheney-Porträt auf sehr amüsante Weise vorübergehend zur puren Farce, in der Verstoße gegen die Genfer Konventionen im Restaurant wie Spezialitäten des Hauses auf der Speisekarte serviert werden oder eine Diskussion im Schlafzimmer der Cheneys zum Shakespeareschen Wortabtausch gerät.
                    Ansonsten haftet "Vice" jedoch über lange Strecken der nicht chronologisch zwischen mehreren Zeitebenen und stilistischen Montagefetzen chargierenden Handlung ein oberflächlicher Erzählton an, der Cheney auf (aufgrund der fehlenden Informationsgrundlage mitunter spekulative) Taten reduziert, die ihn als das Übel brandmarken, zu dem er in den Augen der Öffentlichkeit ohnehin schon lange geworden ist. Bis auf einige wenige Szenen aus dem privaten Familienleben des Politikers, in dem seine gesundheitlichen Probleme ebenso thematisiert werden wie das Outing seiner lesbischen Tochter Mary, setzt McKay auf eine stark vereinfachte Sicht der Dinge, die ihm diesmal lediglich dazu dient, seinem Publikum das selbstständige Denken über komplexere Zwischentöne und weitreichendere Hintergründe abzunehmen. So richtet Bales Cheney, hinter dem sich so deutlich wie nie McKay selbst zu erkennen gibt, die finalen Worte gleichermaßen rechtfertigend wie trotzig direkt an den Zuschauer:

                    "It has been my honor to be your servant. You chose me. And I did what you asked."

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                    • 5

                      In ihrem Eheleben sind Ellie und Pete so langsam an einem Punkt angelangt, an dem sie in ihrer täglichen Routine aus Arbeit, Fitnessstudiobesuchen und Kinobesuchen eine Art Plateau erreicht haben. Bei ihrem Job, für den sie gemeinsam eine Firma betreiben, mit der sie alte, sanierungsbedürftige Häuser kaufen, renovieren und neu weiterverkaufen, kommt es regelmäßig vor, dass ganze Räume mit dem Vorschlaghammer in Schutt und Asche zerlegt werden, um aus den Trümmern etwas Neues, Besseres aufzubauen. Um ihre Ehe neu aufleben zu lassen, suchen Ellie und Pete eine Adoptionsagentur auf, die ihnen nach ersten Vorbereitungskursen als werdende Eltern tatsächlich Nachwuchs vermittelt. Dabei holt sich das Paar jedoch nicht nur die pubertierende Teenagerin Lizzy, sondern auch gleich noch deren jüngere Geschwister Juan und Lita ins Haus.
                      Nach einer wahren Geschichte hat Sean Anders seine Familienkomödie "Instant Family" gedreht, bekommt der Zuschauer gleich zu Beginn von einer eingeblendeten Texttafel mitgeteilt. Tatsächlich besitzt der Film des Regisseurs von wesentlich brachialeren Komödien wie "That's My Boy" oder "Horrible Bosses 2" in den besten Szenen eine leidenschaftliche Intimität, die deutlich aufzeigt, wie sehr die Geschichte des Films den persönlichen Erfahrungen von Anders nachempfunden ist, der mit John Morris auch das Drehbuch schrieb. Empathisch und ohne falsche Verzerrung zeigt der Regisseur in diesen Szenen auf, mit welchen komplexen Problematiken das System von Pflegeeltern verbunden ist. Dabei schildert er nicht nur äußere Umstände wie die Sitzungen in Selbsthilfegruppen für angehende Adoptionseltern, die Anders mit diversen Karikaturen wie dem gottesfürchtigen Ehepaar, einem extrovertiert-humorvollen homosexuellem Paar oder einer weißen Frau spickt, die ähnlich dem Plot von "The Blind Side" ein afroamerikanisches, sportliches Kind für ein Stipendium adoptieren will.
                      In derartigen Momenten weist "Instant Family" einen Humor zwischen scharfer Bissigkeit und versöhnlicher Familienfreundlichkeit auf, der es sich oftmals zu bequem in den Klischees der typisch amerikanischen Feel-Good-Movies macht. Auf jeden annähernd unbequemen Gag, von denen der Film mindestens eine Handvoll enthält, sowie auf jede dramatische Auseinandersetzung, bei denen Anders den Begriff der Familie zwischen chaotischen Eskalationen und schwierigen Annäherungen verhandelt, folgt stets der Rückzieher in die sichere Komfortzone der leicht zu bewältigenden Hürden. Dass es sich bei der dargestellten Situation aus finanziell unbesorgten Pflegeeltern und trotz schwieriger Macken extrem sympathischen Kindern, die der Zuschauer ab der ersten Szene ihres Auftritts ins Herz schließen darf, um einen merklich durch die rosarote Brille gezeichneten Einzelfall handelt, darf hierbei ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.
                      Im Rahmen seiner seichten Hollywood-Konventionen wird Anders' Film von seinem charismatischen Cast zusammengehalten, in dem neben etablierten Stars wie Mark Wahlberg und Rose Byrne vor allem die zuletzt in "Sicario: Day of the Soldado" sträflich verheizte Jungdarstellerin Isabela Moner in der Rolle der Teenagerin zeigen darf, was für ein vielversprechendes Nachwuchstalent in ihr steckt. Ihre Figur der mal verschlossenen, mal rebellischen Jugendlichen ist es zuletzt auch, die "Instant Family" im letzten Drittel des Films mit dringend nötigen Zwischentönen versieht. Als die Mutter der drei Kinder, die wegen Drogenmissbrauchs im Gefängnis saß, wieder in die Freiheit entlassen wird und sich als offensichtlich geläuterter Mensch präsentiert, wirft Anders' Film vorübergehend die Frage auf, wie das Wohl von Kindern zwischen leiblichen Eltern und Pflegeeltern balanciert werden kann. Die Antwort auf diese Frage macht sich "Instant Family" im erneut überzogenen Finale zu einfach, doch was in Erinnerung bleibt, sind nichtsdestotrotz die kurzzeitig in Tränen aufgelösten Augen von Lizzy inmitten des Zwiespalts aus ehrlicher Liebe, unerfüllter Sehnsucht und ablehnendem Unverständnis.

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                      • 6 .5

                        [...] Hedges, der Vater von Hauptdarsteller Lucas Hedges (Manchester by the Sea), erzählt mit seinem Drama aus dem Leben dieser Familie, die von der (selbst)zerstörerischen Sucht des 19-Jährigen auseinandergerissen wurde und sich nun, nachdem Ben erstmals 77 Tage clean ist, an einem vorsichtigen Zusammenfügen der zwischenmenschlichen Scherben versucht. Für eine Demonstration der Scharfkantigkeit dieser Scherben genügen dem Regisseur vor allem in der ersten Hälfte des Films immer wieder ganz subtil beobachtete Momente. In einem davon serviert Ben seinen Stiefgeschwistern Erdnussbutter-Sandwiches, die er als Überraschung mit Kartoffelchips garniert. Als er mit einem Blick in die genüsslich kauenden Kinder zu seiner Mutter sagt, dass es von hier an kein Zurück mehr gibt, und somit eine künftige Abhängigkeit der beiden Kinder nach dem Gericht andeutet, erstarren beide Gesichter von Mutter und Sohn anschließend noch für wenige Sekunden. Viel mehr als diese ambivalenten Augenblicke, in denen die Stimmung innerhalb der Familie zwischen sanftem Optimismus und niederschlagenden Realisierungen schwankt, benötigt Ben Is Back nicht, um im Kern der Handlung speziell das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn mit regelmäßigen Veränderungen im Gemütszustand der Hauptfiguren zu beleuchten. Trotz der hervorragenden Leistungen von Hedges, der sich mit seinem sensiblen Spiel voller schmerzlichem Selbsthass nach wie vor als einer der besten Jungschauspieler seiner Generation behauptet, und Julia Roberts (Notting Hill), die als gegen sämtliche innere und äußere Widerstände ankämpfende, nahezu bedingungslos liebende Mutter auf persönliche Grenzen stößt, verzichtet der Regisseur ab der zweiten Hälfte des Films nicht auf zunehmend konstruierte, vorhersehbare Entwicklungen. Eine gemeinsame Autofahrt durch die Nacht, die nur von Straßenlaternen, Lichtern aus Häusern und reichlich Weihnachtsbeleuchtung erhellt wird, entwickelt sich kurz vor dem Weihnachtsabend plötzlich zum tickenden Countdown um Leben und Tod. Anleihen an klassische Spannungsmomente wie aus einem Thriller schaden dem Film eher, als dass sie die dramatische Strahlkraft dieser verletzlichen Familiendynamik zwischen liebevoller Abhängigkeit und krankhafter Abhängigkeit bereichern. Als intime Betrachtung einer Suchtkrise durch verschreibungspflichtige Opiate, die ganz Amerika betrifft, sowie ihre Auswirkungen auf das Leben aller betroffenen Familienmitglieder des Abhängigen ist Ben Is Back weitaus aufrüttelnder als die, ebenso mit unruhiger Handkamera inszenierte, Suche nach den Dämonen der Vergangenheit, die dem Protagonisten nicht von der Seite weichen. Dabei kann kein Moment der fieberhaften Suche im Finale mit dem ruhigen Bild mithalten, in dem Holly und Ben über einen Friedhof schreiten, wo der Sohn seiner Mutter sagen soll, wo sie ihn begraben soll. Er werde nicht sterben, versichert er ihr mit nervöser Verzweiflung, die seine ruhige Fassung überstrahlt. Eine Aussage, die der Regisseur schließlich der allerletzten Szene seines Films überlasst, die bedauerlicherweise in allzu klarer Gewissheit endet. [...]

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                        • 4
                          über Glass

                          [...] Vielmehr erweist sich Glass als von massiven dramaturgischen Schwächen begleitete Erzählung über ausgestoßene Individuen mit übermenschlichen Fähigkeiten, die zutiefst tragische Persönlichkeiten ans Tageslicht befördern. Leider gelingt es Shyamalan in seinem 3. Streich dieser zusammenhängenden Geschichte nicht, genügend Licht auf seine oftmals im Schatten verborgenen Figuren zu werfen. Hinzu kommen Nebenfiguren wie Davids Sohn Joseph sowie die junge Schülerin Casey, die Kevins Terror aus dem Vorgänger überlebte. In einigen wenigen Szenen, in denen der Regisseur Figuren für einen kurzen Moment zusammenbringt, die sich eigentlich abstoßen müssten, wird Glass kurzzeitig auch zu einem Film über kollektive Traumata, durch die selbst das abscheulichste Monster einen warmen Funken Menschlichkeit erhält. Endgültig in sich zusammen bricht der Film jedoch im Finale, welches Shyamalan mit derart konstruierten und bemüht cleveren Enthüllungen versieht, dass die Figuren vollends zu funktionalen Erfüllungsgehilfen verkommen. Immer wieder zeigt sich Glass als selbstbewusste, ambitionierte Kampfansage an seelenlose Comicfilm-Konfektionsware, indem der Regisseur den Mythos des Superhelden und die Kraft von Comics selbst mit einer nachdenklichen und zugleich meditativen Menschlichkeit erdet. Am Ende erweisen sich die letzten Entwicklungen dieses Films jedoch als aufgesetzte Taschenspielertricks, durch die sich Shyamalan vor allem wieder einmal selbst als intelligenter Kino-Magier aufplustern will, der seinem Publikum weit voraus ist. Eine Eigenschaft, die er mit seinen vergangenen Filmen eigentlich abgelegt hatte und die jetzt in bedauerlicher Penetranz zurückgekehrt ist. [...]

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                          • 6

                            Mit einem Auftakt von nahezu nervenzerreißender Anspannung und Intensität beginnt "Bohemian Rhapsody", der die Karriere der erfolgreichen Rockband Queen und vor allem das Wesen ihres einzigartigen Frontmanns Freddie Mercury beleuchten will. Wenn sich der Sänger, der als Performer auf der Bühne vor Menschenmassen stets eine elektrisierende Präsenz entfaltete, in der ersten Szene dieses Films auf dem Weg zur Bühne des Wembley-Stadions befindet, wo Queen am 13. Juli 1985 beim Charity-Event Live Aid vor den Augen von 1,5 Milliarden Menschen auftraten, ist die überaus problembehaftete Produktionsgeschichte von "Bohemian Rhapsody" beinahe komplett vergessen. Eine langjährige, mühsame Produktionsgeschichte, in der zuerst Sacha Baron Cohen einen Freddie Mercury in all seiner skandalbehafteten, exzessiven Abgründigkeit spielen wollte und schließlich aufgrund von kreativen Differenzen ausstieg.
                            Ähnlich umstritten ist auch der Regieposten des Films, auf dem sich zunächst Bryan Singer befand. Nachdem dieser rund 90% des Films abgedreht hatte, zog er sich aufgrund familiärer Probleme zurück und der ursprünglich vorgesehene Regisseur Dexter Fletcher übernahm. Mit höchster Wahrscheinlichkeit steckten hinter dem Rückzug Singers, der von zahlreichen Missbrauchsvorwürfen von Minderjährigen und Kindern verfolgt wird, in Zeiten der #MeToo-Bewegung mehr als nur familiäre Probleme, nachdem dieser förmlich von der Bildfläche verschwand. Sobald Freddie Mercury in der anfänglichen Szene von "Bohemian Rhapsody" also auf einen der letzten großen und zugleich größten Momente der Band zuläuft, existiert der Film umgehend nur losgelöst für sich, bis die Struktur der Handlung wie aus Sicherheitsgründen einige Schritte zurücktritt.
                            Genau genommen 15 Jahre zurück ins Jahr 1970, wo Freddie Mercury noch unter seinem ersten Namen Farrokh Bulsara Design studiert und nebenbei seiner größten Leidenschaft, der Musik, nachgeht. Hier geschieht es dann auch, dass er nach einem Gig der Band Smile in einem Pub auf die Musiker Brian May, Roger Taylor und Tim Staffell trifft, der wenig später durch John Deacon ersetzt wird. Nachdem Freddy den anfangs skeptischen Bandmitgliedern seine Gesangskünste demonstriert, ist aus ihnen kurz darauf die Band Queen geworden. Was folgt, ist die übliche Musiker-Biopic-Struktur aus kreativen Prozessen, gemeinsamen Proben, Live-Auftritten, Diskussionen vor dem Plattenboss und privaten Eskapaden, die schließlich über die gewohnte Leiter der Rise-and-Fall-and-Rise-again-Dramaturgie führt.
                            Weitestgehend ungelenk präsentiert sich der Erzählryhtmus von "Bohemian Rhapsody" in der ersten Hälfte des 135-minütigen Films, der bedeutende Stationen und Meilensteine aus der Geschichte der Band ebenso kurzweilig wie Stichpunkte auf einer Checkliste abhakt wie er sich an Freddie Mercury selbst beharrlich die Zähne ausbeißt. Zu sehr auf pure Mimikry abzielend wirkt das Schauspiel von Hauptdarsteller Rami Malek, der das große Vorbild mit mindestens genauso großen falschen Zähnen und verkrampfter Attitüde auf die Leinwand transportieren will. Und doch steckt in "Bohemian Rhapsody", dessen holprige Momente immer wieder durch den zeitlosen Gesang des Frontmanns getragen werden, nach und nach auch noch ein wesentlich besserer Film, der ungefähr ab Beginn der zweiten Hälfte vermehrt in die richtige Spur findet.
                            Nach wie vor erscheint die Darstellung von Freddies Leben als Musiker sowie Privatperson mit Blick auf seine ausschweifende Vita als zu gezähmt. Übermäßiger Drogenkonsum, unaufhörlich veranstaltete Partys und wechselnde Sexualpartner in Dauerschleife verkommen in "Bohemian Rhapsody" zu sanft angerissenen Begebenheiten, die den Frontmann niemals in ein allzu problematisches Licht rücken. Nichtsdestotrotz ist der deutliche Fokus auf Freddie im Gegensatz zu den anderen Bandmitgliedern, die zunehmend zu flüchtigeren Nebendarstellern verkommen, ein vollkommen richtiger Ansatz. So ist "Bohemian Rhapsody" kein faktengetreues, detailliert ausgebreitetes Porträt der Band Queen, sondern vor allem ein ebenso mitreißendes wie lückenhaftes Bild des Frontmanns.
                            Dessen Homosexualität, die der an AIDS erkrankte Sänger bis zu seinem Tod im Jahr 1991 niemals öffentlich ansprach, verhandelt der Film ebenso wie dessen schwierige Persönlichkeit, die zwischen sensiblem Künstler und egozentrischem Wahnsinnigen pendelt. Je weiter sich "Bohemian Rhapsody" durch das Wesen des Musikers bewegt, desto stärker scheint auch Malek mit der Rolle zu verschmilzen, bis sich Schauspieler und reales Vorbild kaum noch unterscheiden lassen. Eine wichtige Transformation, die sich spätestens im Finale des Films in erstaunlicher Brillanz bezahlt macht. Wenn "Bohemian Rhapsody" zum Anfang zurückkehrt und den gut 20-minütigen, längst legendären Auftritt der Band beim Live Aid-Konzert originalgetreu nachstellt, wird im gut besuchten Kinosaal eine erstaunliche Energie entfesselt, die einzig und allein von der orgiastisch dargebotenen Performance der Band unaufhörlich vorangetrieben wird. So verknappt, oberflächlich und glattgebügelt "Bohemian Rhapsody" bisweilen auch erscheinen mag, das Finale des Films ist ein Triumph des Kinos, der die Ausnahmestellung der Band und vor allem ihres Frontmannes mit einer cineastischen Eindringlichkeit untermauert, zu der viele vorangegangene Szenen der deutlicheren Ausführlichkeit nicht einmal in der Lage gewesen wären.

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                            • 6 .5

                              Die erste Einstellung von Andrzej Zulawskis "Nachtblende", das allererste Bild in diesem andersartigen Melodram, gehört ganz alleine Hauptdarstellerin Romy Schneider. In ihrer Rolle der Schauspielerin Nadine, die ihre Glanzzeit erst noch vor sich hat und vermutlich niemals erreichen wird, läuft sie auf ihren Co-Star einer billigen Softporno-Produktion zu, der blutverschmiert am Boden liegt. Vom Regisseur erhält sie die Anweisung, dem am Boden Liegenden ihre Liebe zu gestehen, doch die junge Frau bringt keinerlei Worte über die Lippen. Erst ganz zum Schluss von Zulawskis Film, der von einer gespiegelten Einstellung beendet wird, findet Nadine zu jenen Worten, die im Angesicht des blutigen Chaos längst zu spät zu kommen scheinen. Zwischen dem Anfang und dem Ende ist "Nachtblende" ein Werk, das sich wenig überraschend nur schwer greifen lässt. Zu widerspenstig kollidiert Zulawskis unverwechselbare Handschrift mit den rohen Emotionen, die der polnische Regisseur seinen drei zentralen Schauspielern immer wieder abverlangt. Generell ist das Kino von Zulawski eher dem expressiven Theater zugeneigt, was sich in Inszenierung und Schauspielführung gleichermaßen niederschlägt. Herkömmliche Konversationen äußern sich in den Filmen des Regisseurs oftmals über hysterische Konfrontationen, gesprochene Worte weichen lauten Schreien und kontrollierte Bewegungen werden von zuckenden Körpern abgelöst, die sich betont dem regelmäßig aufblitzendem Wahnsinn des Moments hingeben.
                              Mehrfach beleuchtete Zulawski in seinem Schaffen ein solch undurchdringbares Thema wie die Liebe. Von unvergesslicher Intensität bleibt hierbei vor allem sein großes Meisterwerk "Possession", in dem er sich einem brutalen Ehestreit zwischen einem Paar im damaligen geteilten Berlin anhand monströser Abgründe, surrealer Doppelgängermotive und erbarmungsloser Eskalationen näherte. "Nachtblende" drehte er 6 Jahre zuvor, wobei der Film im Vergleich zu Zulawskis späterem Opus Magnum gemäßigter und zugleich unausgereifter wirkt. Klar erkennbar ist die charakterliche Dreiecksbeziehung, die der Regisseur in seinem Werk ausbreitet. Da ist Nadine, die in erniedrigenden Billig-Produktionen viel nackte Haut zeigen muss, da ihr der Weg in angesehene Filmproduktionen verwehrt bleibt. An ihrer Seite befindet sich ihr Ehemann Jacques, der an manischen Depressionen leidet und schon lange impotent geworden ist. Bereits hier schildert Zulawski das destruktive Verhältnis zweier Menschen, die in ihrem geschädigten Dasein weder mit noch ohne einander überleben können. Noch komplizierter wird diese Beziehung, als Servais in die Geschichte tritt. Er ist der eigentliche Protagonist des Films, den Zulawski ebenso oft aus den Augen verliert wie Nadine dem Fotografen entgleitet, nachdem er der gebrochenen Schauspielerin sofort verfällt.
                              Als sich Servais auf einen Deal mit der Mafia einlässt und sich eine hohe Summe Geld leiht, um Nadine eine Rolle in der Theateraufführung von Richard III. zu verschaffen, kippt die Handlung von "Nachtblende" immer wieder zwischen den einzelnen Ankerpunkten des Drehbuchs über. Ständig wirkt der Film so, als seien einzelne Seiten aus dem Skript von Christopher Frank sowie Zulawski entfernt worden, sobald sich die Geschichte in irritierenden Nebensächlichkeiten verstrickt oder merklich auf der Stelle tritt. Schon alleine der Auftritt von Klaus Kinski in einer Nebenrolle als homosexueller, divenhafter Schauspieler Karl-Heinz Zimmer, der Männer in Bars verprügelt und mit deren Prostituierten davon stolziert, ist ein beachtlicher Fremdkörper, der bis zum Ende des Films jedoch eben nicht mehr als ein Fremdkörper bleibt.
                              Womöglich ist genau diese Figur hingegen der Schlüssel zum Werk von Zulawski. Wie Kinskis Rolle beeindruckend und überflüssig zugleich erscheint, ist auch "Nachtblende" selbst ein Film des offenkundigen Zwiespalts. Was dem deprimierenden Liebesdreieck an inhaltlicher Stringenz fehlt, gleicht der Regisseur mit rauschenden Einzelmomenten aus, in denen die wiederholt in wirre Rasanz verfallende Kamera von Ricardo Aronovich genauso oft aus der Fassung gerät wie die Körper der Schauspieler. So frustrierend sich das Seherlebnis von "Nachtblende" bisweilen auch gestaltet, so einleuchtend ist das radikale Konzept von Zulawskis Stil nichtsdestotrotz. Inmitten der miteinander sowie mit sich selbst in Konflikt stehenden Figuren, die der Regisseur in seinen Filmen oftmals bewusst jeglicher offensichtlichen Menschlichkeit beraubt, strahlen auch in diesem Werk vereinzelt allzu menschliche Gefühlsregungen an die Oberfläche, sobald sich die verlorenen, hoffnungslos liebenden Gefallenen in "Nachtblende" blutverschmiert ihrem Schicksal ergeben.

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                              • 8

                                "Shoplifters" benötigt zu Beginn keine großen Worte, um die Beziehung zwischen zwei Figuren in den anfänglichen Szenen zu schildern. Zu sehen sind ein Mann und ein Junge, augenscheinlich Vater und Sohn, die durch einen Supermarkt schreiten, den sie keinesfalls so betrachten wie die anderen Menschen um sie herum. Für sie ist dieser Ort stattdessen eine Art Revier, dessen Schätze es mit genauestens durchgeplanten und einstudierten Manövern zu erobern gilt. Entscheidende Blicke im exakten Moment, ein kurzes Handzeichen und eine präzise Abfolge von Bewegungen später schreiten beide bereits wieder aus diesem Supermarkt und sind um einige Lebensmittel oder andere Gegenstände reicher.
                                Von wirklichem Reichtum könnten die Figuren in Hirokazu Koreedas neuem Film jedoch kaum weiter entfernt sein. Zusammengepfercht in einer kleinen Wohnung lebt die erst fünfköpfige und nach kurzer Zeit schließlich sechsköpfige Familie von Gelegenheitsjobs, Diebstählen, Schmerzensgeld und der Rente der Oma. Dabei wird nicht einmal klar, inwiefern die einzelnen Familienmitglieder in "Shoplifters" überhaupt blutsverwandt sind. Als Vater und Sohn die 5-jährige Yuri völlig alleine in einer Wohnung vorfinden, nehmen sie das Mädchen ebenfalls bei sich auf und gliedern sie mit einer liebevollen Selbstverständlichkeit in diese ungewöhnliche Familie ein, in der Koreeda mithilfe von stellenweise verschrobenem Humor kapitalistische Hintergedanken und fürsorgliche Zärtlichkeit kombiniert.
                                So beschwert sich die Oma nach der Ankunft des kleinen Mädchens zunächst darüber, dass sie lieber jemanden mitgebracht hätten, der mehr Geld verdienen könnte. Kurz darauf sitzt Yuri jedoch schon beim Essen mit am Tisch, darf etwas von einem der Gerichte essen, das sie so gerne mag und bekommt von der Oma ein Kleidungsstück gestrickt. Schnell wird in "Shoplifters", der im ersten Drittel der dramaturgisch sehr lose gehaltenen Handlung wunderbar spielerisch und mit geradezu jazziger Leichtigkeit inszeniert ist, die Definition von Familie an sich in den Vordergrund gestellt. Wenn später im Film in einer Szene die Frage geäußert wird, ob nur alleine die Geburt jemanden schon zu einer Mutter machen würde, dann hat der Regisseur diesen Gedanken in den 100 Minuten davor längst ausgiebig beleuchtet.
                                Ohne erhobenen Zeigefinger übt Koreeda Kritik an der japanischen Gesellschaft, in der der Mensch isoliert mehr und mehr auf sich alleine gestellt ist und der Staat Mühe hat, sich um die sozial Schwachen zu kümmern, die sich längst untereinander selbst organisieren müssen. Mit warmherziger Zuneigung, die niemals in gefährliche Armutsromantik oder Verbrechensglorifizierung zu kippen droht, beobachtet Koreeda seine von großartigen Schauspielern dargestellten Familienmitglieder bei ihrem Alltag, in dem selbst unscheinbare Banalitäten plötzlich zu leuchten scheinen, während kurze Momente und nebensächliche Details plötzlich zu großem Detailreichtum finden.
                                Im bedingungslosen Zusammenhalt und der oftmals wortlosen gegenseitigen Zuneigung macht Koreeda seine Figuren, die böse Zungen als gesellschaftliche Verlierer bezeichnen könnten, zu einer Familie, die neben der vorherrschenden Großzügigkeit und charismatischen Verschlagenheit auch durch unsichtbare Narben verbunden ist. Einsamkeit, Missbrauch und andere Traumata fügt der japanische Regisseur den Familienmitgliedern als charakterliche Facetten ebenso behutsam zu wie er die gemeinsamen Missstände in einem bedingungslosen Füreinander auflöst. Und doch ist auch "Shoplifters", der in manchen Momenten beispielsweise an den herausragenden "The Florida Project" aus diesem Jahr erinnert, wie ein sanfter Leinwandtraum, aus dem Koreeda den Betrachter noch vor dem eigentlichen Abspann ebenso unsanft wie bedeutend aufweckt. Wenn die kalte Realität in den letzten gut 20 Minuten des Films vermehrt das soziale, familiäre Gefüge der Protagonisten durchbricht, endet "Shoplifters" unerwartet ernüchternd und mit einem Blick auf Mauern, die den Lebensraum der Menschen plötzlich doch wieder in isolierende Gefängnisse verwandelt haben. Hoffnung bietet nur der Blick darüber.

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                                • 3

                                  In der britischen Science-Fiction-Serie "Black Mirror" diente die Ergründung gegenwärtiger oder fortschrittlicher Technologien bislang stets als Spiegel in die Abgründe der menschlichen Seele. In unabhängig voneinander ansehbaren Episoden, die wie dystopische Kurzfilme für sich stehen, entwarf der englische Satirist und Autor Charlie Brooker als Showrunner über bislang 4 Staffeln hinweg ein denkbar zynisches Bild unserer Gesellschaft, die am Ende jeder Geschichte zumeist in bittersten Ausgängen zerfällt. Während "Black Mirror" nach 2 Staffeln unter der Produktion von Channel 4 zu Netflix wechselte, machten sich in der Qualität der Serie nach einer fantastischen 3. Staffel plötzlich erhebliche Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Zunehmend vorhersehbarer in ihren bösartigen Entwicklungen entspinnten sich die einzelnen Episoden der 4. Staffel, die von Brooker und seinem Team offenbar unter einem wesentlich höheren Zeitdruck entwickelt werden mussten.
                                  Nichtsdestotrotz zieht "Black Mirror" die Aufmerksamkeit in diesen Tagen wieder voll und ganz auf sich sowie den Streaming-Dienst Netflix. Zunächst waren es nur vage Andeutungen, die sich im Netz zu neuem Material bezüglich der Serie anhäuften. Eine neue Episode oder ein neuer Film zu "Black Mirror" sollte am 28.12.2018 für Netflix-Abonnenten zugänglich gemacht werden. Nachdem lediglich der Titel "Bandersnatch" bekannt war, ließen immer mehr Hinweise darauf schließen, dass es sich bei dem Projekt um einen experimentellen, interaktiven Film handelt, bei dem der Zuschauer den Verlauf der Handlung ganz bewusst lenkt und mitbestimmt. Nun ist "Black Mirror: Bandersnatch" veröffentlicht worden und stellt tatsächlich jenes interaktive Experiment dar, von dem im Vorfeld die Rede war. Angesiedelt im Jahr 1984 dreht sich die Handlung des Films um den jungen Programmierer Stefan, der den titelgebenden Fantasy-Roman in ein interaktives Videospiel verwandeln will. Noch bevor die Geschichte des Films jedoch ins Rollen kommt und Stefan sein Konzept für eine renommierte Videospiel-Firma entwickeln darf, wird der Zuschauer von "Black Mirror: Bandersnatch" im unregelmäßigen Minutentakt vor Entscheidungen gestellt.
                                  Frühzeitig entpuppt sich diese vorgetäuschte Freiheit innerhalb der Handlung jedoch als Trugschluss, denn das von David Slade inszenierte Experiment, für das insgesamt über 5 Stunden an Material gedreht wurden, ist kaum mehr als ein bemühter Gimmick-Film. Während sich der Zuschauer zu Beginn in trivialen Momenten beispielsweise zwischen Kelloggs Frosties oder Sugar Puffs zum Frühstück oder im Plattenladen zwischen zwei verschiedenen Alben entscheiden darf, erweist sich "Black Mirror: Bandersnatch" mit fortschreitendem Verlauf der Handlung als mit abgestandenen Genre-Klischees und Versatzstücken konstruiertes Labyrinth. In diesem führen eher unüblich getroffene Entscheidungen des Betrachters lediglich zu einer Art Game Over-Bildschirm, von dem aus die Handlung zu einem vorherigen Punkt zurückgesetzt wird.
                                  Neben stereotypen Handlungselementen wie der gesteigerte Wahn des Programmierers, der irgendwann nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden kann und sich in einem drogenähnlichen Rausch verliert, ist das interaktive Filmexperiment vor allem ein dramaturgisch zerfahrenes, unentwegt stockendes Ungetüm, das unzählige Möglichkeiten vorgaukelt und den risikofreudigen "Spieler" bzw. Zuschauer immer wieder in sichere Bahnen lenkt.
                                  Gewiss ist dieses aus Videospielen bekannte "Trial and Error"-Prinzip auch eine gewollte Komponente des Films, der die vermeintliche Entscheidungsfreiheit des Menschen selbst zum Thema macht und mit wüsten Verschwörungstheorien, blutigen Verrücktheiten oder Meta-Verweisen auf das eigene Dasein auf der Netflix-Streamingplattform aufbricht. Irgendwo zwischen passivem Filmkonsum und interaktivem Videospielerlebnis stellt sich "Black Mirror: Bandersnatch" jedoch weder auf der einen noch auf der anderen Ebene als zufriedenstellende Erfahrung heraus.
                                  Unentwegt wird der Handlungsfluss zugunsten wenig bedeutender Entscheidungen unterbrochen, während jede neue Entwicklung nur wie eine vorgefertigte Konstruktion wirkt, durch die sich in der aus "The Matrix" und "The Truman Show" zusammengestückelten Geschichten niemals auch nur annähernd jene durchdachte, bösartig mitreißende Sogwirkung einstellt, von der die besten "Black Mirror"-Episoden geprägt werden. Durch das Bestreben, sich aufgrund der vermeintlich unzähligen Handlungsmöglichkeiten jeglicher kritischen Beurteilung zu entziehen, bietet "Black Mirror: Bandersnatch" erst recht massive Angriffsfläche als vorschnell sowie schlampig entworfenes Gimmick, das ganz im Sinne der Hype-Marketingstrategien von Netflix sowie der Diskussion um zukünftige Formen des medialen Konsums kurzweilig hohe Wellen schlagen soll, bis bei dem Streaming-Dienst wieder Ebbe herrscht.

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                                    "I laughed, I cried"

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                                      Die 1. Staffel von "4 Blocks" stellte im vergangenen Jahr so etwas wie ein willkommenes Novum in der gegenwärtigen deutschen Serienlandschaft dar. Unter der vollständigen Regie des mit deutschsprachigen Genre-Stoffen bestens vertrauten Filmemachers Marvin Kren entstand ein düster brodelnder Hybrid aus authentischer Milieustudie und bewusst überzeichneten Gangsterfilm-Klischees, der den Zuschauer in eine harte, ungeschönte Parallelwelt inmitten von Berlin-Neukölln führte. In den besten Momenten wirkte die Geschichte über den Anführer eines arabischen Clans Toni Hamady und die verschiedenen Handlungsstränge, die sich um den Neuköllner Paten entspinnten, wie ein verfilmtes Gangsterrap-Album voller elektrisierender Höhepunkte. Mithilfe der rauen Sprache, die voller verschiedensprachiger Slangbegriffe steckte, einem hohen Tempo, unter dem die Charakterzeichnung bisweilen zu leiden hatte, sowie der Verbindung der Komponenten Ehre, Familie, Kriminalität, Verrat und Loyalität entpuppte sich die 1. Staffel von "4 Blocks" als genüsslich gestrickter Crime-Garn. Aufgrund der zusätzlich sehr gut besetzten Schauspieler, unter denen einige selbst Verbindungen bis in kriminelle Kreise aufweisen können, entfaltete die Serie eine mitreißende Sogwirkung, die Lobeshymnen bis in die höchsten Feuilletons nach sich zog.
                                      Ein Clou dieser 1. Staffel bestand auch darin, erzählerisch mutige Wege zu beschreiten und die ersten 6 Episoden im Finale mit dem überraschenden Tod einer bedeutenden Hauptfigur enden zu lassen, wodurch die Zukunft der Serie noch trostloser erschien als ohnehin schon. 1 Jahr später setzt die 2. Staffel von "4 Blocks" schließlich ein und zeigt einen Toni Hamady, der stärker als jemals zuvor der dunklen Seite nachgegeben zu haben scheint. Auch wenn der gewohnt abgekämpft auftretende Clan-Chef seine Fühler weiterhin ansatzweise in Richtung legaler Geschäfte in Form von Immobilien ausstreckt, geht es Toni in der Fortsetzung vor allem darum, Berlin mithilfe des Drogenhandels vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Während sein verräterischer Bruder Abbas im Gefängnis sitzt und einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes entgegenblickt, muss sich Toni daneben auch mit neuen Konkurrenten auseinandersetzen, die in Gestalt der feindlichen al-Saafi-Großfamilie und unberechenbaren Tschetschenen in Berlin aufschlagen. Wieder steht das Hamady-Oberhaupt im Zentrum vor der schier unlösbaren Aufgabe, externe Konflikte mit internen, familiären Angelegenheiten zu vereinbaren, um zwischen sämtlichen Fronten nicht den Kopf zu verlieren.
                                      Nachdem die ersten beiden Episoden als eine Art Prolog dienen, um alte Weggefährten und neue Gefahren einigermaßen zu positionieren und mehrere Handlungsstränge aufzuwerfen sowie langsam zusammenzuführen, werden in der 2. Staffel von "4 Blocks" die großen Probleme recht bald sichtbar. Schon die 1. Staffel musste sich stellenweise zurecht den Vorwurf gefallen lassen, das Leben als Krimineller vor allem im Hinblick auf eine jüngere, unreflektierte Zuschauerschaft gefährlich zu glorifizieren und die üblichen Vorurteile gegenüber Migranten in der deutschen Hauptstadt zugunsten der geradlinigen Dramaturgie zu bedienen. Die insgesamt 7 Episoden umfassende Fortsetzung kippt nun auf dem schmalen Grat zwischen Authentizität und Überzeichnung immer wieder in pure Klischees über und begnügt sich mit großteils abgenutzten Handlungskonstruktionen.
                                      Mühsam greifen die Drehbuchautoren Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad auf überholte Motive wie Abbas als Häftling, der über mehrere Episoden hinweg im Gefängnis um sein Leben fürchten und kämpfen muss, den todkranken Polizisten, der nicht mehr viel zu verlieren hat, den zugekoksten Immobilienhai oder den hitzköpfigen Nachwuchskriminellen, der unüberlegt die Seiten wechselt und zum Verräter wird, zurück, um dem Konzept der möglichst rasanten, oftmals vorhersehbar verlaufenden Genre-Unterhaltung gerecht zu werden. Dass "4 Blocks" zuvor durchaus als Sittengemälde funktionierte, das neben der eigentlichen Crime-Geschichte auch ein aufschlussreiches Bild der gesellschaftspolitischen Verstrickungen entwarf, und die Figuren zudem regelmäßig mit den nötigen Zwischentönen anlegte, geht in Staffel 2 trotz der gelegentlich immer noch spürbaren Sogwirkung zu häufig verloren.
                                      Während die Verantwortlichen Teile der Handlungsstränge in den letzten 2-3 Episoden zumindest in einigen äußerst druckvoll inszenierten Spannungs- und Actionsequenzen auflösen, täuscht nur geringfügig über die Tatsache hinweg, dass diesmal selbst groß aufspielende Darsteller wie Kida Khodr Ramadan, der hier weiterhin in der Rolle seines Lebens zwischen tickendem Pulverfass und gutmütigem Familienvater auftritt, noch unterfordert bleiben und in den holprigen, überstürzten Entwicklungen zurückbleiben. Noch schlechter trifft es diesmal hingegen die Frauen an der Seite der überwiegend bösen Männer, die in ihren Szenen hauptsächlich um eine eigene Stimme sowie gegen die Unterdrückung und drohende Verstoßung ihrer Gatten kämpfen müssen. Kaum eine Szene fasst die 2. Staffel von "4 Blocks" daher passender zusammen als jene, in der Abbas' Frau Ewa weinend vor ihm sitzt und verzweifelt um Worte ringt, warum sie nach all dem, was sie für ihn auf sich genommen hat, noch immer zu ihm steht. Dem Zuschauer gehen in diesem Moment ganz ähnliche Gedankengänge durch den Kopf. Die ungefilterte Faszination des ambivalenten Bösen hat längst deutliche Risse bekommen.

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                                        Innerhalb des filmischen "Spider-Man"-Universums fällt der Überblick mittlerweile zunehmend schwieriger. Nach der Trilogie von Sam Raimi, die sich von 2002 bis 2007 erstreckte, erfolgte durch Sony eine neue Adaption der Comicvorlage in Form von "The Amazing Spider-Man", die schon nach der Fortsetzung "The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro" wieder zu einem Stillstand gebracht wurde. Hin und hier schwankte die Situation mit den Rechten an Spider-Man, wobei die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft plötzlich auch noch ihren Weg in das große Marvel Cinematic Universe (MCU) fand und hier neben einem ersten Auftritt in "Captain America: Civil War" auch bereits den Solo-Film "Spider-Man: Homecoming" erhielt. Die Fortsetzung "Spider-Man: Far From Home" folgt 2019, doch zuvor gibt es da schon wieder einen anderen Spider-Man, der wiederum von Sony stammt.
                                        Dabei stellt der animierte "Spider-Man: Into the Spider-Verse" keinesfalls einen leisen Vertreter des Comicfilm-Genres dar, der angesichts der Konkurrenz klein beigibt. Der Film von Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rothman unter der Produktion von Chris Miller und Phil Lord kracht vielmehr wie ein knallbunter Komet in die gleichförmig gestalteten Auswüchse des MCU. Während es dort zumeist eine eigene Handschrift ist, welche die Produktionen schmerzlich vermissen lassen, explodiert "Spider-Man: Into the Spider-Verse" als schrill überbordender Comic-Rausch auf der Leinwand. Schon der Vorspann des Films verzerrt Studio-Logos zu irritierenden Glitches, bevor grelle Farbkombinationen, flackernde Schriftzüge und rasante Panels das einlösen, was Comic-Verfilmungen in ihrem Kern ohnehin schon immer darstellen sollten. Mithilfe eines kreativen Verfahrens ist dieser Animationsfilm nicht einfach nur die Bebilderung einer Vorlage, sondern ein in Bewegung gegossenes Comicheft, das 2D- und 3D-Animationen, Pop Art-Stilistik, reizüberflutende Trip-Reminiszenen und einen poppigen Soundtrack mit Songs von jungen, angesagten Künstlern wie Post Malone, Juice WRLD und Vince Staples aus dem gegenwärtigen Hip-Hop-Bereich zu einem audiovisuellen Spektakel vermengt.
                                        Dabei ist Spider-Man selbst, also der Spider-Man, hinter dessen Kostüm sich Peter Parker verbirgt, nicht einmal der entscheidende Protagonist des Films. Stattdessen handelt "Spider-Man: Into the Spider-Verse" von dem afroamerikanischen Teenager Miles Morales, der in einem New York lebt, das den titelgebenden Superhelden längst als Popkultur-Ikone verinnerlicht hat. Ähnlich wie "The LEGO Movie" der Produzenten Lord und Miller strotzt auch dieser Animationsfilm nur so vor selbstironischen Referenzen, mit denen die Verantwortlichen hinter dem Drehbuch stets erkennen lassen, dass sie sich dem chaotischen Geflecht der vielzähligen Spider-Man-Universen längst bewusst sind.
                                        Einer eventuellen Verwirrung steuert "Spider-Man: Into the Spider-Verse" letztlich dadurch entgegen, dass sich die Macher ebenso auf die entscheidende Essenz der Spider-Man-Geschichte konzentrieren wie sie sich einen Spaß daraus machen, multiple Universen innerhalb dieser vermeintlich einzigen Superhelden-Welt in die Geschichte zu integrieren. Schon lange hat kein Film dieses Genres die eigentlich abgegriffene Behauptung "Jeder kann ein Superheld sein" so ernst genommen wie dieser, indem Miles als ebenso gewöhnlicher wie äußerst lebendig entworfener Teenager zwischen der Zuneigung zu seinem Vater und seinem Onkel den emotionalen Anker von "Spider-Man: Into the Spider-Verse" bildet. Nachdem dieser ebenso wie Peter Parker von einer radioaktiven Spinne gebissen wird und die bekannten Superkräfte entwickelt, wagen die Drehbuchautoren nichtsdestrotz einige durchaus mutige Schritte. Dabei erinnert der Film in seiner inhaltlichen Ausrichtung auf gewisse Weise an Rian Johnsons umstrittenen "Star Wars: The Last Jedi", in dem die nur scheinbar in Stein gemeißelte Formel der Jedi aufgebrochen und daran appelliert wurde, die Vergangenheit sterben zu lassen.
                                        Auch in "Spider-Man: Into the Spider-Verse" kommt es bereits frühzeitig zu einem überraschenden Heldentod, durch den erst ein Tor zu einem ungeahnten Füllhorn an multiplen Spider-Man-Variationen geöffnet werden kann, mit denen sich die Macher des Films keineswegs zurückhalten. Nachdem Peter Parker gestorben ist und der Bösewicht Kingpin mehrere Universen mit der Welt von Miles vermischt hat, entwickelt sich der Animationsfilm zu einer turbulenten Kombination aus kindgerechter Unterhaltung, selbstreferenziellem Meta-Humor, großartiger Dialog- und Situationskomik sowie einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Definition des Superhelden-Daseins, das in "Spider-Man: Into the Spider-Verse" zunächst zersplittert und schlussendlich rührend neu zusammengesetzt wird.
                                        Während Miles mit seinem eher unmotiviertem Mentor, einem abgehalfterten, gebrochenen Peter Parker aus einer anderen Dimension, alles daran setzt, das Gleichgewicht zwischen den Universen wiederherzustellen und den Kingpin aufzuhalten, stürzen sich die Macher des Films in einen bisweilen schwindelerregend visualisierten Strudel aus Ideen, die vor allem mithilfe von grandiosen Spider-Man-Nebenfiguren wie der tierische Peter Porker, eine weibliche Anime-Variante oder der von Nicolas Cage grandios gesprochene, im Schwarz-Weiß-Stil gehaltene Spider-Noir zum Leben erwachen.
                                        Wenn "Spider-Man: Into the Spider-Verse" im delirierenden, an "2001: A Space Odyssee" angelehnten Finale endgültig in sämtlichen Farben und Formen ausbricht, bleibt die Geschichte des Films trotzdem die eines jungen Teenagers, der bis zum Schluss lernt, dass Spider-Man nicht der Superheld im Anzug ist, den jeder kennt, sondern derjenige, der in diesem Kostüm den entscheidenden Unterschied bewirkt.

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                                          Wie auch schon "Moonlight" ist Barry Jenkins' neues Werk "If Beale Street Could Talk" ein Film, der vollkommen den Befindlichkeiten seiner Figuren verschrieben ist. Bereits mit seinem Oscar-Gewinner als Bester Film bewies Jenkins 2016 zuvor, dass er ein begnadeter Regisseur der schwebenden Melodramatik und bestürzenden Intimität ist. Als Konstante erweist sich hierbei ebenso in "If Beale Street Could Talk", der auf einem Roman des bedeutenden afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin basiert, das Motiv der Liebe, die in der Geschichte des Films über allem thront. In zwei verschiedene Zeitebenen unterteilt, widmet sich Jenkins der jungen Beziehung zwischen der 19-jährigen Tish und dem 22-jährigen Fonny, die im Harlem der 1970er-Jahre leben.
                                          Zu Beginn des Films äußert Tish aus dem Off die Worte "I hope that nobody has ever had to look at anybody they love through glass", während sie ihrem Geliebten durch die Glasscheibe im Raum eines Gefängnisses eröffnet, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Inhaftiert wurde Fonny, weil er eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben soll, die ihn in Anwesenheit eines rassistischen Cops fälschlicherweise als Täter identifiziert hat. Nie lässt die Geschichte auch nur eine Sekunde lang einen Zweifel an Fonnys Unschuld aufkommen. Stattdessen ergründet Jenkins einerseits die Konsequenzen dieser erdrückenden Situation, die sich in Fonnys Gesicht durch ein zunehmend ausgemergelteres, mitunter von Wunden übersätes Erscheinungsbild abzeichnet, während sich Tish mit der komplizierten Familie ihres Partners auseinandersetzen muss und um den Beweis der Unschuld von Fonny kämpfen will.
                                          Andererseits entführt Jenkins den Zuschauer auf der zweiten Erzählebene in eine nicht allzu lang zurückliegende Vergangenheit, die vom gemeinsamen Leben zwischen Tish und Fonny bestimmt wird. Hier entfaltet sich "If Beale Street Could Talk" in Bildern von besonders stilisierter Schönheit als von intimen Momentaufnahmen durchzogenes Leinwand-Poem, in dem die Zeit zwischen den schier endlos eingefangenen Blicken und zärtlichen Berührungen wie still zu stehen scheint. Szenen wie diese, in denen die Gesichter der Figuren in Close-ups direkt in die Kamera blicken oder immer wieder einander suchen und finden, gibt es im gegenwärtigen Kino kaum in solch einer hingebungsvoll ausgekosteten Form wie in den Filmen von Jenkins, der sich auch in seinem dritten Spielfilm allem voran als Beobachter knisternder und schließlich implodierender Gefühlswelten gibt. Wenn Tish und Fonny zum ersten Mal miteinander schlafen, sind ihre langsamen Bewegungen, in denen sich zaghafte Unsicherheit und leidenschaftliche Hingabe abwechseln, für den Filmemacher ebenso von eindringlicher Bedeutung wie das unaufhörliche Prasseln des Regens von außerhalb der Wohnung. Erst gemeinsam finden die Bewegungen der beiden Figuren und die Bewegung des Regens zu einem Einklang der betörenden Intimität.
                                          Im Gegensatz zu "Moonlight", in dem das Innenleben des Protagonisten in beinahe jeder einzelnen Szene veräußerlicht wurde, ist "If Beale Street Could Talk" dagegen auch eindeutig ein Werk, dessen Wurzeln im Schaffen von James Baldwin zu finden sind. So spannt Jenkins von den überwiegend kleinen Szenen der Handlung, die der Regisseur oftmals theaterhaft inszeniert, regelmäßig einen übergreifenden Bogen hin zu wesentlich weitreichenderen Thematiken, welche stets das Leben der afroamerikanischen Kultur in Amerika betreffen. Alltagsrassismus entdeckt Jenkins dadurch genauso im Justizsystem der USA wie auf dem Wohnungsmarkt, als Tish und Fonny bei der Suche nach einer gemeinsamen Wohnung an ihre Grenzen stoßen und ständig aufs Neue abgelehnt werden.
                                          Und doch überdecken diese kritischen Untertöne gegen ein rassistisches Amerika, wie sie in der meisterhaften Baldwin-Dokumentation "I Am Not Your Negro" zuletzt beispielsweise werksfüllend waren, niemals das konsequent einfühlsame Wesen von Jenkins' Film. Auch wenn "If Beale Street Could Talk" weniger radikal in seiner nahezu lyrischen audiovisuellen Poesie ausfällt, ist die Unterteilung in zwei Zeitebenen erneut der entscheidende Zugang in das pochende Herz des Films. Ein Film, der die jahrelange Verbundenheit zwischen Trish und Fonny, die schon von Kindesbeinen an beste Freunde waren und ihre Liebe zueinander erst später entdeckten, über Momente sichtbar und vor allem fühlbar werden lässt, in denen sich das Vergangene wie ein strahlender Schleier über die manchmal hoffnungslos erscheinende Gegenwart legt. Eine Gegenwart, in der die Glasscheibe zwischen zwei sich Liebenden nur dann durchbrochen werden kann, wenn die verblassende Vergangenheit auf unerschütterliche Weise präsent bleibt.

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                                            "It's a Wonderful Life" stellt Frank Capras Weihnachtsklassiker schon alleine durch seinen Titel als geradezu unwiderrufliche Aussage in den Raum. Und tatsächlich beginnt der Film, der bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1946 zunächst ein kommerzieller Misserfolg wurde und sich erst über die Jahrzehnte hinweg zu einem der angesehensten Filme aller Zeiten entwickelte, mit einem optimistischen Hochgefühl der ansteckenden Lebensfreude, das der Regisseur über gut zwei Drittel der Laufzeit hinweg aufrechterhält.
                                            Dabei wird "It's a Wonderful Life" gleich in der ersten Szene deutlich als fantasievoll überhöhte Erzählung eröffnet, in der blinkend visualisierte Stimmen in der Gestalt von Galaxien die überirdische Präsenz von Engeln darstellen sollen, die über das Schicksal der Menschen wachen. Einer dieser Menschen ist George Bailey, der angeblich kurz davor ist, seinem Leben ein Ende zu setzen. Bis es zu diesem Tiefpunkt kommt, setzt die Geschichte von Capras Film jedoch ganz am Anfang an und führt den Zuschauer zu Beginn in die Kindheit von George zurück. Hier wird der Protagonist schon als 12-jähriger Junge wie ein gutmütiger Schutzengel gezeichnet, der nicht nur seinem Bruder das Leben beim Schlittenfahren auf dem Eis rettet, sondern auch ein krankes Kind vor dem Tod bewahrt, als sein Vorgesetzter in der Drogerie, in der George aushilft, vor lauter Trauer über seinen verstorbenen Sohn volltrunken versehentlich Gift anstelle von Medikamenten verabreichen wollte.
                                            Diese Einstellung zieht sich auch noch durch Georges Leben, als er längst erwachsen geworden ist. In der verträumten Kleinstadt Bedford Falls arbeitet er im Unternehmen seines Vaters mit, das einfachen Bürgern in Form einer Bausparkasse finanzielle Unterstützung bieten soll. Nebenbei lässt auch die große Liebe im Leben des großherzigen Protagonisten nicht lange auf sich warten. Verspielt und romantisch zugleich entfaltet sich das Verhältnis zwischen George und Mary als Abfolge überaus anrührender Einzelszenen und Begegnungen, in denen beide wiederholt gemeinsam den Song "Buffalo Gals" singen, George seinem Schwarm verspricht, ihr den Mond mit einem Lasso vom Himmel zu holen und beide bei einem gemeinsamen Tanz auf einer Highschool-Abschlussfeier in einen Swimming-Pool stürzen, wo sie einfach weiter tanzen und alle Anwesenden zu einer großen Poolparty motivieren.
                                            Spätestens hier ist "It's a Wonderful Life" seinem Zweck als erbauliches Nachkriegskino, das die spürbaren Nachwehen möglichst trostspendend abfedern soll, längst nachgekommen. Dass Capras Film anfangs für genau diesen Aspekt stark angefeindet und viele Jahre später genau aus demselben Grund als Meisterwerk angepriesen wurde, ist gleichermaßen nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz wagt sich die Geschichte des Films ab dem Zeitpunkt, in dem die Weihnachtsstimmung vollends zum Tragen kommt, plötzlich in wesentlich tragischere Gefilde, sobald George nach dem drohenden Bankrott des Unternehmens sämtlichen Lebensmut verliert und kurz vor dem Selbstmord steht. Ein Engel Zweiter Klasse, der sich seine Flügel erst noch verdienen muss, nimmt George mit in eine alternative Welt, in der er nie existiert hat, während James Stewart, der vor den Dreharbeiten des Films selbst jahrelang als Soldat im Krieg diente und körperliche Folgeschäden davontrug, seiner Figur die nötige Intensität verleiht, durch die sich das überraschend einbrechende Scheitern von George für den Betrachter ebenso greifen lässt wie fühlbar wird. Ganz zum Schluss bleibt sich "It's a Wonderful Life" als bewusst überzeichnetes Märchen aber treu und präsentiert ein gefühlvolles Finale, das nicht ohne Grund bis heute unzählige Menschen oder ganze Familien pünktlich zu Weihnachten wieder vor den Fernseher bannt, in klarem Bewusstsein darüber, was für einen Unterschied das Mitgefühl zueinander bewirken kann.

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                                              Am erneuten Tiefpunkt des DCEU, das Warner Bros. mit dem aus Versatzstücken von Zack Snyder und Joss Whedon zusammengestückelten "Justice League" ein weiteres Mal in Trümmern hinterließ, nachdem "Wonder Woman" dem Marvel-Konkurrenten zur Abwechslung einen dringend benötigten Aufschwung verschaffte, scheint das Studio vermehrt den Frontalangriff nach vorne zu wagen. Entfesselt wie nie zuvor präsentiert sich daher nun "Aquaman" von James Wan, der sich als rund 200 Millionen Dollar teurer Comicfilm-Exzess am Rande der massentauglichen Zumutbarkeit entpuppt. Dem Begründer erfolgreicher gegenwärtiger Horror-Franchises wie die "Insidious"- oder "Conjuring"-Reihe war ein solcher Blockbuster sicherlich nicht von vornherein zuzutrauen, auch wenn sich Wan als Regisseur von "Fast & Furious 7" bereits sichtlich im Bereich der üppig budgetierten Krawallorgien austobte und inszenatorisch durchaus imposant die Action-Muskeln spielen ließ.
                                              Trotz der üblichen Studio-Krankheiten, von denen auch "Aquaman" deutlich befallen ist, wirkt der Blockbuster nichtsdestotrotz so, als habe sich der Regisseur auf einem schier grenzenlosen Spielplatz ausgetobt. Bereits der Auftakt des Films, in dem der Superheld selbst als Erzähler in die Vergangenheit führt und von dem Kennenlernen zwischen seinen Eltern genauso wie von seiner Geburt und Kindheit erzählt, erweist sich aufgrund des deutlich gekünstelten Schauspiels und den extrem künstlichen Greenscreen-Kulissen überraschend als ausgelassener Edeltrash. Dabei ist "Aquaman" die Sorte von Edeltrash, in dem sich selbst Nicole Kidman nicht zu schade ist, schon in den ersten 5 Minuten des Films einen Goldfisch direkt aus dem Aquarium zu futtern. Mit den üblichen selbstironischen Brechungen und Witzeleien aus dem MCU hat Wans Film dabei nicht einmal viel gemeinsam. Stattdessen verweist der Regisseur unentwegt auf die überzeichneten Comic-Wurzeln des Materials und stürzt sich am liebsten in gigantomanisch erdachte CGI-Unterwasser-Welten oder verschiedenste Schauplätze an der Oberfläche. um die papierdünne Geschichte als abenteuerliche Schnitzeljagd quer über den Globus zu inszenieren.
                                              "Aquaman" entfaltet tatsächlich immer dann seine geradezu unwiderstehlichen Qualitäten, sobald Wan und sein Cast die schonungslose Selbstvertrashung als pures Spektakel begreifen. Nach kürzester Zeit spielt der eigentliche Plot, bei dem sich Aquaman gegen seinen Halbbruder Orm behaupten muss, der Herrscher von Atlantis werden will, kaum noch eine Rolle, auch wenn der Film immer wieder auf unangenehme Weise in öde Superheldenfilm-Muster verfällt und dem Zuschauer gerade geschehene Ereignisse und Entwicklungen haarklein in Dialogen vorkaut. Weitaus launiger ist Wans Blockbuster hingegen immer dann, wenn Amber Heard als Unterwasser-Amazone Mera mit ihren Superkräften Wein als fliegende Dolche verschießt, zusammen mit Aquaman in Zeitlupe zu den Klängen einer modernen Cover-Version von Totos "Africa" in die Sahara einmarschiert oder die Kamera von Don Burgess in den überbordend gestalteten Unterwasser-Welten wieder ein neues skurriles Detail entdeckt.
                                              Hauptdarsteller Jason Momoa, der mehr und mehr auf den Star-Spuren eines The Rock zu wandeln scheint, legt sozusagen als spitzbübischer Mitstreiter von Wan die angemessene Mischung aus charismatischem Muskelprotz und selbstironischem Clown hin, um selbst unterforderte, wesentlich ernsthaftere Nebendarsteller wie Willem Dafoe in den bisweilen bizarren Erzählton des Blockbusters einzugliedern. Und auch, wenn die klischeehaft bis bemüht bewegenden Momente rund um den Sohn eines Menschen und der Königin von Atlantis, der sich in seine Rolle als Herrscher der Meere erst gegen Vorurteile gegen ihn behaupten muss, den ernsthaften Ansätzen des Drehbuchs niemals gerecht werden, lohnt sich der Kauf des Kinotickets letztlich nur aufgrund des völlig entfesselten Finales. Hier gerät "Aquaman" endgültig zur Materialschlacht des schwindelerregenden Bombasts, das jeder Beschreibung spottet. Vielleicht findet das DCEU tatsächlich erst dann in die Spur, wenn es jegliche Scham abgelegt hat.

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                                              • 6 .5

                                                [...] Genauso wie die Einstellungen in The Boss of It All weiterhin in sprunghafter Willkürlichkeit durch die Geschehnisse springen, entwickelt sich die Handlung in den Büroräumen zu einem wechselhaften Hort der sexuellen Gefälligkeiten, wütenden Eskalationen und deprimierenden Konsequenzen. Dabei ist die Komödie von den üblichen aufwühlenden Momenten aus dem restlichen Schaffen des Regisseurs nach wie vor weit entfernt. Stattdessen entspinnt sich The Boss of It All vielmehr als lockere Fingerübung, die von Trier offensichtlich als humorvolle und dabei stets bissige Pause zwischen seinen wesentlich bedeutenderen, tiefschürfenderen Filmen genutzt hat. Hinter spontanen Schäferstündchen auf dem Schreibtisch und blutig geschlagenen Nasen stellt der Film jedoch auch eine konsequent bösartige Betrachtung der hinterlistigen wie absurden Mechanismen moderner Arbeitswelten dar. Neben Kristofferson, der wirklich Schauspieler ist, entlarvt von Trier sämtliche Figuren in seinem Film ebenfall als Schauspieler, die auf spontane Ereignisse derart überspitzt und befremdlich (über)reagieren, dass der alltägliche Arbeitsplatz zum konstruierten Theater verkommt, in dem keine Absurdität unmöglich scheint. In von Triers Arbeitswelt begehen die gefeuerten Ehemänner der Angestellten Suizid, ehe eine surreal-harmonische Versöhnung aller Beteiligten doch noch in den sicheren Abgrund führt. [...] Am Ende mag "The Boss of It All" für Lars von Trier vielleicht wirklich nicht viel mehr als eine harmlose Komödie gewesen sein. Ähnlich wie die Kaugumminase des Eis am Stiels in einer Szene, die ihre Farbe durch die vielen Jump-Cuts ständig von blau zu rot und wieder zurück wechselt, ist der Film jedoch auch eine bissig-präzise Schilderung des vertrauten Arbeitsklimas, in dem unterdrückte Wahrheiten, sexuell angestaute Frustrationen, manipulative Machtspiele und tragische Zuspitzungen unberechenbar von einer Stimmungslage zur nächsten springen. [...]

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                                                • 8
                                                  über Roma

                                                  [...] Die unerschütterliche Konstante in Roma ist hierbei die ruhige Kamera, für die sich Cuarón diesmal selbst verantwortlich zeichnete. In Einstellungen, die der Regisseur wie auch schon in seinen vorangegangenen Filmen mit einer Vorliebe für aufwendige Plansequenzen und langsamen Kamerafahrten inszeniert, entstehen Bilder voller sorgfältigem Detailreichtum. Bilder, in denen der Vordergrund ebenso von Bedeutung ist wie das, was unscheinbar im Hintergrund zu vernehmen ist. Bilder, mit denen Cuarón zunehmend das Politische mit dem Privaten verbindet, wenn unaufgeregte Momente plötzlich von Unruhen wie den realen gesellschaftlichen Studentendemonstrationen, die in grausamer Gewalt eskalierten, oder Naturkatastrophen erschüttert werden. Bilder, durch die Roma, der von Netflix vertrieben wird und nur einen sehr limitierten Kinostart erhält, in Kombination mit dem außergewöhnlichen Sounddesign, das immer wieder Stimmen außerhalb des Bildrandes von unterschiedlichsten Richtungen zum Betrachter vordringen lässt, geradezu zwingend in einen Kinosaal gehören sollte. Eine dieser schier unfassbaren Einstellungen findet sich unter anderem in einem Moment des Films wieder, in dem Cleo gerade erst endgültig im Krankenhaus erfahren hat, dass sie im 3. Monat schwanger ist. Zuvor wurde sie vom Vater des Kindes, ein von Kampfsport und dem Paramilitär besessener junger Mann, ausgerechnet beim Besuch einer Kinovorstellung sitzen gelassen. Nun steht Cleo in dem Krankenhaus vor der Fensterscheibe der Neugeborenenstation, als ein Erdbeben einsetzt. Während die anderen Babys so schnell wie möglich evakuiert werden, fällt der Blick der Kamera auf einen der Brutkästen, in dem eines der Neugeborenen künstlich beatmet wird. Brocken der Decke fallen auf diesen hinab, doch die Kamera lässt sich von dem plötzlichen Chaos ebenso wenig aus der Erschütterung bringen wie das Baby im Inneren des Kastens, das weiterleben wird. Ein ähnliches Schicksal wird sich nicht zwangsläufig ein weiteres Mal in Roma ereignen. Schon in Gravity blickte Cuarón auf die ganz große Tragödie und verband die Konsequenzen einer gescheiterten technischen Konstruktion mit den Konsequenzen der menschlichen Unfähigkeit, über den vergangenen Schmerz hinwegsehen zu können. In dem dystopischen Science-Fiction-Drama Children of Men waren die Anzeichen eines neuen Lebens, welches in der nahen Zukunft unmöglich wurde, hingegen Auslöser für eine Massenpanik. Gleichzeitig stellte der Regisseur unter Beweis, dass der für uns längst selbstverständlich gewordene und nichtsdestotrotz nach wie vor wundersame Akt der menschlichen Geburt dazu imstande ist, die Welt weiterhin in ihren Grundfesten zu erschüttern. Auch in Roma wird der Zuschauer Zeuge einer Geburtsszene, nach der für Cuarón ebenfalls weiterhin feststeht, dass das Leben auf dieser Welt nur durch das Gleichgewicht existieren kann, bei dem eine Umarmung zwischen zwei Menschen ebenso bedeutsam ist wie die hohen Wellen, die einem im Meer entgegenschlagen können. In einer kurzen, aber dafür umso bewegenderen Szene des Films sagt die eine verlassene Frau zur anderen: Egal, was sie sagen, wir sind immer alleine. Im Interview zu Roma spricht Cuarón von dem Werk als seinen ersten Film. Es sei der Film, den er schon immer machen wollte. Vermutlich ist es auch der Film, den der Mexikaner machen musste, um vor allem anhand der prägenden Frauen in seinem Leben erkennen und mithilfe des Kinos festhalten zu können, wer er selbst ist. [...]

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                                                  • 5

                                                    [...] Eher passiv als aktiv gestaltet der Regisseur, der Filmemacher wie Robert Bresson (Zum Beispiel Balthasar) und Yasujirō Ozu (Die Reise nach Tokyo) zu seinen größten Inspirationen zählt, dabei das jüngste Mitglied der Brinson-Familie in Gestalt des 14-jährigen Joe. In Bezug auf all das, was um den Heranwachsenden herum geschieht, zeigt Dano den Protagonisten als oftmals stummen Beobachter, der ebenso ein jüngeres Abbild des Regisseurs selbst sowie Projektionsfläche für die Gedanken und Gefühle des Betrachters darstellen soll. Zunehmend verschließt sich Wildlife jedoch genau vor diesem Zugang des Publikums, wenn die Geschichte des Films einen bedeutenden Bruch erhält. Nachdem sich Jerry dazu entschließt, in den nahe gelegenen Wäldern der Berge für einen Mindestlohn beim Kampf gegen die Waldbrände mitzuhelfen, verschwindet der von Jake Gyllenhaal (Prisoners) mit durchwegs stoischer Gelähmtheit gespielte Familienvater für große Teile des Films aus der Handlung. Es ist eine Art Flucht, die womöglich schon von langer Hand geplant war. Zurück in Ungewissheit bleiben Mutter und Sohn, die mit dem womöglich endgültigen Abschied auf unterschiedliche Weise umgehen. Während Jeanette, die von Carey Mulligan (Drive) noch mit dem sichtbarsten Facettenreichtum verkörpert wird, ihrem Lebenstraum ein Stück weit näher kommt und die eigene Unabhängigkeit mit einer Affäre förmlich zu zelebrieren beginnt, bleibt Ed Oxenboulds (The Visit) Teenager weiterhin kaum mehr als ein zur Passivität verdammtes Gefäß, das Dano niemals stimmig in seine Ansätze eines subtilen Coming-of-Age-Porträts einzufügen vermag. Gegen Ende, wenn sich das erwartbare Familiendrama in leisen und lauten Tönen anbahnt, stellt sich Wildlife schließlich als eines jener sauber polierten, ansehnlich gespielten Debüts heraus, das auf Festivals Begeisterung auslöst, während sich die eigentliche Handlung an oberflächlichen Allgemeinplätzen entlang hangelt, die kaum mehr als ein vorhersehbares, emotional wenig mitreißendes Familiendrama darstellt. [...]

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