Patrick Reinbott - Kommentare
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Alle Kommentare von Patrick Reinbott
[...] Gänzlich ohne eindeutige Dialoge inszeniert Cavani dieses Wiedersehen nur mit der Mimik ihrer beiden Hauptdarsteller Dirk Bogarde (Tod in Venedig) und Charlotte Rampling (Die Verdammten). Ohne zunächst den genauen Hintergrund über Max und Lucia zu kennen, genügen die Gesichtsausdrücke des Nachtportiers und der Dirigentengattin völlig, um schlagartig eine gemeinsame Welt zwischen ihnen zu eröffnen. Trotzdem wird es nach diesem anfänglichen Höhepunkt, den die Regisseurin zwischen überraschter Irritation und sichtlicher Aufregung schildert, noch eine ganze Weile dauern, bis Max und Lucia wiedervereint werden. Zuvor zeigt sich Cavani viel stärker an dem historischen Kontext interessiert, der beide Figuren im Rahmen des nationalsozialistischen Deutschlands ursprünglich zusammenführte. In kühlen Bildern, denen eine gewisse Distanziertheit anhaftet, beschreibt die Regisseurin das Verhältnis zwischen Lucia und Max als sadomasochistisch-komplexe Abhängigkeit, bei der die junge Frau von ihrer anfänglichen Rolle des widerwilligen Opfers aus in einen deutlichen Zustand des Lustempfindens wechselt. Hierbei gibt sich die erst 14-jährige Lucia irgendwann selbst als dominante Verführerin, wenn sie oben ohne und nur mit Teilen einer SS-Uniform bekleidet ein Lied von Marlene Dietrich (Zeugin der Anklage) singt und sich lasziv zwischen den Wärtern des Konzentrationslagers bewegt. Von Max wird ihr Auftritt belohnt, indem er ihr den abgetrennten Kopf eines hingerichteten Wärters überreicht, der Lucia quälte. 12 Jahre später soll es nun wieder ausschließlich er sein, der Macht über sie ausüben darf. Eine famos inszenierte Szene in der Oper dient Cavani noch als ungewisses Vorspiel, wenn Max wenige Reihen hinter Lucia sitzt und sich seine Blicke immer wieder angetan in den Rücken der jungen Frau bohren, bevor sein Platz plötzlich leer ist, als sich Lucia doch noch zu ihm umdreht. Lange Zeit wird Der Nachtportier sehr deutlich von dieser Anspannung getragen, die sich nicht nur aus den zwei unterschiedlichen Zeitebenen der Geschichte ergibt, sondern vor allem aus der reizvollen Analogie zwischen den Gräueln der NS-Zeit und einer daraus resultierenden, geradezu grenzüberschreitenden Leidenschaft. Bedauerlicherweise löst die Regisseurin diesen provokanten Zwiespalt nicht tiefgreifend genug auf. Sobald sich Max und Lucia in der zweiten Hälfte des Films wieder aufeinander einlassen und Cavani die Beziehung zwischen beiden Figuren als destruktives Wechselspiel voller schmerzhaft ausgelegter Glasscherben in Szene setzt, verweilt Der Nachtportier die meiste Zeit über ähnlich schmerzhaft an der Oberfläche dieser Beziehung. Mit einem Nebenhandlungsstrang konstruiert die Regisseurin zudem eine konkrete Gefahr in Form von Maxs ehemaligen SS-Kameraden, die in der Gegenwart immer noch dafür sorgen wollen, dass sämtliche noch lebenden Zeugen beseitigt werden, die die Männer mit ihrer Nazi-Vergangenheit in Verbindung bringen und damit schwer belasten könnten. Die Wohnung von Max, in der sich das unkonventionelle Liebespaar schließlich einschließt, wird ein weiteres Mal zum Verlies und der Schutzraum vor der Bedrohung aufgrund von Nahrungsknappheit und Hungersnot zur Todesfalle. Bevor sich Der Nachtportier zwischen angedeuteter Nazisploitation und skandalöser Romanze in aufgeworfenen Ansätzen verläuft, treten Max und Lucia ein letztes Mal auf die offene Straße. Max in seiner SS-Uniform und Lucia in dem Kleid, das sie so ähnlich schon als 14-Jährige im Konzentrationslager trug. Nur der endgültige Schritt in die Vergangenheit kann sie noch vor der Zukunft retten, die es für beide nicht gibt. [...]
[...] Dabei ist Kayla jene Art von heranwachsendem Mädchen, die nicht mit anderen gemeinsam in Cliquen abhängen, von ihren Mitschülern Zuspruch oder gar Aufmerksamkeit erhalten und schon gar nicht zu den wenigen Angesehen gehören, denen der Rest der Schule auf Schritt und Tritt folgt. Burnham widmet sich vielmehr denjenigen, die fast schon unsichtbar am Rand stehen, sich nach Aufmerksamkeit sehnen und am Ende des Tages doch wieder alleine in ihrem Zimmer sitzen und durch den Instagram-Feed ihres Smartphones scrollen. Diesbezüglich gestaltet sich Eighth Grade mindestens in zweierlei Hinsicht als interessantes Regiedebüt, das sich ansonsten nicht gerade stark von üblichen Vertretern des typischen Indie-Coming-of-Age-Films aus der Sundance-Filmfest-Schule abhebt. Zum einen integriert Burnham Social Media sowie die gegenwärtige Teenie-Kultur zwischen YouTube, Instagram und WhatsApp als organisches Erzählmittel in seine Geschichte. Eighth Grade ist keiner dieser Filme, in denen leuchtende Handybildschirme oder visualisierte Chatverläufe wie ein bemühtes Gimmick wirken, um moderne Entwicklungen zu berücksichtigen. Burnham inszeniert sein Debüt oftmals ganz bewusst in übersättigten Einstellungen, die von einem chaotischen Rhythmus geprägt werden. Dabei verdeutlichen der elektronische Score von Anna Meredith und die mitunter hektischen Schnittfolgen von Jennifer Lilly das rastlose, nie zur Ruhe kommende Lebensgefühl einer Generation, die längst im endlosen Meer digitaler Inhalte untergetaucht ist. Zum anderen entwickelt Eighth Grade seine beinahe unwiderstehliche Sogwirkung aus der Protagonistin Kayla, die von Nachwuchsschauspielerin Elsie Fisher (City of McFarland) absolut fantastisch verkörpert wird. Fisher, die sich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten fast genau im gleichen Alter wie die Hauptfigur befand, verleiht Kayla eine buchstäblich ungeschminkte Wahrhaftigkeit, die so treffend gespielt ist, dass sie nie wie bloßes Schauspiel wirkt. Kayla erweist sich hinter der unreinen Haut, den sichtbaren Pickeln und einem generell unauffälligen Erscheinungsbild als ebenso distanziertes wie problembehaftetes Mädchen. Dabei beschränkt sich Burnham nicht nur auf den offensichtlichen Außenseiterstatus seiner Protagonistin, sondern verleiht Kayla zudem eine Unbeholfenheit, die sie in zahlreiche unangenehme Situationen und Momente des Fremdschams manövriert. Für Eighth Grade verlässt sich der Regisseur in diesem Zusammenhang viel lieber auf lose Szenenfolgen und vereinzelt willkürlich erscheinende Eindrücke anstelle einer kohärenten Handlung mitsamt logischem Spannungsbogen. Stattdessen folgt Burnham seiner komplexen Hauptfigur ohne konkretes Ziel von Moment zu Moment, während sich Kayla in der Interaktion mit Nebenfiguren wie ihrem alleinerziehenden Vater, dem Jungen, den sie anhimmelt, oder Jugendlichen aus der höheren Stufe, zu denen sie so zwanghaft dazugehören will, als angenehm schwierig erweist. Ohne sich auf ein vorhersehbares Happy End zuzubewegen oder Kaylas Leben im Gegenzug als pessimistisches Abbild einer verlorenen Jugend heraufzubeschwören, ist Eighth Grade selbst ein Film der ungeordneten Unentschlossenheit, der gerade von seiner Widerspenstigkeit aus peinlich berührender, unbequemer, nachdenklich stimmender oder auch warmherziger Offenheit lebt. [...]
Noch vor dem Kinostart des ersten Venom-Solofilms schienen sich die Diskussionen rund um Ruben Fleischers Werk vor allem auf die Altersfreigabe eingeschossen zu haben. Auch wenn die Comic-Vorlage von den Verantwortlichen hinter der Produktion als etwas eingestuft wurde, das verschiedenste Altersgruppen von Jung bis Alt betreffen würde, waren Venom-Fans geradezu erpicht darauf, unbedingt einen brutalen, blutigen Venom-Film nur für Erwachsene zu bekommen. Das schließlich verkündete PG-13-Rating, welches hierzulande zu einer FSK 12-Freigabe führte, kam für viele sogleich einem regelrechten Aufruf zum Boykott gleich. Fleischer ruderte rasch zurück und gab an, ein R-Rating sei von vornherein nie vorgesehen gewesen. Stattdessen habe sich der Regisseur vielmehr am düsteren Tonfall von Christopher Nolans "The Dark Knight" orientiert und wollte die Grenzen und Freiheiten des PG-13-Ratings bewusst ausreizen.
Am deutlichsten macht sich dieser Ansatz bereits im Prolog von "Venom" bemerkbar, in dem Wissenschaftler in einem Raumschiff auf die Erde zurückkehren und eine pechschwarze, glibberige Substanz geborgen haben, die einen außerirdischen Organismus darstellt. Als Symbiont wird diese bislang unerforschte Lebensform bezeichnet, die umgehend außer Kontrolle gerät und sich an einen menschlichen Wirt bindet. Wie aus einem düsteren Horrorfilm muten die anfänglichen Bilder von Kameramann Matthew Libatique an, der auch schon einige filmische Albträume von Regisseur Darren Aronofsky wie "Requiem for a Dream" und "mother!" einfing. Auch "Venom" erinnert am Anfang zunächst an ein solches Szenario voller finsterem Chaos und brutaler Verwirrung, wenn sich ein Körper, dem ein abstehender Knochen aus dem offenen Bruch ragt, durch ein dunkles Waldstück schleppt, während der Mensch dahinter längst nicht mehr Herr seiner eigenen Sinne ist.
Von diesem nahezu apokalyptischen Auftakt entfernt sich Fleischer aber bedauerlicherweise schon bald wieder, sobald der Vorspann des Films über die Leinwand gelaufen ist. Mit der Einführung von Protagonist Eddie Brock ordnet sich das Drehbuch von Jeff Pinkner, Scott Rosenberg und Kelly Marcel umgehend den Strukturen typischer Origin-Stories unter, wie sie speziell im filmischen Kosmos des Marvel Cinematic Universe in den letzten Jahren wiederholt zu sehen waren. Auch "Venom" verfolgt dieses Prinzip über die erste Hälfte hinweg mit einer sturen Geradlinigkeit, die ebenso risikoarm wie vorhersehbar ausfällt.
Überzeugend verkörpert Tom Hardy den investigativen Journalisten sowie Fotografen Eddie Brock, der frühzeitig an seine persönlichen Grenzen gerät, als er seinen Job und seine Verlobte Annie verliert. Um die korrupten Machenschaften von Dr. Carlton Drake aufzudecken, der für sein Unternehmen Life Foundation wissenschaftliche Tests an Probanden durchführt, die mitunter tödlich enden, hintergeht er das Vertrauen von Annie und verschafft sich unbemerkt Zugang zu vertraulichen Dokumenten der Anwältin. Arbeitslos und alleine verbringt Eddie seine Abende sechs Monate später regelmäßig am Tresen der Bar, wo er sein Leben in Alkohol ertrinkt. Als ihn eine Mitarbeiterin von Life Foundation eines Abends aufsucht und in seiner Annahme bestätigt, dass Drake für wissenschaftliche Zwecke über Leichen geht, wittert Eddie die Chance für ein berufliches Comeback in Form einer großen Enthüllungsstory über den Life Foundation-Chef.
Wenig überraschend geht sein Vorhaben jedoch gründlich schief, als der Protagonist mit dem Alien-Symbionten in Berührung kommt und dieser von Eddie Besitz ergreift. Erst mit der Verbindung von Eddie und Venom findet Fleischers Film nach der mühsam ausgebreiteten Einführung zumindest ansatzweise zu jenen Szenen, für die Comic-Fans erwartungsvoll ein Kinoticket lösen. Schon Josh Trank äußerte in Bezug auf seine letztendlich völlig vom Studio entstellte "Fantastic Four"-Verfilmung den Gedanken, einen Superheldenfilm als finsteren Body-Horror à la David Cronenberg umsetzen zu wollen. Auch in "Venom" blitzt dieses Konzept immer wieder auf, sobald sich die neu erlangten Superkräfte von Eddie als Fluch und Segen zugleich entpuppen.
Wenn der Protagonist ungeahnte Höhen erklimmen und tödliche Hindernisse überwinden kann, während der Hunger der teuflischen Stimme in seinem Kopf niemals verstummt und ständig danach giert, anderen Menschen den Kopf abzubeißen, lässt Fleischers Film eine radikale Vision zwischen garstiger Ungestümtheit und bitterbösem Humor immerhin erahnen. Von entfesselten Spektakeln aus Fleischers Regie-Vergangenheit wie "Zombieland" oder "Gangster Squad" ist "Venom" letztlich aber doch zu weit entfernt. Auch wenn das PG-13-Rating des Films weitaus weniger seicht ausfällt als viele vorab befürchteten und dem Blockbuster ein angemessen düsterer Tonfall mitsamt vereinzelten, jedoch eher unblutigen Gewalteinlagen anhaftet, liegt die enttäuschende Inkonsequenz des Films im Umgang mit der Comic-Figur verborgen. Spätestens mit Erreichen des generischen Finalakts schienen Fleischer und sein Team aus Drehbuchautoren vor dem subversiven Potenzial des Bösewichts endgültig kapituliert zu haben. Stattdessen wird "Venom" als Film sowie als Figur in Bahnen eines massenkompatiblen Antihelden gelenkt, der brav gezähmt wurde, bevor Sony das Potenzial für ein gefälliges neues Franchise vorschnell verspielt haben könnte.
[...] Neben Laurie selbst thematisiert Halloween eine ganze Generation von Menschen, die unter dem Einfluss eines schwerwiegenden Traumas existieren müssen, das innerhalb einer Familie von Mitglied zu Mitglied weitergetragen wird und 40 Jahre später ganz Haddonfield infiziert hat. In einer Szene des Films, in der Lauries jugendliche Enkelin mit ihren Freunden durch die Vorstadt läuft, macht sich einer von ihnen fast schon darüber lustig, wie belanglos die Morde von damals heutzutage erscheinen würden, da lediglich fünf Menschen zu Tode gekommen seien. Während Greens Halloween den Slasher-Wurzeln sowie der altbewährten Formel des Subgenres streng treu bleibt, verpflanzt der Regisseur den Mythos von Michael Myers zugleich in einer Gegenwart, die offenbar ebenso in der Zeit stehengeblieben ist wie sie den modernen Zuständen des irritierenden Chaos entspringt. Während der Regisseur über die anfänglich holprig erzählte halbe Stunde seines Films hinweg Schwierigkeiten hat, stimmig an die Essenz von Carpenters Erstling anzuknüpfen, erstrahlt Halloween spätestens in der zweiten Hälfte als mitunter erstaunlich stilsicher inszenierter Horrorfilm. Nachdem Michael Myers bei einem geplanten Transfer in eine neue Haftanstalt wenig überraschend der Ausbruch gelingt und dieser nach einer geradezu gespentischen Sequenz wieder nach Haddonfield zurückkehrt, wütet der Serienkiller hier auf faszinierende Weise genauso im Geiste von Carpenters Original wie er stellenweise auch an Rob Zombies eigensinnige Neuauflage erinnert. Frei von jeglicher Psychologisierung zeigt Green Michael Myers einerseits als geisterhaften Boogeyman, der im Schatten des Hintergrunds lauert, bevor er in manchen Szenen mit einer erschütternden Brutalität zur Tat schreitet, die an Zombies bestialischen Grindhouse-Charakter angelehnt zu sein scheint. Dabei gelingen dem Regisseur einige überaus beeindruckende Spannungssequenzen, die nicht nur von einer exzellenten Kamera- und Schnittarbeit, Lichtsetzung und dem hervorragenden Score leben, sondern generell von der zeitlos beängstigenden Ausstrahlung Haddonfields. Die grünen Vorgärten, weißen Gartenzäune und beschaulich eingerichteten Einfamilienhäuser der Vorstadt weichen in der zentralen Halloween-Nacht einmal mehr einer schier alles verschlingenden Dunkelheit. [...]
[...] Noch bevor überhaupt daran zu denken ist, dass dieser Neil Armstrong unweigerlich als historische Persönlichkeit in die Geschichte eingehen wird, reduziert der Regisseur das bedeutsame Ausmaß der realen Ereignisse auf ein intimes Drama im kleineren Rahmen. Diese Intimität ist es auch, die Aufbruch zum Mond entscheidend von gewöhnlichen Biopics abhebt und zusammen mit Chazelles inszenatorischem Können über vergleichbare Vertreter des Genres befördert. Auf dem Weg der Reise zum Mond behandeln der Regisseur und sein Drehbuchautor die wichtigsten faktischen Stationen. Dabei schildern sie die jahrelangen Vorbereitungen, Testläufe und Versuche als beschwerliches Auf und Ab zwischen erleichternden Durchbrüchen und herben Rückschlägen, bei denen einige mitunter gar ihr Leben lassen, damit andere den Traum vom menschlichen Fortschritt weiterträumen können. Inmitten dieser Entwicklungen inszeniert Chazelle Armstrong als ambivalente Schlüsselfigur, der im Zentrum der Geschichte oftmals den stummen Leidenden gibt. [...] Eindringlich bringt Chazelle das Kernmotiv seines Films damit auf den Punkt, das den berühmten Astronauten als einen Menschen beschreibt, der auf der Erde jeglichen Boden unter den Füßen verloren hat und fest daran glaubt oder besser hofft, dass er durch die Schwerelosigkeit des Alls sowie das Betreten von bislang völlig unerforschtem Boden wieder zu sich selbst und seiner Familie finden kann. Neben den 16-mm-Bildern, die dem Film eine brüchige Schönheit sowie angemessen nostalgische Qualität verleihen, einem bis ins letzte Detail ausgeklügelten Sound-Design und dem Schnitt, welcher dem erzählerischen Rhythmus immer wieder eine fast schon assoziative Poesie verleiht, findet Aufbruch zum Mond nach einigen dramatischen und äußerst packenden Höhepunkten in den letzten 15 Minuten zu einer schier atemberaubenden Vollendung. Ähnlich wie Christopher Nolan, der in seinem Science-Fiction-Epos Interstellar ebenfalls ganz nah am Menschen blieb und globale Auswirkungen in den kleinsten Gesten fand, entfaltet auch Aufbruch zum Mond mit dem Betreten des Mondes eine emotionale Wucht von einzigartiger Intensität. Wenn sich das Bildformat plötzlich über die gesamte Fläche der IMAX-Leinwand erstreckt und der historische Augenblick mit dem persönlichen Schicksal eines einzelnen trauernden, immer noch zutiefst verletzten Mannes kollidiert, endet Chazelles Film mit einer bestürzenden Intimität, die nur noch von der allerletzten Szene der stillen Anerkennung gekrönt wird. [...]
Sheeeeeesh, da bist du ja schon wieder weg :O Alles Gute für deine Zukunft! :)
Jeremy Saulniers neuester Film "Hold the Dark", der von Netflix vertrieben wird, wirkt schon alleine aufgrund seiner Laufzeit wie ein deutlicher Richtungswechsel im Schaffen des Regisseurs. Während vorherige Werke wie "Blue Ruin" und "Green Room" jeweils um die 90 Minuten Spielzeit aufwiesen und in ihrer Struktur mit erbarmungsloser Intensität getaktet waren, ist "Hold the Dark" ein 125-minütiger Brocken, mit dem Saulnier in vielerlei Hinsicht neues Terrain als Filmemacher betritt. Mit einem erzählerischen Tempo, das sich eigentlich kaum mehr als solches bezeichnen lässt, breitet der Regisseur die Geschichte des Films aus.
In dieser wird der Romanautor sowie Wolf-Experte Russell Core von der jungen Mutter Medora um Hilfe gebeten. Hierfür reist Core in den Norden Alaskas, wo der kleine Sohn von Medora offenbar von Wölfen verschleppt wurde. Ein grausamer Vorfall, der in der alaskischen Kleinstadt Keelut kein unbekannter Einzelfall ist. Core soll die verantwortlichen Tiere für die Mutter aufspüren und töten, denn die sichtlich mitgenommene Medora ist davon überzeugt, dass der Junge nicht mehr am Leben ist. Gleichzeitig handelt "Hold the Dark" auch von Medoras Ehemann Vernon, der als Soldat im Ausland stationiert ist, wo er traumatisierende Dinge erlebt und Tötungen ausübt, bis er nach einer schweren Schussverletzung zurück nach Hause transportiert wird.
Dass "Hold the Dark" auf einer Romanvorlage basiert, die Drehbuchautor sowie langjähriger Saulnier-Kollaborateur Macon Blair für dieses Werk adaptiert hat, macht sich frühzeitig bemerkbar. Dem bislang vierten Spielfilm von Saulnier haftet eine literarische Entschleunigung an, die wesentlich seltener als in dessen sonstigen Arbeiten in ekstatischen Spannungshöhepunkten implodiert. Stattdessen setzt der Regisseur als nach wie vor ungemein begabter Handwerker auf eine dichte Atmosphäre der ständigen Beklemmung, die sich diesmal aus dem ungewohnten Vorgehen Saulniers speist, verschiedenste Genre-Versatzstücke sowie Stilrichtungen sperrig miteinander zu kombinieren.
Zunächst beginnt "Hold the Dark" noch als geradliniger Krimi-Thriller, der den Kampf zwischen Mensch und Natur nicht nur über das ungewisse Katz- und Mausspiel zwischen Core und den Wölfen andeutet, sondern vor allem über die abweisenden, kalten Bilder der alaskischen Landschaft. Denen haftet vom ersten Moment an eine lebensfeindliche Dunkelheit anh, die längst tief in die dortigen Menschen eingedrungen zu sein scheint. Von der trügerischen Ausrichtung, die gewissermaßen an Taylor Sheridans Regiedebüt "Wind River" aus diesem Kinojahr erinnert, nimmt Saulnier jedoch bald Abstand und entblättert weitere Schichten der motivreichen Vorlage, die er sowie Drehbuchautor Blair nicht immer ganz stimmig in den Griff bekommen.
Recht bald erfährt das anfangs schlicht wirkende Szenario eine nahezu surreale Überhöhung, die durch ihren metaphysischen Ansatz, indigene Mythologie und albtraumhafte Abgründe in der Natur des Menschen zu kombinieren, durchaus Erinnerungen an die gefeierte erste Staffel von "True Detective" hervorruft. In diesem Zusammenhang verwundert es wenig, dass Saulnier für die kommende 3. Staffel der HBO-Serie die ersten beiden Episoden drehte, bevor er aus nicht näher genannten Gründen von dem Projekt absprang.
Auch "Hold the Dark" bewegt sich plötzlich in vergleichbaren Sphären, als Core nach dem ersten Drittel eine grausame Entdeckung macht, während Medora auf einmal spurlos verschwunden ist und die Rückkehr ihres Ehemannes Vernon alles nur noch stärker verkompliziert. Plötzlich wandelt sich der Film mehr und mehr zu einer Mischung aus stoischem Rache-Thriller, bei dem Täter und Opfer verschwimmen, übernatürlichen Anleihen, die kaum konkret ausformuliert werden und nur als dumpfe Bedrohung im Hintergrund lauern, sowie unvermittelten Gewalteinbrüchen, die einmal mehr Saulniers bevorzugtes Motiv sowie zugleich größte Stärke darstellen.
Bereits in frühen Szenen, die Vernon im Irakkrieg zeigen, schildert der Regisseur die Gewalt einmal mehr als hässlichen Impuls, der ebenso unerklärlich aus den Menschen hervorbricht, wie er im direkten Anschluss für betroffenes Unverständnis sorgt. Dieses inszenatorische Vorgehen verfolgt Saulnier in "Hold the Dark" noch diffuser und spontaner als in seinen vorangegangenen Werken, wobei auch dieser Film spätestens nach der Hälfte beispielsweise in einen minutenlangen Schusswechsel ausartet, welcher einem kompromisslosen, beängstigenden Rhythmus folgt, der wie von Saulnier gewohnt eher an Szenen aus einem Horrorfilm erinnert. So irrational und brutal die Gewalt in "Hold the Dark" ausbricht, so konsequent wirkt schließlich auch die Zuwendung hin zur irritierenden Slasher-Fantasie, durch die Saulniers Spiel mit Genres und Stimmungen spätestens im letzten Drittel zu einem unrunderen Gesamtwerk führt als vom Regisseur gewohnt, während dessen deutlich gesteigerte Ambitionen einen pechschwarzen Klumpen hervorgebracht haben, der sich wie zähflüssiger Teer über die Sehnerven des Zuschauers ergießt.
Gleich zu Beginn von Bradleys Coopers Regiedebüt "A Star Is Born" wird der Kinosaal zum ekstatischen Konzerterlebnis. Sobald der Protagonist Jackson Maine, in den Augen der Öffentlichkeit ein gefeierter Country-Star, die Bühne betritt und zu den ersten Klängen einer seiner Songs ansetzt, beginnt die Leinwand förmlich zu vibrieren, während die Stimme des Musikers zusammen mit den anderen Instrumenten wie eine Urgewalt aus den Boxen dröhnt. Unmittelbar nach dieser Auftaktperformance weicht die Stimmung in Coopers Film jedoch einem ganz anderen Tonfall. Als sich der mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Musiker auf den Rücksitz seines Wagens zurückzieht, um sich schnellstmöglich von dem Auftritt zu entfernen, wirkt dieser Jackson Maine plötzlich wie ein unbeholfenes Wrack, das ohne fremde Hilfe und den starken Einfluss von Alkohol sowie anderen Medikamenten kaum mehr lebensfähig zu sein scheint.
Eine neue Flamme entzündet sich in ihm erst ausgerechnet an dem Ort, der üblicherweise abschätzig angesehene Paradiesvögel und ganz unten angekommene Existenzen wie Jackson auffängt. In einer Drag-Bar hört der Country-Star zum ersten Mal die Stimme von Ally, die einzige heterosexuelle Frau unter allen Sängerinnen dort. Umgehend entwickelt sich A Star Is Born zu einer dieser Romanzen, in denen ein ganz bestimmter (Augen)blick genügt, um früh vorwegzunehmen, wohin diese knisternde Begegnung über den Verlauf einer gemeinsam durchlebten Nacht voller spontaner Situationen führt. Sofort entdeckt Jackson in Ally jenen Star, der dem Titel des Films nach noch geboren wird, während Cooper als überraschend talentierter Regiedebütant eine Hingabe für zärtliche, intime Momente offenbart, die der gleichzeitige Hauptdarsteller in berührender Regelmäßigkeit zur Geltung bringt.
Hierfür hat sich Cooper gemeinsam mit seinem Co-Autor Eric Roth einer Geschichte angenommen, die fürs Kino zuvor bereits dreimal verfilmt wurde. In der Neuauflage wurde die Handlung nun einer logischen Modernisierung unterzogen, für die sich der Regisseur nichtsdestotrotz auf die Stärken klassischer Filme konzentriert. Abgesehen von einigen Nebenschauplätzen, die Allys Familie sowie Jacksons engeren Vertrautenkreis in Form seines langjährigen, noch älteren Roadies Bobby betreffen, wirkt diese Interpretation von A Star Is Born gerade in der ersten Hälfte wie ein Song, der nur für die beiden Verliebten geschrieben wurde und lediglich zwischen Ally und Jackson erklingt. Dabei lässt sich zwischen den Zeilen des Textes stets erkennen, dass dieser Höhenflug zwischen der Sängerin, die sich trotz ihres unglaublichen Talents für zu hässlich hält, und dem Star, der die schönsten gemeinsamen Momente meist nur im alkoholisierten Zustand erlebt, irgendwann ein Ende haben muss.
Vielleicht liegt es schließlich auch daran, dass die zweite Hälfte von A Star Is Born zunehmend schematischer erscheint, während Cooper seine Mischung aus Musikfilm und Liebes-Drama in überdeutlich dramatischere Gefilde manövriert. Während Ally nach einigen bejubelten Auftritten zusammen mit Jackson doch noch zu einem Star werden soll, für den Hauptdarstellerin Lady Gaga gewissermaßen den umgekehrten Weg ihrer eigenen Karriere einschlägt und von der natürlichen Sängerin zur überstilisierten Kunstfigur wird, zerbricht ihr Partner zunehmend an dem aufkommenden Ruhm, den Jackson durch sein vom Alkohol verschwommenes Sichtfeld irgendwann nur noch mit verächtlichem Neid kommentieren kann.
Auf dem Gipfel dieser Tragödie, die durchaus vorhersehbar verläuft und ein erwartbar drastisches Niveau erreicht, besinnt sich Cooper trotzdem auf die Momente, in denen all das Make-Up abgewischt und sämtliches Rampenlicht in der Öffentlichkeit verstrahlt ist. Mit angemessener Verletzlichkeit und Intimät blickt der Regisseur auf den selbst gespielten Country-Star, der auf der Bühne nach wie vor eine unglaubliche Stimmgewalt hervorbringt, während seine gewöhnliche Stimme beim Sprechen einem angestrengten Brabbeln gleicht, das zugleich von selbstzerstörerischer Verschwendung zeugt.
Genauso widmet sich Cooper auch seiner Leinwandpartnerin Lady Gaga, die ihre Figur bewusst zwischen aufrichtiger Liebe zu ihrem Partner und dem verlockenden Ruhm, der sie gleichzeitig zur Selbstaufgabe zwingt, in die Unklarheit entgleiten lässt. Nach peinlichen Tiefpunkten, unangenehmen Erkenntnissen und verzweifelten Versuchen der Wiedergutmachung gelangt A Star Is Born ganz am Ende glücklicherweise aber doch noch ein letztes Mal bei jener Art von Song an, der ausschließlich als unsichtbares, tiefes Band zwischen den Protagonisten existiert.
[...] Immer wieder wird in der neuen Netflix-Serie Maniac von Regisseur Cary Fukunaga (Beasts of No Nation) die Frage danach gestellt, was denn nun tatsächlich real sei und was Normalität überhaupt noch bedeuten würde. In der Handlung der 10 Episoden umfassenden Produktion erscheinen Faktoren wie Realität und Normalität nämlich zunehmend als Fremdkörper in einem Konstrukt, das mithilfe von speziellen Drogen im Rahmen der Medikamentenstudie eines mysteriösen Pharmakonzerns errichtet wird. [...] Spätestens ab Episode 3 entpuppt sich Maniac hierbei als zitatereicher Mix aus zahlreichen Filmen oder Serien, die sich allesamt als Einflüsse erkennen lassen. So erinnern die unterschiedlichen Gedankenwelten und gleichermaßen verspielten wie vertrauten alternativen Realitäten an Variationen von Michel Gondrys Vergiss mein nicht!, Christopher Nolans Inception oder Zack Snyders Sucker Punch, während bei den Serien vor allem die verdrehte Superhelden-Serie Legion sowie das dystopische Sci-Fi-Anthologie-Format Black Mirror Pate stehen durften. Dabei stellt sich die vermeintliche Stärke von Maniac nach ungefähr der Hälfte der 10 Episoden als durchaus von Schwächen behaftet heraus. Fukunaga, der wechselnde Autorenstab und die Set-Designer bieten mithilfe der medikamentösen Wirkstoffe verschiedene Szenarien auf, die von der trashig überzeichneten 80er-Soap über altmodischen Film noir-Thrill und Elfen-Fantasy à la Der Herr der Ringe bis hin zur Großstadt-Gangster-Saga kaum ein filmisches Genre auslassen. Was Fukunaga jedoch an reichhaltigen Details auffährt, mit denen er immer wieder auf persönliche Facetten seiner Hauptfiguren innerhalb der imaginierten Welten verweist, lässt die Serie im Gegenzug an ungestümer Unberechenbarkeit vermissen. Maniac fehlt der Hang zum Ausufernden sowie der Mut, die Drogentrips als vollends unkontrollierbare Exzesse darzustellen. Zu geordnet und sauber wirkt die fast schon lineare Unterteilung der dreiteiligen Medikamententests in mehr oder weniger klar voneinander abgrenzbare Settings, die lediglich von kleineren Nebenschauplätzen und der Dynamik zwischen den Hauptdarstellern ergänzt werden. Sowohl Jonah Hill (Superbad) als auch Emma Stone (La La Land) spielen ihre Protagonisten überzeugend als zerbrochene Menschen, die mühsam durch ihre eigenen Traumata waten müssen, während sie in den imaginierten Welten, die Reflektion, Erinnerung und Fantasie zugleich sind, immer wieder zueinanderfinden. Auch wenn es der Serie letztlich an einer wirklich tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Innenleben psychisch Geschädigter fehlt, sobald Fukunaga wieder einmal zu sehr in den detailreichen Welten der Einbildung schwelgt und Kurioses mit Blutigem oder Komisches mit Groteskem mischt, findet Maniac immerhin spätestens in der letzten Episode der abgeschlossenen Mini-Serie zu einer geradlinigen Emotionalität, die gerade dadurch entsteht, dass plötzlich wieder die Figuren selbst in purer Menschlichkeit im Mittelpunkt stehen. Eine ähnlich eindringliche Offenheit und Verletzlichkeit wie in den letzten beiden Episoden von Maniac hätte der Serie als Gesamtwerk noch wesentlich besser zu Gesicht gestanden. [...]
[...] Es sind nicht viele Worte, die zu Beginn von Debra Graniks neuem Film Leave No Trace fallen. Ein kurzer Dialog über die Lieblingsfarbe des Mädchens genügt beispielsweise, um zu enthüllen, dass die Mutter schon lange vorher gestorben ist. Stattdessen genügen die satten Bilder von Kameramann Michael McDonough, um dem Betrachter das Verhältnis zwischen Vater und Tochter primär durch ihre Bewegungen sowie die schweigsame Interaktion als Mischung aus effizienter Zweckgemeinschaft und trotzdem fürsorglicher Zärtlichkeit zu schildern. Will und Tom nutzen die natürlichen Ressourcen der Natur um sie herum, das Regenwasser oder den Fluss, die Pilze oder andere Gewächse, um zu überleben. Und tatsächlich wirkt es anfangs so, als wolle die Regisseurin anhand ihrer beiden Protagonisten einen alternativen Lebensentwurf beschreiben, der auch vollkommen ohne äußere Einflüsse bestehen kann. Schon bald bekommt das anfängliche Bild der augenscheinlichen Idylle in Leave No Trace jedoch erste Risse. [...] Nachdem Vater und Tochter als Hausgäste bei einem Farmer unterkommen, den sie bei der täglichen Arbeit unterstützen sollen, rückt die von Newcomerin Thomasin McKenzie (Der Hobbit - Die Schlacht der Fünf Heere) gespielte Teenagerin noch stärker in den Fokus der Erzählung. So entpuppt sich das Drama von Granik, die sich wie auch schon in Winter's Bone mit einer durchschlagenden Rolle für die damals noch unbekannte Jennifer Lawrence (Silver Linings) erneut empathisch den Randgesellschaften und Unterprivilegierten Amerikas widmet, immer stärker als Coming-of-Age-Geschichte, die von einer ebenso komplexen wie unkonventionellen Vater-Tochter-Beziehung ausgeht. Dabei stellt die Regisseurin immer wieder die Frage in den Vordergrund, wer von beiden sich gerade in wessen Abhängigkeit befindet und ob ein isoliertes Leben in abgeschiedener Zweisamkeit stärker wiegen kann als ein Leben, das durch die Erfahrung ungeahnter Zwischenmenschlichkeit oder dem ersten Kontakt mit friedlichen Bienen aus einem Bienenstock gerade erst überhaupt zu blühen beginnt. Feinfühlig entwirft die Regisseurin in Leave No Trace nebenbei in kleineren Momentaufnahmen das Porträt eines Amerikas der gesellschaftlichen Außenseiter, die sich zu selbst gespielten Country-Songs am Lagerfeuer versammeln und durch einen ruhigen Zusammenhalt auszeichnen, der eine warme Selbstverständlichkeit ausstrahlt. Gegen Ende findet Granik auf ihre gestellten Fragen aber keine einfachen Antworten. Sobald klar ist, dass der Lärm in Wills Kopf niemals verstummen wird und der Kriegsveteran wie ein hoffnungsloser Schlafwandler wieder und wieder zurück in die ebenso friedliche wie einsame Natur getrieben wird, beschließt die Regisseurin ihr Werk der eher sperrigen, unterdrückten Emotionalität mit einer ungemein bewegenden Umarmung voller Tränen, die zuletzt erneut ohne viele Worte den Weg in eine ganz neue Zukunft ebnet. Eine Zukunft, die ebenso ungewiss wie hoffnungsvoll scheint. [...]
Aus Takashi Miikes "Audition", einem der bekanntesten Filme des japanischen Regisseurs, wird der Zuschauer nach der Sichtung vor allem ein ganz bestimmtes Geräusch nicht mehr vergessen können. Neben den dazugehörigen Bildern stammt dieses Geräusch von einer Klaviersaite, mit der die schöne Asami dem einsamen Witwer und vermeintlichem Liebhaber Aoyama langsam die Füße durchtrennt. Es ist der albtraumhafte Höhepunkt eines Films, in dem die vorgetäuschte Gemächlichkeit einer ruhigen Liebesgeschichte plötzlich halluzinatorischen Foltermomenten weicht, bei denen Realität und Einbildung ineinanderfließen. Nicht gerade zufällig wird man von Nicolas Pesces zweitem Spielfilm "Piercing" wieder an Miikes Werk erinnert. Die Drehbücher beider Filme basieren auf Romanen des japanischen Schriftstellers Ryu Murakami und weisen unverkennbare Parallelen auf.
Während sich "Audition" jedoch ganz langsam und unscheinbar entfaltet, beginnt "Piercing" mit einer ersten Szene, die das psychopathische Wesen des Films unmittelbar sichtbar werden lässt. Zu sehen ist ein Baby, dem sich die Spitze eines Eispickels nähert, der wiederum von der Hand des Vaters umschlossen wird. Bei diesem handelt es sich um Reed, der sich nichts sehnlicher wünscht, als einen Menschen zu töten. Um sein mörderisches Verlangen endlich in die Tat umzusetzen, erzählt er seiner Frau unter falschem Vorwand von einem geschäftlichen Trip und quartiert sich in einem Hotel ein. Hier bestellt er sich das Callgirl Jackie aufs Zimmer, damit seine Fantasien nicht mehr länger nur in seinem Kopf bleiben.
Genau diese Kluft zwischen Vorstellung und Realität ist hingegen das entscheidende Motiv von Pesces zweitem Film, mit dem er sich einerseits gewissermaßen selbst als Regisseur treu bleibt und andererseits die Vorlage von Murakami in Ehren hält. Schon Pesces Spielfilmdebüt "The Eyes of My Mother" war davon geprägt, dass sich die grausamsten Details der kunstvoll in Schwarz-Weiß eingefangenen Geschichte überwiegend im Kopf des Betrachters abspielten und die Kamera anschließend nur die scheußlichen Konsequenzen einfangen konnte. In "Piercing" wird dieses Prinzip in einer frühen Szene noch stärker dem Kopfkino untergeordnet. In Gedanken spielt Reed das Szenario komplett durch, sobald Jackie in seinem Hotelzimmer eintreffen würde. Dabei inszeniert der Regisseur den Ablauf der Tat als Abfolge imaginärer Prozesse, bei dem die markanten Geräusche wie eine Säge, die durch einen Knochen schneidet, überdeutlich zu hören sind, während die Bilder nichts als theoretische Bewegungen ohne ein dazugehöriges Pendant in Form eines realen Opfers zeigen.
Während sich Pesce voll und ganz auf das Hauptdarsteller-Duo Christopher Abbott und Mia Wasikowska verlassen kann, denen außer kurzen Szenen mit den wenigen Nebendarstellern der gesamte Film gehört, hat sich der Regisseur für den Stil vornehmlich an Genre-Vorbildern aus den 1970er-Jahren orientiert. Speziell die atmosphärischen Markenzeichen des italienischen Giallos lassen sich hinter der sterilen Architektur von "Piercing" regelmäßig vor allem auf musikalischer Ebene wiedererkennen, wenn Pesce das "Profondo Rosso"- oder "Tenebre"-Theme von Goblin aus Dario Argentos Filmen ertönen lässt und für den Soundtrack generell fast nur auf solche Songs zurückgreift. Im Vergleich zu dem ebenfalls sehr kurzen "The Eyes of My Mother" wirkt der 81-minütige "Piercing" in Verbindung mit Split-Screen-Einschüben à la Brian De Palma noch stärker wie eine formale Fingerübung, mit der sich der Regisseur im Jonglieren von Zitaten, der literarischen Vorlage und eigenständigen Ideen übt, während das eigentliche Gesamtwerk als minimalistisch-bruchstückhafte Skizze ein ums andere Mal in seine Einzelteile zu zerfallen droht.
Trotzdem kann Pesces zweiter Film das definitiv vorhandene Potenzial und die positiven Facetten dieses Regisseurs weiterhin aufrechterhalten. Wie auch schon "The Eyes of My Mother" neben den offensichtlichen Horror-Elementen von einem zutiefst traumatisierten Menschen handelte, der sich in seinem Innersten vor allem nach Nähe und Zuwendung sehnte, ist "Piercing" ebenfalls denjenigen verschrieben, die ihre ehrlichsten Emotionen und Gedanken die meiste Zeit über nur als Bilder in ihren Köpfen mit sich herumtragen müssen, ehe die erdrückende Einsamkeit und Isolation drastische Ausmaße annimmt. Dass Jackie schließlich keineswegs das hilflose Opfer darstellt, das sich Reed in seinen brutalen Gedanken ausgemalt hat, führt im letzten Drittel von Pesces Film zu einem Verwirrspiel der sadomasochistischen Gelüste, bei dem die Rollenverteilung dieser sexuellen Praktik einmal mehr verschwimmt.
Auch wenn sich Pesce in diesem entscheidenden Teil seines Werks vermehrt zu unnötiger Psychologisierung in Form von eingestreuten Rückblenden hinreißen lässt, liegt die Essenz von "Piercing" in den Käfigen der Gedanken verborgen, aus denen die Hauptfiguren so verzweifelt auszubrechen versuchen, sowie in den Bildern kalter, leblos wirkender Häuserfassaden, die Pesce als Miniaturen nachbauen ließ und die erneut nicht zufällig an Murakamis Regiearbeit "Tokyo Decadence" erinnern. Hier brachte der Alltag einer auf S/M-Praktiken spezialisierten Prostituierten ebenfalls das kalte, leere Wesen Tokios zum Vorschein. "Piercing", der sich zeitlich niemals konkret verorten lässt und den Gedanken der alles verschlingenden Anonymität der Großstadt ausstellt, ist ein weiteres dieser Werke, in dem die Herzen der Verlorenen verglimmen, ehe sie nur noch über die Ausübung extremster Praktiken auf einen gemeinsamen Nenner kommen können.
"Halloween II" ist ein Sequel, das kaum noch direkter an John Carpenters stilbildenden Meilenstein von 1978 anknüpfen könnte. Rick Rosenthal kehrt in den endlosen Albtraum aus "Halloween" zurück, indem er nicht einfach nur wenig bis gar keine Zeit verstreichen lässt, sondern mitten in das seelische Chaos und die überforderte Panik zurückkehrt, die Carpenter am Ende seines Films hinterließ. Plötzlich sind die Uhren sogar rückwärts gelaufen und lassen Michael Myers hinter Laurie Strode ein weiteres Mal auferstehen, ehe Dr. Loomis gerade noch so zur Hilfe eilt. Das Ende von "Halloween", bei dem sich Michael Myers von 6 Kugeln durchlöchert in Luft aufgelöst hat und wieder in der Schwärze der Nacht verschwunden ist, bildet zugleich die atmosphärische Brücke zu Rosenthals Sequel.
Der Regisseur profitiert zunächst von dem großen Vorteil, dass "Halloween II" völlig unvermittelt in ein filmisches Universum führt, in dem die beklemmenden Regeln zuvor längst etabliert wurden. Während Carpenter zusammen mit Debra Hill erneut das Drehbuch geschrieben hat, zeichnete er sich für den Nachfolger gemeinsam mit Alan Horwarth ebenfalls wieder für die Musik verantwortlich. Leicht abgewandelt ertönt der ikonische, markdurchdringende Theme-Song auch in "Halloween II" erneut, wobei Rosenthal den ausdruckslosen Boogeyman zu Beginn noch in derselben Nacht weiter morden lässt, bis der Schrecken mit dem Tod eines Maskierten nur vermeintlich ein jähes Ende findet.
Bis hierhin hat sich der Regisseur mehr pflichtschuldig denn eigenständig an den furchteinflößenden Reizen des Vorgängers abgearbeitet, obwohl Michael Myers bereits zu Beginn des Sequels spürbar an Wirkung einbüßt. Wo sich Carpenter noch mit brillanter Effektivität in intensiver Sparsamkeit übte, rückt Rosenthal den Killer fast schon überpräsent unentwegt ins Bild. Stärker zurück in den Schatten gerät die Horror-Ikone erst, nachdem sich die Handlung von "Halloween II" aus den weitläufigen Vorstadtgärten und trügerisch beleuchteten Einfamilienhäusern wegbewegt und innerhalb der Mauern des örtlichen Krankenhauses angelangt, wo Laurie noch im Schockzustand als Patientin eingeliefert wird.
Die eher spärlich ausgeleuchteten Korridore des neuen Schauplatzes nutzt Rosenthal schließlich für eine Aneinanderreihung von Todesszenen, die der Regisseur mit sturer Konsequenz voll und ganz dem damals noch recht frischen Grundgerüst des Slasher-Films unterordnet. So entwickelt "Halloween II" eine geradlinige Zielstrebigkeit, die von einem höheren Gewaltgrad begleitet wird, für den tatsächlich Carpenter persönlich verantwortlich war. Auch wenn dieser bewusst auf den Regie-Posten verzichtete, war ihm die ursprüngliche Schnittfassung von Rosenthal deutlich zu zahm. Einzelne Szenen, die das Ausmaß von Michael Myers' Taten in blutigen Details zeigen, drehte Carpenter schließlich selbst nach.
Trotz der expliziteren Eskalationen fehlt der Fortsetzung jedoch zu jeder Zeit die markante Dichte, die dem Zuschauer in "Halloween" mehrfach förmlich die Kehle abschnürte. Dieser Umstand mag auch daran liegen, dass Rosenthal die traumatisierte Laurie als emotionales Zentrum immer wieder aus den Augen verliert. Die von Jamie Lee Curtis gespielte Protagonistin verkommt im Sequel stattdessen zur Nebenfigur, die sich erst im Finale, nachdem zuvor ein schreckliches Geheimnis aus ihrer Vergangenheit im Zusammenhang mit Michael Myers ans Licht gekommen ist, dem unaufhaltsamen Schreckgespenst ihrer Vergangenheit stellen muss.
Dass dieses Schreckgespenst dem Regisseur ein ums andere Mal aus den inszenatorischen Händen gleitet, liegt daran, dass das Drehbuch Michael Myers in Teil 2 deutlich stärker als zuvor zwischen unerklärlichem Grauen und überraschend spaßigem Camp-Faktor verortet. Dass "Halloween II" die Ikone aber trotzdem noch ernst genug nimmt, verdeutlicht die wohl eindringlichste Szene des Films mit Loomis. In dieser umschreibt der Psychiater den Serienmörder, der sich jeglicher konkreten Psychologisierung entzieht, als unüberwindbares Sinnbild tiefster menschlicher Urängste. Das abschließende Bild der Maske, die in hellen Flammen lodert, ist daher auch nicht mehr als eine Illusion des Bösen, das immer wiederkehren wird.
Als moderner Slacker gibt sich der 33-jährige Sam in "Under the Silver Lake" ganz der Definition dieser Personenbezeichnung hin. Ohne einen Job lebt der Protagonist des Films einfach so in den Tag hinein, taucht mal in hippen Cafés auf, sitzt auf seinem Balkon, um seine Nachbarn mit dem Fernglas zu beobachten, oder sieht sich in seiner Wohnung auf der Couch alte Hollywood-Filme an. Dass er mit dem Zahlen der Miete schon zu lange im Verzug ist und in 5 Tagen aus seinem Apartment geworfen werden soll, nimmt Sam mit einer teilnahmslosen Gefälligkeit hin, zwischen die immer noch ein Quickie mit der gelegentlich vorbeischauenden Möchtegern-Schauspielerin passt. Das Los Angeles in David Robert Mitchells 3. Langfilm könnte von dem beklemmenden Vorstadt-Horror seines herausragenden Vorgängers "It Follows" kaum weiter entfernt sein. Die Stadt der Stars und Sternchen erscheint in "Under the Silver Lake" vielmehr als mythenumwobener Schauplatz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in dem jeder noch so kleine Winkel mit Geheimnissen und Mysterien gefüllt ist.
Auf den ersten Blick ist Mitchells Film ein Werk der exzessiv zusammengekleisterten Versatzstücke aus Genres, Stilmitteln, Codes und Verweisen. Unentschieden zwischen klassischem Film noir und glattpoliertem Neo-Noir wirkt Sam, dessen Name im Abspann von "Under the Silver Lake" überhaupt erstmals genannt wird, wie eine Mischung aus Humphrey Bogart, dem Dude und Hank Moody. Apathisch stolpert er durch diesen L.A. Hipster Noir, in dem die Leiche von Joe Gillis in der Nähe des Sunset Boulevard längst aus dem Swimmingpool gefischt wurde, während der Gesang der namenlosen Sängerin aus dem Club Silencio immer noch als dumpfes Echo zu vernehmen ist.
In diesem filmischen Zitate-Reigen schickt Mitchell seinen Protagonisten auf eine versponnene Odyssee der falschen Fährten und surrealen Sackgassen, die dadurch in Gang versetzt wird, dass Sams attraktive Nachbarin Sarah über Nacht spurlos verschwunden ist. Am Abend zuvor lag er noch bekifft neben ihr auf dem Bett, während auf dem Fernsehbildschirm "How to Marry a Millionaire" lief und sich zumindest die Füße der beiden schon mal berührten. Wie eine traditionelle Hitchock-Blondine räkelte sich Sarah am Tag davor am Pool, bis sie sich als nebliges Symbol in Luft aufgelöst hat. Die Suche nach ihr inszeniert Mitchell als Reise in die Popkultur, die in "Under the Silver Lake" nicht einfach nur ausgestellt, sondern als Thema ganz bewusst weitergesponnen wird.
Clever verwebt der Regisseur fantasievolle Comic-Strips, erotische Bilder aus jahrzehntealten Playboy-Magazinen, Spielszenen aus Super Smash Bros., James-Dean-Büsten oder Open-Air-Leinwände, auf denen Mitchells eigenes Langfilmdebüt "The Myth of the American Sleepover" neu besetzt mit Schauspielern aus diesem Streifen läuft, zu einem halluzinatorischen Kaleidoskop, das aus einem sanft benebelten Trip, verschwitzter Paranoia und realer Absurdität hervorgeht. In gewisser Weise ist "Under the Silver Lake" der "Mulholland Drive" für vergnügungssüchtige, aber gleichzeitig unterhaltungsübersättigte Millenials. Hierfür reiht der Regisseur mehrfach verschachtelte Meta-Spielereien und unzählige Referenzen nicht einfach nur aneinander und verquirlt diese miteinander, sondern denkt sie faszinierend weiter und reichert sie mit eigenen mythologischen Ansätzen wie einem Serienkiller, der es auf Hunde abgesehen hat, oder einer dämonischen, nackten Eulenfrau an.
Wenn Sam in dem Text des Songs "Turning Teeth" der Band Jesus & The Brides of Dracula obsessiv nach einer versteckten Botschaft sucht oder eine harmlose Schatzkarte für Kinder auf der Rückseite einer Cornflakes-Packung als Wegweiser durch ein reales, rätselhaftes Labyrinth führen soll, dann ist Mitchells Film über sämtliche Referenzen und Vorbilder hinweg ein Film darüber, wie aus der vermeintlich banalen sowie oberflächlichen Popkultur unbedingt wieder ein tieferer Sinn gewonnen werden kann. Auch wenn "Under the Silver Lake" über den Verlauf seiner üppigen 139 Minuten hinweg mit grandiosen, oftmals brillant gefilmten Einzelmomenten vollgestopft ist, könnte wohl kaum eine andere Szene den obsessiven Wahn dieses Vorhabens treffender widerspiegeln als jene, in der Sam fast schon manisch vor vergilbten Playboy-Fotos, neueren Hochglanz-Bildern von Bekannten und Sex-Anzeigen aus Zeitungen masturbiert, während "Turning Teeth" im Hintergrund verkehrt herum vom Plattenspieler läuft.
Dass Mitchell mit seiner allzu konkreten und trotzdem ungemein absurden Auflösung schließlich nur enttäuschen kann, liegt geradezu in der Natur des Films. Zu wundervoll betörend war die vorangegangene Reise, bei der Andrew Garfield als durchaus ambivalent-provokativer Protagonist zwischen lakonischer Sympathie und sexistischer Brutalität durch einen Irrgarten stolpert, wankt und schlendert, der verführerische Begegnungen, exklusive Partys hinter eigentlich verschlossenen Türen, verdichtete Hinweise, absurde Verschwörungstheorien, schaurige Horror-Anleihen, blitzschnelle Tode und puren Nonsense immer wieder von eindeutigen Antworten abprallen lässt.
"Pop culture floats away like tissue paper."
[...] In einer geradezu ausufernden Sequenz, die keine Schnitte erkennen lässt und in der sich die gewohnt ruhelos schwebende Kamera dem Takt der jeweiligen Körper anzupassen versucht, entfesselt Noé sein Ensemble daher umgehend in einer kollektiven Tanz-Performance, die wilde Ekstase mit einstudierter Kontrolliertheit verknüpft. Mit einem Mal ist der Regisseur wieder bei seiner bevorzugten Form des Kinos angelangt, die den abstrakten Rausch aus Bewegung, Farben und Klängen auf schwindelerregend-hypnotisierende Weise hervorruft. Während die konstante Melange aus pumpenden, dröhnenden Electro- und Techno-Beats auf der Tonspur niemals zur Ruhe kommt und der Soundtrack des Films daher einer unaufhörlichen Symphonie der Feierwütigen gleicht, verliert Noé in der ersten Hälfte des Films zwischenzeitlich den Kontakt zur Essenz seines eigenen Kinos. Mit Schnittfolgen, die wie auch schon in vorherigen Werken des Regisseurs dem Blinzeln des Auges gleichen, springt Climax von Tänzer zu Tänzerin und lotet sexuelles Verlangen, primitive Triebe sowie Eifersucht und Lästereien untereinander aus. Dabei bewegen sich die Charakterisierungen nie über bloße Randnotizen hinaus. [...] Das Problem hierbei ist, dass Noé Figuren mit Geschichten zu füllen versucht, wo eigentlich nur Körper als Skizzen existieren sollten. Bis die Drogen einsetzen. Was genau in die Sangria-Bowle vor Ort gemischt wurde, bleibt ungeklärt, doch die fatale Wirkung wird plötzlich umso konkreter. Mehr und mehr verlieren die Figuren in Climax die Kontrolle über ihre Körper, also darüber, wodurch sie sich primär definieren. Gemeinsam mit Regisseur Noé und Kameramann Debie stürzen sie in eine schier endlose Trip-Vorhölle. Erst ab diesem Moment scheint dem Filmemacher wieder bewusst geworden zu sein, dass er den Rausch nicht einfach nur abbilden, sondern sich mit dem Zuschauer mitten in diesen hinein begeben will. Als elektrisierendes Erlebniskino offenbart Climax spät, aber glücklicherweise nicht zu spät, doch noch eine überwältigende Ansammlung der audiovisuellen Sensationen. Ein LSD-Gewitter, in dem eine Texttafel ankündigt, dass der Tod eine außergewöhnliche Erfahrung sei. Wenn Boutella in Anlehnung an Isabelle Adjanis (Der Mieter) unvergessliche Performance aus Possession ebenfalls gegen ihren eigenen Körper kämpft und im Hintergrund die Klänge von Aphex Twins Windowlicker durch die Wände vibrieren, Figuren am Bildrand derartig miteinander verschmelzen, dass der sexuelle Akt nicht mehr von einem gewaltsamen zu unterscheiden ist, und die Kamera im unbeschreiblichen Finale vollends aus der Fassung gerät und nur noch geschlechterneutrale Schemen abtastet, kann einen nur noch das unaufhaltsame Ausbreiten eines gleißenden, alles verschlingenden Lichts aus diesem klaustrophobischen Albtraum geleiten. Mit einer erlösenden Wiedergeburt wie zuvor in Enter the Void hat diese apokalyptische Absolution jedoch nichts mehr gemeinsam. [...]
[...] Nach nur 5 Minuten von An Evening With Bevery Luff Linn ist bereits klar, dass man sich als Zuschauer wieder in einem Film von Jim Hosking (The ABCs of Death 2) befindet. Mit The Greasy Strangler lieferte der britische Regisseur 2016 nach einigen anfänglichen Kurzfilmen sein Spielfilmdebüt ab. Dabei handelte es sich um eines dieser Werke, die so stark polarisieren, dass sie kaum andere Reaktionen als freudiges Entzücken oder entnervte Ablehnung zulassen. Irgendwo zwischen den schmutzig-frivolen Gross-Out-Orgien eines John Waters (Pink Flamingos) und den an Dadaismus grenzenden, mit bizarrem Gaga-Humor gefüllten Kinofilmen eines Helge Schneider (Texas - Doc Snyder hält die Welt in Atem) war The Greasy Strangler einer konsequent anstößigen Anti-Ästhetik verschrieben. [...] Für seinen zweiten Langfilm An Evening With Beverly Luff Linn hat der Regisseur den brutalen Ekelfaktor nun auf ein geradezu seichtes Mindestmaß zurückgeschraubt. Humoristisch suhlt er sich jedoch weiterhin in provokant in die Länge gezogenen Anti-Pointen, abstruser Situationskomik am Rande der Improvisation sowie exzentrischen Charakteren, die aus einem sonderbaren Paralleluniversum zu stammen scheinen. Dabei gelingt Hosking innerhalb seiner ganz eigenen filmischen Normen, die gewöhnliche Normen grundsätzlich aushebeln, mühelos der Genre-Wechsel. [...] Um eine Entwirrung dieser zwischenmenschlichen Verstrickungen schert sich Hosking dabei natürlich in keinem Moment. Vielmehr gibt sich der Regisseur ein weiteres Mal zutiefst komischen Vignetten hin, mit denen er die komplizierten Gefühlswelten hinter den nur oberflächlich wie bloße Karikaturen wirkenden Figuren unentwegt gegen eine Wand prallen und somit seltsamerweise greifbar werden lässt. Zwischen Bildkompositionen, in denen Hosking erneut seine Vorliebe für poppige Arrangements sowie schräge Frisuren und Outfits aus den 70ern auslebt und nur noch ab und zu schwabbelige, nackte Körper beim Sex oder besonders fettiges Essen in den Fokus der Einstellungen rückt, und einem gelungenen Score, der diesmal immer wieder beunruhigende Spannungsmomente suggeriert, wo gar keine Spannung zu finden ist, entpuppt sich An Evening With Beverly Luff Linn als das nächste ausgelassene Kuriositätenkabinett eines Regisseurs, der letztendlich immer noch Wert auf einen menschlichen Kern legt. Trotz der offensichtlichen Querverweise auf das Schaffen von Künstlern aus dem avantgardistisch-dadaistischem Bereich ist und bleibt Hosking ein Filmemacher, der seine Figuren, die sich hier unentwegt zwischen abgewiesenen Liebenden und verletzten Liebhabern abwechseln, ebenso gerne in den Swimmingpool schubst wie er sie im Licht der Discokugel miteinander tanzen lässt. [...]
<3 <3
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"For me, God is a disease. - That's why through disease we can reach God."
In erster Linie ist "Cruising" von William Friedkin ein Zeitdokument, das in eine Ära des New Yorks der 1970er-Jahre führt, in dem eine homosexuelle Subkultur ebenso pulsierende Höhepunkte zelebrierte wie sie zunehmend von dunklen Abgründen überschattet wurde. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des New York Times-Reporters Gerald Walker erzählt Friedkin die Geschichte eines Serienmörders, der sich seine Opfer in der homosexuellen SM- und Leder-Szene aussucht, diese verführt und schließlich in anonyme Hotelzimmer lockt, wo die Männer ein blutiges Ende erleiden. In diesen Mordszenen, die der Regisseur mit einem gehörigen Hang zum Sleaze inszeniert, rückt "Cruising" unweigerlich in die Nähe amerikanischer Slasher oder italienischer Gialli, sobald Friedkin den Killer mit schwarzen Lederhandschuhen und dem phallischen Messer als Tatwaffe bedrohlich stilisiert.
Überhaupt ist die Gratwanderung zwischen sexueller Anziehung und fataler Bedrohung ein zentrales Motiv des Films, in dem das spezielle homosexuelle Milieu der Geschichte ganz entscheidend durch die Perspektive eines unerfahrenen Außenstehenden gefiltert wird. Da er zu den bisherigen Opfern rein äußerlich eine starke Ähnlichkeit aufweist, wird der New Yorker Polizist Steve Burns von seinem Vorgesetzten mit einer Undercover-Ermittlung beauftragt. Um den Täter ausfindig zu machen, soll sich der heterosexuelle Burns selbst in jene Szene begeben, die auf Außenseiter damals stets etwas Verruchtes und Verbotenes ausstrahlte. Am Beispiel von anderen Polizisten, die sich explizit der homosexuellen Diskriminierung schuldig machen, greift Friedkin homophobe Tendenzen innerhalb eines staatlichen Systems ebenso auf wie er die starke Faszination gegenüber den Reizen dieser Pre-AIDS-Kultur mithilfe seines Protagonisten widerspiegelt.
Wenn sich Burns zu Beginn zum ersten Mal in die Clubs oder Bars in West Village begibt, wo die homosexuelle SM- und Leder-Szene zum Zeitpunkt der Handlung besonders stark florierte, inszeniert Friedkin das losgelöste Treiben sowie die ungezügelte Fleischeslust bewusst durch den ersten Blick eines Neulings, dem automatisch eine geradezu mythische Überhöhung anhaftet. Gerade diesen Szenen, in denen sich der Regisseur zusammen mit Hauptdarsteller Al Pacino dem Verführerischen durch das Unbekannte hingibt und womöglich unterdrückte Lüste nach und nach an die Oberfläche gelangen, haftet in "Cruising" eine betörende Atmosphäre an, die dem urbanen Crime-Thriller mitten aus dem Großstadtmoloch eine gewisse Außergewöhnlichkeit verleiht. Während Burns zunächst den Spagat zwischen Job und Privatleben wagt, indem er sich spät am Abend oder in der Nacht noch zu seiner Freundin zurückzieht und mit ihr Sex hat, verrät die Tonspur in einem dieser Momente hingegen, dass der Polizist die dröhnende Musik aus den Clubs kaum mehr aus seinem Kopf herausbekommt.
Bedauerlicherweise ist dem Streifen regelmäßig anzumerken, dass Friedkin aufgrund von umfassenden Schnittauflagen durch die MPAA gut 40 Minuten an gedrehtem Material aus dem Film entfernt hat, um noch ein R-Rating erhalten zu können. "Cruising" wirkt unrund, wenn der Regisseur die Aspekte einer mitreißenden Charakterstudie sowie atmosphärische Glanzpunkte immer wieder abrupt unterbricht und zugunsten generischer, vorhersehbarer Szenen konventioneller Ermittlungsarbeit in den Hintergrund verbannt. Leicht lässt sich ausmalen, was Friedkins Werk für ein Film geworden wäre, wenn der Regisseur seine ungekürzte Vision veröffentlicht hätte. Genauso, wie sich der Protagonist unentwegt zu verlieren scheint, um sich erst dadurch selbst finden zu können, entfaltet sich die volle Brillanz von "Cruising" auch immer erst dann, wenn der Regisseur die überdeutlichen Zugeständnisse an öde Genre-Konventionen umgeht. Fernab von konstruierten Entwicklungen und einer küchenpsychologischen Motivation als Auflösung verbirgt sich der wahre Charakter von Friedkins Werk hinter der labyrinthisch angeordneten Architektur einer ungebändigten Subkultur sowie dem Gesicht von Pacino, das Schmerz, Lust, Neugier und Abscheu niemals vollständig aufgelöst bekommt.
Die Geschichte von Spike Lees neuestem Film "BlacKkKlansman" hätte kaum ein Drehbuchautor noch absurder als die Realität selbst schreiben können. Im Jahr 1978 gelang es dem schwarzen Polizisten Ron Stallworth durch eine Undercover-Aktion, bis in die höchsten Ränge des Ku-Klux-Klan aufgenommen zu werden. In seinem 2014 erschienenen Buch "Black Klansman: Race, Hate, and the Undercover Investigation of a Lifetime" beschreibt Stallworth, wie er sich auf eine Zeitungsanzeige der rassistischen Organisation unter seinem richtigen Namen meldete und prompt von dem Klan kontaktiert wurde. Mithilfe eines weißen Kollegen, der sich bei persönlichen Treffen mit den Ku-Klux-Klan-Mitgliedern als Stallworth ausgab, infiltrierte er die Organisation als erster schwarzer Polizist von Colorado Springs.
Eine Vorlage, die für einen Regisseur wie Spike Lee kaum passender sein könnte. Für "BlacKkKlansman" macht sich der politisch erzürnte Filmemacher die Schilderungen des realen Ron Stallworth zu Eigen, um auf gleichermaßen humorvolle wie dramatisch aufgeladene Weise von verschiedensten Themen zu erzählen, die sich im Kern auf die Geschichte von Rassismus in den USA eingrenzen lassen. Dass es Lee durchaus bravourös beherrscht, die konstanten Spannungen innerhalb einer schwarzen Bevölkerung mit einem vielschichtigen Diskurs über das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Politik anzureichern, hat er im Laufe seiner Karriere mit Werken wie "Do the Right Thing" bereits zur Genüge bewiesen.
Nichtsdestotrotz scheint dem Regisseur in den letzten Jahren das richtige Maß zwischen Glorifizierung, Anklage, Satire sowie plakativer Manipulation mehr und mehr abhandengekommen zu sein. In "BlacKkKlansman" zeichnet Lee zunächst den Werdegang von Stallworth nach, der anfangs unterfordert im Archiv arbeiten und sich rassistische Äußerungen von Kollegen gefallen lassen muss, bis er schließlich erstmals als Undercover-Agent eingesetzt wird. Besonders brisant ist hierbei, dass er für seinen ersten Auftrag an einer Rede von Stokely Carmichael teilnehmen soll, der als Bürgerrechtsführer sowie ehemaliges Mitglied der Black Panther Party ebenso zornige wie radikale Thesen vor Studenten äußert. In diesem Moment, wenn Stallworth aufgrund des charismatischen, überzeugten Auftretens von Carmichael zwischen seinem beruflichen Einsatz und seiner persönlichen Herkunft hin- und hergerissen wird, entwickelt der Film frühzeitig eine elektrisierende Spannung, die der Regisseur umgehend wieder fallen lässt.
Es erweist sich als starkes Problem von "BlacKkKlansman", dass Lee verschiedenste Ansätze und Gedankengänge, die er dazu nutzen will, um unterschiedliche Parteien dieser Geschichte ansatzweise differenziert zu betrachten, lediglich oberflächlich anreißt und niemals zu vertiefen versteht. Die eigentliche Undercover-Aktion gegen den Ku-Klux-Klan inszeniert der Regisseur mithilfe von 35-mm-Film-Bildern ästhetisch als Hommage an die Blaxploitation-Vorbilder der 1970er-Jahre, die in einer Szene des Films während einer Diskussion explizit benannt werden, sowie in der Tradition überspitzter Buddy-Cop-Komödien. Dabei geraten speziell die Mitglieder des Ku-Klux-Klan überwiegend zu Karikaturen, die sich der Regisseur überdeutlich für seine persönlichen Ansichten zurechtbiegt.
Auch wenn nicht jedes einzelne Klan-Mitglied in diesem Film dem typischen Klischee des unterbelichteten Rassisten voller stumpfem Hass entspricht, bewegt sich die Darstellung der Organisation ein ums andere Mal zu oft über die Grenze des Glaubwürdigen hinaus. Dabei lässt es sich Lee dann doch nicht nehmen, einzelne Ku-Klux-Klan-Mitglieder fast schon genüsslich als degenerierte Redneck-Stereotypen darzustellen oder den Anführer David Duke höchstpersönlich immer wieder in aberwitzigen Telefonaten vorzuführen und auflaufen zu lassen, was von den Polizisten an der anderen Seite der Leitung mit hellem Gelächter kommentiert wird. Während dieser offen zur Schau gestellte Hohn aus humoristischer Sicht sein Ziel keineswegs automatisch verfehlt, lässt sich im Gegenzug dazu nur schwer über die Tatsache hinwegsehen, dass Lee dem Ku-Klux-Klan damit sehr viel von seiner beängstigenden Ausstrahlung raubt und sein Sujet mitunter geradezu verharmlost.
Während der eigentliche Handlungsstrang rund um die Undercover-Ermittlung, in der zumindest ein stark aufspielender Adam Driver in der Rolle des jüdischen, weißen Ersatzmanns für Stallworth hin und wieder in einen überzeugenden Zwiespalt gerät, zwischen satirischer Überzeichnung, blankem Humor und ernsthafter Dramatik nie so richtig in die Spur findet, schneidet Lee zudem noch einige andere Themen an, die er kaum schlüssig auszuformulieren vermag. Den institutionellen Rassismus, der sich in den USA längst wie ein Krebsgeschwür eingenistet hat, reduziert der Regisseur im Kontext seiner Geschichte beispielsweise auf einen einzelnen Problemfall innerhalb des Polizeireviers, der im Finale des Films mit fast schon selbstparodistischer Lächerlichkeit ausgemerzt wird. Überhaupt krankt "BlacKkKlansman" an einem Endspurt, bei dem Lee offensichtlich händeringend nach einem passenden Schluss gesucht hat, bis seine Mischung aus Realität und Fiktion abermals von der Realität eingeholt wurde.
Wie der Regisseur abschließend eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, grenzt fast schon an bizarre Propaganda, wenn reale Opfer aus Stock-Footage-Material in einer wiederholten Einstellung in Zeitupe durch die Luft geschleudert werden, während Lee zuvor genau dieses Verhalten anprangerte, wenn die Ku-Klux-Klan-Mitglieder mit Popcorn im Schoß ihrer Kutten das problematische Propagandawerk "The Birth of a Nation" abfeiern. So bleibt "KlacKkKlansman" bis zuletzt ein Film, hinter dem sicherlich die richtigen Absichten und Gedanken stecken, welche Lee jedoch zu selten in den Griff bekommt und sich stattdessen einmal zu oft oberflächlichen Thesen, plumper Manipulation und unpassenden Stereotypen hingibt. Regisseure wie Spike Lee braucht die Filmwelt wohl weiterhin, Filme wie "BlacKkKlansman" eher weniger.
In "Action Point" schwelgt der in die Jahre gekommende Rentner D.C. mit einem wohligen Grinsen im Gesicht in alten Zeiten, als er auf seine Enkelin aufpasst. Stolz erzählt er dem Mädchen von einer lange zurückliegenden Ära, irgendwann in den 1970er-Jahren, in der die Menschen noch für ihre eigene Sicherheit verantwortlich waren. Im Gegensatz zur heutigen Zeit, wo jeder sofort einen Anwalt einschalten würde, sobald sein persönliches Wohl angekratzt wird, oder übersorgte Helikopter-Eltern ihre Kinder in jeder Sekunde mit wachem Auge behüten, herrschten damals andere Gesetze. Als jüngerer Mann war D.C. der Betreiber des Vergnügungsparks Action Point und musste sich mit Geldgebern, Sicherheitsbehörden und Konkurrenten herumschlagen. Um Besucher in den eher spärlich ausgestatteten Freizeitpark zu locken, verfolgte D.C. mit seinem Team den Ansatz, Spaß über Sicherheit zu stellen. Hierfür riskierte er nur allzu gerne auch sein eigenes körperliches Wohl und nahm üble Verletzungen in Kauf, um neue Attraktionen zu testen.
In den anfänglichen Szenen gerät "Action Point" aufgrund des Hauptdarstellers geradezu zum Meta-Film, sobald sich der Zuschauer bewusst macht, dass hinter der Make-Up-Schicht des alten D.C. "Jackass"-Star Johnny Knoxville steckt. In der von 2000 bis 2002 für 3 Staffeln ausgestrahlten MTV-Serie stellte Knoxville zusammen mit dem Rest der "Jackass"-Crew den Spaß ebenfalls stets über die eigene Sicherheit, was zu bis dato so noch nie gesehenen Stunts und Gags führte. Körper, die auf verschiedenste Arten malträtiert wurden, ausgeleerte Magen- oder Darminhalte, vulgäre Exzesse und lebensgefährliche Aktionen machten aus der Show ein anarchisches Spektakel, dem jenseits des guten Geschmacks keinerlei Grenzen gesetzt war. Knoxville, Bam Margera, Steve-O & Co. wurden von einer überwiegend jüngeren Generation wie Rockstars gefeiert, doch der Ruhm und die extremen Stunts zogen an vielen der Crew-Mitglieder nicht spurlos vorüber. Während Margera und Steve-O über die Jahre mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatten, verstarb Ryan Dunn 2011 stark alkoholisiert durch einen Autounfall. Heute im Jahr 2018 sind die meisten ehemaligen Mitglieder von "Jackass" überwiegend von der öffentlichen Bildfläche verschwunden, auch wenn es einige von ihnen anscheinend noch einmal wissen wollen.
Hierzu zählt auch Knoxville, der sich in der jüngeren Vergangenheit mit "Jackass Presents: Bad Grandpa" beispielsweise erneut in eine seiner Paraderollen des vulgären Opas begab, um an den anarchischen Geist von "Jackass" zu erinnern. Auch "Action Point" schien im Vorfeld auf eine ganz ähnliche Absicht hinzudeuten, nachdem PR-wirksam bekannt wurde, dass sich Knoxville bei den Dreharbeiten so stark verletzt hätte wie niemals zuvor. Das Resultat von Regisseur Tim Kirby erweist sich jedoch als müder, misslungener Mix aus gewollt ungezügelter Derbheit und überraschenderweise familienfreundlicher Versöhnlichkeit, bei dem weder der eine noch der andere Ansatz funktioniert. Das größte Problem von "Action Point" besteht darin, dass die Drehbuchautoren des Films gleichzeitig zu viel und zu wenig erzählen. Auf die Idee zu dem Film kam Knoxville, der durch eine Kurzdokumentation von einem realen Freizeitpark in New Jersey erfuhr, der geschlossen werden musste, da Besucher aufgrund der ungesicherten Fahrgeschäfte verletzt wurden und die Mitarbeiter oftmals unter Drogen standen.
Eine Prämisse, die theoretisch kaum besser zu den Ursprüngen der "Jackass"-Crew passen und durch die Beteiligung von Knoxville und Chris Pontius zu einem völlig losgelösten, wahnwitzigen Stunt-Spektakel führen könnte. Stattdessen begehen die Drehbuchautoren den Fehler, die eigentlich hauchdünne Ausgangslage mit einer richtigen Geschichte unterfüttern zu wollen. In jenem Sommer, von dem D.C. seiner Enkelin erzählt, bekommt der Action Point-Besitzer neben all dem Ärger, mit dem er sich rumschlagen muss, auch noch Besuch von seiner Tochter Boogie, zu der er kaum Kontakt hat, da diese bei ihrer Mutter lebt. Somit handelt "Action Point" nicht nur von D.C., der von hohen Bäumen springt und schmerzhaft auf den Boden prallt, von Wasserwerfen gegen Häuserfassaden geschossen wird oder wilde Tiere für einen Zoo innerhalb des Freizeitparks einfangen will, sondern auch von einem Vater, der sich nach und nach wieder seiner entfremdeten Tochter annähern will. Eine Kombination, die bereits auf dem Papier zum Scheitern verurteilt ist und im fertigen Film zur auslaugenden Angelegenheit verkommt, bei der nur einige wenige Stunts oder Aktion dafür sorgen sollen, dass das Publikum irgendwie bei der Stange gehalten wird.
Mühsam erzählt und unnötig aufgebläht schleppt sich der Streifen über die ohnehin kurzen 84 Minuten Laufzeit, von denen am Ende zudem fast 10 Minuten aus den obligatorischen Outtakes bestehen, die mehr Spaß verbreiten als die gut 74 Minuten davor. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass D.C. beziehungsweise Knoxville in "Action Point" nur noch der wehmütige Blick zurück bleibt. Der Zuschauer tut es ihm gleich.
"It's always a sunny day when Christopher Robin comes to play."
In Marc Forsters "Christopher Robin" haben sich die Sonnenstrahlen merklich aus dem Hundertmorgenwald zurückgezogen. Nach einer buchstäblichen Einführung aus dem Bilderbuch setzt der Regisseur mit seiner Geschichte dort an, wo die kindliche Fantasie plötzlich ein Ende finden muss. Als der junge Christopher Robin von seinen Eltern auf ein Internat geschickt wird, trifft er sich noch einmal mit den lebendig gewordenen Stofftieren, die über die Jahre hinweg zu seinen besten Freunden geworden sind. Der Aufbruchstimmung haben jedoch nicht einmal mehr Ferkel, I-Aah, Tigger, Winnie Puuh und die anderen Tiere etwas entgegenzusetzen.
Christopher Robin lässt den Hundertmorgenwald hinter sich, der in Forsters Film ohnehin schon von Anfang an in eher nostalgisch verblassenden Farben erscheint, um erwachsen zu werden. Aus dem Jungen wird ein Mann, der viele Jahre später selbst eine kleine Tochter namens Madeline hat hat, die von seiner liebenswürdigen Frau Evelyn auf die Welt gebracht wurde, während Christopher Robin als Soldat in den Krieg zieht. Trotz des verspielten Auftakts, mit dem Forster den Zuschauer in seine märchenhafte Filmwelt führt, entpuppt sich das erste Drittel von "Christopher Robin" für einen Kinderfilm ohne Altersbeschränkung als überraschend ernsthaftes, bisweilen gar erstaunlich bedrückendes Seherlebnis, wenn der Protagonist in einigen Szenen beispielsweise kurz im Gefecht um Leben und Tod wie aus einem beklemmenden Kriegsfilm zu sehen ist.
Forster zeigt Christopher Robin als erwachsenen Mann, aus dem über die Jahre jegliche Spuren seiner Kindheit gewichen sind, während er aufgrund seines Jobs als Effizienzexperte bei einem Kofferhersteller kaum noch Zeit für seine Familie hat. Mit mutiger Schwerfälligkeit zeichnet das Drehbuchautoren-Trio Tom McCarthy, Allison Schroeder und Alex Ross Perry das Leben des titelgebenden Protagonisten als Tristesse, die mit der kindgerechten, weltberühmten Vorlage von A.A. Milne zunächst nicht mehr allzu viel gemeinsam hat. Trotz der sicherlich strikten Produktionsführung von Disney ist dieser Umstand sicherlich am stärksten den drei Drehbuchautoren zuzuschreiben, die allesamt wesentlich andere Hintergründe fernab von familienfreundlichen Kinderfilmen mit in das Projekt gebracht haben.
Trotzdem sollte man sich vom ersten, wehmütigen Drittel des Films nicht vorschnell in die Irre führen lassen. Als der dauerhungrige Honigbär Winnie Puh eines Morgens erwacht und seine ganzen Freunde spurlos verschwunden sind, begibt er sich zum ersten Mal auf die andere Seite des Hundertmorgenwalds, um seinen alten Freund Christopher Robin zur Hilfe zu holen. Auch wenn dieser anfangs geschockt reagiert, als er den tollpatschigen Bären mit dem großen Herz plötzlich wieder vor sich sieht, entfaltet "Christopher Robin" aus der Begegnung zwischen dem Unschuldig-Naiven aus einer lange zurückliegenden Kindheit und dem spröden Ernst des Lebens in Form des erwachsenen Christopher Robin einige Szenen von ergreifend sympathischer Warmherzigkeit. Wenn der Protagonist gesteht, dass er schon lange nicht mehr an seine besten Freunde aus der Kindheit gedacht hat und Winnie Puh erwidert, dass er jeden Tag an Christopher Robin gedacht hat, dürfte kaum jemand von dieser unverstellten Ehrlichkeit am Rande des Kitsches unberührt bleiben.
Generell erweist sich die Dynamik zwischen Christopher Robin und Winnie Puh als das pochende Herz des Films, wenn der Bär das innere Kind in seinem ehemals besten Freund stückweise wieder zum Leben erweckt. Dass sich die anderen Tiere wie Ferkel und Tigger die meiste Zeit eher als nettes Beiwerk entpuppen, denen unentwegt von einem urkomischen I-Aah in typisch deprimierter, pessimistischer Manier die Show gestohlen wird, lässt sich daher umso eher verkraften, sobald Christopher Robin und Winnie Puh wieder gemeinsam zu sehen sind.
Dabei gelingt Forster nie so ganz der Spagat zwischen einem Film für Erwachsene, der kindliche Nostalgie und wehmütige Nostalgie adressiert, sowie einem reinen Kinderfilm, der auf simple Unterhaltung und lehrreiche Botschaften setzt. Trotzdem sind es am Ende die kleinen Details, die von diesem Werk in Erinnerung bleiben. Wenn sich Winnie Puh minutenlang an einem roten Luftballon erfreut, den er von Christopher Robin geschenkt bekommt, oder wieder einmal mit dem ganzen Kopf im Honigglas verschwindet, um kurz darauf friedlich einzuschlafen, dann sind die Gefühle in "Christopher Robin" so ehrlich, dass man sich ihnen gerne mit einem berührten Lächeln ergibt.
[...] Gedankenverloren und erwartungsvoll sitzt die von Emily Browning (Sucker Punch) gespielte Naomi in der Eröffnungsszene von Golden Exits auf Treppenstufen und singt ihre eigene Version von Hellos New York Groove. Die leise, gefühlvolle Stimme der Schauspielerin verleiht den rockigeren Klängen des ursprünglichen Songs umgehend eine melancholische Färbung, die den Erzählton von Alex Ross Perrys (The Color Wheel) 5. Spielfilm treffend einfängt. [...] Golden Exits wirkt auf den ersten Blick so, als habe sich Perry nach der kräftezehrenden Intensität von Queen of Earth selbst eine Art Erholungskur verschrieben. Begleitet von einem Score, der überwiegend aus melodischer Piano-Musik besteht, und von Bildern, die Kameramann Sean Price Williams für den Regisseur wie gehabt auf kriseligem 16-mm-Film gedreht hat, erstrahlt der Streifen zunächst als farbenfrohe Rückkehr in jenen Teil New Yorks, der Perry auch schon in Listen Up Philip als Schauplatz diente. Das Brooklyn in Golden Exits, in dem die Figuren immer wieder von der warmen Frühlingssonne angestrahlt werden und förmlich zu glimmen beginnen, kann allerdings nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass sich der Regisseur erneut Themen zuwendet, die den Zuschauer tief treffen und noch lange beschäftigen dürften. [...] In Golden Exits blicken die älteren Figuren wehmütig auf eine jüngere Generation, die für sie als Sinnbild ihrer eigenen Jugend erstrahlt, welche längst nur noch als verblasste Erinnerung existiert und ihnen den Weg in eine Sackgasse voller unterdrückter Gefühle sowie unausgesprochener Probleme geebnet hat. Auch wenn sich Perry einer weißen, privilegierten Gesellschaftsschicht widmet, die in teuren Apartments lebt und Berufen wie Psychotherapeut, Archivar oder Betreiber eines Aufnahmestudios nachgeht, sind die Konflikte der dargestellten Personen von einer nachvollziehbaren Allgemeingültigkeit. Erstaunlich souverän formt der Regisseur aus Figuren, die zunächst fast schon Züge von Karikaturen tragen, vielschichtige Menschen, die Gefangene ihrer eigenen unausgelebten Lüste und Ziele sind. Am stärksten erhebt sich hierbei Naomi über ihren anfänglichen Status als klischeehaftes Objekt der Begierde hinaus. Obwohl die 25-Jährige scheinbar diejenige ist, die alle anderen Figuren um sich herum maßgeblich beeinflusst, ist es am Ende sie, die als aufrichtige Person am wenigsten Beachtung findet und als hoffnungsvolles Sternchen im Großstadtdschungel verglimmt. [...]
[...] Das Kino von Alex Ross Perry (Queen of Earth) setzt typischerweise dort an, wo andere Filme längst ihren erschöpfenden Höhepunkt erreicht haben. Vergleichbar mit den dialoggetriebenen Werken von Regisseuren wie Woody Allen (Match Point) oder Noah Baumbach (Frances Ha), die in der Regel von neurotischen Exzentrikern bevölkert werden, welche zuallerst am liebsten um sich selbst kreisen, ist das filmische Schaffen von Perry ebenfalls von zahlreichen charakterlichen Ecken und Kanten durchzogen, an denen sich der Zuschauer leicht stoßen kann. Dabei strahlen selbst die schwierigsten Arbeiten des New Yorkers wie Listen Up Philip zwischen all dem Hang zum abstoßend Narzisstischen etwas Selbsttherapeutisches aus, durch das sich der Regisseur ebenso schonungslos wie empathisch mit dem konfrontiert, was seine eigene Persönlichkeit zu prägen scheint. Insbesondere in seinem zweiten Spielfilm The Color Wheel verschwimmt diese Grenze zwischen Fiktion und autobiografischen Bezügen nochmal stärker, wenn Perry eine der beiden Hauptfiguren zusätzlich selbst spielt. [...] Was in der episodenhaft anmutenden Road-Movie-Struktur zunächst noch Raum für Situationskomik öffnet, wenn Colin und JR auf der Durchfahrt eine Nacht in einem Motel verbringen wollen, in dem der streng katholische Besitzer nur verheiratete Paare über Nacht duldet, erweist sich neben dem trockenen Humor umgehend als bittere Betrachtung von Geschwistern, die sich gegenseitig abgrundtief hassen. Dabei kommt jede Konversation zwischen Colin und JR in The Color Wheel einem bösartigen Schlagabtausch gleich, bei dem der Regisseur heftige Vorwürfe, bittere Feststellungen und giftige Beobachtungen gerne in peinlich betretenem Schweigen oder abrupten Schnitten auflöst. [...] Auf wundervoll grobkörnig kriselndem 16-mm-Film in Schwarz-Weiß gedreht, erinnert der Streifen eher an jahrzehntelang zurückliegende Vertreter der klassischeren Ära des Indie-Films, wobei die Slacker-Lakonie aus Kevin Smiths Clerks - Die Ladenhüter ebenso sichtbar ist wie der Fokus auf Schauspieler und vor allem Details wie beispielsweise in Gesichter von John Cassavetes. Neben anderen Einflüssen wie das Regiewerk von Vincent Gallo (Brown Bunny) sowie die Romane von Philip Roth wird in The Color Wheel zunehmend ein tragischer Kern sichtbar, der die Einsamkeit der Protagonisten in den Mittelpunkt rückt. Perry selbst gab einmal zu Wort, dass ihn Geschichten über einsame, isolierte Menschen an ihrem tiefsten Punkt am meisten interessieren würden. In seinem zweiten Film treten diese Eigenschaften in Colin und JR einerseits zwischen all den Dialogkaskaden zum Vorschein, die in gemeinsamen Gesprächen Verwendung finden, sowie in Interaktion mit ihrem Umfeld. Gegen Ende des Films finden sich beide auf einer Party von JRs alter bester Freundin Julia wieder, wo die Geschwister inmitten von all den spießigen Karrieremenschen und leeren Idealisten noch einmal besonders schmerzlich auf sich selbst zurückgeworfen werden. Erst anschließend, nachdem sich Colin wiederholt übergeben musste und zuvor gedemütigt wurde, während JR ebenso schmerzlich erkennen musste, dass sie Zeit ihres Lebens von Familie und Freunden mehr geduldet als geschätzt wurde, findet Perrys Film ganz zum Schluss zu einem verblüffenden Ende, das ruhige Introspektion, knisterndes Kopfkino und überraschende Intimität als kurzen Ausweg aus diesem pessimistischen Höllenloch andeutet, um schließlich doch wieder in unbequemer Ungewissheit zu enden. [...]
"And now… after more than 25 years in the making… and unmaking... A Terry Gilliam Film."
Diese Texttafel, die vorangegangene Ereignisse noch einmal kurz und knapp mit humorvoller Tragik am Betrachter vorüberziehen lässt, eröffnet "The Man Who Killed Don Quixote". Der Film, bei dem es einem Wunder gleichkommt, dass er überhaupt existiert. Geradezu auslaugend wäre es, die fast 30 Jahre umspannende Produktionsgeschichte von Terry Gilliams vielfach gescheiterter Vision noch einmal von ganz hinten aufzurollen. Von einer regelrechten Produktionshölle müsste berichtet werden, in der Darsteller wiederholt ausgetauscht wurden, das Budget immer weiter schrumpfte, Teile der Ausrüstung durch ein Unwetter zerstört wurden und der Regisseur schließlich offenbar selbst zum traurigen Helden aus Miguel de Cervantes Vorlage wurde, die er schon so lange für die große Leinwand verfilmen wollte. Ein Zeitzeugnis darüber stellt die Dokumentation "Lost in La Mancha" von Keith Fulton dar, die Gilliams schier unaufhörlichen Prozess des Scheiterns in Bezug auf "The Man Who Killed Don Quixote" festhält.
Nun ist es nach erneut aufgenommenen Dreharbeiten mit einem ausgewechselten Cast aber doch noch dazu gekommen, dass das langjährige Herzensprojekt des Regisseurs seine Vollendung erfahren konnte und noch dieses Jahr (hoffentlich) seinen regulären Start in den Kinosälen erfährt. Dabei zeugt das Resultat von einem Regisseur, an dem die Zeit, die diese nicht enden wollende Produktionsgeschichte verschlungen hat, keineswegs spurlos vorübergegangen ist. Anstelle einer konventionellen Romanverfilmung ist "The Man Who Killed Don Quixote" grundsätzlich ein typischer Terry-Gilliam-Film, der in großen Bildern gedacht ist, in dem der Realität zwischen Gegenwart, Vergangenheit, Traum und Fantasie ab einem gewissen Punkt keine Grenzen mehr gesetzt sind und der Erzählebenen über verschiedenste Genres erklimmt.
Protagonist der Handlung ist der erfolgreiche Werbefilmer Toby, der mit seiner Crew extra nach Spanien gereist ist, wo er die Geschichte von Don Quixote leicht abgewandelt für eine Vodka-Kampagne abdrehen will. Von den Leuten um sich herum wird er ständig geradezu lapidar als kreatives Genie bezeichnet, doch Toby entpuppt sich in den ersten Szenen von Gilliams Film vor allem als abgehobener, gestresster Künstler, der in einer kreativen Krise steckt. Dass die Dreharbeiten zu der Kampagne ständig neuen Problemen ausgeliefert sind, markiert bereits den ersten Meta-Verweis, mit dem sich der Regisseur fortwährend immer wieder in seiner eigenen Hauptfigur zu spiegeln scheint. Einen neuen Auftrieb erfährt Toby erst, als er in den Besitz einer Bootleg-DVD gelangt, die seinen eigenen Abschlussfilm enthält, den er vor 10 Jahren ebenfalls in Spanien gedreht hat. In Schwarz-Weiß, ohne Budget und mit Laiendarstellern aus einem spanischen Dorf in der Nähe hat der angehende Filmemacher auch damals schon die Geschichte von Don Quixote verfilmt.
Ein Abstecher in das spanische Dorf führt Toby zugleich auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit, bei der sich die Momente von früher noch einmal vor seinen Augen abspielen. Hier trifft er schließlich auch den damaligen Don Quixote-Darsteller Javier wieder, der davor ein einfacher Schuhmacher gewesen ist. Wie Toby schnell feststellen muss, scheint sich dieser allerdings in einer Art manischen Dauerzustand verfangen zu haben und ist nach wie vor felsenfest davon überzeugt, der reale Don Quixote zu sein. Mit Toby, den er für seinen treuen Knappen Sancho Panza hält, will sich der vermeintliche Ritter auf zu neuen Abenteuern machen, um gegen das Unrecht in der Welt anzukämpfen. Toby wähnt sich derweil in einem absurden Theater, das immer wieder von dem dringlichen Umstand überschattet wird, dass ihm die Zeit davon läuft, um seine Werbefilmproduktion zu beenden und andere Probleme mit seinem Geldgeber abzuwehren, mit dessen Frau er kurz zuvor beinahe geschlafen und dabei fast erwischt worden wäre.
Recht bald nehmen die einzelnen Themen und Handlungsstränge in "The Man Who Killed Don Quixote" ein wirres Eigenleben an, das der Regisseur offensichtlich völlig bewusst zu purem Chaos überhöht. Wenn sich das Duo gemeinsam auf eine Odyssee durch die spanische Umgebung begibt, wobei Toby dem verwirrten Javier eher aufgrund eines drastischen Zwischenfalls mit zwei Polizisten folgt, verliert sich das Werk zunehmend in immer surrealer anmutenden Episoden. Dabei greift Gilliam ebenso auf Motive aus der Romanvorlage zurück wie er den Film wiederum als eigensinnige Meta-Reflexion anlegt, in der er auf seinen Schaffensprozess als geplagter Künstler und ehemaliges Monty Python-Mitglied zurückblickt. Tatsächlich blitzt der anarchistische Humor der Gruppe in "The Man Who Killed Don Quixote" regelmäßig durch, wenn sich wiederholte Slapstick-Einlagen mit skurrilen Verweisen auf Weltgeschehnisse wie Terrorismus abwechseln. Neben Jonathan Pryce als vollkommen wahnhafter Don Quixote trumpft hierbei in erster Linie Hauptdarsteller Adam Driver als Toby auf. Fantastisch balanciert der Schauspieler zynische Hysterie, pure Wut und schreiende Komik. Dass die humoristischen Elemente immer wieder in starken Konflikt mit der ernstgemeinten Handlung geraten, verleiht dem Streifen eine ruppige Widerspenstigkeit, die zusammen mit den vielschichtigen Erzählebenen eine Vision erkennen lässt, die gleichermaßen kompromisslos wie zersplittert wirkt.
Wenn der mit 132 Minuten mindestens 30 Minuten zu lang geratene Streifen in den besten Momenten aufgrund der einfallsreichen Ausstattung und Kameraeinstellungen neben Gilliams eigenem Stil fast schon an die bizarren Extravaganzen eines Alejandro Jodorowsky erinnert und in den absurdesten Momenten wie die Aufführung eines Laientheaters daherkommt, das die Geschichte von Don Quixote darstellen will, während die Kulissen im Hintergrund ständig einzustürzen drohen, dann lässt sich in "The Man Who Killed Don Quixote" trotz vereinzelt gescheiterter Ideen immer noch ein ambitionierter Wagemut sowie Hang zum durchgedrehten Größenwahn erkennen, von dem zahlreiche Filmproduktionen der heutigen Zeit nur noch zu träumen wagen.
Und Träumen ist tatsächlich das ideale Stichwort, wenn man auf diesen Film zu sprechen kommen will. Während einigen Elementen des Drehbuchs deutlich anzumerken ist, dass sie über den Verlauf der Jahrzehnte kaum bis gar nicht verändert wurden (die Frauenfiguren sind zwischen Lustobjekten, Prostituierten oder Damen in Not, die gerettet werden müssen, katastrophal geschrieben), und der Mittelteil redundant auf der Stelle tritt, entschädigt spätestens das völlig losgelöste Finale noch einmal. Hier funktioniert Gilliam eine Festung zum mittelalterlichen Kostümball um und lässt die Realitätsebenen endgültig miteinander verschwimmen. Ganz zum Schluss ist "The Man Who Killed Don Quixote" trotz seiner immer noch unwirklich wirkenden Vollendung allem voran ein Werk darüber, dass das Träumen glücklicherweise niemals ein Ende haben wird.
[...] Entstanden ist hierbei ein Film, der als finaler Teil von Van Sants sogenannter Death-Trilogie konzipiert wurde, die der Regisseur zuvor mit Gerry und Elephant begonnen hatte. Gelang es ihm mit diesen experimentellen Werken von sperriger Qualität bereits, das Publikum massiv zu spalten und zu regen Diskussionen anzuregen, erweist sich auch Last Days als ungemein irritierender Film, der Lethargie, Manie, Paranoia und Depression zum konsequenten Formprinzip erhebt. Jegliche Art von dramaturgischem Spannungsbogen geht dem Streifen vollkommen abhanden, stattdessen folgt Van Sant Blake, der ohnehin nur noch körperlich auf dieser Erde anwesend zu sein scheint, bei den finalen 5 Tagen seines Lebens. Dabei lassen sich die geschilderten Tage in Last Days kaum als solche identifizieren. Zu sprunghaft, losgelöst von linearen Strukturen und vage zwischen eindeutigen Uhr- und Tageszeiten angesiedelt entfaltet sich das unkonventionelle Drama als Studie einer von Drogen, Ruhm und anderen tief sitzenden Problemen zerfressenen Seele, die der Regisseur mit zermürbender Radikalität beobachtet. Dass dem Film vermehrt vorgeworfen wurde, er würde sich lediglich an der Oberfläche bewegen und in das Innenleben der Hauptfigur kaum vordringen, liegt daran, dass Van Sant die Psyche sowie das subjektive Wahrnehmungsempfinden von Blake von der ersten Szene an nach außen kehrt. Hierdurch ist die Oberfläche längst zugleich Innenleben. Damit bedient er sich ähnlicher Stilmittel wie beispielsweise einige Jahre zuvor Darren Aronofsky für Requiem for a Dream. Das MTV-ähnliche Schnittinferno sowie die kribbelige Hypernervosität, die Aronofsky seinem Film verliehen hat, tauscht Van Sant gegen komatös anmutende Einstellungen, die das Leben des Protagonisten als ziellose Hölle aus permanenter Langeweile, irrationalem Unverständnis sowie weggetretener Passivität einfangen. [...] In Last Days wird dieser fatale Schuss nie zu sehen oder zu hören sein. Van Sant kreiert keinen Mythos, der mit einem urplötzlichen Knall seinen traurigen Höhepunkt erreichen wird, sondern erzeugt ein deprimierendes, lähmendes Abebben, das dem Untergang einer Ikone auf nüchtern-unspektakuläre Weise nachspürt. Nur zweimal zeigt der Regisseur Blake überhaupt beim Musizieren, wenn Hauptdarsteller Michael Pitt (Die Träumer) eigene Songs auf der Gitarre spielt und singt. In den restlichen Szenen von Last Days verschwimmt das surreale Sound-Design durch das Plätschern eines Baches, der nicht zu sehen ist, oder durch läutende Kirchenglocken, zu denen die dazugehörige Kirche fehlt, zu einer Symphonie des qualvollen Dahinschwindens, bis Blakes Seele schließlich ihrem verlebten Körper entsteigen darf.