jeffcostello - Kommentare

Alle Kommentare von jeffcostello

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    jeffcostello 20.12.2014, 16:11 Geändert 21.12.2014, 16:24

    Georg Sluizer bedient sich in „The Vanishing“ einer grausamen Metapher: Rex und Saskia, ein sehr verliebtes Pärchen, bleibt am Anfang mit dem Auto in einem Tunnel stehen. Dunkelheit und Verkehr machen sie nervös, sie streiten sich. Sie sehnen sich nach dem Licht am Ende des Tunnels. Kurze Zeit später, man ist längst wieder versöhnt, machen sie an einer Tankstelle Rast, Saskia will Getränke kaufen und kommt nicht wieder. Den Rest des Films über wird Rex sie suchen. Sie ist für den Rest seines Lebens das Licht am Ende des Tunnels.

    Der Film wird nach der Entführung von Saskia aus zwei Perspektiven erzählt, aus der von Rex und aus der des Entführers. Dabei betrachtet Sluizer den Entführer nicht als normalen Menschen, sondern als Unmenschen, als das Böse und Schlechte an sich.
 Sluizers Film ist eine gnadenlose Beobachtung, eine erschütternd nüchterne Chronik der Entstehung dieses Monsters, der Vorbereitung, der Planung und der Durchführung seines Verbrechens, gefilmt mit unerbittlicher Perfektion. 
„The Vanishing“ ist ein Film über das Erliegen der Faszination des Bösen.
    Durch die verschiedenen Perspektiven ist „The Vanishing“ auch ein Film über die Kollision des Guten, in Form des naiv verliebten Rex und des unmenschlichen Bösen, in Form des Entführers.
    Sluizer taucht die Entführung zu Beginn in flirrende Bilder, die Welt ist undeutlich, scheint zu verwischen, sie gerät aus den Fugen. Der Rest ist subtiles, makelloses Thriller-Handwerk, unterstützt von einem großartigen Soundtrack und dem naturalistischen Schauspiel. 

    Das Ende ist dann ein absoluter Ultra-Schock, die Veredelung dieses Thriller-Ungeheuers und der endgültige Blick in den menschlichen Abgrund.

    Stanley Kubrick jedenfalls meinte, „The Vanishing“ sei der erschreckendste Film überhaupt.

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      jeffcostello 14.12.2014, 14:04 Geändert 08.07.2015, 23:50

      Wenn die Freundinnen in „The Descent“ das unerforschte Höhlensystem betreten, dann ist das wie wenn Donald Sutherland und Julie Christie sich in den labyrinthischen Gassen von Venedig verirren. Der Gang in die Höhle, nach dem Verlust des Kindes, auch eine Parallele zu "Don’t Look Now", ist der Abstieg in das eigene Unterbewusstsein. Dort kann niemand klar sehen, dort kann sich niemand orientieren, dort fällt ständig alles in sich zusammen und doch kommen dort all die schmutzigen Geheimnisse und Lebenslügen ans Licht, nichts kann sich im Verborgenen halten. Es ist die Konfrontation mit dem eigenen Schmerz und der eigenen Trauer, mehr und mehr entgleiten den Protagonistinnen ihre Emotionen, in den endlosen Gängen und Abgründen der Höhle lernen sich die Freundinnen erst wirklich kennen.
      
Dabei ist „The Descent“ auch großartig inszenierter und gespielter Survival Horror, der sich nach einer furios geschnittenen, epileptischen Eröffnungsszene und einer minimalistisch dunklen, bedrohlichen ersten Hälfte zum Ende hin immer irrsinnigerer Ästhetik bedient und seine Protagonistin zur Amazone erhebt. 
Das Ende ist dann nicht minder uneindeutig und geheimnisvoll als das Ende von Roegs "Don’t Look Now", man mag sich kaum vorstellen, dass es zu einem so runden, in sich geschlossenen Film, sicher einem der besten Horrorfilme der letzten Jahre, eine Fortsetzung gibt.

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        jeffcostello 06.12.2014, 13:24 Geändert 23.12.2014, 16:43

        Cronenbergs Werk ist dominiert von Gesellschafts-Analysen und Eskapismus-Fantasien, aber trotz all dem Exzess und der Gewalt war es immer ein humanistisches Kino, voller Verständnis und voller Menschlichkeit. 
Spätestens seit „Cosmopolis“ und nun auch in „Maps to the Stars“ - beide auch Analysen der modernen Gesellschaft - ist diese Menschlichkeit in Cronenbergs Werk beinahe ganz verloren gegangen, er ist härter und radikaler geworden, vielleicht auch pessimistischer. 

        Die Bilder sind oberflächlich, genau wie die Figuren, da ist keine Tiefe mehr vorhanden, nichts mehr Wahrhaftiges und genau darum gibt es auch keine Menschlichkeit mehr. Die Figuren sind Unmenschen geworden. Man kann sich ihnen nicht mehr annähern und erst recht kein Verständnis mehr für sie aufbringen.
Cronenbergs Kino war immer durchzogen von organischen, ausufernden Splatter Effekten. Die Szene in "Maps to the Stars", in der sich eine der Figuren selbst anzündet, realisiert mit grotesk miserablen CGI-Effekten, ist also vielleicht die Essenz des Films: Nicht einmal mehr der Tod, der exzessive Untergang, der für Cronenbergs Werk immer so bedeutend war, der für ihn immer eine tragische Wahrhaftigkeit hatte, bedeutet jetzt noch etwas. Der Tod ist heute nicht mehr etwas organisches, etwas "echtes". Der Tod ist nur noch ein schlechter Computereffekt.

        Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat Cronenbergs Werk im Alter nichts an Härte und Bestimmtheit eingebüßt, „Maps to the Stars“ ist der radikalste und beste Film den man sich hat wünschen können. Cronenberg entlarvt die Karte zu den Sternen brutal als Fake, schaut in die Herzen von ausgebrannten, kaputten Menschen und inszeniert eine aberwitzig bittere Groteske.

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          jeffcostello 01.12.2014, 18:16 Geändert 23.12.2014, 16:40

          „Sei immer auf alles vorbereitet“ sagt der getriebene, paranoide Familienvater Keller Dover zum Filmanfang zu seinem Sohn. Kurze Zeit später wird seine Tochter zusammen mit der seines besten Freunds und Kollegen Franklin entführt, am Thanksgiving Tag sind sie beide ganz plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Darauf war Dover nicht vorbereitet, seine Frau bricht weinend zusammen und schmettert ihm an den Kopf: „Du hast mir immer Sicherheit gegeben“. Die Entführung bricht mit seinem gutbürgerlichen Selbstbild, bricht mit seiner Realität, mit seiner gesamten Ideologie. Der gläubige, pragmatische Keller, der sogar einen Panic Room in seinem Haus gebaut hat ist ganz plötzlich machtlos. Damit kann er nicht leben und handelt auf eigene Faust, entführt den Hauptverdächtigen und fängt an ihn in blinder Wut zu foltern. Es ist das Untersuchen und in Frage stellen einer sehr amerikanischen Ideologie, was Villeneuve hier inszeniert.

          Was in den nächsten Zweieinhalb Stunden dann folgt ist makelloses Thriller Handwerk. Detective Loki, ein manischer Perfektionist, untersucht den Fall im kalten Suburbia Universum, dessen Atmosphäre Villeneuve in seinen unheimlichen, winterlich kalten Bildern förmlich aufsaugt. Präzise und bedächtig langsam inszeniert folgen wir ihm bei seinen Recherchen und Befragungen, niemals hetzt sich der Film, in der Langsamkeit liegt die Spannung. 
Nach quälend langen, zerreißend spannenden Stunden entlädt Villeneuve die Spannung in einem Finale, das ästhetisch einem emotionalen Zusammenbruch, einem Ausbruch in Tränen gleicht, die Farben verschwimmen, die Musik überdeckt alles, die Figuren schreien nur noch wie von Sinnen. Ein wunderbarer Thriller.

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            jeffcostello 27.11.2014, 13:29 Geändert 23.12.2014, 16:41

            Eine stärkere Frauenfigur als Joan Crawfords Vienna in Nicholas Rays „Johnny Guitar" hat es in einem Western wohl nie gegeben, Vienna ist eine Figur die allen anderen weit voraus ist: Wohlhabend, gütig, klug, pazifistisch und stark - eine unbeugsame Rebellin. Auch die Antagonistin ist eine starke, selbstbewusste Frau, hasserfüllt, dominant und herrschsüchtig.
            Ray lässt diese beiden Frauen gegeneinander antreten, die Männer sind bei ihm nur Beiwerk, die unentwegt um die Frauen buhlen. 
Es ist das Verhalten und die Gefahr einer manipulierten Masse, das Ray hier untersucht, der Kampf der Masse gegen das Individuum und der Kampf des Individuums für das Recht an der Gesellschaft vorbei zu Leben. Das weist starke Parallelen zu den brutalen Verfolgungen und den schwarzen Listen des McCarthy-Regimes auf.
            
Vienna wird mit stoischer Gelassenheit von Joan Crawford als unbeugsame Märtyrerin gespielt, Ray inszeniert sie unantastbar, beinahe wie eine Heilige.
 Der Film spielt nur an wenigen Schauplätzen, ist konzentriert und verdichtet inszeniert, in knalligen Farben gefilmt und die sensible Liebesgeschichte wird mit einem wunderbar romantischen Soundtrack untermalt.
            
„Johnny Guitar“ ist ein überbordender Film, voller Sex, Gewalt, Emotionen, Hass und Liebe, hemmungslos reißerisch und melodramatisch, ein Film dessen Wut und Lebendigkeit förmlich aus jeder Pore tropft. Wie Godard sagte: „Nicholas Ray is the cinema“.

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            • jeffcostello 19.11.2014, 17:21 Geändert 19.11.2014, 17:21

              Wunderbarer Text, vor allem der Dominik Graf Verweis. :) Musste auch direkt bei dem Thema an ihn und seinen letzten Polizeiruf denken.

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                jeffcostello 16.11.2014, 13:24 Geändert 16.11.2014, 16:22
                über Driver

                Walther Hills "The Driver" ist radikal auf das Wesentliche reduziert, vollkommen entschlackt, kein Bild und kein Dialog scheint überflüssig zu sein. Die Figuren sind anonymisiert, untrennbar an ihre Rollen gebunden, The Driver, The Inspector und The Player. Sie scheinen gefangen zu sein in diesen Rollen und in der düsteren Neonstadt, in der Walther Hill sie einsperrt. Den ganzen Film über versuchen sie auszubrechen aus ihrem Schicksal und aus der Stadt zu fliehen, sie suchen nach Erlösung.
                Hill inszeniert einen Neo-Western, ein Duell zwischen dem Driver und dem Inspector, aber ein herkömmliches Gut und Böse Schema gibt es nicht, Identifikation oder Symphatien werden verwehrt. Die Grenzen zwischen den Fronten verwischen bis zur Unkenntlichkeit, niemand steht noch für irgendetwas, Menschlichkeit gibt es keine mehr, in Hills dreckigem Film-Noir. Nur in einem einzigen tragischen Moment lässt sich Walter Hill zu großer Sensibilität und Zärtlichkeit hinreißen.
                Hills Schauplätze sind urbane Ungeheuer, unpersönliche Apartments, dreckige Straßen, schmuddlige Bars, die Stadt ist eine kaputte Welt, die ihre Bewohner abarbeitet.
                So sehr Hill mit Genre-Stereotypen arbeitet, so unberechenbar ist The Driver aber auch, so sehr stellt er die Genres und Stereotypen in Frage und spielt mit ihnen.
                Die Verfolgungsjagden sind hochkinetisch und hitzig, brachial und schnell und doch übersichtlich und präzise gefilmt. Alle Verfolgungsjagden dauern sehr lange, sie sind der nicht enden wollende Kampf ums rohe Überleben.
                Bruce Derns und Ryan O’Neals konzentriertes und unerbittliches Spiel schafft unheimlich klar konturierte, dominante Figuren und treibt den Film gnadenlos voran.
                So amerikanisch die Genres auch sind, die Walther Hill bedient, so sehr ist The Driver mit seinem radikal hoffnungslosen Ende eine Dekostruktion dieser Genres und das Aufwachen aus dem amerikanischen Traum.

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                  jeffcostello 10.11.2014, 14:35 Geändert 10.11.2014, 14:39

                  „Some people take, some people get took. And they know they're getting took and there's nothing they can do about it.“



                  Billy Wilder inszeniert eine erschreckend kalte Arbeitswelt, Büroräume als endlose Schreibtisch-Welten, ein zermürbend monotoner Alltag, die Stockwerke des Hochhauses als Symbol für den willkürlichen sozialen Auf- und Abstieg und ein zerbrochener Spiegel als Symbol für den gebrochenen Menschen. 

                  Jack Lemmon und Shirley MacLaine verkörpern solche Leute, die ständig von anderen benutzt werden, wehrlose Spielbälle der mitleidlosen Starken und Mächtigen in dem unmoralischen Büro-Universum, diesem gnadenlosen sozialen Gefüge, für die „Liebe“ nicht mehr als ein kurzes Stelldichein in Lemmons Apartment bedeutet. 
Dabei inszeniert Wilder virtuos und leichtfüßig die komplizierten Verstrickungen und Affären in der unübersichtlichen Bürowelt und vermischt Komödie und Drama nach und nach zu einer stimmigen Einheit. Es ist eine Geschichte von großer Tragik die erzählt wird, von körperlicher und seelischer Ausbeutung, von Entmenschlichung und von unerfüllter Liebe, deren Schmerz Wilder in einem unfassbar unterhaltsamen und witzigen Film verbirgt, wie auch der Protagonist Jack Lemmon seinen Schmerz die meiste Zeit über hinter der Fassade des lockeren Witzboldes verbirgt. Überhaupt scheinen alle Figuren in diesem Film etwas zu verbergen, versuchen andere Menschen über etwas hinweg zu täuschen, niemand mehr scheint ehrlich miteinander zu sein.

                  Am Ende dann werden die Karten für die beiden Protagonisten sprichwörtlich neu gemischt, ein kleiner Hoffnungsschimmer, ein wundervoller Abschluss einer ungemein bitteren Tragödie.



                  „Shut up and deal!“

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                    jeffcostello 09.11.2014, 14:09 Geändert 10.11.2014, 09:27

                    Finchers „The Social Network“ verschmilzt voll und ganz mit der Materie die er verhandelt, der „Facebook-Welt“, ist also ein durch und durch kalter, oberflächlicher und steriler Film.
                    
Anfangs- und Schlussszene bilden eine kluge Einheit: Rooney Maras Figur Erica ist das Herz des Films, der einzige Charakter der kein Hacker, Programmierer, Geschäftsmann oder Anwalt ist, die einzig wirklich menschliche Figur. Am Anfang verlässt sie Zuckerberg, der in der selben Nacht den ersten Grundstein für Facebook legt und damit auch seine Menschlichkeit verliert. Er geht mehr und mehr in der digitalen Oberflächlichkeit auf und verliert sich. Am Ende, nach all den kaputten Freundschaften und zermürbenden Rechtsstreitereien sehen wir ihn gebrochen vor seinem Computer sitzen und Erica eine Freundschaftsanfrage schicken. Es ist sein verzweifelter Versuch wieder ein Mensch werden zu können, der natürlich zum Scheitern verurteilt ist.
 Fincher erzählt diese durch und durch moderne Geschichte und Parabel als beinahe klassische Tragödie um Aufstieg und Fall mit wuchtiger Fallhöhe, alleine die Katharsis am Ende bleibt aus, an ihre Stelle tritt die Leere und die Entmenschlichung. The Social Network ist sehr intelligentesKino, das ein sehr zeitgemäßes Sujet auf eine zeitlos mahnende Art und Weise verhandelt.
                    Finchers Inszenierung ist makellos und gleichzeitig völlig unpersönlich und beinahe schon abweisend, passt also ideal zum Thema, verfällt in einer Szene aber in ganz wunderbaren Irrsinn, wenn eine Ruderturnier untermalt von einer Trent Reznor Version von „In der Halle des Bergkönigs“ zum verrückten Rausch wird. The Social Network ist eine unheimlich klare und entlarvende Studie und Reflexion über ein komplexes und erschreckendes Thema, kritisches, kluges und wichtiges Kino.

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                      jeffcostello 03.11.2014, 14:40 Geändert 03.11.2014, 20:01

                      „Ich habe keine Angst vor Haien.“
                      
-Steven Spielberg-



                      Auf den ersten Blick mag „Der weiße Hai“ wegen seiner knallharten Suspense und seiner rohen Gewalt weniger kindlich und verklärt erscheinen als Spielbergs restliche Werke wie etwa "E.T.", „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, „Indiana Jones“ oder „Jurassic Park“, doch auf den zweiten Blick ist er dann doch einfach wunderbar abenteuerliches Seemannsgarn. „Jaws“ ist die etwas komplexere Weiterführung von Duell, wieder ein kluges Spiel mit den Ängsten der amerikanischen Mittelschicht, doch hier wirft Spielberg, anders als in Duell, erst einen präzisen analytischen Blick auf die Gesellschaft und ihre vielfältigen Sorgen: Von Harmlosem, wie gewünschten Parkverbotsschildern, demolierten Zäunen, finanzieller Verluste bis hin zu Schrecklichem wie Todesangst und Schuldgefühlen. Erst nach einer ganzen Stunde der Beobachtungen eröffnet er die befreiende Jagd auf den Hai, die er zu einem höchst beklemmenden, langwierigen Kammerspiel auf dem offenen Meer verdichtet. Auch diese Jagd wird nicht von idealisierten, unnahbaren Helden ausgeführt sondern von ganz gewöhnlichen Mittelständlern. Dabei ist Tatsache, dass man den Hai erst ganz zum Schluss zu sehen bekommt mehr als nur ein wirkungsvoller Suspense Trick, es macht ihn als Bedrohung abstrakt und unwirklich, lässt ihn zu einer unbeschriebenen Projektionsfläche werden.
 „Jaws“ ist noch radikaler und klüger als „Duell“, lässt dem Spiel mit den Ängsten eine gewitzte Analyse vorausgehen ohne dabei die Einfachheit zu verlieren, einfach ein zeitlos schockierendes Meisterwerk.

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                      • 8 .5

                        Schaut man sich „Halloween“ heute an, ist er das, was er immer war: ein unerbittlicher Terrorfilm. Mehr als 30 Jahre alt,1978 gedreht, scheint „Halloween – Die Nacht des Grauens“ keinen Tag gealtert, er überrollt das Publikum immer noch mit seinen tief sitzenden Schocks, seiner klugen Suspense und seiner bedrohlichen Ästhetik. […]
                        Das amerikanische Suburbia-Setting, die High-School-Szenen, die verbotenen Dates an Halloween, die jungfräuliche Babysitterin als unbesiegbares Final Girl – Carpenters Horror ist klassisch wie antike Statuen, er altert nicht. Die Bedrohung – also Michael Myers – ist wie so oft bei Carpenter ein modriger Hauch aus der Vergangenheit, das Vergessene und Verdrängte einer Gesellschaft, das unter den Teppich Gekehrte, worüber man nicht spricht – das Verbotene. So war es bei „The Fog“ die Jahrhunderte zuvor ermordete Leprakolonie und bei „The Thing“ das seit Ewigkeiten eingefrorene Alien.
                        Wenn Michael Myers in Haddonfield auftaucht, bekommt nur Laurie ihn zu Gesicht, ihre Freundinnen glauben ihr nicht, bemerken Michael nicht. So ergeht es auch Dr. Loomis, der den Polizeichef erst in Schwerstarbeit überzeugen muss, ihm zu glauben. Ebenso ist es in „The Fog“: Niemand will glauben, dass der Nebel eine Gefahr darstellt. Die Gesellschaft wehrt sich gegen das Aufbäumen des Verdrängten durch Ablehnung und Leugnung. Vielleicht, so deutet Carpenter an, ist es die Weigerung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, die den Horror erst erzeugt. […]
Die Bedrohungen bei John Carpenter sind stets diffus, niemals klar konturiert, was sie natürlich umso erschreckender werden lässt, eine Einordnung verhindert. […]
„Halloween“ ist ein Film über das Sehen, nur diejenigen, die die Bedrohung erkennen, wahrnehmen und auch akzeptieren, Laurie und Dr. Loomis, können überleben. Wenn Myers zu sehen ist, dann wegen seiner weißen Maske. Sie sticht aus jeder Einstellung heraus, wirkt wie ein Fremdkörper in den Bildern, wie etwas, das dort nicht hingehört, weil Myers selbst nicht nach Haddonfield gehört. Er ist der Fremdkörper in der amerikanischen Idylle, ein Fremdkörper, der die Idylle demaskiert, die Fassade einreißt.
[…] Jamie Lee Curtis ist hier eines der Prototypen des Final Girls, jener jungfräulichen, braven, reinen Mädchen oder Frauen, die dem Bösen trotzen können. […] Diejenigen, die Sex haben oder Droge nehmen, werden im Gegensatz dann natürlich getötet.
                        Das ergibt das brutale Bild einer konservativen Gesellschaft die jegliche Emanzipation, jegliche Freude, jeglichen Exzess, jeglichen Ausbruch im Keim erstickt, ja sogar mit dem Tod bestraft. […]

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                        • 8 .5

                          Die Dardenne-Brüder gehören zu den standhaften Moralisten des europäischen Kunstkinos, als Regisseure schauen sie dahin, wo normalerweise gern weggesehen wird: auf das Vergessene und Verdrängte einer Gesellschaft, die vergessenen Schichten, die verdrängten Probleme. Der Blick ist präzise und emphatisch, das Gesehene oft schmerzhaft und bitter. [...]
                          Die Geschichte ist offensichtlich schematisch konstruiert und als Moral-Diskurs über die emotional erkaltete Arbeitswelt, die knallharte Leistungsgesellschaft und damit letztlich über den Kapitalismus selbst angelegt. Den Dardennes gelingt mit Leichtigkeit der Balanceakt zwischen Charakterdrama und der abstrackten Reflexion über komplexe Gesellschaftsstrukturen. Wie zärtlich und liebevoll Sandras Charakter ausgeleuchtet wird, wie großartig und feinfühlig die Dardennes die Angst um ihre Ehe und das schwierige Verhältnis zu ihren Kindern inszenieren!
                          „Zwei Tage, eine Nacht“ ist ein schmerzhafter Film. Die Dardennes trauen sich eine radikal unangenehme Film-Erfahrung im allerbesten Sinne. Der Fokus liegt auf Sandras Figur: Der Film bindet uns absolut an sie, er erzählt ausschließlich aus ihrer Sicht, und so nehmen wir äußerst intensiv Teil an den Demütigungen, dem ständigen entwürdigenden Bittstellen und der Angst vor der Existenznot.
                          Der Film liefert keine falschen Schuldigen oder Feindbilder, erhebt nie den Zeigefinger, wird glücklicherweise niemals politisch, und verurteilt niemanden: Nicht die Chefs, die sich eben dem Markt anpassen müssen, und auch nicht jene Kollegen die nicht für Sandra stimmen wollen, niemand wird angeklagt. Im Gegenteil: Die Dardennes haben Verständnis mit ihnen, sie sind auch Teil desselben Systems, haben auch Familie, Kinder, Sorgen und Nöte, müssen ebenfalls ums Überleben kämpfen.
                          Der Stil ist realistisch, dokumentarisch, wirkt niemals erzwungen, künstlich oder gar bieder, sondern immer ästhetisch und lebendig. [...] Doch drei Mal wird der nüchternen Realismus hinter sich gelassen. Zwei Mal wird das Radio aufgedreht, einmal ein Chanson, einmal Rock ‘n‘ Roll und die Figuren vergessen den Schmerz und tanzen im vom Bremslichtern in knalliges Rot getauchte Auto, im Rausch des Glücks. Dann gibt es noch einen wundervollen, melodramatischen Kuss im Krankenbett. Immer da brechen die Dardennes aus dem dokumentarischen Realismus aus und inszenieren pures, wunderschönes, kraftstrotzendes Kino. [...]

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                          • 7 .5
                            über Duell

                            Spielbergs mutiger, experimenteller Erstling ist die komplette filmische Reduktion, kaum Dialoge, kaum Pausen, ständig in Bewegung, heruntergebrochen auf das Wesentliche, existentialistisch und somit pures, reines Kino. Das Gut-und-Böse Schema ist reduziert auf das Duell zwischen einem Auto und einem alten, rostigen Truck, letzterer anonymisiert, der Fahrer gesichtslos und stellvertretend für das Böse und Schlechte an sich. Eine 90 Minütigen gnadenlose Hatz ohne Stillstand oder Innehalten, zusammengehalten von grandios montierten Verfolgungsjagden. „Duell“ ist meisterliches Action-Kino, elegant und intelligent im langsamen, bedächtigen Spannungsaufbau. 
Spielbergs „Anklage an die Maschinenwelt“, wie er selbst über „Duell“ sagt, ist pures, dreckiges Terrorkino, ein staubiger Vorausblick auf den thematisch ähnlichen „Weißen Hai“, ein so perfides wie auch befreiendes Spiel mit den Ängsten und Sorgen einer Gesellschaft, die zuerst abstrakt auf einen Gegenstand projiziert werden um dann sprichwörtlich brutal zerlegt zu werden.

                            "Ich glaube, jeder meiner Filme, in dem Menschen in Gefahr geraten, befreit mich von meinen eigenen Ängsten. Aber leider kommen sie kurz nach dem Filmstart zurück. Ich werde nie genügend Filme machen können, um sie alle loszuwerden."
                            Steven Spielberg

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                            • 8

                              Wenn am Ende der Kommissar angewiedert vom Wahnsinn Mabuses und seiner Schergen, mit den Worten dass hier ein normaler Mensch nichts mehr zu suchen habe die Szenerie verlässt, dann sind die Grenzen verwischt. Ist das noch eine Warnung vor dem bevorstehenden (und schon grassierenden) Schrecken, eine kritische Auseinandersetzung, oder ist das bereits ein hoffnungsloser Aufruf zur Flucht, die Lang selbst ja auch bald dannach antreten musste. Die Parrallelen zum dritten Reich sind geradezu überdeutlich, die Parolen Hitlers in den Mündern der Verbrecher, der in Gefangenschaft verfasste Welteroberungsplan, der Film wurde natürlich umgehend von Goebbels verboten. "Das Testament des Dr. Mabuse" scheint heute eine ungeheuer mutige und radikale politische Verzweiflunstat im Angesicht des drohenden Abgrundes zu sein.
                              Das alles verhüllte Lang in einem furiosen Genrefilm, der in seinen besten Momenten in irrsinnig beeindruckenden Größenwahn verfällt, und dessen Dramaturgie und Struktur bis heute nahezu unverändert bedient wird.
                              Die besten und liebevollsten Veröffentlichungen gibt's "leider" mal wieder im Ausland zu finden, Schade!

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                                über Sieben

                                Mit dem klassischen Setting und der für das Genre typische Figuren-Konstellation versucht Fincher anfangs ein Gefühl von Bekanntheit zu erzeugen, nur um dieses Gefühl der Sicherheit später mit dem beinahe schon apokalyptischen Unterton, dem Nihilismus und der Unberechenbarkeit von Sieben umzuwerfen.
                                Die anonymisierte, ständig Regengraue Stadt soll wohl exemplarisch für den Lauf der Welt fungieren, ist auch als triste Dystopie lesbar, als die Kommende emotionale Erkaltung des Menschen und der moralische Verfall. Eine bessere Figurenzeichnung ist Fincher nie mehr gelungen, sensibel und emphatisch stellt er seine Protagonisten als verlorene Seelen in einer untergehenden Welt dar, lässt sie und ihre gegensätzlichen Ideologien immer wieder aneinandergeraten. Die Welt des Films scheint der Realität manchmal bedrohlich nahe, so sehr sie auch abstößt, die ständigen Hintergrundgeräusche, die Stille und Ruhe unmöglich werden lassen geben dem Film eine hitzige und unangenehme Note.
                                Finchers regendurchdrängte, dunkle Bilderwelten zeigen eine hochspannendem präzise, detailverliebte und zermürbend brutale Suche nach dem Serienkiller. Spaceys bedrohlich ruhiges Spiel veredelt das Ende von Sieben zu einem Ultraschock. Ein makelloser Thriller.

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                                • 7 .5

                                  Finchers "Gone Girl" ist ein Film der Oberflächen, die Personen haben kaum Persönlichkeit, sind meistens reduziert auf ihren Rollentyp in der Geschichte, Beziehungen werden kaum ausbuchstabiert und Glück und Zufriedenheit gibt es sowieso nur in Rückblenden, deren Verlogenheit und Falschheit offensichtlich aus jeder Pore tropft. Fincher bedient nach und nach alle nur erdenklichen Amerika-Stereotypen wie zum Beispiel die blondierte Talkshow Aufhetzerin, der groteske Medienterror, ein Talkshow-Geständnis, die Todesstrafe, einen Staranwalt, das in goldenes Licht getauchte Suburbia Setting und eine TV Home Story, nur um dann letztendlich ihre Oberflächlichkeit zu offenbaren, ihre Unmenschlichkeit und ihre Leere zu entblößen. Das ist wenig subtil aber sehr wirkungsvoll. Dabei wirken seine Bilder auch selbst oberflächlich und austauschbar, ein bisschen zu clean und steril und zerfließen so wundervoll mit dem Inhalt. Gone Girl ist ein langsam treibender, aber hochspannender Thriller, eine radikale Dekonstruktion des Heile Ehe und Famile Ideals und ein wundervoll schrecklicher Americana-Albtraum.

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                                  • 7 .5

                                    Was Carpentes The Thing letztlich so großartig macht ist zum Einen die aggressive Atmosphäre und der perfekten Spannungsaufbau. Das abgeschiedene, menschenfeindlichen Setting, dessen endlose Einsamkeit und Isolation Carpenter kunstvoll eingefängt, der bedrohlich pulsierenden Soundtrack, die organischen Effekte, und die Figuren, die sich im Angesicht der Bedrohung immer mehr entmenschlichen, lassen den Film zu einem unangenehmen, vor allem aber furchteinflößenden Horrorszenario werden. Eine Art variation des Alien Stoffs, etwas roher, etwas direkter, etwas simpler, ohne den brillanten Gender Subtrext beispielsweise.
                                    Zum Anderen ist da noch die intelligent geschaffene, diffuse Bedrohung, die allgegenwärtig ist, von jedem ausgehen könnte und die jegliches Gefühl von Sicherheit, auch und insbesondere im Hinblick auf die menschlichen Beziehungen raubt. Gerade das verleiht den Film eine kalte und strenge Note. Voller Bitterkeit lässt uns Carpenter dann am Ende zusehen wie sich von Angst und Verzweiflung zerfressene Menschen nur noch gegenseitig bekämpfen. Das Finale ist dann so konsequent wie hoffnungslos, der pure Albtraum, der pure Horror.

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                                    • 8

                                      Oslo, 31. August ist zwar radikal an seinen Protagonisten Anders gebunden, zeichnet aber nicht nur sein Porträt, all die Begegnungen, Konversationen und Erlebnisse auf seiner Odysee durch Oslo lassen das mosaikhafte Abbild einer ganzen Generation, einer komplexen Gesellschaft deutlich werden, Sinnzusammenhänge entstehen und den Schmerz und die Ausweglosigkeit von Anders spürbar werden. Joachim Trier findet eine äußerst realistische aber vor allem eine lebendig kraftvolle, ästhetische Filmsprache um seine zärtliche und schmerzhafte Geschichte von verlorener Jugend und dem verpasstem Einstieg ins Leben zu erzählen.
                                      Dabei verfällt der Film nie der absoluten Hoffnungslosigkeit, Trier inszeniert einen lebensklugen Film der überall mögliche Lebenskonzepte und Auswege aufzeigt, die natürlicherweise auch Probleme und Leid mit sich bringen, aber letztlich doch erträglich sind.
                                      Oslo, 31. August ist gleichsam ein Film über einen Menschen, der sich und die Welt aufgegeben hat, weil sie ihm nichts mehr zu bieten hat, als auch ein differenzierer Blick auf die Welt selbst, ihre Defizite, Irrwege und Möglichkeiten, ein wunderbarer und kluger Film.

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                                      • 8

                                        Vinterbergs leichtfüßig fließenden, natürlichen Bilder und Mads Mikkelsens subtiles aber konzentriertes Spiel lassen "Die Jagd" zu einem unaufdringlich wirkungsvollen Film werden, kraftvoll in sich ruhend, präzise und ehrlich in seinen menschlichen Beobachtungen.
                                        Sicher muss sich Vinterbergs Prämisse mangelnde Nachvollziehbarkeit vorwerfen lassen, und er geht durchaus nicht immer gerade differenziert zu Werke (der verblödete, manipulative Psychologe, die Kindergärtnerin), doch werden diese vermeidlichen Schwächen von seiner wuchtigen und gänzlich überzeugenden Inszenierung und seiner klugen Auseinandersetzung mit menschlicher Ignoranz, gefährlicher Gruppendynamik und dem daraus resultierenden Leiden allemal relativiert.
                                        Dabei gelingt es ihm mit seinem Blick auf den Mikrokosmos des Dorfes kraftvolle Bilder für die Ausweglosigkeit, die Isolation und die Scham des sozial Ausgestoßenen zu finden und mit seinem gnadenlos rohen Schlussbild sein Drama zu einer bitteren Konklusion zu führen.

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                                        • 10

                                          Wuchtige Bilder, in warme Farben getaucht, kraftvolle Dialoge, lange Einstellungen, brillante Kamerafahrten, ein Film in ständiger Bewegung, zwischen den Handlungssträngen und den Figuren, dominant begleitet von Aimee Mans berauschendem Soundtrack, damit erzeugt Paul Thomas Andersons Magnolia einen tiefen Sog, eine über die gesamten drei Stunden laufzeit über konstante innere Spannung. Dabei sind es Momente die Anderson interessieren, Fragmente, kurz und flüchtig, Augenblicke der Verfehlungen, des Leidens, des Liebens und der Wut, die er in Magnolia zu einem langen - aber nie überlangen - ungezügelten Film-Kolloss verdichtet, in einem durch und durch menschlichen Kino, ganz ohne Zynismus. Er entwirft ein kluges und emphatisches Kaleidoskop menschlichen Lebens, getragen von einem atemberaubenden Ensemble und einer fantastischen Regie. In Magnolia wird niemand verurteilt, Anderson begegnet allen seinen Figuren emphatisch, manchmal sogar ungemein zärtlich, mit Verständnis und Mitgefühl und zeichnet ein ehrliches aber auch hoffnungsvolles Bild des allgegenwärtigen Leidens. Ein berauschend menschlicher Film, und wahrscheinlich auch P.T. Andersons Meisterwerk.

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                                          • 8

                                            Werner Herzogs Dokumentationen waren nie klassische oder gewöhnliche Dokumentarfilme, sie suchen nicht nach der Wahrheit in der Kohärenz des Faktischen, scheinen meist generell nicht an Fakten interessiert ("Facts do not constitute truth"), es sind eher die inneren Wahrheiten der Menschen die er dokumentiert unterlegt mit seinen eigenen Interprätationen der Geschehenisse aus dem Off.
                                            "Lektionen in Finsternis" ist allerdings, wie auch der beinahe apokalyptisch anmutende Titel schon andeutet, nochmals eine Steigerung in der Abkehr von der klassischen Dokumentation, er kommt bis auf einige Bibelzitate beinahe komplett ohne Off-Kommentar und Interviews aus, verweigert fast jegliche Informativiät, ist eher ein stummfilmhafter, formal exzessiver Bilderrausch in dem Werner Herzog in den brennenden Ölquellen des vom Krieg gezeichneten Kuwait den Untergang der Welt vorfindet. Die Bilder sprechen für sich, lassen Worte und Erklärungsversuche entbehrlich erscheinen, Bilder deren Echtheit beinahe nicht zu glauben ist, es sind Bilder des Terrors, des Wahnsinns und der Entmenschlichung die Herzog findet, Bilder die den Zuschauer zu Erkenntnissen und Emotionen führen, die bloße Fakten niemals erreichen könnten.

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                                            • 8 .5

                                              Cary Fukunaga gelingt es die Abgründe, den Schrecken und den Verfall eines ganzen Landes in jedem Bild zu manifestieren, gleichsam die bestechende Schönheit aber auch den allgegenwärtigen Schrecken des sumpfigen, verwahrlosten Louisianas einzufangen, das Gefühl zu vermitteln, dass der Schrecken und das Unheil dort allgegenwärtig sind.
                                              "True Detective" stellt seinen Crime-Plot lange Zeit über zurück, zugunsten des Fokus auf seine hochkomplexen, großartig geschriebenen Figuren und einen präzisen Blick auf das politische und gesellschaftliche Schrecknis einer ganzen Region. Es sind die Charaktere die Fukunaga interessieren, ihre philosophische Reflexion der Geschehnisse, wofür die Narration immer wieder hinten angestellt und entschleunigt wird. Sie werden mit einer untergehenden Welt konfrontiert, offenbaren dabei ihr Innenleben, das durch die Länge des Serienformats und das absolut herausragende Spiel von Matthew Mcconaughey und Woody Harelson behutsam und tiefgründig ausgeleuchtet werden kann.
                                              Ihre Figuren Rust und Cole sind ebenso zerfallen und von inneren Dämonen zerfressen wie das Böse gegen das sie ankämpfen müssen, ihre Existenz wird zur Metapher auf die Welt in der sie Leben.
                                              Funkunaga erzählt bedächtig und langsam, aber konstant spannend, inszeniert bedrohlich albtraumhafte Bilder, beeindruckend rohe Action Sequenzen, hervorragend geschriebene, wuchtige Dialoge, und unterfüttert mit einem treibenden Soundtrack schafft er starkes Genre-Kino, eine Atmosphäre des Terrors, einen Blick in das Herz eines kaputten Landes und seiner Bewohner.
                                              All das wird zu einem würdigen Finale gebracht, hitzig und hart inszeniert, ehrlich mit seinen Figuren und der Geschichte, ohne die Chance auf Erlösung aber dafür so hoffnungsvoll wie nur irgend möglich.

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                                              • 7 .5

                                                Die Aufnahmen in "No Turning Back" sind stets kurz, verschwommen, die unzähligen Lichter auf den Straßen erleuchten die dunkle Nacht flackernd und unregelmäßig, dauernde Überblendungen und Unschärfen lassen alles zu einer surrealen, hypnotisch düsteren Neon-Masse verschwimmen. Es ist eine unheimliche Welt, in der niemand mehr klar sieht, in der sich alles miteinander verwischt, durch die sich der Protagonist Irvin Locke kämpfen muss. Das Auto, seine Welt, ein Mikrokosmos und die Handlung - nur durch Telefonanrufe vorangetrieben - wirft ständig alles auf den Kopf: Beruflich und Privat, alles versinkt im Elend.
                                                Dabei ist der Film eine kraftvolle Metapher auf das Leben an sich: Unaufhaltsam in Bewegung, pulsierend, ohne die Möglichkeit umzukehren und ohne auch nur eine Sekunde still zu stehen, treibt und katapultiert der Film seinen Charakter unerbittlich nach vorn, in die Zukunft, auf einen Weg der Hindernisse, Entscheidungen und Verluste. Dabei gibt der Film tiefen Einblick in seine Figuren, sei es nun Locke selbst oder seine Gesprächspartner am Telefon - seine betrogene Frau, sein alkoholkranker Kollege oder sein verzweifelter Chef - er leuchtet ihr Inneres aus, lässt sie frei sprechen, nimmt sich Zeit und hört ihnen zu, inszeniert präzise Dialoge und unerbittliche, menschliche Konfrontationen und Verfehlungen, ganz ohne überflüssiges Beiwerk.
                                                Getragen von einem herausragenden Tom Hardy entwickelt sich "No Turning Back" von Minute zu Minute intensiver zu einen surrealen, soghaften und vor allem unheimlich menschlichen Gefühlsrausch.

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                                                • 8

                                                  Selten hat es ein Regisseur geschafft ein Genre so brutal, absolut und erbarmungslos zu dekonstruieren und zu Grabe zu tragen, wie Corbucci den Western in "The Great Silence", es gibt keine Schönheit mehr, keine visuelle Pracht wie etwa bei Leone, die Bilder sind trist und schwer, dunkel und deprimierend, da ist kein Humor mehr, um die Unmenschlichkeit und die Kälte der Welt zu relativieren, alles scheint verloren.
                                                  Die Umwelt gibt die Marschrichtung vor, die Seelen der Menschen und das hoffnungslose politische Statement sind genauso hart, frostig und unwirsch wie die schneebedeckten, zerfallenen, menschenfeindlichen Winterlandschaften durch die sich die Figuren kämpfen müssen.
                                                  Corbucci wirft einen präzisen und intelligenten Blick auf den Kapitalismus und seine Auswirkungen auf die Menschen, die Ausbeutung der Arbeiter unter dem verlogenen Deckmantel eines gescheiterten, inhumanen Rechtssystems.
                                                  Der Protagonist Silence kann der Unterdrückung keine Worte entgegensetzen, er kennt nur bloße Gewalt und darum scheitert er auch und der Kapitalismus bleibt bestehen.
                                                  Es gibt am Ende keine strahlenden Helden und auch keine Erlösung, nur Kinskis diabolisch grinsende Fratze, die die letzten Hoffnungsschimmer des Zuschauers blutig und gnadenlos in Stücke schießt

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                                                  • 7 .5

                                                    "Stand by me" ist ein ungemein trauriger Film, weil Rob Reiner es schafft viele bittere und unschöne Wahrheiten hineinzulegen. Es ist eine Ode an die Jugend und eine Studie über das Erwachsenwerden, über das Vergehen der Jugend und damit auch den Verlust einer niemals wiederkehrenden Lebensfreiheit, eines wunderbar idealisierten und einmalig positiven Weltblicks. Auf der Odysee, der symbolischen Suche nach einer Leiche, auf die Reiner die 4 Protagonisten schickt, konfrontiert er sie mit den großen Lebenslügen, den Irrwegen und der Komplexität dieser Welt - der Realität. Er zeigt uns behutsam und verständnisvoll wie sie langsam all diese Dinge begreifen müssen, wie die adoleszenten Illusionen lansam der Wirklichkeit weichen müssen.
                                                    Am Ende aber gelingt es Reiner die Schwere des Films etwas zu relativieren, und zu zeigen wie eben dieser Wandel Raum für eine ganz neue Form von Existenz schafft, wie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zwar die kindliche Lebensleichtigkeit ablösen aber gleichzeitig auch die Möglichkeit schaffen sich von nun an selbst zu verwirklichen.
                                                    "Stand by me" ist ein ehrlicher und wichtiger Film, ein melancholischer Blick in die Vergangenheit und ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft.

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