Beeblebrox - Kommentare

Alle Kommentare von Beeblebrox

  • 6 .5

    Nachdem sich Christopher Nolan dieses Jahr bereits im Rahmen von Dunkirk um eine möglichst umfangreiche 70-mm-Auswertung bemühte, offenbart sich zum Ende des Jahres ein zweiter Film, der das Kino mit solch glorreichen Bildern beehrt: Murder on the Orient Express. Ausgerechnet die vierte Adaption des gleichnamigen Kriminalromans von Agatha Christie wurde mit 65-mm-Kameras gedreht und erobert nun – zumindest in ausgewählten Kinos – in dem Format die Leinwand, in dem einst Monumentalfilmen wie Lawrence of Arabia, Ben Hur und Cleopatra erstrahlten. Doch was könnte ein Mordfall, der sich zudem auf engstem Raum ereignet, für dermaßen große Bilder bereithalten? Die Antwort liegt bei Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh verborgen. Nachdem dieser zuletzt mit Superhelden, Geheimagenten und Prinzessinnen hantierte, wagt er sich mit Murder on the Orient Express an eine prächtige Umsetzung der vertrauten Literaturvorlage und entpuppt sich einmal mehr als visionärer Filmemacher, der nicht unterschätzt werden sollte, wenngleich der letztendliche Film alles andere als perfekt ist. [...]

    8
    • 10

      Wer hätte je gedacht, dass die Ende der 1950er Jahre von Michael Bond erdachte Kinderbuchfigur des Paddington Bär über ein halbes Jahrhundert später weiterhin durch Londons Straßen spaziert und aufregende Abenteuer erlebt, die sämtliche Altersstufen begeistern. Vor drei Jahren war es Paul King, der als Regisseur und Drehbuchautor Paddington in ein neues Zeitalter führte. Nun ist der von Ben Whishaw fabelhaft gesprochene Bär zurück, um seiner Tante Lucy das tollste Geburtstagsgeschenk auf Erden zu machen. Schlicht als Paddington 2 betitelt verwandelt sich die Fortsetzung wie schon der Vorgänger in ein erstaunliches Fest kreativer wie liebevoller Einfälle, die mit verspielter Leichtigkeit gesellschaftliche Themen verhandeln und niemals ihren aufrichtigen Charakter verlieren. Herausgekommen ist dabei ein Film, der unfassbar lebensbejahend von der Welt und ihren Schrecken berichtet, ohne zynische Tendenzen anzunehmen. Denn das hätte Tante Lucy sicherlich nicht gewollt. [...]

      6
      • 5

        [...] Geradezu verstörend schildert Brimstone diese Odyssee des Frontier-Lebens, die sich später in einen Survival-Thriller verwandelt, dabei jedoch zu fasziniert von der eigenen Materie im puren Sadismus versinkt. Der feministische Befreiungsschlag, der sich im Kern der Erzählung versteckt, wird viel zu oft von Martin Koolhovens voyeuristischen Einstellungen sabotiert, die zwar den Schrecken der abartigen Männerwelt bloßstellen, den erniedrigenden Gesten dennoch übermäßigen Eifer entgegenbringen, anstelle diese geschickt im Fluss der Bilder zu integrieren. Brimstone lässt sich von jedem schmutzigen Detail ablenken und ergötzt sich förmlich im vermeintlichen Taubbruch, ohne den angesprochenen Themen mit der raffinierten Aufarbeitung zu begegnen, die sie verdienen. Die Wucht des Gezeigten steht in keinem Verhältnis zum Erzählten. Je mehr der Plot von seinem Konstrukt offenbart, desto enttäuschender wird die Zusammenführung der einzelnen Konflikte, was insbesondere im anti-klimatischen Finale für Irritation sorgt und den exploitativen Charakter des Films verstärkt. [...]

        • 5 .5

          Nach Aruba, ins Paradies! Immer wieder vertrösten sich die Figuren in Suburbicon darauf, in die südlichen Karibik zu flüchten, um dort endlich Einzug in jenes sagenumwobene Paradies zu erhalten, obgleich die titelgebende Stadt im Zuge des Openings als exakt solches illustriert wird. Da wäre etwa die Aussicht auf ein schönes Haus mit idyllischem Garten und harmonischer Nachbarschaft. Die Sonne strahlt am freundlich blauen Himmel, das Gras ist saftig grün und jeder Einwohner geht vorbildlich seinen Aufgaben nach. Die 1950er Jahre waren nie perfekter und trotzdem ist dieses Paradies nicht genug, denn wie jede Fassade beginnt eines Tages auch diese zu bröckeln. Anfangs heißt es zwar noch, dass in Suburbicon, dieser tollen Stadt, alle Probleme verschwinden. Tatsächlich dauert es aber nicht lange, bis sie sich exponentiell vermehren und zu einer tatsächlichen Bedrohung werden. Einer Bedrohung, die Angst verbreitet und zerstörerische Reaktionen provoziert. Doch in Suburbicon, dem leider weniger tollen Film, fasziniert bloß die Möglichkeit anstelle deren Folgen. [...]

          6
          • 6

            [...] Unabhängig des gesprochenen Wortes interessiert sich Julian Rosefeldt vor allem für Abläufe und Prozesse. Gleich zu Beginn schenkt er seine gesamte Aufmerksamkeit einer lodernden Zündschnur, wie sie beständig auf den großen Knall hinarbeiten, der in seinem schlussendlichen Resultat mehr als vertraut ist. Der Weg dorthin bleibt jedoch einer der spannendsten Aspekte von Manifesto und so ist der Film selbst eine faszinierende Reflexion der eigenen Ambition. Wenn sich die Kunst und ihre Einflüsse selbst kommentieren: Nicht selten passiert es, dass Julian Rosefeldt einen Dialog unter den Manifesten eröffnet, etwa wenn Cate Blanchett als Nachrichtensprecherin während der Live-Aufzeichnung ihrer Sendung zu einer Reporterin schaltet, die vermeintlich über das Wetter spricht, in Wahrheit jedoch einen Austausch zwischen Künstlern und Philosophen eröffnet. Ähnlich passiert es zuvor in Form einer Handpuppe oder jener Cate Blanchett, die als Lehrerin ihre Klasse in Jim Jarmuschs Golden Rules of Filmmaking einweiht. [...]

            1
            • 5

              Obwohl Tomas Alfredsons Karriere als nächstes Regie-Wunder spätestens nach dem Meisterwerk Tinker Tailor Soldier Spy nichts mehr im Wege stand, hatte es der schwedische Regisseur alles andere als eilig. Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass er sich das letzte Mal mit einem Werk auf der großen Leinwand meldete und in Form bewegter Bilder eine erschütternde Geschichte erzählte, die nicht nur mit ihrer kühlen Inszenierung verblüffte, sondern ebenfalls ein unglaubliches feines, elegantes Gespür von Präzision transportierte, wie es im Kino seitdem in diesem eindringlichen Ausmaß nicht mehr zu sehen war. Ausgerechnet eine Jo Nesbø-Verfilmung sollte es sein, die Tomas Alfredson wieder dazu bewegte, auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen. The Snowman entführt in die eisige Kälte Oslos und glänzt darüber hinaus mit erhabenen Aufnahmen norwegischer Landstriche, die geradezu prädestiniert sind, um von Tomas Alfredson entdeckt zu werden. Doch dann zerbricht der Film in tausend Einzelteile und offenbart sich als eine der größten Enttäuschungen des Kinojahres. [...]

              5
              • 6 .5

                Was wiegt der Weltuntergang? Nicht viel, wenn es nach dem neusten Film aus dem Marvel Cinematic Universe geht. Thor: Ragnarok beschwört das Ende aller Tage, ohne dem Gewicht dieses verheerenden Ereignisses gerecht zu werden. Ein ärgerliches Missverständnis, das das dritte Soloabenteuer des titelgebenden Donnergotts um seine emotionale Tiefe bringt und als kurzweilige Achterbahnfahrt der guten Laune enden lässt. Damit einhergehend existiert ein großes Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Elementen der tragischen Geschichte, die sich von einer schmerzlichen Familientragödie in göttlichen Sphären bis zum munteren Gladiatorenkampf auf einem von Müllbergen überhäuften Planeten erstreckt. Regisseur Taika Waititi, der sich vor allem mit eigenwilligen Komödien wie What We Do in the Shadows und Hunt for the Wilderpeople einen Namen gemacht hat, trägt mit seinem MCU-Debüt viele freche Ideen ins genannte Universum. Bei all den tollen Figuren und faszinierenden Schauplätzen gelingt ihm jedoch kaum ein nachhaltiger Augenblick, der die voreiligen Pointen überlebt. [...]

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                • 7
                  über 120 BPM

                  Wie Aufmerksamkeit erlangen, wenn die Gesellschaft ihren Blick abgewendet hat? Diese Frage beschäftigt die französische Aktivistengruppe ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) Anfang der 1990er Jahre intensiv – immerhin geht es um das Leben zahlreicher Menschen, die unmittelbar von der AIDS-Epidemie betroffen sind, ohne gehört zu werden. Die Regierung ignoriert die offenkundigen Probleme, anstelle sich der sexuelle Aufklärung zuzuwenden, während die Pharmaindustrie bei der Entwicklung neuer Medikamente bloß auf eine Sache bedacht ist: den eigenen Profit. Es ist kaum auszuhalten, dieses demonstrative Weggesehen, doch wie weit darf gegangen werden, um dagegen anzukämpfen? 120 Beats Per Minute aka 120 BPM, der diesjähriges Cannes-Beitrag von Regisseur Robin Campillos, schlägt sich ganz auf Seiten der Aktivisten. Eine einfache Lösung auf die zentrale Fragestellung findet er allerdings nicht. [...]

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                  • 9

                    Wie viele Bücher gibt es eigentlich, die sich um die Abenteuer der jungen Dorothy Gale im zauberhaften Land von Oz drehen? Einige! Da staunt auch ein älterer Herr nicht schlecht, als er an einer Informationsstelle der New York Public Library Einblick in das Schaffen von Schriftsteller Lyman Frank Baum erhält und sich sogleich eine der Fortsetzungen zur Ausleihe reservieren lässt. Es ist einer von vielen kleinen Momenten, der die Aufmerksamkeit von Frederick Wiseman erlangt und somit sorgfältig beobachtet Einzug in das jüngste Werk des Filmemachers erhält. Ex Libris: New York Public Library entführt in die Räume und Zweigstellen einer über 100 Jahre alten Einrichtung, die sich seit ihren Anfangsjahren nicht nur auf gehortete Inhalte konzentriert, sondern stets bemüht ist, das gesammelte Wissen an die Menschen weiterzuleiten. So erstrahlt die New York Public Library in Frederick Wisemans neuem Dokumentarfilm als ein Ort, der sich dem Auftrag der Bildung verschieben hat und darüber hinaus Leben, Gemeinschaft und Vielfalt zelebriert, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. [...]

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                    • 9

                      Es regnet. Nass peitscht es an die Scheiben, immer und überall. Der Himmel hat sich verdunkelt und die Welt ist in einem ewigen Dunst versunken, der selbst die Wolkenkratzer im dystopischen Los Angeles unscheinbar in der Gegend verschwinden lässt. Ein trübsinniger Anblick, der vom Ende aller Tage kündet und das Leben in beklemmender Finsternis erstickt. Blade Runner 2049 entführt in eine post-apokalyptisches Ruinenlandschaft, geformt von einer düsteren Geschichte, wie sie noch nicht einmal in Ridley Scotts Blade Runner aus dem Jahr 1982 zu erahnen war. Regisseur Denis Villeneuve denkt das Science-Fiction-Meisterwerk im Rahmen der Fortsetzung also um den nächsten Schritt weiter, anstelle sich in vermeintlicher Endzeit-Nostalgie zu wälzen. Die Menschheit kämpft nach einem verheerenden Zwischenfall, dem sogenannten Blackout, nicht nur mit nuklearen Konsequenzen, sondern ebenfalls dem Verlust sämtlicher Datenbestände, die einst für Ordnung sorgten. Niemand kann sich mehr erinnern, geschweige denn auf seine Erinnerungen verlassen. Nun verschwimmen die Grenzen in einer mitreißenden Suche nach einem Wunder im Schatten der Vergangenheit. [...]

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                      • 7 .5

                        [...] Hier reicht eine gemeinsame Autofahrt, um mehr über die Figuren und ihre vorsichtige Annäherung zu erzählen, als es womöglich in Form von tausend Worten möglich gewesen wäre. Robert Redford und Jane Fonda harmonieren dabei nicht nur hervorragend, sondern gehen tatsächlich das Wagnis ein, sich auf Ritesh Betras langsame Erzählung einzulassen. Es ist ein Schauspiel in Details, in Würde und vor allem in voller Hingabe. Nur wenige Film mit vergleichbarer Prämisse erfährt ein solches Maß ehrlicher Momente – viel zu groß ist die Versuchung, die Ausgangssituation in eine unfreiwillig komische Komödie mit albernen Gesten und aufgesetzter Moral zu verwandeln. Our Souls at Night entzieht sich aber diesen Konventionen und lässt die künstlich aufgeputschten Stationen einer solchen Alters-Odyssee aus. Irgendwo ist das sicherlich furchtbar langweilig. Doch wer sich – genauso wie die zwei absolut fantastischen Hauptdarsteller – darauf einlässt, erfährt etwas ganz Besonderes, selbst wenn am Ende nur über das Wetter geredet wird.

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                        • 5 .5
                          über Es

                          [...] So behutsam sich die Figuren der Kinder in einzelnen Augenblicken von ihren Stereotypen distanzieren, so ignorant überrennt der nächste Gruselschub die mühevolle Arbeit, wodurch das emotionale Grundwerk unglücklich verkommt. Kaum lassen sich Benjamin Wallfischs Kompositionen auf einen Tanz von Schauer und Geborgenheit ein, übernehmen die stumpfen Schreie eines Jump-Scares, manchmal verdient, meistens aber drängelnd jenseits der Taktvorgabe. Wenn sich dann doch ein Diaprojektor unerwartet weiterdreht, schneller als ein Karussell vertraute Erinnerungen aus dem Familienalbum verwischt und den Abgrund offenbart, der anno dazumal nicht zu sehen war, gelingt Andy Muschietti einer dieser raren Momente, in denen It wahrlich über alle Maßen erhaben ist und der Summe seiner einzelnen Teile gleichermaßen effektiv wie spielerisch gerecht wird, ohne bereits eine anschließende Erklärung parat zu haben. Viel zu selten gewährt der Film solch verborgenen Schätzen das Atmen und vergisst, dass die größte Gänsehaut erst dann entsteht, wenn man einen Schritt zurücktritt, um das ganze Gemälde zu betrachten.

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                          • 9 .5

                            [...] Was für verheerende Missverständnisse in puncto Kommunikation sorgen sollte, fungiert als Startschuss einer amüsanten Odyssee, die schleichend ihre Unschuld verliert, bevor sich zum Schluss ein Graben öffnet, der selbst die letzte Bastion der Hoffnung zum Einsturz bringt. Tief fallen die Figuren in diesen Höllenschlund, bis sie von den Flammen eines unzähmbaren Feuers verschlungen werden. Der finale Schrei kann all den Schmerz dieser Erfahrung gar nicht zum Ausdruck bringen und dennoch hallt er durch die Nacht, mit erschütternder, zerreißender, vernichtender Kraft. „What year is this?“ Die zweite große Frage stellt Twin Peaks: The Return in seiner ungewissesten Stunde. Ein Revival, das erschaudern lässt. Eine Bestie, die mit unberechenbarer Wucht alles in der Luft zerreißt, was sich ihr in den Weg stellt. Vor allem aber eine Rückkehr, die sich entschlossen nichts von ihrer Vergangenheit diktieren lässt.

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                            • 7 .5

                              [...] „I’m a tennis player who happens to be a woman“, sagt Billie Jean schließlich, erschöpft vom ewigen Wetteifern, während ihr Gegenüber unerbittlich weiterplappert, ohne jemals auf einen (sinnvollen) Punkt zu kommen. Erst zum Schluss verschlägt es ihm die Sprache, wenn er sich alleine ohne klatschendes Publikum auf einer Rolltreppe in den Abgrund begibt und somit sein eigenes Schicksal besiegelt. Trotz dieses bildlichen Niedergangs wählt Battle of the Sexes ein gewissermaßen versöhnliches Ende, das hinsichtlich der zentralen Thematik eine klare Stellung bezieht, seine Figuren dieser allerdings nicht unterwirft, sondern ihnen im strahlenden Licht der Scheinwerfer auf dem Spielfeld und im stillen Schein der Lampen in der Umkleidekabine finden lässt.

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                              • 8 .5

                                „Do you know this theater is haunted?“, fragt der eine Mann den anderen, als sie sich im Schatten der Gänge begegnen, während im Hintergrund ganz leise die Tonspur von King Hus Klassiker Dragon Inn aus dem Jahrs 1967 zu vernehmen ist. Es folgt eine längere Pause, ehe der bruchstückhafte Dialog fortgesetzt wird und sich die Wege der Sprechenden trennen. Ansonsten herrscht überwiegend Stille in Goodbye, Dragon Inn. Tsai Ming-liang beobachtet die Geister des Kinos – bereits in der ersten Einstellung späht die Kamera geradezu verängstigt durch einen Vorhang in den großen Saal, der dank des ratternden Projektors aus der Ferne in einem magischen Licht versinkt. Anfangs sind die Reihen gefüllt. Später am Abend, wenn der Regen unaufhörlich auf das Dach prasselt, zieht sich eine unheimliche Leere durch den Raum – unter Umständen befinden sich mehr Besucher auf der Toilette, anstelle den bewegten Bildern zu folgen, die von aufwirbelnden Bewegungen berichten. [...]

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                                • 3 .5

                                  [...] So angemessen diese Verwirrung (der Gefühle) in Anbetracht der halsbrecherischen Wendungen auch sein mag: In diesem Film fehlt jegliche Grundlage, um die schockierenden Ereignisse begreifbar zu machen, die für Unbeschreibliches verantwortlich sind. Holprig vorgetragen erstaunt es geradezu, dass ein einender Schlusspunkt überhaupt möglich ist. Entgegen aller Erwartung gelingt es The Book of Henry am Ende trotzdem den Kreis (in Form einer Tür) zu schließen und das Chaos dazwischen mit kolportierter Moral zu rechtfertigen, die – so erläutert es ein gereifter Henry aus dem Off – immer wichtiger ist als die Geschichte, sei sie noch so schlecht erzählt. Es wirkt beinahe so, als wollte Colin Treverrow seine zweistündige Irrfahrt auf den letzten Metern entschuldigen – vor allem gegenüber Lee Pace, der als liebenswerter Neurochirurg genauso hilflos wie das Publikum von einer unglücklichen Situation in die andere gerät und gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Bei traurigen Gesichtern macht er sich dennoch Sorgen und klatscht Beifall, wenn es in Anbetracht eines doch noch magischen Schneeregens angemessen ist.

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                                  • 8 .5

                                    Das New York der 1970er Jahre ist ein überaus faszinierender wie ereignisreicher Schauplatz. Im Angesicht der aktuellen Nostalgiewelle, die sich exklusiv den 1980er Jahren verschrieben hat, ist für die vorherige Dekade jedoch kaum Platz in Film und Fernsehen. Die letzten zwei prestigeträchtigen Serien, die sich den turbulenten 1970er Jahren angenommen haben, war trotz großer Namen der durchschlagende Erfolg vergönnt. Sowohl Baz Luhrmanns schillerndes Pop-Musical The Get Down als auch Martin Scorseses ekstatisches Musikdrama Vinyl wurden nach einer Staffel wieder abgesetzt.

                                    Mangelendes Interesse seitens des Publikum und zu hohe Kosten hinsichtlich des Produktionsaufwands sind in beiden Fällen die ausschlaggebenden Gründe für das vorzeitige Aus. Ärgerlich und schade, denn beide Serien besaßen eine mitreißende Vision, wie sie selbst im Zeitalter des Peak TV alles andere als selbstverständlich ist. Zum Glück gibt es aber noch David Simon, den Schöpfer essentieller Serien wie The Wire und Treme, der sich ein Jahr nach den genannten Niederlagen erneut in ein von Krisen, Umbrüchen und Veränderungen geprägtes New York begibt und Herausragendes schafft. [...]

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                                    • 5

                                      [...] So ereignet es sich, dass die dramatischen Momente auf künstlichen Motivationen fußen, was nicht zuletzt daran liegt, dass das Drehbuch stets die passenden Szenen parat hat, um möglichst schnell zum Punkt zu kommen. Einerseits ist diese Zielstrebigkeit bemerkenswert, andererseits degradiert sie die Figuren und ihren persönlichen Leidensweg als Mittel zum Zweck. Egal, wohin es Michael im Rahmen seiner ereignisreichen Odyssee verschlägt: Er legt bloß dann einen Halt ein, wenn The Promise ein klares Anliegen verfolgt. Michael fungiert als konstruierten Exempel, um Konflikte darzustellen und das Vergangenen aufzuarbeiten. In Anbetracht der Leidenschaft, die zweifelsohne in The Promise hineingeflossen ist, verblüfft es durchaus, dass dieses Epos seine mitreißendsten Eigenschaften verfehlt und die Geschichte mit Platzhaltern erzählt.

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                                      • 7 .5

                                        Dem Kino wollte er den Rücken kehren und sich stattdessen im Fernsehen ausprobieren. Wenngleich Steven Sodeberghs Kooperation mit der HBO-Tochter Cinemax die herausragende Dramaserie The Knick hervorgebracht hat, kann sich das Kino glücklich schätzen, dass der Filmemacher sein Wort gebrochen hat und nach vier Jahren Abstinenz mit einem neuen Werk auf die große Leinwand zurückkehrt. Dort war er zuletzt mit dem Thriller Side Effects vertreten, nachdem sein glamouröses Biopic Behind the Candelabra in den USA keinen Kinoverleih gefunden hatte und stattdessen als Fernsehfilm ausgestrahlt wurde. Nun ist er aber wieder da – mit aller Lust zum Experimentieren. Logan Lucky offenbart sich als unheimlich witzige und dennoch düstere Variation auf die Ocean’s-Trilogie und beweist vor allem eines: Steven Soderbergh ist noch lange nicht am Ende seiner Kräfte angekommen. [...]

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                                        • 5

                                          [...] Was bleibt, ist ein Film, der eine tiefgreifende, erschütternde Mythologie regelmäßig in Aussicht stellt, schlussendlich aber nicht versteht, was es bedeutet, sich zu dieser Mythologie zu bekennen und sie wirklich zum Leben zu erwecken. Vieles wird behauptet in diesen merkwürdigen eineinhalb Stunden, die gleichermaßen schlank wie gleichgültig ein Epos rahmen, das sich widerstandslos damit abgefunden hat, einfach nur mittelmäßig zu sein, obwohl unzählige Impulse weitaus Größeres beschwören könnten. Ausgerechnet die Fish-out-of-Water-Komik, die aus der Ankunft des Gunslinger im modernen New York resultiert, verleiht The Dark Tower doch noch eine liebenswürdige Vitalität, die ein Gespür für die Figuren und die Welt, in der sie sich bewegen, erahnen lässt. Der Kern der Geschichte bleibt trotzdem ein verschlüsselter und lässt die erhoffte Power von Stephen Kings Schöpfung ratlos versanden. Nach zehn Jahren ist The Dark Tower weder die beste noch die schlechteste, sondern schlicht die unmotivierteste Umsetzung des Stoffs geworden.

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                                          • 1

                                            [...] In der Stadt Textopolis leben unzählige der titelgebenden Ideogramme, die sich in einem lauten Party-Remix von Inside Out, Monster, Inc. und Wreck-It Ralph gegenseitig zu übertreffen versuchen, um einen begehrten Spot unter den Favoriten in Alex‘ Chatfenster zu erlangen. Was in der Theorie das clevere Kunststück des ebenfalls markengetriebenen The LEGO Movie imitieren könnte, offenbart sich in der Praxis leider als liebloses Animationsdesaster, das weder eine universelle Sprache spricht noch zu einer echten, aufrichtigen Emotion in der Lage ist. Die einzige Reaktion, die dieser Film provoziert, ist der Blick auf das eigene Smartphone in der Hoffnung, dass sich die Laufzeit bald dem Ende neigt. [...]

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                                            • 6

                                              [...] Das ist sehr schade, denn Spider-Man: Homecoming leistet stets hervorragende Vorarbeit, traut sich aber nie, eine Handlung im entscheidenden Moment zu Ende zu denken, als würde sich Peter Parker vor lauter Aufregung über sein Abenteuer mit den Avengers auf dem Heimweg von der Schule verlaufen. Der neue Spidey kommt also nie dort an, wo er eigentlich hinmöchte. Gleichzeitig spiegelt dieser Umstand sehr schön die Irrwege eines Jugendlichen, der sich über Nacht zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten hin- und hergerissen fühlt und noch jede Menge Erfahrungen sammeln muss. Zwischen all den obligatorischen Stationen einer solch metaphorischen Erzählung des Erwachsenwerdens erschafft Jon Watts vor allem im Heimlichen wundervolle Augenblicke, die Tom Hollands Peter Parker herzergreifend in Szene setzen. So sitzt er nach eine enttäuschenden Tag ohne richtige Heldentaten auf einem Dach in Queens und redet niedergeschlagen mit einem Anrufbeantworter, während die Sonne im weit entfernten Manhattan untergeht. [...]

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                                              • 6 .5

                                                [...] Ärgerlich ist das nur bedingt, denn Atomic Blonde weiß um seine Stärken und die liegen definitiv in der Ausformulierung aberwitziger Ideen, die auf dem Papier irritieren mögen, auf der Leinwand jedoch ein kinematisches Feuerwerk abliefern. Zu den verblüffendsten Sequenzen gehört dabei eine Verfolgungsjagd, die im Rahmen einer Vorstellung von Stalker im Kino International kulminiert und für einen Augenblick anmutender Schönheit sorgt. Wo Chad Stahelski bei der Fortsetzung von John Wick die überwältigende Macht eines Spiegelkabinetts entfesselt, lässt David Leitch zwei Silhouetten im Licht des Projektors aufeinandertreffen, während Andrei Tarkovski im Hintergrund das Gewicht der Seele und den Wert des Menschen verhandelt. Überinterpretiert und festgelegt wird trotzdem nichts, stattdessen lässt David Leitch die herrlichen Impulse wirken. [...]

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                                                • 8

                                                  [...] Valerian and the City of a Thousand Planets nutzt jede Sekunde, auch mit dem Bewusstsein, dass das, was hier passiert, überhaupt nicht selbstverständlich ist. Wo Luc Besson eben noch auf einen vorhersehbaren Trick setzte, um die nächste Eben der Geschichte zu erreichen, untergräbt er im nächsten Augenblick die Erwartungen. Wie der zentrale Handlungsschauplatz, die Raumstation Alpha, offeriert somit auch der Film stets einen unentdeckten Winkel, der das Tor in eine völlig neue Welt aufstößt, und im gleichen Atemzug den atemberaubenden den Moment des Eintauchens heraufbeschwört, verbunden mit der Ungewissheit, was auf der anderen Seite des magischen Durchgangs wartet. Generell spielt das Prinzip von Seiten und Ebenen eine entscheidende Rolle, sowohl aus erzählerischer als auch aus inszenatorischer Sicht. Während sich etwa Valérian (Dane DeHaan) und Laureline (Cara Delevingne) zwischen den Fronten verschiedener Parteien wiederfinden, überträgt Luc Besson sprichwörtlich den Zwiespalt in der szenischen Gestaltung des Geschehens. [...]

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                                                  • 8

                                                    Als Baby Driver Anfang des Jahres auf dem SXSW-Festival seine Premiere feierte, wurde Edgar Wrights erster Film seit dem emotionalen Abschluss der Cornetto-Trilogie als Mischung aus La La Land und The Driver umschrieben – und tatsächlich: Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Keine drei Minuten vergehen, da rocken The Jon Spencer Blues Explosion mit Bellbottoms die große Leinwand, während quietschende Reifen den Asphalt zum Beben bringen. Im rasanten Takt der Musik folgt eine der wohl spektakulärsten Verfolgungsjagden, die es in den letzte Jahren im Kino zu sehen, furios gefilmt, geschnitten und in Szene gesetzt – als würde Edgar Wright all den Frust hinsichtlich seiner tragischen Marvel-Disney-Erfahrung mit Ant-Man in einer farbenfrohen Explosion Ausdruck verleihen. Baby Driver ist ein energiegeladenes Abenteuer, das die Straßen Atlantas zum Qualmen bringt und gar nicht erst daran denkt, auf die Bremse zu treten. [...]

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